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Besuch auf einer Vogelinsel

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Schon seit acht Monaten hielten sich auf Ascension vier britische Ornithologen zu Studienzwecken auf. Sie erzählten mir, sie hätten alle Segler, die in jener Zeit die Insel anliefen, eingehend interviewt, in der Hoffnung, interessante Beobachtungen aus der Vogel welt zu hören zu bekommen – jedoch zu ihrem Leidwesen niemals Antworten erhalten, die für sie verwendbar gewesen wären.

Da ich auf meinen Reisen alle Seevögel, die mir über den Weg flogen, sorgfältig beobachtet hatte, steckten wir bald in Fachgesprächen. Die Wissenschaftler waren überrascht, als ich ihnen sagte, daß ich auf meinen Atlantiküberquerungen eine ungefähre Ortsbestimmung nach dem Auftreten von bestimmten Vogelarten vornehmen konnte.

Auf Ascension nisten unzählige Vögel, vor allem Tausende von Rußseeschwalben, die die amerikanischen Flieger im letzten Krieg vor schwierige Aufgaben gestellt haben. Die Amerikaner hatten auf der Insel einen bedeutenden Luftstützpunkt errichtet, der direkt an die Brutkolonie der Rußseeschwalben grenzte, jedoch die Vögel dachten nicht daran, ihren Brutplatz aufzugeben – schließlich besaßen sie ältere Rechte. So mußten die Amerikaner ein besonderes Kommando einsetzen, das die Vogeleier, etwa 40.000 an der Zahl, zerstörte, worauf sich die empfindlicheren unter den Rußseeschwalben, höchst empört über diese Barbarei, ein anderes Nistquartier suchten. Doch nicht genug der Schwierigkeiten an Land: in der Luft kam es sogar zu Zusammenstößen zwischen den Vögeln und den Flugzeugen, und mehrere Maschinen stürzten ab.

Unfälle dieser Art sind nicht selten: im Pazifik erlitten während des letzten Krieges einige Luftstützpunkte der Amerikaner mehr Verluste durch Seevögel als durch Feindeinwirkung. Am schlimmsten hatten und haben noch immer die Marineflieger auf der Insel Midway im Pazifik zu leiden. Albatrosse verursachten fünfhundert Zusammenstöße mit Flugzeugen. Wenn sie in Scharen auftraten, störten sie überdies die Radarbeobachtungen der Station, so daß die Redartechniker sich langsam die Haare zu raufen begannen.

Was tun? Es blieb den Marinern gar nichts anderes übrig: sie erklärten den Vögeln den Kampf. Mit Knüppeln droschen sie auf die zutraulichen Tiere ein und schlugen Tausende von ihnen tot. Dann aber warfen sie die Knüppel stöhnend weg und weigerten sich, ihr blutiges Werk fortzusetzen, denn die Vögel hatten sich arglos an ihre Mörder gedrängt, als wäre es eine besondere Gnade, vom Homo sapiens totgeschlagen zu werden. Das machte sogar die hartgesottensten Männer weich.

Also versuchten sie es auf weniger blutige Art und Weise: sie wollten sie ausräuchern. Doch die Albatrosse ließen sich nicht so schnell ins Bockshorn jagen. Als sich der Rauch verzogen hatte, kamen sie zurückgeflogen. Die unglücklichen Marineflieger ersannen eine neue Methode: sie raubten den Vögeln die Eier; aber die schwingengewaltigen Albatrosse flogen so lange schimpfend und kreischend und bittend über den Eierräubern umher, daß denen der Kopf smwirrte und sie die Eier wieder zurückbrachten.

Nun begannen sie, die Vögel auf entlegene Inseln zu deportieren – vergebens! Schon nach wenigen Tagen kehrten die hartnäckigen Tiere zurück und wurden von ihren daheimgebliebenen Brüdern freudig begrüßt. Da gaben die Soldaten es auf. Es scheint, daß sie den Albatrossen den „totalen Krieg“ er klären müssen, wenn sie ihren Stützpunkt behaupten wollen.

