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3.4 Perspektiven der Altersmedizin Johannes Pantel, Cornelius Bollheimer und Dieter Lüttje

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Altersmedizin in dem hier zugrunde gelegten allgemeineren bzw. weiteren Sinne umfasst alle Wissensbestände, Fertigkeiten, Interventionen und Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, Gesundheit, Funktionsfähigkeit und Lebensqualität von Menschen im höheren Lebensalter zu erhalten (Prävention), wiederherzustellen (Kuration und Rehabilitation) sowie durch Krankheit und Funktionsverlust bedingtes Leiden im Alter zu mindern (Palliation).

Der im Kapitel 2 dargestellte demografische Wandel stellt die Altersmedizin und ihre Disziplinen dabei vor besondere Herausforderungen, die neben der inhaltlichen Weiterentwicklung der relevanten Fächer auch die Qualifizierung des erforderlichen Fachpersonals und die adäquate und zukunftsfähige Gestaltung der Versorgungssysteme umfassen ( Kap. 2). Dies betrifft grundsätzlich alle an der medizinischen, pflegerischen und psychosozialen Versorgung alter Menschen beteiligten Disziplinen und Professionen, zu denen neben den in den vorhergehenden Kapiteln dargestellten akademischen Kerndisziplinen Geriatrie, Gerontopsychiatrie und Gerontologie auch die Allgemeinmedizin und die weiteren klinischen Subdisziplinen gehören. Da die Arbeit im therapeutischen Team sowohl in der Geriatrie als auch in der Gerontopsychiatrie eine lange und bewährte Tradition hat, kann darüber hinaus die Bedeutung einer gelungenen Kooperation mit ergänzenden Berufsbildern nicht oft genug betont werden ( Kap. 4 und Kap. 50). Hier sind insbesondere die unverzichtbaren Beiträge zum Gelingen einer qualitativ hochwertigen und ganzheitlichen altersmedizinischen Versorgung zu nennen, die von der geriatrischen Krankenpflege und der Altenpflege aber auch von der Physiotherapie, der Ergotherapie, der Logotherapie, der Sozialarbeit, der Geragogik und der Seelsorge erbracht werden.

Den hinsichtlich ihrer inhaltlichen und institutionellen Ausdifferenzierung sowie ihrer fachlichen Identitätsbildung relativ ausgereiften Kerndisziplinen Geriatrie, Gerontopsychiatrie und Gerontologie wird gleichwohl eine besondere Motorfunktion bei der Weiterentwicklung der Altersmedizin und bei der Verwirklichung des o. g. Auftrags zukommen. Bei der Bewältigung dieser Aufgaben ist das Verhältnis der genannten Disziplinen einerseits komplementär zu sehen, insofern sich diese hinsichtlich ihrer jeweils spezifischen Zielsetzungen wechselseitig als Sub- bzw. Hilfsdisziplinen definieren und abrufen können, andererseits sollte echte Interdisziplinarität und interprofessionelle Kooperation – sowie dies in dem folgenden Kapitel (»Interdisziplinarität«) umfassend dargelegt wird – eine Orientierung an gemeinsamen Zielen und deren umfassende Realisierung ermöglichen.

Die Geriatrie – als internistisch geprägte Kerndisziplin der Altersmedizin – ist in Deutschland für den Bereich der stationären Versorgung dort angekommen, wo sie in zahlreichen anderen europäischen Ländern schon längere Zeit platziert war – mitten zwischen allen anderen Fachgebieten ( Kap. 51). Weiter zählt die Geriatrie zu den medizinischen Fachgebieten, für die in der nächsten Zeit eine erhebliche Bedarfsausweitung mit z. B. Verdoppelung der stationären Betten in den nächsten 40 Jahren prognostiziert wird. Die Geriatrie steht damit in natürlicher Kooperation, aber auch in budgettechnischer Konkurrenz zu anderen medizinischen Fachgebieten. Eine Herausforderung für die Geriatrie werden die frühzeitige Identifikation geriatrischer Patienten und die gezielte Steuerung innerhalb eines transsektoralen Geriatrie-Versorgungsnetzwerks sein, was über die bisherige bloße stationäre Behandlung weit hinausgeht. Analog zu den Entwicklungen in anderen Ländern Europas werden sich folgende Entwicklungen notwendigerweise ergeben:

