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2.1. „Geist“: Hegels methodische Kunstfigur

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Diese Verwendung des Ausdrucks „Geist“ als eine methodische Kunstfigur, die zunächst nur formal das grammatische Subjekt von Tätigkeiten im Allgemeinen markiert, provoziert trotz aller sprachlichen Bemühungen Hegels das referenzialistische Missverständnis, der Ausdruck „Geist“ müsse auf eine Sache „in der Welt“ Bezug nehmen: z.B. eine individuelle Fähigkeit einzelner Menschen (im Sinn des engl. „mind“), oder eine geheimnisvolle transzendente Instanz (im Sinn der religiösen Rede von einem „heiligen Geist“). – Tatsächlich liegt jedenfalls das erste Missverständnis nahe. Da der Ausdruck grammatisch ein individuelles Subjekt – „den Geist“ – benennt, scheint es plausibel, dieses formale Individuum mit einem realen menschlichen Individuum zusammenfallen, und „Geist“ dessen faktische individuelle Eigenschaft oder Fähigkeit bezeichnen zu lassen. Wäre „Geist“ aber (nur) eine individuelle Eigenschaft, dann wäre prinzipiell fraglich, wie „individuelle Geister“, also die Ausprägung und Ausübung einer geistigen Fähigkeit in verschiedenen Individuen, zusammenhängen. Man könnte sich dann weder vorstellen, dass zwei Menschen nicht-zufällig denselben Gedanken fassen, oder dass sie einander aus Respekt vor ihrer Würde vernünftigerweise verpflichtet sind, weil die fraglichen geistigen Tätigkeiten bloß äußerlich zusammenhingen (gestiftet z.B. durch die Beschreibung eines unabängigen Beobachters, durch subjektives Entgegenkommen, oder ganz und gar aus Angst vor möglichen Sanktionen im Fall des Nicht-Mitspielens).

Die Kantische Vernunftkritik reagierte auf diese Herausforderung mit dem Gedanken, dass wir, auch wenn die Vernünftigkeit unseres Denken und Handelns in jedem einzelnen Fall fraglich sein mag, zumindest über die reine Idee ihres Gelingens verfügen. Wir kennen die reinen Formen des Verstandes und die reine Selbstbestimmung des Wollens als Gesetz, und das zeigt (meint Kant), dass die verschiedenen Ausübungen geistiger Fähigkeiten darin zusammenhängen, dass sie sich an einem objektiven, über-subjektiven Maßstab der Vernunft bemessen. Diese Versicherung kommt allerdings um den Preis, dass nun umgekehrt der objektive Vernunftmaßstab dem individuellen Denken äußerlich und vorausgesetzt bleibt. Versteht man, warum der Maßstab objektiv gelten kann, dann muss man zusätzlich erläutern, warum er auch für mich gilt. Im Kantischen Bild hängen die Ausübungen geistiger Fähigkeiten, die Tätigkeiten von Geistern, zwar innerlich in ihrem objektiven Maßstab zusammen, aber sie hängen sozusagen nicht aus eigener Kraft zusammen.

Hegels neuer „Geist“-Rahmen entlarvt dieses Missverständnis als ein Darstellungsproblem, indem er vorführt, wie individuelle geistige Vollzüge (Fähigkeiten und Vorgänge) in direktem Zusammenhang mit anderen Individuen stehen. Sie sind – metaphorisch gesprochen – Vollzüge vom selben Geist: Der Maßstab, in dem sie zusammenhängen, besteht nicht irgendwie von ihnen getrennt (so wie „die Vernunft“), sondern er besteht in nichts anderem als genau diesen vernünftigen Vollzügen – als der von allen, die an ihm teilnehmen, geteilte „Geist“. |43|Ein gutes Beispiel dafür ist das Sprechen: Einerseits „gibt es“ Sprache nicht unabhängig von unseren sprachlichen Äußerungen und Tätigkeiten; andererseits haben unsere sprachlichen Tätigkeiten ihr Maß und ihren internen Zusammenhang eben darin, dass sie (unvermeidlich mehr oder weniger gut) den Normen der Sprachpraxis folgen. „Sprache“, die Praxis des Miteinandersprechens, ist „das Dasein des Geistes“ (Hegel 1807, 478): An ihr zeigt sich, wie individuelle geistige Tätigkeiten und der geteilte „Geist“ ihres Mediums zusammenhängen.

So benennt Hegels Rede vom „Geist“ erstens die Fähigkeit, sich selbst als Subjekt seines Denkens und Handelns zu verstehen. Der Ausdruck „Geist“ funktioniert dann subjektiv: als Ausdruck für ein reflexives Selbst-Wissen. „Subjektiver“, als Subjekt angesprochener Geist bezeichnet den geistigen Vollzug, in dem „das, was sein Begriff ist, für ihn wird“ (Hegel 1830, § 382), man sich also als das begreift, was sich so begreift (vgl. Boyle 2011, § IV). Das wiederum beinhaltet wesentlich, sich als selbst-bestimmt zu begreifen. Natürlich findet man sich immer auch durch Anderes bestimmt; man weiß sich dann aber als nur beiläufig äußerlich bestimmt (wäre das anders, dann könnte man sich nicht als Subjekt seines eigenen Tätigseins, sondern allenfalls als Objekt irgendeines anderen Subjekts ansprechen). Deshalb ist das „Wesen des Geistes […] formell die Freiheit“ (Hegel 1830, § 382): Geistiges Tätigsein gelingt desto besser, je selbstbestimmter es ist. „Das Sein des Geistes ist ihm, bei sich, d.i. frei zu sein“ (Hegel 1830, § 385).

