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3.2 Gerontopsychiatrie Johannes Pantel 3.2.1 Aufgabengebiet

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Die Gerontopsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie sind diejenigen Gebiete der Medizin, die sich mit der Prävention, dem Erkennen, der Behandlung und der Rehabilitation psychischer Störungen im höheren Lebensalter befassen. Damit ist die Gerontopsychiatrie einerseits eine Subdisziplin der Psychiatrie, andererseits lässt sie sich auch als Teilgebiet einer allgemein verstandenen Altersmedizin verstehen. Gleichwohl weist die Gerontopsychiatrie historisch und institutionell sowohl gegenüber der Psychiatrie als auch gegenüber der Geriatrie einige Besonderheiten auf und erfordert darüber hinaus eine spezielle Expertise in Diagnostik und Therapie, die ihre Abgrenzung als eigenständige Subdisziplin auch inhaltlich rechtfertigt. Entsprechend tragen heutzutage sowohl die ärztliche Weiterbildungsordnung (Zusatzbezeichnung »Geriatrie« für Psychiatrische Fachärzte) als auch die sozialrechtlichen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen der Tatsache Rechnung, dass die angemessene Behandlung psychischer Störungen im Alter sowohl besonderer Fachkompetenz als auch angepasster Behandlungskonzepte bedarf (Pantel 2010; Kap. 58). Dies ergibt sich aus Besonderheiten der Psychopathologie und des Verlaufs psychischer Störungen im Alter sowie aus den speziellen Lebenssituationen und psychosozialen Entwicklungsaufgaben, die das höhere Lebensalter mit sich bringen kann ( Kap. 5.6 und Kap. 5.7). Eine scharfe und wissenschaftlich präzise zu bestimmende Altersgrenze, ab der ein Patient als »gerontopsychiatrischer Behandlungsfall« zu betrachten ist, gibt es allerdings nicht (Pantel 2010). In den heute bereits vielerorts existierenden gerontopsychiatrischen Spezialstationen bzw. Spezialabteilungen wird die Altersgrenze für die Aufnahme gelegentlich bei 65 Jahren angesetzt, auch wenn dieses Alterskriterium arbiträr ist und in der Versorgungspraxis nicht immer strikt eingehalten wird.

Grundsätzlich können alle psychischen Störungen des mittleren Lebensalters auch bei Menschen höheren Lebensalters auftreten (Pantel 2010). Folgt man epidemiologischen Studien, so leidet in Deutschland ca. ein Viertel der über 65-Jährigen an einer psychiatrischen Erkrankung (Weyerer und Bickel 2006). Obwohl die Häufigkeit psychischer Störungen (Prävalenz) in dieser Altersgruppe damit im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen nicht erheblich größer ist, ist die Wahrscheinlichkeit im Alter erstmals eine psychische Krankheit zu erleiden (Inzidenz) größer als im mittleren Erwachsenenalter. Bei den o. g. Angaben ist stets zu berücksichtigen, dass sich viele der publizierten Zahlen auf Stichproben aus der Allgemeinbevölkerung beziehen. Zieht man Untersuchungen an Altenheimbewohnern heran, so ist die Prävalenz psychiatrischer Erkrankungen hier noch wesentlich höher anzugeben und kann in einzelnen Untersuchungen über 50 % der Untersuchten betreffen (Pantel et al. 2006).

Diese Zunahme des psychiatrischen Erkrankungsrisikos im Alter ist im Wesentlichen auf die erhöhte Inzidenz organisch bedingter Störungen (insbesondere Demenzen, leichte kognitive Beeinträchtigung und Delir/akute Verwirrtheit) zurückzuführen ( Kap. 13 und Kap. 14). Jedoch auch depressive Störungen bzw. Depressionen spielen hinsichtlich ihrer Prävalenz bei alten Menschen eine nicht zu unterschätzende Rolle ( Kap. 15). Selbstverständlich werden aber auch andere primär psychiatrische Syndrome (psychotische Syndrome, pathologische Angst, Suizidalität, Suchtverhalten, somtoforme Syndrome, Schlafstörungen etc.) im höheren Lebensalter regelmäßig beobachtet und geben Anlass für gerontopsychiatrische Interventionen ( Kap. 1619, Kap. 21 und Kap. 22). Diese Syndrome können

• sowohl als eigenständige Krankheiten bzw. Krankheitseinheiten gewertet werden (z. B. können psychotische Syndrome als Leitsymptom einer wahnhaften Störung bzw. pathologische Angst als Leitsymptom einer Angststörung auftreten),

• aber auch als Teilsyndrom einer anderen Grunderkrankung beobachtet werden (z. B. können psychotische Symptome neben anderen Symptomen Ausdruck einer Demenz, eines Delirs oder einer schweren Depression sein),

• schließlich als psychopathologische Beeinträchtigungen infolge einer primär somatischen Grunderkrankung in Erscheinung treten (z. B. bei der sekundären Insomnie oder bei der post-stroke depression).

Diese potenzielle Vieldeutigkeit psychiatrischer Symptome und Syndrome im Alter stellt gerade vor dem Hintergrund der im Alter häufigen Multimorbidität und der Besonderheiten der Lebenssituation alter Menschen eine komplexe differentialdiagnostische Herausforderung dar, die darüber hinaus hohe Anforderungen an die interdisziplinäre Zusammenarbeit stellt ( Kap. 4 und Kap. 5.3).

Unter Berücksichtigung der häufig reduzierten Plastizität und kognitiven Reservekapazität im Alter ist die Arbeit in der Gerontopsychiatrie – ähnlich wie in der Geriatrie oder in der interventionellen Gerontologie – gleichwohl immer ressourcenorientiert und bezieht auch im hohen Alter noch vorhandenes Potenzial zur Entwicklung und Bewältigung gezielt mit ein ( Kap. 5.45.7). Dies erfordert eine multidimensionale und berufsgruppenübergreifende Herangehensweise, für die sich die Arbeit im therapeutischen Team (Ärzte, Psychologen, Pflege, Co-Therapeuten, Sozialarbeit, ggf. ergänzt durch Angehörige) bewährt hat ( Kap. 50). Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Kuration im Sinne einer »restitutio ad integrum« im fortgeschrittenen Alter häufig nicht mehr realistisch zu erreichen ist, stellen Rehabilitation und Palliation gleichwohl wertvolle Begründungen gerontopsychiatrischen Handelns dar ( Kap. 5.9).

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