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Erzählarchitektur

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Der Begriff der E. oder ‚narrativen Architektur (engl. narrative architecture) bezieht sich auf die Fähigkeit architektonischer ↗ Strukturen, im Betrachter narrative Skripte zu evozieren, d.h., von ihm als ↗ Erzählung verstanden zu werden: Gebäude (↗ Haus) können durch ihre ↗ Form, ihre Materialien (↗ Materie) oder ihre Anordnung (↗ Muster) auf assoziative Weise ↗ Geschichten erzählen. Dies ist durch die gesamte Architekturgeschichte v.a. in Sakral- und Repräsentationsbauten (↗ Repräsentation) der Fall, von denen i. d. R. eine gewollte und gerichtete emotionale (↗ Emotion) und zugleich semantische (↗ Semantik) Wirkung ausgeht, die oft Teil eines größeren narrativen Zusammenhanges ist. Darüber hinaus kann Architektur (↗ Tektonik) und Gestaltung (↗ Bild) der ↗ Stadt oft eine ungeplante Geschichte, v.a. ihre eigene Entstehungsgeschichte, erzählen. Die Nutzung architektonischer Formen, um gezielt spezifische Geschichten zu erzählen, ist v.a. ein Phänomen der zweiten Hälfte des 20. Jh.s, das, wie Celia Pearce (1997, 25–28) aufzeigt, seinen Ausgang in amerikanischen Vergnügungsparks hat und bis zur Gestaltung virtueller ↗ Welten (↗ virtueller Raum) in modernen Computerspielen (↗ Zauberkreis) reicht. In diesem Sinne stellt Disneyland seit seiner Eröffnung 1955 u.a. den Versuch dar, die Bedeutungsleere der kalifornischen Stadtarchitektur (↗ postmoderner Raum) durch einen dezidiert narrativen Raum der Architektur zu kompensieren (Klein 1997). Anders als in weitgehend temporal (↗ Zeit) rezipierten narrativen Medien wie dem Buch oder dem Film, erfährt der Besucher eines Themenparks Erzählung durch seine eigene Positionierung (↗ Position) und ↗ Bewegung im architektonischen Raum. Zu seiner vollen Entfaltung kommt das Prinzip narrativer Architektur schließlich in den dreidimensionalen (↗ Dimensionen), navigierbaren (↗ Navigation) ↗ Räumen, die von Computerspielen (↗ Ebene) geschaffen werden. Don Carson (2000) prägt in diesem Zusammenhang den Begriff der ‚Umgebungserzählung (engl. environmental storytelling)‘. Auch Carson sieht den Ursprung dieses Erzählens in den themengebundenen Vergnügungsparks (↗ Garten). Der Begriff wird von Henry Jenkins (2004) weiter differenziert; so unterscheidet er eine Reihe von Methoden, mit denen v.a. Computerspiele den Raum als narratives Mittel einsetzen. ‚Evokative Räume (engl. evocative spaces)‘ erwecken in den Betrachtern Assoziationen zu bereits existierenden narrativ relevanten Raumkonzepten (z.B. ein verwunschenes Schloss mit den entsprechenden räumlichen Elementen wie Falltüren (↗ Tür), Verließen, halbdunklen Gängen und ausladenden Treppen). (Partielle) ↗ Handlungen werden vom Rezipienten nicht einfach betrachtet, sondern im Raum erfahren und umgesetzt, oft in Form einer Bewegung durch den Raum (↗ Hodologie). Narrative ↗ Texte und Zeichen können auch, statt dem Rezipienten in einer vorgegebenen Sequenz (↗ Serie) präsentiert zu werden, als ‚eingelassene Erzählungen (engl. embedded narratives)‘ in die Struktur des begehbaren (↗ Spazieren) Raums eingebettet werden. Rezipienten entscheiden daher durch die Raumbewegung, welche dieser Texte und Zeichen wahrgenommen (↗ Wahrnehmung) werden und welche nicht: Die Nutzer werden zu Archäologen (↗ Schicht) und Detektiven, deren Aufgabe es ist, den Raum als Geschichte zu lesen. In exemplarischer Weise entwickelt das Computerspiel BioShock von 2007 sein dystopisches (↗ Dystopie) Erzählpotential fast ausschließlich über die architektonische ↗ Gestalt der vom Spiel erschaffenen ↗ Umwelt. Darüber hinaus kann der Rezipient in manchen Fällen auch selbst auf den Raum gestaltend einwirken und ihm eigene Geschichten als ‚auftauchende Erzählungen (engl. emergent narratives)‘ einschreiben. Das ungemein populäre Spiel Minecraft von 2009 bezieht bspw. einen wesentlichen Teil seiner Faszination aus der Möglichkeit, unbeschränkt selbst Bauwerke zu errichten und mit potentieller Bedeutung zu versehen.

Literatur: Pearce 2007.

Carson, Don (2000): Environmental Storytelling, in: Gamasutra, www.gamasutra.com/view/feature/3186/environmental_storytelling_.php.

Jenkins, Henry (2004): Game Design as Narrative Architecture, in: First Person, hg. v. N. Wardrip-Fruin u. P. Harrigan, Cambridge, 118–131.

Klein, Norman M. (1997): The History of Forgetting, New York.

Pearce, Celia (1997): The Interactive Book, Indianapolis.

Dies. (2007): Narrative Environments from Disneyland to World of Warcraft, in: Space Time Play, hg. v. F.v. Borries, S. P. Walz u. M. Böttger, Basel, 200–205.

Sebastian Domsch

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