Читать книгу Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln - Arved Fuchs, Hannes Lindemann - Страница 100
Auf südamerikanischem Boden
ОглавлениеVierzehn Tage nach meiner Abfahrt aus Ascension sah ich bereits aus 45 Seemeilen Entfernung die unverkennbare Silhouette von Fernando Noronha aus dem Meer auftauchen: ein Zeigefinger wies gen Himmel – der Pico, das Wahrzeichen der Insel und die Landmarke der Seeleute.
Fernando Noronha prangte im dichten, satten Grün der Regenzeit; von der Abendsonne goldgelb übertüncht, leuchtete die alte, weiße Festung der Portugiesen über das Meer, hinter ihr ragt steil der Pico auf, ein Bild, das mehr einer Mittelmeerinsel als einer südamerikanischen Sträflingsinsel entsprach, die Fernando Noronha bis zum Zweiten Weltkrieg gewesen ist.
Den Sträflingen, die die brasilianischen Behörden früher in dieses Tropenparadies schickten, kann es nicht schlecht gegangen sein: sie brauchten nicht in einem verlausten und verwanzten Quartier zu sitzen, sondern durften sich frei auf der Insel bewegen, konnten sogar ihre Familien nachkommen lassen und erreichten auf Grund solcher Annehmlichkeiten und des gesunden Klimas ein biblisches Alter.
Da seit meinem Aufenthalt in Ascension mein Motor nicht mehr lief, konnte ich erst nach einigen Kreuzschlägen einen günstigen Ankerplatz finden. Ich entdeckte ihn inmitten von Fischerbooten; er lag nahe am Strand und war dennoch tief genug, um der LIBERIA notfalls vor unerwarteten Riesenbrechern Schutz zu bieten. Denn genau wie vor Ascension ist die Reede auch hier nach Norden offen, und wenn es im Nordatlantik kräftig gestürmt hat, können äußerst gefährliche Brecher entstehen. Das alles weiß man natürlich aus den Küstenhandbüchern, in denen man sich vor jedem Anlaufen eines Hafens eingehend über alle Gefahren unterrichtet, die auf das Boot lauern könnten.
Als ich klar Schiff gemacht hatte – ein Topf Pellkartoffeln für das Abendessen stand gerade auf dem Spirituskocher –, hörte ich von draußen Stimmen herüberschallen. Es war inzwischen dunkel geworden, der Wind pfiff mit guten sechs Windstärken über die Bucht, und es schien mir unwahrscheinlich, daß sich in diesem Wetter jemand die Mühe machen könnte, mich zu besuchen. Aber ich täuschte mich! Plötzlich bumste es gegen die Bordwand, und zwei milchkaffeebraune brasilianische Fischer kletterten an Deck. Sie wollten mir die Einladung einer Señora überbringen, die bereit war, mich gegen 5000 Cruzeiros kennenzulernen. Noch ehe ich diesen Schock überwunden hatte, schrie der eine: „O barco!“ Er zeigte auf sein Boot, das sich losgemacht hatte und in der Dunkelheit abtrieb, aufs offene Meer hinaus! Seemannsknoten müßte man machen hönnen!
Ich versuchte, die Fischer dazu zu bewegen, mit einem Kopfsprung hinterherzusetzen. Aber welcher Fischer kann schon schwimmen! Also mühten wir uns zu dritt, meine Ankerkette einzuhieven, um die LIBERIA dem Boot nachzuschicken, aber der Wind preßte so stark gegen meine Yacht, daß wir nicht einmal das schafften. Die Ankerwinsch3 war mir schon in Westafrika in einem Tornado in die Brüche gegangen, und mein Schlauchboot hatte ich noch nicht aufgeschlagen.
Welch ein kostspieliger Kuppeleiversuch für die beiden! Da standen sie und sahen ihr Boot und ihre Felle auf Nimmerwiedersehen davonschwimmen, beschimpften sich gegenseitig und blickten verdattert zu mir herüber, während ich, so schnell es ging, mein Dingi aufschlug. Endlich war es fahrbereit, aber die See war zu bewegt, um meine Nußschale zu tragen. Was blieb mir also anderes übrig, als die unerwünschten Gäste auch noch zum übernachten einzuladen. Sie ließen sich an Deck nieder und nahmen meine sämtlichen Decken in Beschlag.
Am nächsten Morgen paddelte ich sie dann nacheinander zur „Hafen“-Barkasse und wünschte ihnen zum Abschied, daß ihre „Señora“ sie für diesen Betriebsunfall entschädigen möge!
Die Dünung schien sich über Nacht noch erhöht zu haben. Deshalb verpackte ich alle meine Sachen in einen wasserdichten Beutel und pullte im Badezeug und mit einem leichten Unbehagen in der Magengegend dem Ufer zu. Felsen, in deren Schutz ich hätte landen können, gab es nicht. Die Brandung sauste mit gewaltigem Donnern auf den Strandwall zu.
Zwei, drei breite Rücken wartete ich ab, und dann paddelte ich mit doppelter Kraft dem Ufer zu. Ein neuer Brecher stürzte heran – ich ging zu Bach! Das Dingi wurde auf den Strand geworfen, mein Gepäck hinterdrein, und ich raffte mich schließlich im Wasser auf, um südamerikanischen Boden zu gewinnen. Eine Landung wie damals in der Sahara!
Von zwei Hütten aus beobachteten einige Insulaner, auf die pro Person ein halbes Dutzend Hemdenmatze zu entfallen schien, mit Stielaugen den Neuankömmling. Nachdem ich mich – unter ihren Augen – notdürftig hergerichtet hatte, stapfte ich mit einem Fischer durch die prachtvoll grüne Insel nach dem hübschen Ort, in dem nahezu alle Brasilianer hausen, die auf Ferando Noronha leben.
Vorwiegend sind es Soldaten, die hier im Atlantik ihren Wehrdienst leisten. Dem Ranghöchsten, einem Major Schneider, stellte ich mich vor. Er kontrollierte Paß und Bootspapiere und hieß mich willkommen. Mit seinem Jeep fuhr er mich über die an fünf Fingern abzählbaren Straßen der Insel, die erst in jüngster Zeit von den Amerikanern angelegt worden sind, weil die USA auch hier eine Raketenstation unterhalten.
Die amerikanischen Techniker, rund 150 an der Zahl, waren in komfortablen Baracken zu Füßen des Pico untergebracht, stellten ihr Trinkwasser aus Salzwasser her und aßen so gutes, aus den Staaten importiertes Essen, daß den Einheimischen die Augen übergingen.
Für jeden, der aus Afrika kommt, ist es erfreulich, die Rassentoleranz der Brasilianer zu beobachten. Nirgendwo auf der Welt habe ich eine Nation getroffen, in der so viele verschiedene Rassen so friedlich zusammenleben. Mein Gastgeber, der brasilianische Major, bestätigte meine Beobachtungen: „Bei uns gibt es sogar ein Sprichwort über die stimulierende Wirkung, die ein Schuß Negerblut hat …“