Читать книгу Sind wir noch ganz sauber? - Hanne Tügel - Страница 20
Wie von Pharmafirmen erfunden – Naturheilmittel und Medikamente von und für Insekten
ОглавлениеStaatenbildende Insekten wie Bienen, Ameisen und Termiten kennen dieselben Probleme wie Menschen, die dicht an dicht leben. Wo sich zigtausend Individuen auf engem Raum drängeln, nimmt die Infektions- und Seuchengefahr zu. Als im 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung die Städte wuchsen, traten in fast allen europäischen Großstädten Massenepidemien von Cholera, Typhus und Ruhr auf. Im Tierreich gibt es andere Seuchen, aber ähnliche Probleme. Als Abhilfe hat die Evolution Hygienestrategien entwickelt, die denen aus dem Labor von Mikrobiologen ähneln; Substanzen mit desinfizierender und antibiotischer Wirkung.
Eine Termitenart namens Coptotermes formosanus legt Köder aus, um mit Krankheitserregern fertigzuwerden: die eigenen Ausscheidungen. Der Kot lockt Bakterien an, die vor pathogenen Pilzen schützen. Ameisen der Spezies Formica paralugubris, Verwandte der Roten Waldameise, verteilen bis zu 20 Kilogramm getrocknetes Fichtenharz fein im Nest. Das Harz fungiert als natürliches Antibiotikum und hilft wirkungsvoll gegen ein Bakterium und einen Pilz, der die Ameisen bedroht.
Das am besten untersuchte Beispiel liefern Honigbienen, die im alten Ägypten schon drei Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung kultiviert wurden. In Bienenstöcken herrschen Temperaturen von 35° Celsius bei hoher Luftfeuchtigkeit – eigentlich eine Einladung zur Ausbreitung von Krankheiten. Propolis heißt das erstaunliche Gegenmittel. Um dieses klebrige Kittharz zu erzeugen, bringen Arbeitsbienen von verletzter Rinde bestimmter Bäume – wie Birken, Pappeln, Ulmen oder Fichten – harzhaltiges Material mit. Im Stock vermischen sie es mit Pollen und Wachs. Noch etwas Speichel dazu, und die Wunderwaffe gegen Bakterien, Viren und Pilze ist fertig.
Vor der Eiablage werden die Waben mit einer ultrafeinen Schicht des desinfizierenden und antibiotischen Wirkstoffs überzogen. Risse und Spalten lassen sich damit abdichten. Auch der Eingang zum Stock wird mit Propolis bestrichen – als eine Art Fußabtreter für die Bienen, die nach dem Ausschwärmen zurückkehren. Und schließlich dient Propolis auch als Waffe gegen Eindringlinge, die es in den Stock geschafft haben und zu groß sind, um sie mit gesammelter Bienenkraft wieder hinauszubugsieren. Sie gehen an den Bienenstichen zugrunde und werden sorgfältig rundum mit der klebrigen Substanz umhüllt und auf diese Weise einbalsamiert. So lassen sich sogar Schlangen und Mäuse direkt im Bienenstock mumifizieren. Die Fremdkörper ruhen im Propolis-Grab, ohne die Bienen durch Verwesungsgifte zu gefährden. Die alten Ägypter schauten sich die Technik ab und nutzten den Kittharz aus Bienenstöcken zum Einbalsamieren ihrer Toten.
Was tun mit dem, was gefährlich ist und was man anders nicht loswird? Eine dicke Decke drüber! Fast fühlt man sich heute bei diesem Rezept an den Sarkophag erinnert, der als 25 000 Tonnen schwere Hülle um den Atomreaktor Tschernobyl gebaut wurde, um die Menschheit vor seinem gefährlichen Strahlenmüll zu schützen.