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4.3 Interprofessionalität in der medizinisch-pflegerischen Versorgung2 – Problembereiche, Projekte, Ausbildung

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Ein vertiefter und empirisch informierter Blick auf die Ursachen der Problemkonstellation ist weiterführend. Bereits die Veröffentlichung von Garms-Homolová und Schaeffer (1998) identifizierte als Ursachen mangelnder Zusammenarbeit u. a. gegenseitige Informationsdefizite (beispielsweise seitens der (Krankenhaus-)Ärzte gegenüber der Arbeit von ambulanten (Pflege-)Diensten), unterschiedliche Grade der Professionalisierung (z. B. im Hinblick auf die gesellschaftliche Dominanz und Machtstellung der Ärzte im Unterschied zum »schlechten« Image der Pflegeberufe) und verschiedene Qualifizierungs- und Sozialisationsverläufe. Für eine Verbesserung der Zusammenarbeit reichen Qualifikation und Reflexion allein nicht aus. Solange nicht rechtliche, finanzielle und organisatorische Voraussetzungen die (historisch entstandene und damit veränderbare) »Monopolstellung« der Ärzte in der Heilkunde infrage stellen und verändern, wie dies beispielsweise im angloamerikanischen Ausland oder in Skandinavien der Fall ist, wird sich substanziell wenig ändern.3 In ähnlicher Weise argumentieren Ewers und Reichel (2017a), die ein überkommenes Heilberufsgesetz als Hindernis für die interprofessionelle Zusammenarbeit benennen. Darüber hinaus kann man die Dominanz der berufsständischen Interessenvertretungen der Ärzteschaft einerseits und die unzureichende Selbstorganisation und Selbstbestimmung der Pflege andererseits ebenfalls als Barrieren für eine Kooperation auf Augenhöhe identifizieren (Hülsken-Giesler 2015). Schließlich sind die aktuellen Arbeitsbedingungen – vor allem in der stationären Langzeitpflege – auch nicht unbedingt förderlich für eine Teamarbeit (Brandenburg 2018). Unabhängig von strukturellen und systemischen Faktoren sind Forschungsarbeiten interessant, welche begünstigende Faktoren für eine gelungene Kooperation auf der Interaktionsebene empirisch herausgearbeitet haben. Hier ist eine aktuelle Studie aus der Schweiz zu erwähnen, die hohe Zustimmungswerte sowohl von Ärzten wie von Pflegenden zu folgenden Bereichen herausarbeiten konnte (Schärli et al. 2017): (1) Gegenseitiger Respekt, Wertschätzung und Vertrauen, (2) Arbeiten auf gleicher Augenhöhe und Verfolgung gemeinsamer Ziele sowie (3) Transparenz dank guter Kommunikation.

Projekte zur Kooperation zwischen Medizin und Pflege sind v. a. in den 1990er Jahren durchgeführt worden. Zu nennen ist zunächst das von der Bundesärztekammer und dem Deutschen Pflegerat initiierte und von der Abteilung für Medizinische Psychologie am Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf und dem Institut für Pflegewissenschaft der Universität Bielefeld durchgeführte Modellprojekt »Interprofessionelle Kommunikation im Krankenhaus« (Lecher et al. 2002). Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat im Rahmen des Schwerpunkts »Professionalisierung, Organisation, Geschlecht« eine Untersuchung der Universität Osnabrück unter der Leitung von Hagemann-White gefördert (Titel: Interaktion von Pflege und Medizin im Krankenhaus: Konstruktionsprozesse von Hierarchie und Geschlecht und berufliche Sozialisation, vgl. auch Hanses und Sander 2012). Ebenfalls hat die Hochschule für Sozialwesen in Mannheim in Kooperation mit der Universitätsklinik Heidelberg ein Forschungsprojekt durchgeführt: »Kooperationsprojekt Sozialarbeit und Krankenhausmedizin – KISMED (Hedtke-Becker et al. 2000). Am Universitätsklinikum Freiburg wurde im Jahre 2000 ein Projekt mit dem Namen »MESOP – Interdisziplinäre Kooperation im Gesundheitswesen: Medizin, Soziale Arbeit, Pflege« unter der Leitung von Jürgen v. Troschke abgeschlossen (Kaba-Schönstein und Kälble 2004). Eine Studie an der Charité unter der Projektleitung von Susanne Dettmer trägt den Titel »Neue Anforderungen an professionelles Handeln und Kooperation in Medizin und Pflege« und wurde 2014 publiziert. Die genannten Arbeiten thematisieren unterschiedliche Aspekte in der Arzt-Pflege-Kooperation, weisen auf Problemfelder hin und betonen die Notwendigkeit einer stärkeren interdisziplinären und interprofessionellen Zusammenarbeit.

