Читать книгу Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln - Arved Fuchs, Hannes Lindemann - Страница 93
ACHTES KAPITEL ZUM DRITTEN MAL ALLEIN ÜBER DEN ATLANTIK
ОглавлениеBevor ich Port Gentil verließ, verholte ich die LIBERIA IV noch einmal an die Mole, verstaute Proviant, tankte Wasser und Dieselöl und erhielt von André einen – Graupapagei.
Dieses Abschiedsgeschenk kam vollkommen überraschend. Zwar habe ich Tiere, besonders Vögel, sehr gern, aber an Bord hatte ich sie bisher noch nie genommen, das hielt ich für Tierquälerei.
Das einzige Tier, das mich vorher je eine Strecke auf hoher See begleitet hatte, war „Jim“, eine Heuschrecke, gewesen. Am siebten Tag meiner Überquerung im Faltboot saß „Jim“ plötzlich im Besanmast; wahrscheinlich hatte ihn der Passat von Afrika aufs Meer getrieben. Er blieb zwei Tage Gast an Bord, dann war er auf ebenso geheimnisvolle Weise wieder verschwunden – vielleicht vom Winde verweht, vielleicht entkräftet ins Wasser gefallen.
Unter großem Hallo der Segelfreunde vom „Yachtclub Ogowe“ legte ich mittags ab. Der Papagei war in einem Pappkarton recht notdürftig untergebracht, darin konnte er unmöglich über den Atlantik segeln. Also baute ich ihm zunächst einmal ein Vogelbauer aus einer Kiste, und da saß er nun, vollkommen verstört.
Inzwischen zerbrach ich mir den Kopf nach einem Namen. Schließlich taufte ich das Tier „Amigo“, denn um seine Freundschaft mußte ich jetzt werben: es war voller Angst, gab keinen Ton von sich und biß wütend in alles, was ich ihm vorsetzte. Verständlich! Wer wird schon gerne „zwangsverschleppt“? Jedoch am Abend schien Amigo es sich anders überlegt zu haben. Seine größte Wut war verflogen, er fing zu pfeifen an und fügte sich als geborener Philosoph und Optimist in das Unvermeidliche. Nur störte mich ein wenig, daß er ausgesprochen großzügig aß: das halbe Essen ließ er fallen.
Am zweiten Tag war Amigo wie umgewandelt, er pfiff mir freundlich zu, verriet mir seinen früheren Namen „Jacko“ und versuchte nicht mehr, in meine Finger zu beißen. Sobald ich mit ihm sprach, hielt er seinen Kopf hin, um gestreichelt zu werden. Ich hatte Hoffnung, daß wir beide ein gutes Team werden würden.
In den frühen Morgenstunden des zweiten Tages stand ich vor der winzigen spanischen Insel Annobón, die von Fernando Póo aus verwaltet wird. Nur alle acht Wochen einmal läßt sich ein Dampfer auf der Insel sehen – außer dem Funk die einzige Verbindung mit der Außenwelt. überraschend war es daher, daß ausgerechnet zur gleichen Zeit wie ich ein Flugzeugträger unbekannter Nationalität auftauchte. Er war übrigens genau so erstaunt wie ich und kam neugierig zur Nordseite der Insel, wo ich gerade vor dem Eingeborenendorf Anker warf.
Genau wie die anderen drei vulkanischen Inseln im Golf von Guinea, Fernando Póo, Principe und São Tomé erweckt auch Annobón den Eindruck einer Südseeinsel: aus einer Fülle tropischen Grüns, das ins kobaltblaue Meer eingebettet ist, ragen prächtige graublaue Felssilhouetten hervor. Vor den Strohhütten des Dorfes San Antonio erstreckt sich der grellgelbe Strand, an dem sich türkisfarbene Wellen zu weißem Schaum schlagen. Die grauen Dächer des idyllischen Dorfes werden von einer weißen Kirche und den Verwaltungsgebäuden überragt.
Während ich versunken dieses paradiesische Bild betrachtete, war ein großer Einbaum mit etwa zehn Afrikanern und zwei Spaniern längsseits gekommen, die ihre Dienstmiene aufgesetzt hatten. Als ich sie spanisch ansprach, verschwand die Dienstmiene auf der Stelle, und sie luden mich ein, an Land zu kommen und solange zu bleiben, wie ich nur wollte.
Muy bien – blieb nur das eine Problem, was ich mit Amigo machen sollte. Mitnehmen? Nein, ich würde ihn ja zur Nacht wiedersehen. Also stellte ich ihn in die Plicht; in der Kajüte hätte er sich allzu sehr geängstigt.
Die beiden Spanier hießen Rudolfo und Ricardo. Rudolfo war schwer bewaffnet, vielleicht wollte er einer eventuellen feindlichen Invasion seitens des Flugzeugträgers Widerstand leisten; „man kann ja nie wissen“, verteidigte er sich. Er war der „Gouverneur“ der Insel und vereinigte außerdem in seiner Person die Ämter eines Kantinenwirtes, Postmeisters, Polizeihauptmanns, Schiedsrichters bei Eingeborenenpalavern, Lotsen und Lagerverwalters. Ricardo dagegen war nur Krankenpfleger, Doktor und Hebamme; er richtete gerade ein neues Revier ein; wie ich war er nur Gast auf der Insel.