Solches „bei sich-Sein“ kann man sich nicht nur als durch das Tun eines individuellen Subjekts bewirkt vorstellen; ein „geistiges Individuum“ kann sich das Maß seiner Vollzüge weder selbst geben, noch es bloß vorfinden. – Das Sprachspiel des „Geistes“ zeigt aber, dass man sich geistiges Tun ohnehin nie rein individuell vorstellt. Unser geistiges Tun hat sein Maß nie nur (obzwar immer auch) in uns, sondern immer auch (aber nie nur) darin, wie man so etwas tut, d.h. in der allgemeinen Form solchen Tuns – nicht nur im subjektiven Geist, sondern auch im Geist der Tätigkeit. Deshalb muss man vom „Geist“ zweitens auch objektiv sprechen. Denn der Art, „wie man etwas macht“ (der Form dieser Handlung), begegnet man in der Welt – nicht als etwas schlechthin von uns Unabhängigem (denn ohne unser φ-en „gibt es“ die Form „wie man φ-t“ nicht), aber auch nicht als etwas einfach von je mir Gemachtem (denn ich kann nicht beliebig das, was ich tue, als gutes φ-en ausgeben). Diese objektive Beschreibung thematisiert geistige Tätigkeit „in der Form der Realität als eine[] von ih[r] hervorzubringende[] und hervorgebrachte[] Welt, in welcher die Freiheit als vorhandene Notwendigkeit ist“ (Hegel 1830, § 385): denn nur vor dem Hintergrund der Üblichkeiten und Institutionen einer solchen normativen „Welt“ ist es verständlich, subjektive geistige Tätigkeiten als besser oder schlechter zu beurteilen, ja sogar (aus „vorhandener Notwendigkeit“) unumgänglich, weil man nicht sagen kann, dass die Güte des eigenen Tuns einem bloß zustoße.

So ist man, wenn man tätig ist, beim Geist, und das heißt, bei sich. Man spricht nicht von „zwei Geistern“, sondern aus zwei unterschiedlichen Perspektiven über ein und denselben Geist. Geistiges Tätigsein „objektiv“ betrachten heißt, seine |44|allgemeine Form aussagen, die wir Individuen gemeinsam haben. Sich als Subjekt wissen heißt, aus der subjektiven Teilnehmerperspektive um das geistige Tätigsein wissen, das man mit allen möglichen Subjekten teilt und an jedem Subjekt exemplifiziert findet: „Das allgemeine Selbstbewußtsein ist das affirmative Wissen seiner selbst im anderen Selbst, deren jedes als freie Einzelheit“, als tätiges Individuum, „absolute Selbstständigkeit hat“, sich aber hinsichtlich seiner Form „nicht vom anderen unterscheidet, allgemeines und objektiv ist“ (Hegel 1830, § 436). „Geist“ besteht oder ist wirklich in dem und als das, was unserem geistigen Tun gemeinsam ist. „Diese Allgemeinheit ist […] sein Dasein. […] Die Bestimmtheit des Geistes ist daher die Manifestation. Er ist nicht irgendeine Bestimmtheit oder Inhalt, dessen Äußerung oder Äußerlichkeit nur davon unterschiedene Form wäre; so daß er nicht etwas offenbart“, was dann losgelöst von ihm da wäre, „sondern seine Bestimmtheit und Inhalt ist dieses Offenbaren selbst“ (Hegel 1830, § 383). „Geist“ ist nichts Anderes als unser geistiges Tun; er ist das, was sich in unseren Tätigkeiten manifestiert, indem wir sie als mehr oder weniger vernünftig, und damit uns als Subjekte unseres Tuns und Handelns begreifen.

Begreifen wir unser geistiges Tun so aus subjektiver und objektiver Perspektive, dann denken wir unsere menschlichen Angelegenheiten selbst: wir denken den Geist als unbedingt, als „absoluten Geist“. Wir denken unser Denken dann „in an und für sich seiender und ewig sich hervorbringender Einheit der Objektivität des Geistes und […] seines Begriffs“ (Hegel 1830, § 385). Das „Geist“-Modell für die Formulierung hergebrachter vernunftphilosophischer Fragen macht „Vernunft“ als nichts Anderes als die Form unseres wirklichen Tätigseins sichtbar, als den internen Zusammenhang unserer menschlichen Angelegenheiten. „Vernunft“ manifestiert sich als unsere Praxis.

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