Читать книгу Philosophien der Praxis - Группа авторов - Страница 28
|48|3. Praxis als „Aktivität des Geistes“
ОглавлениеWie kann man unsere menschlichen Angelegenheiten, unser Tun und Handeln, begreifen, wenn man immer schon in Praxis verstrickt ist? Hegel meint, dass die naheliegenden skeptischen und relativistischen Gefahren verschwinden, wenn man das scheinbare Rätsel als den sachlichen Kern versteht. Die anleitende Problemformulierung ist dann: Wie versteht man, dass der Geist im Anderen seiner selbst „bei sich ist“, also sein eigenes Tätigsein begreift?
Hegels Vorschlag, die Form und die Ansprüche der Vernunft als derart situiert zu begreifen, verdankt sich einem skeptischen Problem der zeitgenössischen Reflexionsphilosophie: Ist die Idee eines objektiven Gegenstandsbezugs des Denkens einmal fraglich geworden, dann lässt sich diese Irritation durch keine „dogmatische“ Metaphysik mehr reparieren. Das war Kants Entdeckung: Es reicht nicht, das Bestehen solchen Gegenstandsbezugs unter Voraussetzung einer vermeintlich wohlbestimmt vorgegebenen Objektivität (der Objekte des sinnlichen und des noumenalen Erkennens ebenso wie der Normen des Handelns) einfach zu behaupten; seine Möglichkeit lässt sich nur mehr aus der Form der subjektiven vernünftigen Fähigkeit selbst begründen. Denkt man über das Denken nach, dann muss sich dabei auch die Möglichkeit seines Vernünftigseins zeigen lassen – andernfalls wäre die Vorstellung, man dächte, unsinnig. Die Kritische Philosophie entwickelt so das transzendentale erkenntnistheoretische Argument, dass für ein vernünftiges Subjekt ein objektiver Gegenstandsbezug notwendig möglich ist (sofern es sich eingedenk seiner Endlichkeit amphibolischer Selbstüberhebung enthält), und dass ein vernünftiges Subjekt durch Einsicht in die Form seines Wollens bereits über das Prinzip sittlichen Handelns verfügt, nämlich die Idee der reinen (und damit allgemeinen, transsubjektiven) Selbstbestimmung subjektiven Wollens überhaupt.
Kants Modell der Spontaneität der Verstandestätigkeit macht zwar verständlich, wie gelingender Sachbezug möglich ist; es erklärt aber nicht, ob er, wenn er wirklich besteht, vernünftig gestiftet ist, oder nur beiläufig besteht. Dafür müsste man die Spontaneität der Verstandestätigkeit als eine echte, den Sachbezug produktiv stiftende Aktivität verstehen; und der Grund und die Quelle dieser Aktivität kann nur Subjektivität im Allgemeinen sein. Das meinen Fichte und Schelling (und streiten über die Ausgestaltung solcher Subjektivität – individualistisch bei Fichte, überindividuell bei Schelling). Hegel übernimmt als aufregendsten zeitgenössischen Vorschlag diese Vorstellung, das Denken (und damit unser ganzes menschliches Tätigsein) als eine für die menschliche Welt konstitutive Aktivität aufzufassen. Weil die zeitgenössische Diskussion diese Auffassung stets im Bild der erkenntnistheoretischen Subjekt-Objekt-Beziehung entwickelte, lag es nahe, eine solche konstitutive Aktivität allgemein dem Subjekt zuzuschreiben. Deshalb interessiert sich Hegel so für die Grammatik des Ausdrucks „leben“: „Leben“ ist das Urbild einer Tätigkeit, die ihren Ursprung und ihre Norm in sich selbst hat, und sich durch ihren Vollzug selbst erhält und reproduziert. Auch hier ist umstritten, wie wörtlich man Hegels Erläuterung des Lebendigen als Form des Geistes verstehen darf (vgl. bejahend Riedel 1965, Kap. III, und vorsichtiger Pinkard 2012). Versteht man sie nicht wörtlich, dann beschreibt „Leben“ analogisch den subjektiven Modus geistiger Vollzüge und die Art und Weise, in der wir im geistigen Tun mit den unverfügbaren Voraussetzungen unseres Tuns – der Natur – umgehen (vgl. Menke 2005 und Khurana 2017, v.a. Kap. IV.).