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Erhabenheit

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Der Begriff E. wird meist im Zusammenhang mit dem Körper des Menschen und seiner Ausstrahlung als einer aufgerichteten und nach oben hin (↗ Höhe, ↗ Himmel) orientierten Erscheinung verwendet. Während lat. habitus, für ‚Gehaben‘ (von lat. habere, für ‚haben‘), auf das bloße Auftreten ↗ Anwesenheit) und Benehmen eines Menschen hinweist, d.h. auf die Gesamtheit seiner Vorlieben und Gewohnheiten ↗ Wohnen) sowie auf seine Art, sich sozial zu artikulieren (↗ Ausdruck), ist der E. meist eine psychologische Konnotation eingeschrieben. Selbst als Fachterminus bei den Soziologen Norbert Elias (1897–1990) und Pierre Bourdieu (1930–2002) spielt das Denken, Fühlen ↗ Emotion) und ↗ Handeln bei der Bestimmung des Habitus eine entscheidende Rolle; dieser wird jedoch als unveränderlich und geprägt durch soziale ↗ Sozialraum) Gruppenzugehörigkeiten ↗ Milieu) gesehen (Bourdieu 2001). E. dagegen wird auch als eine Haltung transportiert, die erwerbbar bzw. erlernbar ist, und sie ist häufig negativ attribuiert. Gemäß dieser binären Bedeutungsstruktur von E. haben sich auch in Fragen der ↗ Wahrnehmung unterschiedliche Definitionsfelder entwickelt: Der Begriff des Erhabenen oder ‚Sublimen‘ entstammt dem griechischen Text Peri hypsous, einem Lehrbuch der Rhetorik aus dem 1. Jh. v. Chr., dessen bislang nicht identifizierte Autorschaft meist Longinus zugeschrieben wird. Um 1800 orientiert sich E. im Sinne von ‚Erhoben-Sein‘ v.a. an solchen ↗ Diskursen, die sich in philologischen, künstlerischen ↗ Kunst) und philosophischen Debatten zu Fragen der Wahrnehmung von ↗ Natur und ↗ Raum herausbilden und E. – als Errungenschaft im Gefolge der Aufklärung – als politische Freiheit deuten. So wird die Vorstellung von der E. der Natur, die sich v.a. mit ↗ Bergen, Wasserfällen und lodernden Vulkanen, aber auch mit Abgründen ↗ Chaos), ↗ Höhlen, Schluchten und Grotten sowie mit dunklen ↗ Labyrinthen im Erdinneren verbindet, stets in Relation zur menschlichen Größe gesehen. Daneben sind die Theorien des Erhabenen von Immanuel Kant (1724–1804) in dessen Kritik der Urtheilskraft von 1790 und zuvor bereits von Edmund Burke (1729–1797) mit A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful von 1757 maßgeblich für diese neue, sensibilisierte Sicht auf den ↗ Menschen. Bei Kant tritt die E. deutlich als reine Raumorientierung des Subjektes in Erscheinung (§§ 23–29) und grenzt sich damit von dem E.sbegriff seiner Zeitgenossen ab. Mit der politischen Besetzung naturästhetischer ↗ Paradigmen bekommen Würde und Wertigkeit des Einzelnen jedoch ein neues Fundament an Messbarkeit, da sie sich (nach dem Vorbild der Natur) an konkreten Zielen ↗ Ende) zu orientieren haben, die über die bloße Idee von unendlicher Größe oder Macht hinausgehen. Die Ausstrahlung von Unanfechtbarkeit, die sich in diesem Kontext mit E. verbindet, ist auch bei der ↗ Übertragung des Begriffes in den Bereich der Architektur erkennbar ↗ Denkraum), wie sie sich u.a. bei Friedrich Nietzsche (1844–1900) als raumgreifende Vorstellung im System urbaner ↗ Urbanität) Zusammenhänge bemerkbar macht. Bauwerke werden dort im Sinne des E.sbegriffes ästhetisiert (Böhme 2001; Confurius 1997): Im vierten Buch von Die Fröhliche Wissenschaft aus dem Jahr 1882 postuliert Nietzsche im Textstück 280 zur „Architektur des Erkennenden“ für die E. des Sichbesinnens in lichten, monumentalen ↗ Räumen, d.h. in metaphysischen Bauten, die – im säkularen Zeitalter ↗ Nachgeschichte) – als Ersatz für die Kathedralen (↗ heiliger Raum) des Christentums fungieren sollen. Auch in Architektur und Stadtplanung ↗ Stadt) des 20. Jh.s, besonders in totalitären oder wirtschaftsmächtigen Systemen, können sich ‚sakrale‘ Räume mit monumentalem Charakter als ↗ zentrale Orte behaupten (New York, Rom, Moskau, Pjöngjang u.a.). Sie erhalten ihren E.sgestus durch ihre ↗ Form, ihre Materialität und ↗ Lage, aber auch wieder durch ihre Bedeutung in den ästhetischen Diskursen: So werden die New Yorker Twin Towers des World Trade Centers im Gefolge von 9/11, d.h. durch ihre Zerstörung und deren mediale Vermittlung (Baudrillard 2002), durch die jene weltweit als Katastrophe eingestuft wird, zu Baukörpern mit ursprünglich erhabenem Gestus. Durch den Einbruch der Banalität, die als die wahre Bedrohung von E. angesehen werden kann, wird ein markanter Korpus politischer Ästhetik vernichtet. Doch erst durch den Zerfall der E. wird dieser retrospektiv als solcher erkannt.

Literatur: Groh/Groh 1991; Grosse 1997; Lyotard 1994; Pries 1989; Warnke 1992.

Böhme, Hartmut (2001): Nietzsches Phantasien über Architektur im postreligiösen Zeitalter, in: Der Architekt 3, 16–23.

Baudrillard, Jean (2002): Der Geist des Terrorismus, in: ders.: Der Geist des Terrorismus, Wien, 11–35 [frz. 2001].

Bourdieu, Pierre (2001): Habitus und Einverleibung, in: ders.: Meditationen, Frankfurt a. M., 177–188 [frz. 1997].

Confurius, Gerrit (1997): Architektur der Erkennenden, in: Daidalos 65, 60–66.

Groh, Ruth/Groh, Dieter (1991): Weltbild und Naturaneignung, Frankfurt a. M.

Grosse, Carl (21997): Über das Erhabene, St. Ingbert [1788].

Lyotard, Jean-François (1994): Die Analytik des Erhabenen, München [frz. 1991].

Pries, Christine [Hg.] (1989): Das Erhabene, Weinheim.

Warnke, Martin (1992): Politische Landschaft, München.

Ute Seiderer

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