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2. Die Prüfvorgaben des Art. 5 Abs. 4 EUV

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Mildestes Mittel

Art. 5 Abs. 4 EUV i. V. m. dem Subsidiaritätsprotokoll konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dahingehend, dass die EU-Maßnahmen „inhaltlich wie formal“ nicht über das für die Erreichung des Ziels erforderliche Maß hinausgehen. Mithin ist in formaler Hinsicht, d. h. was die Wahl der Handlungsform betrifft, und in inhaltlicher Hinsicht, d. h. was Regelungsbreite bzw. -tiefe anbelangt, das jeweils mildeste Mittel zu wählen.

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Konkretisierung durch Subsidiaritätsprotokoll

Dementsprechend betonte das Amsterdamer Subsidiaritätsprotokoll, dass bei der Auswahl des jeweiligen Rechtsakts seitens der Unionsorgane das „mildeste“ Mittel, mithin die Rechtsform zu wählen sei, die am wenigsten in die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten eingreift. Darüber hinaus sollte darauf geachtet werden, „so viel Raum für nationale Entscheidungen“ zu belassen, „wie dies im Einklang mit dem Ziel der Maßnahme und den Anforderungen des Vertrags möglich ist“. Demgegenüber hebt Art. 5 S. 5 des geltenden Subsidiaritätsprotokolls eher ökonomische Aspekte hervor: Es soll jene Maßnahme zu wählen sein, die im Hinblick auf das zu erreichende Ziel für die einzelnen beteiligten Ebenen die geringsten Kosten und den geringsten Verwaltungsaufwand verursacht. Die in Frage kommende Maßnahme muss demnach nicht nur geeignet sein, das verfolgte Ziel zu erreichen, sondern sie darf mit Blick auf den daraus resultierenden Verwaltungs- und Kostenaufwand auch das zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderliche Maß nicht überschreiten (vgl. auch Bericht der Kommission „Bessere Rechtsetzung 2003“[34]: „Eignungsprüfung“, „Erforderlichkeitsprüfung“). Da das neue Subsidiaritätsprotokoll damit wesentliche, aus dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 4 EUV fließende Prüfvorgaben unberücksichtigt lässt, ist insoweit ergänzend auf das Amsterdamer Subsidiaritätsprotokoll zurückzugreifen.

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Mittelhierarchie

Ganz allgemein ist Art. 5 Abs. 4 EUV als Grundsatz der größtmöglichen Schonung von dezentralen Zuständigkeiten zu verstehen. Konkret ist in diesem Lichte zu prüfen, ob die EU-Maßnahme mit Blick auf das von ihr angestrebte Ziel nach Art, Umfang und Intensität geeignet und erforderlich ist (Wahl des mildesten Mittels) sowie zu diesem Ziel nicht außer Verhältnis steht. In formeller Hinsicht intendiert die Norm eine „Mittelhierarchie“ unter Berücksichtigung des zu erreichenden Zieles: Kann sich die EU nicht schon auf (gleich wirksame) unverbindliche oder bloß koordinierende Maßnahmen beschränken, so muss sie sich im Rahmen erforderlich werdender verbindlicher Maßnahmen auf solche beschränken, die die mitgliedstaatliche Souveränität möglichst weitgehend schonen. In Umsetzung dessen gilt z. B. ein Vorrang von gegenseitiger Anerkennung vor Harmonisierung, von Unterstützungsmaßnahmen vor einer Reglementierung, von Rahmenregelungen vor detaillierten Regelungen, Empfehlungen vor Richtlinien und Richtlinien vor Verordnungen.[35]

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Mindestnormen

In materieller Hinsicht ist zu prüfen, ob Mindestnormen in Betracht kommen, die den Mitgliedstaaten ein ihren Gegebenheiten und Präferenzen entsprechendes Opting Up ermöglichen. Ferner ist zu prüfen, ob sich die betreffende Maßnahme auch nach „inhaltlicher“ Regelungstiefe und Regelungsumfang auf das erforderliche Maß beschränkt und mit ihr das im Hinblick auf die Regelungstiefe jeweils mildeste Mittel (z. B. Rahmenregelung bzw. Mindeststandards) gewählt wurde. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, welche Regelungsalternativen erwogen wurden, die dann als nicht gleich wirksam verworfen wurden.

