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3.3. Inwiefern fängt Praxisphilosophie beim Denken an?

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Dabei war bislang für eine Praxisphilosophie allerdings so viel von „geistiger Tätigkeit“ die Rede, dass der Verdacht, Hegels Vorschlag blende die üblicherweise „handfester“ vorgestellten Bereiche des leiblichen und oft nicht-bewussten Tuns aus, nicht einfach durch den Verweis auf die fabelhaften Versprechen seiner geistphilosophischen Umstellung ausgeräumt ist.

Für diese Umstellung sprach, dass der deskriptive Zugriff einer „Theorie von Praktiken“ den wirklichen Vollzug solcher Praktiken verfehlt. Man begreift einen solchen Vollzug dann (letztlich und unbezweifelbar), wenn der begriffene Vollzug in seinem Begriffenwerden „zu sich selbst kommt“ – wenn man ihn so denkt, dass er sich selbst versteht. So schaut man immer schon auf den geistigen Aspekt an Tätigkeiten, wenn man sie überhaupt als Tätigkeiten anspricht; und am Deutlichsten hat man ihn an der Praktik des Nachdenkens vor Augen.

Das unternimmt die Wissenschaft der Logik. Logik ist als „Wissenschaft Denken des Denkens“ – also das Nachdenken über denjenigen besonderen Vollzug, der in objektiver Gestalt als Gedanke erscheint. Logik begreift diejenige Praktik, die „die Gedanken […] als Gedanken in den Kopf bekommt“ (Hegel 1830, § 19, Hervorh. JM). Selbst die Wissenschaft der Logik ist also Praxisphilosophie, und die Praktik, der sie sich widmet, hat überdies den methodischen Vorteil, dem „unbefangenen Bewusstsein“ darin entgegenzukommen, dass „das eigene Denken und dessen geläufige Bestimmungen […] das Elementarische […,] das Bekannteste“ ist (ebd.).

Folgt aber daraus, dass „Denken“ vielleicht tatsächlich die jeder Denkenden bekannteste und uns gemeinsam deshalb deutlichste Tätigkeit ist, dass man an ihr auch die wesentlichen Aspekte unserer anderen menschlichen Angelegenheiten versteht? Reicht dafür, dass diese Angelegenheiten vom Denken nicht gänzlich unabhängig verständlich sind?

Praxisphilosophie versteht unser menschliches Tätigsein als Wirkliches. Etwas als wirklich denken beginnt mit der Realisierung, dass es einen Unterschied macht, ob man sich eine Sache vorstellt, um dann ergänzend zu fragen, was die notwendigen und hinreichenden Bedingungen ihres Daseins und Vorliegens wären – oder ob man sich eine Sache so vorstellt, dass ihre Wirklichkeit zu ihrer Form dazugehört. Eine Tätigkeit als wirkliche vorstellen heißt, sie als den Vollzug zu denken, der sie ist. Das ist unbezweifelbar genau dann der Fall, wenn das, was gedacht wird, nichts anderes ist als das, was denkt – wenn der Vollzug selbstbewusst ist. Dann ist die Frage, ob das Verstandene angemessen unter einen Begriff fällt, bereits dadurch beantwortet, dass es sich selbst als unter seinen Begriff fallend versteht. Hegel nennt eine begriffliche Form, die das, was unter sie fällt, nicht nur als wirklich repräsentiert, sondern es als wirklich repräsentiert, |55|insofern es unter sie fällt, „Idee“. Es ist klar, dass eine Idee nur eine Aktivität, ein Tun sein kann; denn nur ein Tun kann so als intern reflexiv strukturiert verstanden werden, dass es sich selbst unter den Begriff bringt, unter den es fällt: Denn ein Tun wird vollzogen. „Vollzug“ ist ein Prozess, der nicht (wie andere Prozesse) eine äußerlich gestiftete Einheit sukzessiver Ereignisse ist, sondern dessen Phasen durch ein inneres Prinzip verbunden sind. Während Prozesse unpersönlich, d.h. drittpersonal beschreibbar sind, brauchen Vollzüge die Darstellung aus der Teilnehmerperspektive.

Aus dieser ganz formalen Charakterisierung unserer menschlichen Angelegenheiten als Vollzüge ergibt sich, dass man über sie nicht unabhängig vom „Denken“ nachdenken kann. Dass Vollzüge ihr Prinzip und ihren Ursprung in sich haben, ist nämlich nur genau dann keine bloße Behauptung, wenn man um diese Form von Vollzügen im Vollzug wissen kann. Wissen, was man tut, indem man es tut, und erkennen, was man denkt, indem man seinen Gedanken fasst, sind daher ein und derselbe Vollzug, Ausübung ein und derselben Fähigkeit. So bricht die praxisphilosophische Umstellung auf „Geist“ mit dem Bild, nach dem Denken und Handeln aus unterschiedlichen Quellen schöpfen und auf verschiedene Art (falls überhaupt) wirken. Die als Geist thematisierte Vernunft ist nichts anderes als das, was sich an unserer Praxis als deren Vernünftigkeit zeigt. Dass die „Bestimmtheit des Geistes […] die Manifestation“, „seine Bestimmtheit und Inhalt […] dieses Offenbaren selbst ist“, besagt genau dies: Geist „manifestiert sich“ als menschliches Tätigsein; er ist nichts als unsere Praxis im Allgemeinen (Hegel 1830, § 383).

„Denken“ und „Handeln“ sind dann im selben Sinne Manifestationen des Geistes. Aspekte geistigen Tätigseins. Die Unterscheidung von „theoretischem“ (betrachtendem, das Betrachtete „lassendem“) und „praktischem“ Vernunftgebrauch als eine Unterscheidung von zwei Vermögen ist hinfällig: „Diejenigen, welche das Denken als ein besonderes, eigentümliches Vermögen, getrennt vom Willen, als einem gleichfalls eigentümlichen Vermögen, betrachten und weiter gar das Denken als dem Willen, besonders dem guten Willen, für nachteilig halten, zeigen sogleich von vornherein, daß sie gar nichts von der Natur des Willens wissen“ (Hegel 1821, § 5 Anm.) – dass nämlich „Wollen“ das subjektive Moment der intentionalen Form geistigen Tätigseins ist. Der argumentative Zielhorizont von Hegels Praxisphilosophie begreift Handeln und Wollen als immer schon, nämlich ihrer Form nach, denkend: Handeln ist praktisches Denken; und umgekehrt ist (perzeptives, anschauend auffassendes) Denken seiner Form nach auch begehrend und wollend, nämlich auf Angemessenheit bezogen, und also tätig.

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