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Therapieprozess

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Die therapeutische Anfangsphase wird häufig durch die Inszenierung des symptomstabilisierenden Interaktionsmusters (z. B. Vorwürfe und Streit) bestimmt. Fragen der Auftragsklärung, zu Interaktionszirkeln und nach Vor- und Nachteilen der Positionen kommen hier zum Einsatz. Der Übergang in die nächste Phase führt vom vertrauten Streit zur Thematisierung der sexuellen Differenz. Die Mehrdeutigkeit des Problems und der bisherigen Lösungsversuche wird in den Blick genommen. Verschlimmerungsfragen sowie die Frage nach der Konsequenz der Nichtveränderung (»Angenommen, Ihr Mann könnte nie wieder eine Erektion aufrechterhalten, wie würde es für Sie weitergehen?«) sind hier angezeigt. Der dramaturgische Höhepunkt der Therapie besteht in der Profilierung des sexuellen Unterschieds. Beispielhafte Kernintervention ist hier das »ideale sexuelle Szenario« (ISS). Es fordert die Schärfung der sexuellen Individualität der Partner heraus, indem beide ein für sie ideales erotisches Szenario unabhängig vom Partner schriftlich entwerfen. Erst in der Folgesitzung findet die Verhandlung über die wechselseitige Offenlegung der Texte statt (für eine genaue Beschreibung s. Clement 2004).

Die dabei sichtbar werdende Differenz der beiden Szenarien ist eine kritische Größe für den Fortgang der Therapie. Wenn etwa der eine Partner eine romantisch intime Situation beschreibt, der andere dagegen eine Szene, in der er sich einseitig vom Partner »nehmen« lässt, kann das als interessant und aufregend oder aber als verletzend und beängstigend erlebt werden. Abhängig vom Ausmaß der aktivierten Angst reagieren Klienten mit einer temporären Rückkehr in das vertraute Interaktionsmuster oder aber mit einer erhöhten Aufmerksamkeit für sich und den Partner (ist der andere »noch da« und, wenn ja, unter welchen Bedingungen?). Im letzteren Fall können die Verhandlung und Exploration (neuer) erotischer Gemeinsamkeit auf der Basis von Differenz erfolgen (Worauf würde ich mich einlassen? Wie gehe ich mit für mich fremden Aspekten der Sexualität meines Partners um?).

Im günstigen Fall führt dieses Vorgehen zu einer besseren sexuellen Differenzierung, bei der der Unterschied der beiden sexuellen Profile nicht mehr vorwurfsvoll als Problem bewertet wird, sondern als belebende Individualität. Damit erhöht sich für die Partner die Chance, aus dem Gefängnis eines kleinsten gemeinsamen Nenners auszubrechen und die Freiheitsgrade und Wahlmöglichkeiten zu nutzen, die sich aus dem neuen Blick auf den alten Partner ergeben.

Systemische Therapie und Beratung – das große Lehrbuch

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