Lediglich alle zwei Monate – wenn der Dampfer kam – wurde den beiden etwas auf die Finger geschaut. Ansonsten war Rudolfo für zwei Jahre ungekrönter König in diesem Inselparadies; etwa 1500 Krausköpfe erwiesen ihm alleruntertänigste Ehre.
Allem Anschein nach war ich sein erster Gast. Grund genug, ein kleines Fest zu feiern. Rudolfo ließ ein Schwein schlachten, ein Huhn und eine Ziege. Während wir stundenlang speisten und mehrere Weinsorten probierten, heulte plötzlich der Wind durch die Fenster, begann es zu blitzen und zu donnern und in Strömen zu gießen. Man konnte keine 20 Meter weit sehen.
Nach einer Stunde schien wie üblich wieder die Sonne – man hätte nie geglaubt, daß in der Zwischenzeit ein Tornado über die Insel gebraust war. Mich beunruhigte das Schicksal Amigos. Mit meinem Schlauchboot pullte ich zur LIBERIA. Schon von weitem rief ich seinen Namen, aber kein Freund antwortete. Als ich in die Plicht kletterte, sah ich sogleich die aufgebrochenen Gitterstäbe. Amigo war durch den Tornado in Panik geraten, hatte in seiner Verzweiflung das Gitter auseinandergedrückt und war entflohen – in den Tod. Ich trauerte um ihn, von nun an wollte ich meinem Grundsatz treu bleiben und nie wieder ein Tier auf meinem Boot mitnehmen.
Wenn ich die Wahl hätte, würde ich von allen westafrikanischen Inseln Annobón den Schönheitspreis geben, so lieblich, friedlich und idyllisch ist es. Ich machte Ausflüge: zum Pico del Fuego, der wie ein erhobener Zeigefinger über die tropische Landschaft auf vulkanischem Grund ragt, zum Kratersee Lago Mazafin im Innern der Insel. In seinem flachen Uferwasser eilen Tausende und Abertausende von Gambusien umher, kleine Fische, die mit besonderem Genuß die Larven der Malaria übertragenden Mücken verzehren. Diese Fische wurden in fast allen tropischen Ländern aus Amerika eingeführt, damit sie den Menschen in seinem Kampf gegen die Malaria unterstützen.
Im Archiv der Insel ist ein Fall von „Tropenkoller“ verzeichnet: als der Gouverneur aller spanischen Guineagebiete Annobón einen Besuch abstattete, wurde der Inselfürst plötzlich verrückt. Was in seinem Hirn vorging, ob ihn die Konkurrenz wurmte, oder ob er einfach zu tief ins Glas geschaut hatte, ist nicht bekannt. Jedenfalls stürzte er sich bei einem Fest, das man zu Ehren des hohen Gastes veranstaltete, auf den Gouverneur und schnitt ihm mit den Worten „Hier bin ich Gouverneur!“ den Hals ab – nicht mehr und nicht weniger.
Die Zeit auf Annobón verging durch die Gastfreundschaft der beiden Spanier nur allzu schnell. Ein letztes Mal tischten sie auf: ein Schaf, Tortillas, Paella, Membrilla-Gelee, dazu Jerez-Wein, Turron, Champagner … wer weiß, wann sie jemals wieder Besuch bekämen, meinten sie. „Vaya con Dios!“ – alle winkten sie, als ich abfuhr: die Padres, die Afrikaner und nicht zuletzt Ricardo und Rudolfo …
Annobón wurde bald ein blasser Streifen am Horizont und verschwand. Afrikas Küsten lagen jetzt weit hinter mir, für eine ganze Weile würde ich sie nicht wiedersehen.
Vor mir lag, 1400 Seemeilen entfernt und mitten im Südatlantik, die britische Insel Ascension. Zehn bis vierzehn Tage rechnete ich für die Fahrt. Ursprünglich hatte ich den Atlantik ohne Zwischenlandung in Höhe des Äquators überqueren wollen, aber als ich meinen Segelfahrplan betrachtete, stellte ich fest, daß ich noch genügend Zeit für einen Abstecher nach dieser einsamen Insel übrig hatte. Ein Hochseesegler kann also durchaus einen Fahrplan einhalten, vorausgesetzt, er kennt sein Boot und die örtlichen Verhältnisse.
Sechstausend Meilen Küstenfahrt lagen hinter mir, sechstausend Seemeilen, in denen ich auf Riffe auf der einen und Dampfer auf der anderen Seite achten mußte. Jetzt endlich konnte ich auf dieser dritten Atlantiküberquerung fern der Dampferstraßen nachts wieder schlafen. Und jetzt endlich würde ich dazu kommen, in meine Bordbibliothek zu schauen. Vierhundert Bücher befanden sich an Bord. Dabei hatte ich einige bereits von Las Palmas aus nach Hause gesandt, weil in jedem Hafen neue hinzukamen. Als mein Boot in Freiburg an der Niedereibe etwas unkonventionell von Stapel lief, hatte es einen Tiefgang von 1,50 m, als ich von Freiburg zu dieser Großfahrt startete, lag die LIBERIA IV 1,80 m tief im Wasser, und weniger wurde es auf der ganzen Fahrt nie.