Bei Ascension gibt es eine Insel, die ausschließlich von Vögeln bewohnt und beherrscht wird; sie heißt „Boatswain-Island“. Diese Vogel insel war natürlich ein idealer Studienort für die Ornithologen. Mit der LIBERIA fuhren wir hinüber; es sind von Georgetown nur knappe zehn Seemeilen. Die Insel ist durch einen rund 200 Meter breiten Kanal von dem steilen Vulkanufer Ascension getrennt und wird dadurch zum Paradies für die Seevögel, die auf ihr nisten: hier werden sie nicht durch Ratten, wilde Katzen und Menschen in ihren Brutgeschäften gestört!

Vom Meere her gesehen ist die Vogel insel wenig attraktiv: ein kahler, grauer Felsen, mit einer schmutzig-weißen Haube aus Guano bedeckt – dem Mist der Seevögel, der sich in Jahrtausenden angehäuft hat. Vom Guano ist einst ein ganzer Staat reich geworden: Peru. Obwohl im Guano keine noch so widerstandsfähige Pflanze leben kann – sie wird sofort verbrannt –, dient er, in homöopathischen Dosen verabreicht, wegen seines Stickstoff- und Phosphatgehaltes als Düngemittel.

Wir ankerten an der Nordwestseite der Insel und setzten mit dem Schlauchboot über. Mit einem Bootshaken holten die Ornithologen eine Strickleiter von der steilen Felswand herunter, und dann konnten wir auf eine Plattform klettern, auf der sich die Wissenschaftler eine Hütte gebaut hatten. Früher hatte hier einmal eine Guanofirma „geschürft“; von ihr stammen die Plattform und die bereits durchgerosteten Reste der Gleisanlagen. Wohin der Blick auch ging, man sah nichts als Seevögel: große und kleine, weiße und schwarze, scheue und freche, neugierige und desinteressierte, zierliche und plumpe. Jeder baut seinen Nistplatz so, daß auch der längste Hals und der spitzeste Schnabel des Nachbarn ihn nicht erreichen kann. Dringen fremde Vögel in diesen Tabu-Bereich ein, werden sie unbarmherzig attackiert und weggejagt. Da es Vögel gibt, die keinerlei Hemmungen haben, die Jungen ihres Nachbarn mit Wohlbehagen zu verspeisen, bleibt ein Elternteil stets beim Nest oder in unmittelbarer Nähe, um Eindringlinge zu vertreiben.

Die Ornithologen hatten jedem Nest eine Hausnummer aufgepinselt; sie versahen die Vögel mit einem „Paß“, indem sie sie beringten, und zum Teil färbten sie sogar ihr Gefieder. In unendlich mühevoller und langwieriger Arbeit katalogisierten und fotografierten sie den Bestand der Insel, in Hunderten von Arbeitsstunden errechneten sie, wieviele Vertreter einer jeden Vogelart es dort gab. Bestandsaufnahmen dieser Art werden in den entlegensten Winkeln der Erde durchgeführt.

Unmittelbar neben der Hütte saß ein Maskentölpel, der uns so lange gleichgültig betrachtete, wie wir uns außer Reichweite seines langen spitzen Schnabels hielten. Rückten wir ihm jedoch näher, flog er nicht etwa davon, sondern schimpfte laut und hieb nach unseren Beinen. Angst kennen die Tölpel nicht. Sie lassen sich deshalb trotz der Schnabelhiebe, die sie nach allen Seiten austeilen, leicht fangen, weshalb sie von den Seeleuten auch ihren Namen erhalten haben, der im Grunde wenig zu ihnen paßt, denn sie sind gewandte Stoßtaucher und hervorragende Flieger. Wie die Kormorane opfern sie nur wenig Zeit für Dinge, die nicht unmittelbar mit ihrem Nahrungserwerb oder ihrer Erholung an Land zusammenhängen.

Männchen und Weibchen kann man an ihrem verschieden gefärbten Federkleid erkennen, aber auch an ihren unterschiedlichen Pfeiftönen. Wir beobachteten blaugesichtige Maskentölpel, Rotfußtölpel, die ein ganz ähnliches Aussehen haben, und Weißbauch- oder braune Tölpel, die man in den Tropen am häufigsten antrifft. Tölpel gibt es auch bei uns im Norden, zum Beispiel den Baßtölpel.

Inzwischen waren wir sehr vorsichtig an den Felshängen herumgeklettert, weil deren obere Schichten sich im Laufe der Jahrtausende durch die Einwirkung des Guanos gelod{ert und zum Teil zersetzt haben, so daß sie unter unseren Händen und Füßen zu bröckeln begannen. Es fehlte nicht viel, und wir wären im Meer gelandet!