• Geriatrie-Risiko-Screening bei Patienten in der Hausarztpraxis und in Notaufnahmen bzw. bei Rettungsdiensten

• Umfängliche konsiliarische Tätigkeit der Geriater in allen Fachbereichen

• Ambulante fachärztliche Tätigkeit von Geriatern an Krankenhäusern (z. B. Geriatrische Institutsambulanz)

• Weiterleitung in ein ambulantes geriatrisches Versorgungsnetzwerk unter Einbeziehung von Hausärzten und niedergelassenen Fachärzten sowie nichtärztlichen medizinischen Fachberufen

• Gezielte stationäre Behandlung in geriatrischen Abteilungen am Akutkrankenhaus für die Patienten mit »Risikofaktor Geriatrie«, die nicht vorrangig von der Behandlung in anderen Fachabteilungen profitieren würden

• Etablierung von geriatrischen Abteilungen vorrangig an Krankenhäusern mit höherer Versorgungsstufe inklusive Universitätskliniken mit assoziierten Forschungseinrichtungen.

• Community-based Geriatrie inklusive spezialisierter Versorgung von Pflegeheimbewohnern (z. B. Heimarztmodell)

Vor diesem Hintergrund werden Weiterbildung und universitäre Verankerung der Geriatrie ein engmaschig zu begleitender Automatismus sein, aber langfristig nicht mehr das Zentralthema.

Aufgrund der demografischen Entwicklung wird auch die gerontopsychiatrische Morbidität in der Bevölkerung unausweichlich zunehmen und damit die Expertise der Gerontopsychiatrie ( Kap. 3.2) zunehmend abgerufen werden. Diese ist zwar häufig – jedoch nicht notwendigerweise – mit somatischer Komorbidität assoziiert, aber ihre adäquate Behandlung erfordert gegenüber der somatisch geprägten Geriatrie eine spezielle Kompetenz in Diagnostik und Therapie ( Kap. 52). Ein differenziertes und spezialisiertes gerontopsychiatrisches Versorgungssystem wird daher neben den unmittelbaren Aufgaben in Diagnostik, Therapie, Rehabilitation und Pflege sowohl in der Koordinierung als auch in der Weiterentwicklung von bedarfsgerechten und qualitätsorientierten Versorgungsmodellen für gerontopsychiatrische Patienten eine zentrale Rolle übernehmen müssen. Die Realisierung einer adäquaten und hohen Qualitätsansprüchen genügenden gerontopsychiatrischen Basisversorgung obliegt dabei jedoch stets dem gesamten Gesundheits- und Pflegesystem (einschließlich den Akteuren in der Primärversorgung). Auch dies setzt eine gute transsektorale und interdisziplinäre Zusammenarbeit voraus und erfordert auch eine verstärkte Berücksichtigung gerontopsychiatrischer Inhalte in der Aus-, Weiter- und Fortbildung der tragenden Gesundheitsberufe. Gerade vor dem Hintergrund einer optimierten Versorgung von alten Patienten mit komplexer Multi- und Komorbidität sowie in instabilen Lebenslagen mit hohem Beratungs- und Betreuungsbedarf ist darüber hinaus eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Gerontopsychiatrie mit der internistischen Geriatrie, der Allgemeinmedizin und der angewandten Gerontologie erforderlich und zielführend ( Kap. 4, Kap. 5.3 und Kap 23).

Neben den gemeinsamen Zielen in der Versorgung alter Menschen sind die altersmedizinischen Disziplinen auch durch die Bezugnahme auf gemeinsame Grundkonzepte ( Kap. 5) miteinander verbunden. Diese rücken zum einen die Vulnerabilität bzw. Verletzlichkeit des Alters in den Fokus der Betrachtung (z. B. pathologisches Altern, Gebrechlichkeit und Multimorbidität), zum anderen betonen sie jedoch auch die Ressourcen im Alter (z. B. Plastizität, Reservekapazität, Fähigkeit zu Entwicklung und Bewältigung sowie die Bedeutung sozialer Teilhabe). Weil diese Grundkonzepte praktisches Handeln in den diversen altersmedizinischen Praxisfeldern (Prävention, Kuration, Rehabilitation, Palliation) rechtfertigen und theoretisch fundieren, ist ihnen im Folgenden jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet, das mit einem Fazit bzw. Empfehlungen für die Praxis abschließt.

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