Читать книгу Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik - Группа авторов - Страница 103

3. Forschungsstand

Оглавление

Aus Platzgründen kann der Forschungsstand zu den beiden im Titel genannten Leitkonzepten im Folgenden lediglich überblicksartig skizziert werden, und dies auch nur in einer weitgehenden Beschränkung auf den deutschsprachigen Raum. Einblicke in die internationale, zumeist englisch- oder französischsprachige Forschungslandschaft geben andere Handbücher bzw. Sammelbände (vgl. u.a. Benet-Martinez & Hong 2014 sowie Zarate, Levy & Kramsch 2008).

In den meisten Veröffentlichungen zum vorliegenden Themenkomplex erscheint der Verweis auf die Kulturalität (↗ Art. 1) nachgeordnet als Implikation des Sprachenaspekts. Dies ist vielfach bereits an den Titeln erkennbar ist, so z.B. im Falle von „Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität“ bei Aguado & Hu (2000) sowie gleichlautend bei Christ (2015). Daher ist es nicht immer einfach, in Forschungsbeiträgen oder Anregungen für unterrichtliche Praxis gesondert den Kulturaspekt herauszustellen, zumal verschiedentlich zwar von multikulturellen Klassen (↗ Art. 110) oder plurikulturellen Kontexten die Rede ist, die betreffenden Beiträge jedoch allein auf den Sprachenaspekt abheben (so z.B. in Narcy-Combes & Narcy-Combes 2014). Selten wird zudem der Kulturbegriff selbst näher definiert oder gar kritisch hinterfragt.

Zum Konzept der Multikulturalität bzw. gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit lassen sich im Wesentlichen zwei unterschiedliche Fokussierungen erkennen: In der ersten erscheint kulturelle Diversität vorrangig als Rahmenbedingung fremdsprachlichen Lernens, in der zweiten primär als dessen Ziel. In beiden Fällen rücken gesellschafts-, sprachen- und/oder bildungspolitische Fragestellungen in den Blick, zu denen durchgängig eine Haltung der Wertschätzung von Vielfalt vertreten wird. Im erstgenannten Fall steht die migrationsbedingte sprachlich-kulturelle HeterogenitätHeterogenitätdes Klassenzimmers des fremdsprachlichen Klassenzimmers (u.a. auch mit ihren Implikationen für den Herkunftssprachenunterricht) (↗ Art. 100, 106), im zweiten die Öffnung gegenüber kultureller und sprachlicher Vielfalt im grenzüberschreitenden globalen bzw. europäischen Maßstab im Vordergrund (vgl. u.a. Pfeiffer 2015). Letzteres ist zudem ein zentrales bildungs- und sprachenpolitisches Ziel, das der Europarat (2001) im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR) und in dessen aktualisierter Erweiterung („Companion volume“, Council of Europe 2018) vertritt (↗ Art. 18, 19).

Eine besondere Bedeutung erhält aktuell der oben angesprochene attitudinale Aspekt im Kontext der pädagogischen und didaktischen Diskurse zur inklusiven Schule. Gegen eine Verengung des Begriffs InklusionInklusion auf die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne sonderpädagogischem/n Förderungsbedarf wird in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit verwiesen, gerade auch die sprachliche und ethnisch-kulturelle HeterogenitätHeterogenitätder Schülerschaft der Schülerschaft in der pädagogischen und didaktisch-methodischen Gestaltung von Unterricht (↗ Art. 110) zu berücksichtigen (vgl. u.a. Dreyer 2013).

Wie eingangs angeführt, stellt PlurikulturalitätPlurikulturalität gewissermaßen die personale Seite der Multikulturalität dar. Herbert Christ (2015: 116) betont zu Recht, dass sowohl Mehrkulturalität als auch Mehrsprachigkeit soziale Praxen sind und sich in Interaktion mit anderen entwickeln. Deswegen nehme eine Didaktik der Mehrkulturalität (wie ebenfalls der Mehrsprachigkeit) ihren Ausgangspunkt stets bei den Lernenden, wohingegen die Zielvorstellungen sozialer Natur seien (vgl. ebd.: 117). Plurilingualität und PlurikulturalitätPlurikulturalität verweisen somit wechselweise aufeinander.