An den Steilwänden hatten Seeschwalben ihre Gehege. Da brüteten Rußseeschwalben, die von den Engländern ihres Tag und Nacht dauernden Schreiens wegen Wideawake (hellwach) genannt werden. Da gab es ferner die zierliche weiße Feenseeschwalbe, die ich später auf der Weiterfahrt nach Trinidad fortwährend wiedersah. Auch eine Bekannte aus Westafrika traf ich auf der Insel in riesigen Scharen wieder: die Noddiseeschwalbe und nicht weit davon entfernt die Baumnoddiseeschwalbe, die ihr ganz ähnlich sieht.

Aus einem künstlich angelegten Nistkasten holte einer der Ornithologen ein fettes Junges in grauem Dunenkleid hervor. „Erkennen Sie ihn? Die ausgewachsenen Vögel dieser Art haben Sie bestimmt tausendfach auf dem Meer gesehen.“

Es handelte sich um eine Sturmschwalbenart, das war mir klar, aber um welche, konnte ich beim besten Willen nicht sagen. Der Ornithologe erklärte es mir: „Ein Madeira-Wellenläuferl“

Wirklich – das hätte ich nicht erraten! Zwar waren mir die Madeira-Wellenläufer auf meinen Fahrten von allen Vögeln am häufigsten begegnet, nicht nur in Küstennähe, sondern auch mitten auf dem Atlantik. Wenn sie auch von meinem Boot keine Notiz nahmen, so hatten mich doch oft ihre spielerischen Versuche erfreut, möglichst elegant über den Wellen einherzuspazieren, und ich hatte sie selbst in Stürmen bewundert, wenn sie unbekümmert ihr tänzerisches Spiel trieben. Ich kannte sie also recht gut. Aber dieses Junge war beträchtlich größer als die erwachsenen Tiere, die starengroß, die kleinsten Seevögel sind. Und wie bei allen Jungen hatte sein flaumiges Federkleid eine andere Färbung als das Gefieder, das es bekommt, wenn es erwachsen ist. Es war übrigens seinem Dunenkleid schon fast entwachsen und so groß, daß die Eltern es bald verlassen konnten. Allein gelassen würde es bis zum Wachsen der richtigen Federn hungern müssen und wieder normale Größe annehmen.

Auch andere Seevögel verlassen ihre Jungen, wenn sie glauben, daß sie groß genug sind, um sich selbst ernähren zu können; sie kümmern sich dann nicht mehr um die Futterbettelei ihrer Brut; ihre ganze Liebe zu ihren Sprößlingen scheint erloschen. Das geht so weit, daß die Eltern die Jungen in diesem Stadium zuweilen sogar angreifen und töten.

„Schauen Sie sich diesen Vogel an!“ forderten mich meine Begleiter auf und zeigten mir ein unauffälliges Tier mit dunkler Oberseite und schwarzem Schnabel, das in den Felsenklippen auf der Spitze der Insel nistete. Diesmal erkannte ich es gleich, denn ich war ihm früher schon auf dem Nordatlantik begegnet: Audubon – Sturm taucher. „Wir sind die ersten, die ihn hier entdeckt haben, bisher wußte man noch nicht, daß er auf dieser Insel brütet“, erzählte mir einer der Ornithologen.

Mitten unter allen diesen friedlichen Vögeln, die eifrig ihrem Brutgeschäft nachgehen, haust erstaunlicherweise ein Marodeur übelster Sorte, der Adlerfregattvogel. Wie in früheren Tagen Fregatten die Kauffahrteischiffe überfielen und zur Herausgabe ihrer Fracht zwangen, so zwingt dieser Vogel mit wenig Sinn für Ästhetik Tölpel, Seeschwalben und Tropikvögel dazu, ihre Beute zu erbrechen, schnappt sich noch in der Luft den herausgewürgten Leckerbissen und frißt ihn selbst auf. Und wehe dem Vogel, der nicht rechtzeitig spurt! Wir sahen mehrere verletzte Tölpel und Seeschwalben, die offensichtlich der Krummschnabel eines Fregattvogels gelehrt hatte, das nächste Mal schneller zu gehorchen.