Immer wieder wird von verschiedenen Stellen die Notwendigkeit einer gemeinsamen Ausbildung von Ärzten und Pflegenden angemahnt (vgl. umfassend hierzu: RBS und GMA 2016). Denn es macht in der Tat keinen Sinn die verschiedenen Professionen erst siloartig in unterschiedlichen Institutionen (und dann auch noch auf verschiedenen Niveaus) auszubilden – und sich dann über fehlende Kompetenzen und Wertschätzung hinsichtlich der interprofessionellen Kooperation zu wundern (und zu beklagen). Nachvollziehbar ist daher der Befund von Sollami et al. (2015), die in einer Metaanalyse von 51 Surveys (13.132 Pflegende und Pflegestudierende sowie 5.650 Ärzte und Medizinstudierende) den Befund generieren konnten, dass das Verständnis und die Bedeutung der interprofessionellen Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen verschieden ausgeprägt sind. Dieses Ergebnis konnte auch von Matziou et al. (2014) bestätigt werden, die ebenfalls konstatieren, dass Pflegende und Ärzte nicht die gleiche Perspektive im Hinblick auf Zusammenarbeit, Kommunikation und Rollenverteilung einnehmen. Konsequenterweise sind daher in den letzten Jahren theoretische Modelle vorgelegt worden, in denen die Schlüsselkompetenzen und strukturellen Rahmenbedingungen für eine gelingende Kooperation dargelegt wurden (IOM 2003, ICSIC 2010, WHO 2010). Die Robert Bosch Stiftung hat bereits mehrere Initiativen in Richtung interprofessionelles Lernen gestartet und 2013 das Förderprogramm »Operation Team« aufgelegt. Ziel des Programms war es die monoprofessionelle Bildungskultur in Deutschland aufzuweichen, von internationalen Erfahrungen (vor allem in den USA, England und Skandinavien) zu lernen und die interprofessionelle Zusammenarbeit der Gesundheitsprofessionen voranzutreiben. In der ersten Förderphase wurden 17 regionale Kooperationsprojekte zwischen Universitäten, Hochschulen und schulischen Ausbildungsstätten mit einem Gesamtvolumen von 2 Millionen Euro gefördert, die Weiterförderung wurde in Aussicht gestellt. Bereits realisiert wurde diese zweite Phase bei dem Projekt interTUT an der Charité in Berlin, das an dieser Stelle kurz vorgestellt werden soll (für weitere Informationen siehe: Ewers und Reichel 2017b). Dieses Programm wurde von mehreren Institutionen getragen, der Charité Universitätsmedizin Berlin, der Alice Salomon Hochschule Berlin sowie der Evangelischen Hochschule Berlin. Unterschiedliche Studienbereiche wurden miteinander verbunden: Medizin, Physio- und Ergotherapie sowie Pflege. Ziel war es, Tutorien für das interprofessionelle Lernen nutzbar zu machen. Damit wurden Erfahrungen aufgegriffen, die seit einigen Jahren in der Medizinischen Fakultät im Hinblick auf ein extracurriculares Studienangebot gesammelt wurden. Die Evaluation zeigte positive Ergebnisse, vor allem hinsichtlich eines hohen Lernzuwachses, des produktiven Lernklimas sowie der Wertschätzung durch andere Berufsgruppen. Allerdings darf das kritische Resümee von Nock (2016) nicht ignoriert werden, der für die qualitative Evaluation zuständig war. Er führt aus, dass freiwillige Zusatzveranstaltungen allenfalls als Minimallösung angesehen werden können. Das gilt vor allem dann, wenn die Einrichtungen und Entscheidungsträger nur bedingt Strukturen aufbauen und Zuständigkeiten schaffen, die das Thema Interprofessionalität nachhaltig institutionell verankern. Wer schon einmal in der Position eines Dekans oder einer Studiengangsleitung involviert war, dem ist sehr bewusst, dass fakultative Veranstaltungen nur bedingt substanzielle Resonanz erzeugen und eigentlich (nur) eine ohnehin bereits sensibilisierte Klientel erreichen. Angesichts der Relevanz des Themas muss am Ende auf (bildungs)-politischer Ebene eine nachhaltige Verstetigung von verbindlich angebotenen interprofessionellen Lerneinheiten durchgesetzt werden, die von übergeordneten Entscheidungsgremien (Berufsverbände, wissenschaftliche Fachgesellschaften, Hochschulen, Akteure der Gesundheits- und Pflegepolitik) gemeinsam verantwortet wird. Der Verbindlichkeitsrahmen einer Projektförderung – von wem auch immer – ist hierfür sicher nicht ausreichend.

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