Vor diesem Hintergrund und in Weiterführung des GeRGeR verfolgt der „Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen“ (RePARePA) (Candelier et al. 2009) die Absicht, Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität als Ausbildungsziele integrativ zu verankern (↗ Art. 20). Die Autorinnen und Autoren verwenden verschiedentlich den Begriff einer „plurikulturellen Kompetenz“, ohne diesen allerdings genau zu definieren. Etwas vage heißt es, es handele sich um „eine einzige integrative mehrsprachige und plurikulturelle KompetenzKompetenzintegrative, mehrsprachige u. plurikulturelle“, die „letztlich auf die Sprachen und (inter)kulturellen Erfahrungen zurück[gehe], die einem Menschen zur Verfügung stehen“ (ebd.: 7). Problematisch erscheint dabei, dass die Verfasser – wie auf S. 45 deutlich wird – eine Gleichsetzung von Sprache und Kultur vornehmen und somit implizit ein homogenisierendes Kulturverständnis vertreten.

Zum engeren Feld der Multi- und PlurikulturalitätPlurikulturalitätPlurikulturalitätSiehe Mehrkulturalität ist nur wenig empirische Forschung zu verzeichnen. Zumeist steht in fremdsprachendidaktischer Perspektive – verständlicherweise – die Sprache im Mittelpunkt (Art. 1). Zu erwähnen ist gleichwohl die Studie von Blell, Dannecker & Ruhm (2010) zum multimedialen und multikulturellen Erzählen im Fremdsprachenunterricht, eine qualitative Untersuchung zu real-life-narratives von Lernenden unterschiedlicher kultureller Herkunft. Die in diesem Projekt gewählte Fokussierung auf eine Pluralität medialer, sprachlicher und kultureller Zugänge entspricht zudem weitestgehend den Leitgedanken der MultiliteralitätMultiliteralität, in denen stets die Kulturgebundenheit mehrsprachiger und multimedialer Kommunikation eine vorrangige Beachtung finden (vgl. Küster 2014: 4f.). Ein der PlurikulturalitätPlurikulturalität wie der MultiliteralitätMultiliteralität benachbartes Konzept ist ferner das Globale Lernen (↗ Art. 37). Obwohl stärker an Themen als am Spracherwerb orientiert, bietet es insofern Anknüpfungspunkte an die vorgenannten, als es darauf gerichtet ist, die Fixierung auf enge Sprach- und Kulturräume zu überwinden und die globale Vernetzung unserer Lebenszusammenhänge ins Bewusstsein zu heben (vgl. z.B. Hammer 2012). Schließlich sei auf die Bedeutung der Studien zur Konstruktion sprachlicher Identitäten verwiesen (vgl. hierzu Burwitz-Melzer, Königs & Riemer 2013 sowie Abendroth-Timmer & Hennig 2014) (↗ Art. 8). In ihnen laufen die gesellschaftlichen Aspekte der Multikulturalität und die individuellen Aspekte der Plurikulturalität zusammen. Denn in sprachlichen Biographien, die in Arbeiten der Identitätsforschung rekonstruiert werden, kommen zumeist nicht nur die individuellen Sprachlernerfahrungen zum Ausdruck, oft werden vielmehr zugleich auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen reflektiert, in denen sich fremdsprachliche Sprecher zu behaupten haben. Vor allem in Migrationskontexten verlaufen sprachlich-kulturelle IdentitätskonstruktionenIdentität daher häufig konfliktiv, nicht von ungefähr bezeichnet Bonny Norton (2000: 127f.) in einem vielzitierten Diktum IdentitätIdentität als „complex site of struggle“.

Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik

Подняться наверх