Warum dieser große Räuber sich nicht auf die Eier und Jungen seiner Tölpel-Nachbarn stürzt, ist mir ein Rätsel, denn er ist der größte und kräftigste Vogel der Insel und bräuchte sich vor den Schnabelhieben der Tölpel nicht zu fürchten.

Wie viele andere See vögel legt auch der Fregattvogel auf Boatswain-Island sein Ei nicht in ein Nest, sondern einfach auf den trockenen, körnigen Guano und beginnt dort sein Brutgeschäft. Er läßt sich trotz seiner Größe ebenso leicht fangen wie der Tölpel, hackt jedoch noch gefährlicher als der Tölpel mit dem Schnabel um sich.

Einige Männchen trugen offensichtlich noch ihr „Brautkleid“ oder, besser gesagt, ihr Brutkleid: zwischen den Ästen ihres Unterschnabels dehnte sich ein feuerroter Hautsack, den die Tiere bis zur Größe eines Fußballes aufblähen, wenn sie mit dem Weibchen flirten.

Die Ornithologen waren mit einem Feuereifer bei der Sache. Sie nahmen die Ektoparasiten1 der Vögel – Flöhe, Milben, Läuse – genauso unter die Lupe, wie die Fische, die die Tiere sich aus dem Meer angelten. Stunden- und tagelang lagen sie mit dem Fotoapparat auf der Lauer, um einen bestimmten Vogel auf den Film zu bekommen.

Die Ornithologie ist eine Wissenschaft, die dankbar für Beobachtungen von Seiten der Laien ist. So waren es, zum Beispiel, denn auch keine Wissenschaftler, die das Huckepack-Reisen mancher Vögel (ein kleiner Vogel sitzt im Gefieder eines größeren) oder das „Einemsen“ (es gibt Vögel, die aus schwer bestimmbaren Gründen Ameisen in ihre Federn stecken) beobachtet haben. Auch viele vogelkundlich interessierte Kapitäne haben den Ornithologen wertvolle Hinweise gegeben.

Neueren Datums ist die Erkenntnis, daß Seevögel – wie auch Seeschildkröten, Wale und Seehunde – Salzwasser trinken können. Seevögel besitzen hinter den Nasenhöhlen sogenannte Salzdrüsen, die das überschüssige Salz aus dem Blut ausscheiden, die Nieren also entlasten. Deswegen haben Seevögel so häufig eine „laufende Nase“: die Salzlake tröpfelt ihnen aus den Nasenlöchern.

Das aber wußte ein schiffbrüchiger amerikanischer Leutnant nicht, der im letzten Kriege im Pazifik trieb und beobachtete, wie ein Seevogel Meerwasser trank. Er schoß den Vogel, „sezierte ihn“, und als er Fettballen im Rachenring des Tieres entdeckte, glaubte er, den Stein der Weisen gefunden zu haben: Seewasser sei unschädlich, wenn man sich den Rachen mit Vogelfett einreibe, meinte er. Daß die Sache mit dem Fett völlig bedeutungslos ist, konnte er nicht wissen.

Viele Geheimnisse der Vogelwelt sind noch immer unerforscht; man denke nur an die Wege der Zugvögel oder – um ein Beispiel aus vielen herauszu greifen – an den erstaunlichen Orientierungssinn der Wellenläufer, die acht Monate auf dem Meer zubringen und dann wieder instinktsicher und zielbewußt auf ein kleines Eiland fliegen und an derselben Stelle brüten, die sie zu diesem Zweck seit Jahren aufsuchen.

Zugvögel haben schon Tausende von Jahren vor Kolumbus den Atlantik überquert – sicherer und genauer als es der Mensch mit allen seinen modernsten Instrumenten heute vermag. Die arktische Seeschwalbe unternimmt sogar eine Mammutreise, ohne sich zu verirren: sie brütet in der Gegend des Nordpols und überwintert am Südpol. Und ein kleiner Schwarzschnabel-Sturmtaucher, der aus seinem Felsloch in Wales herausgeholt und per Flugzeug nach Boston in die USA gebracht wurde, kroch zwölfeinhalb Tage später wieder in seinen walisischen Nistplatz! 4900 Kilometer war er über den Nordatlantik geflogen!

Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln

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