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Die Überquerung

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Nach einer Rundfahrt um die Boatswain-Insel blies ich zum Abschied ins Nebelhorn, und alle gefiederten Bewohner der Insel flatterten schreiend auf und brachten uns eine „spontane“ Ovation dar.

Vor Georgetown kam der Leiter der Kabelstation an Bord und gab mir einen Karton frischer Kartoffeln mit auf den Weg über den Atlantik – ein willkommenes Geschenk. Da aus dem Nordwesten eine hohe Dünung stand, ging ich nicht erst an Land, sondern verabschiedete mich schon hier von meinem Gastgeber.

Als die LIBERIA schließlich den zweiten Teil ihrer Reise über den Atlantik antrat, winkte ihr Sig Hilseth, der Kapitän eines amerikanischen Raketenkontrollschiffes, das auf Reede lag, noch lange nach. Später traf ich Sig in Trinidad wieder und war mit meiner Frau in Miami sein Gast.

Über dem Masttopp kreisten Fregattvögel und spielten mit dem Stander, der Mühe hatte, den Wind anzuzeigen. Anderer Fregattvögel putzten in der Luft gleichmütig ihr Gefieder, als wäre so etwas die einfachste Sache der Welt.

Die zweite große Strecke meiner Atlantiküberquerung war 1200 Seemeilen lang. Mein Ziel auf der „anderen Seite“ war die brasilianische Insel Fernando Noronha, etwa 350 Kilometer von der östlichsten Ecke Südamerikas entfernt. Aber wenn ich glaubte, ich würde diesen kürzeren Abschnitt schneller zurücklegen als die Strecke von Annobón nach Ascension, so täuschte ich mich gewaltig. Mit dem Wind war es ein einziges Trauerspiel: die LIBERIA dümpelte mehr durch die Längengrade, als daß sie segelte. Immerhin konnte ich jetzt in aller Ruhe lesen, schlafen und mir warmes Essen kochen, und wenn ich diese Fahrt mit meinen Ozeanüberquerungen in Einbaum und Faltboot verglich, meinte ich, ein gutbürgerliches, geregeltes Leben zu führen.

Damals war ich unaufhörlich damit beschäftigt gewesen, das Meer, die Wellen und den Horizont zu beobachten und die Meeresoberfläche nach Fischen oder Plankton abzusuchen. Verirrte sich ein Vogel zu mir, so war das ein freudiges Ereignis, von dem ich noch lange zehrte; jetzt aber schaute ich kaum von meiner Lektüre auf. Damals war ich für jede noch so kleine Abwechslung, die die Natur mir bot, dankbar – heute, als Besitzer eines sicheren seegängiges Bootes, war meine Beeindruckbarkeit geschwächt.

Selbst auf die Gefahr hin, daß es pathetisch klingt, muß ich es sagen: auf der Faltbootfahrt hatte ich durch mein intensives Teilhaben an allen Naturereignissen zuweilen das Gefühl einer völligen Verschmelzung mit der Natur. Das ging so weit, daß ich in den letzten stürmischen drei Wochen der Überquerung – zweifellos auf Grund meiner anhaltenden Meditationen und der unfreiwilligen Askese – in einen Nirwanazustand verfallen war, der mich zu einem Tropfen im Meer werden ließ, der keinen Eigenwillen mehr besitzt, der gewiegt und geprügelt wird, ein Tropfen, der nichts weiter tut, als daß er – ist.

Welch ein Unterschied heute: Alles hatte ich bei mir, um die fremde Umgebung in eine heimatliche, vertraute zu verwandeln: Bücher, trockene Kleidungsstücke, gutes Essen, Radio und sogar meine Schreibmaschine. Ich saß in meinem schwimmenden Haus, betrachtete voll Stolz die starken Aufbauten, die kräftige Reling, die dicken Wanten und blickte zufrieden aufs Meer. Wie leicht ist das Yachtsegeln, dachte ich in solchen Augenblicken – weder Sport, noch Abenteuer, sondern einfachste Mechanik.

Wenn der Wind es zuließ, setzte ich mich manchmal auf den Klüverbaum, meinen Lieblingsplatz, um mich zu freuen, daß mein Boot allein lief, um zu hören, wie der Bug das Wasser pflügte, und um zu fühlen, wie der Wind an meinem Körper vorbeistrich. Von dieser Warte aus fühlte ich mich dem Meer näher und verbundener als im sicheren Cockpit. Trotzdem konnte ich mir meine Enttäuschung über das Yachtsegeln nicht verfehlen. Schon in den ersten Monaten der Fahrt hatte ich erkannt, daß meine Liebe nach wie vor den Kleinstbooten gehörte, mit denen ich von Jugend an vertraut war und die mir einen viel engeren Kontakt zum Meer verschafften.

Während meiner ersten bei den Überquerungen hatte ich auf hoher See Gewicht verloren, im Faltboot 25 kg! Auf dieser Fahrt trat das Gegenteil ein: auf dem Meer nahm ich zu und an Land wieder ab. Morgens aß ich Vollkornbrot, das mir aus Bremen in besonderer Verpackung in verschiedene Häfen nachgesandt worden war. Dazu gab es Bienenhonig und Milch. Mittags standen Haferflocken mit Milch und Honig oder Pellkartoffeln, Pommes frites, manchmal auch Kartoffel- oder gar Apfelpfannkuchen auf dem Speisezettel, außerdem frische Fischorgane, frischer oder getrockneter Fisch mit Bergen von Zwiebeln und Knoblauch und als Nachtisch selbstgemachtes Joghurt mit Apfelsinen, Bananen oder Kokosnuß. Abends gab es wieder Vollkornbrot, diesmal mit Fleisch, Wurst oder Käse. Alle Süßspeisen zuckerte ich mit Bienenhonig.

Wenn meine Frau und ich später in den Kariben einen Gast an Bord hatten, der bei Seegang plötzlich bleich und unruhig wurde, so drückten wir ihm ein Stück Vollkornbrot in die Hand. Auch Niña aß es auf See selbst dann noch, wenn sie auf nichts anderes mehr Appetit hatte.

Bei diesem Essen, das vorwiegend aus „Lebensmitteln“ bestand, also aus frischer, noch lebender Nahrung, wurde ich auf meiner gesamten Fahrt, die immerhin ein Jahr dauerte, nicht ein einziges Mal krank – nicht einmal eine Erkältung zog ich mir zu.

Obwohl die Fahrtstrecke von Ascension nach Fernando de Noronha fast 200 Seemeilen kürzer war als die von Annobón nach Ascension, zog sich der Seetörn2 immer mehr in die Länge. 20, 30, 40 Seemeilen pro Tag waren recht kümmerliche Resultate. Es regnete viel, kurze tropische Gewitterstürme fegten über das Boot und durchnäßten mich bis auf die Haut, und nicht selten gab es nachts Wetterleuchten.

Erst am letzten Fahrtag blies es stärker aus Ostsüdost. Die LIBERIA bedankte sich prompt mit 193 Seemeilen in 24 Stunden, wovon allerdings 33 Seemeilen durch eine an diesem Tag besonders stark versetzende Strömung entfielen.

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