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Prinzip des schonendsten Ausgleichs

Im Ergebnis begründet Art. 5 Abs. 4 EUV ein „Prinzip des schonendsten Ausgleichs“ zwischen den Bedürfnissen der Wirtschafts- und Politikintegration einerseits und dem Erfordernis der Bewahrung nationaler Regelungen andererseits.[36] Dieses Prinzip muss sich auch in der inhaltlichen Ausgestaltung des jeweiligen Rechtsakts – etwa in Form von Rahmenregelungen oder Opting Up respektive Mindeststandardregelungen – widerspiegeln. Was die Harmonisierung anbelangt, ist z. B. in Form von unterschiedlich dichten „Harmonisierungsstufen“ zu prüfen, ob sich eine partielle Harmonisierung – bei der gleichwertige Standards gegenseitig anerkannt werden – oder eine optionale/freiwillige Harmonisierung – bei der Standards auf nationalen Märkten von im Inland hergestellten Produkten nicht erfüllt werden müssen, aber für den Export in andere Mitgliedstaaten bindend sind – als Maßnahmen mit hinreichender Regelungsintensität darstellen. Nur wenn dies nicht der Fall ist, kommt in der Regel eine Mindestharmonisierung – bei der die von der EU gesetzten Standards von den Mitgliedstaaten nicht unterlaufen werden dürfen, die aber Spielräume für national strengere Normen beinhaltet – in Betracht. Ultima ratio ist somit die Totalharmonisierung, bei der die Normsetzungskompetenz voll auf die EU übergeht und jedwede nationale Handlungsspielräume entfallen.[37]

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Better Regulation

In der Verhältnismäßigkeitsprüfung findet auch die europäische Agenda für eine bessere Rechtsetzung (Better Regulation) ihren Anknüpfungspunkt, die entsprechend strukturiert werden müsste.[38] Ein gesetzgeberischer „Werkzeugkasten“ (Legislative Toolbox) würde einer flexibleren und insoweit die Kompetenzen der Mitgliedstaaten stärker schonenden europäischen Gesetzgebung den Weg bereiten: Die „Werkzeuge“ könnten von der gegenseitigen Anerkennung auf der Grundlage des Herkunftslandprinzips bis hin zu strikter Harmonisierung durch die Setzung von Standards reichen. Zwischen diesen beiden Extremen könnten verschiedene Formen der Rechtsetzung genutzt werden. So könnten europäische Rechtsakte entweder der nationalen Ebene eine Berücksichtigung alternativer, weniger belastender Lösungen erlauben oder sich stärker auf Ergebnisse konzentrieren, anstatt detailliert die Maßnahmen vorgeben. Auch könnten Rechtsakte ein sog. „Anfechtungsrecht“ enthalten, das es nationalen Behörden ermöglicht, bei der Kommission eine Ausnahme von einer existierenden Regel oder Bestimmung zu beantragen. Schließlich könnten europäische Rechtsakte, die komplexe und noch ungewisse Sachverhalte betreffen, mit sog. Sunset Clauses versehen werden, die insoweit eine Ähnlichkeit zu experimentellen Gesetzen aufweisen, als sie es dem Gesetzgeber ermöglichen, einen neuen regulatorischen Ansatz „auszuprobieren“. In diesem Zusammenhang könnten auch Werkzeuge wie „Benchmarking“ und „Best Practice“ zur Anwendung kommen, im Zuge derer eine vergleichende Bewertung und darauf basierend die Identifizierung des besten mitgliedstaatlichen Regulierungsansatzes ermöglicht wird, der dann zum europäischen Maßstab werden kann.[39]

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Ermessensspielraum

Mit Blick auf die vorzunehmende Verhältnismäßigkeitsprüfung führt der EuGH in seinen einschlägigen Urteilen[40] aus, dass, wenn mehrere gleich geeignete Maßnahmen zur Verfügung stehen, die am wenigsten belastende zu wählen sei. Zudem müssten die verursachten Nachteile einer unionalen Maßnahme in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen.[41] Insoweit gesteht der EuGH dem EU-Gesetzgeber jedoch einen weiten Ermessensspielraum zu, wenngleich er betont, dass der Gesetzgeber verpflichtet sei, seine Entscheidung auf objektive Kriterien zu stützen und eine Folgenabschätzung vorzunehmen. Die Ausübung der gesetzgeberischen Befugnis könne daher gerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob ein offensichtlicher Irrtum oder ein Ermessensmissbrauch vorliegt oder ob das Organ die Grenzen seines Ermessens offenkundig überschritten hat.[42] Im Ergebnis überprüft der EuGH somit nicht, ob die streitige Maßnahme die einzig mögliche oder die bestmögliche war, sondern nur, ob sie offensichtlich unverhältnismäßig war.[43]

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