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|76|2.2.2. Kritik der politischen Verhältnisse

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Neben den religionskritischen Denkfiguren, die vor allem von David Friedrich Strauß (1808–1874) durch sein Buch Das Leben Jesu (1835), in die Debatte eingeführt und im Gefolge in radikalisierter Form von Ludwig Feuerbach und Bruno Bauer (1809–1882) vorangetrieben wurden, finden sich zudem geschichtsphilosophische Denkfiguren, die explizit fordern, das hegelsche Primat der theoretischen Philosophie durch eine Form der Praxis zu ersetzen.

Während Gans sich diese Praxis noch als sukzessive Realisierung des von Hegel normativ Geforderten vorstellte, halten Arnold Ruge (1802–1880) – der als Herausgeber zahlreicher kritischer Publikationsorgane der Linkshegelianer eine wichtige Figur für die publizistische Wirksamkeit der Gruppe darstellte – und Moses Hess (1812–1875) gerade auch das eigene primär publizistische Handeln bereits für eine Realisierung der geforderten Praxis. Die Philosophie müsse als Mittel der Kritik der politischen Verhältnisse das Katheder verlassen und gesellschaftlich wirksam werden. Hier zeigt sich, dass die eingeforderte Praxis auch eine Lebensform zum Ausdruck bringen sollte, in welcher der Philosoph sich durch seine publizistische Tätigkeit selbst als Moment der Veränderung begreift. Diese mit großer Emphase eingeforderte Praxis bleibt bei den Linkshegelianern aber begrifflich unterbestimmt. Ihre Funktion ist eher rhetorisch zu erfassen und in der wechselseitigen Bestärkung und Sehnsucht nach Überwindung der politischen Verhältnisse zu sehen. Ihre negative Funktion zeigt die Praxisemphase durch die Abkehr bzw. Überwindung der hegelschen Philosophie, wobei insbesondere deren Abgeschlossenheit kritisiert wird, die die Möglichkeit weiterer sinnvoller politischer Veränderungen auszuschließen scheint. Daher versuchen die Linkshegelianer eine Depotenzierung des absoluten Geistes auf die Geschichtsphilosophie vorzunehmen (vgl. Quante 2009b), die zugleich um die Dimension der Zukunft erweitert wird. Arnold Ruge behauptet in seinen geschichtsphilosophischen Aufsätzen etwa, dass eine Veränderung der politischen Verhältnisse letztlich unvermeidlich sei, um so die Politiker dazu zu bewegen, diese Veränderungen herbeizuführen, da diese ansonsten nicht durch eine Reform, sondern durch eine Revolution einträten (vgl. Rojek 2015) und daher die Gefahr des Fanatismus bestehe (vgl. Ruge 1841, 289ff).

Die Praxis-Emphase wird von Ruge dabei nicht als bloß voluntaristisches Handeln aufgefasst, sondern unter Rückgriff auf Hegels Geschichtsphilosophie konzipiert, dessen System aber um die Dimension des absoluten Geistes gekürzt wird (Ruge 1840, 403). Die philosophische Theoriebildung behält auch im Rahmen der geforderten Praxis eine zentrale Leitfunktion für die zu realisierende politische Tätigkeit und Reform, wie Ruge in seinem Aufsatz zu Theorie und Praxis hervorhebt, der als Vorwort der Hallischen Jahrbüchern diente (vgl. Ruge 1841).

Ruges theoretische Einbindung der Praxis, sowie sein Zögern gegenüber den Forderungen nach einer gewalttätigen revolutionären Praxis, ist exemplarisch für die Junghegelianer, deren faktische Praxis sich im Wesentlichen auf publizistische |77|Provokationen und polemische Debatten beschränkte, zum Teil aber auch erste Formen politischer Performance als Provokationsmittel hervorbrachte, so etwa bei der als Parodie auf kirchliche Weihen inszenierten Hochzeit zwischen Max Stirner und Marie Dänhardt (vgl. Eßbach 1988, 290–295).

Moses Hess brachte die Praxis-Emphase der Linkshegelianer auf das Schlagwort einer „Philosophie der That“, wobei er, eine Denkfigur Feuerbachs aufgreifend, den anderen Linkshegelianern vorwarf, diese Praxis noch gar nicht erreicht, sondern letztlich – wie Hegel – noch in der Theologie und mithin abstrakten Forderungen steckengeblieben zu sein (vgl. Hess 1843, 219). Er fordert dagegen emphatisch: „Es ist jetzt die Aufgabe der Philosophie des Geistes, Philosophie der That zu werden.“ (ebd.) Die Rede von der ‚Tat‘ dient hier ähnlich wie ‚Praxis‘ als emphatischer Ausdruck einer publizistischen Arbeit, die die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern können soll (vgl. Stuke 1963).

Hess verband seine Kritik an den religionsphilosophischen Debatten der Linkshegelianer mit konkreteren Vorstellungen darüber, wie eine bessere Gesellschaft und politische Organisation auszusehen habe, da er sozialistische und anarchistische Literatur rezipierte. So waren es auch Hess und der junge Friedrich Engels, die durch zwei ihrer Aufsätze Marx deutlich machten, dass eine Kritik der herrschenden Praxis an den ökonomischen Verhältnissen anzusetzen habe (vgl. Hess 1845; Engels 1844).

Philosophien der Praxis

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