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Durch die Gewässer des Amazonas

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Mein Boot machte mir – immer noch – Kummer. Der hilfsbereite Major hatte mir zwar einen seiner Mechaniker geschickt, aber weder der noch ein amerikanischer Fachmann waren imstande, den Dieselmotor wieder zum Laufen zu bewegen. So entschloß ich mich, ohne Motor weiterzufahren.

Der Major gab mir eine Staude Bananen mit auf den Weg, sechs Amerikaner halfen mir, die Ankerkette einhieven, und dann ging es, vorerst unter Fock allein, nach Nordwesten. Ein steifer Passat wehte über die Insel und jagte tückische Sturmböen über die LIBERIA. Als ich aber etwa zwei Seemeilen von der Küste entfernt war, hielt ich in den Wind, setzte Doppelfock und Großsegel und preschte vor dem Winde weiter, in Richtung Trinidad, wo Niña in vierzehn Tagen eintreffen wollte.

Schon in den ersten 24 Stunden schaffte die LIBERIA 163 Seemeilen – die Strömung abgerechnet. Für ein kleines Boot von neun Meter Länge ist das eine schöne Strecke. Auch in den nächsten Tagen machte sie ähnlich gute Fahrt. Leider lief sie bei raumen und achterlichen Winden niemals allein, so daß ich die ganze Zeit über im Cockpit schlief, lebte und litt.

Natürlich kam mein Schlafbedürfnis dabei zu kurz, viel zu kurz. Schon im Einbaum hatte ich am eigenen Leibe erfahren, daß Schlafen auf See weitaus wichtiger ist als Essen: das war auf meiner Probefahrt im Golf von Guinea gewesen, als ich eine Woche lang kaum schlief und danach in ein Schlafmangeldelirium fiel, das mich fast das Leben kostete. Damals schwor ich mir, in Zukunft vorsichtiger zu sein und das Schlafproblem ernster zu nehmen, indem ich mich darauf trainierte, zu bestimmten Zeiten immer wieder wach zu werden. Da ich genau wußte, wann die LIBERIA bei achterlichen Winden aus dem Kurs lief, konnte ich mir den Befehl geben, nach einer bestimmten Zeitspanne, zum Beispiel nach drei oder fünf Minuten, aufzuwachen. Manchmal setzte ich auch zusätzlich den Klüver, dessen Flattern mich aus dem Schlaf riß, sobald ich nicht mehr richtig Kurs hielt. Damit fuhr ich gut. Ich schlief am Tage etwas mehr als in der Nacht.

Nach wenigen Tagen sah ich die Brandungslinie der Amazonasgewässer vor mir. Einige Tage zuvor hatte ich von zwei Sportseglern gelesen, die von Südafrika nach Trinidad gesegelt waren und aus diesem Erlebnis eine Sensation gemacht hatten: ihr Boot hätte sich beinahe in der Brandung überschlagen, die Brecher seien so hoch wie ihr Mast gewesen. „Streich die Hälfte weg!“ dachte ich beim Lesen. Aber es kam noch besser: Von dieser übriggebliebenen Hälfte hätte ich nochmals die Hälfte wegnehmen können, und das, obwohl eine schöne Brise wehte, die sehr geeignet war, eine zünftige Brandungslinie aufzuwerfen. Die berüchtigte Brandung war also nichts als ein harmloser weißer Strich. 138 Seemeilen von der Küste entfernt glitt ich durch die „masthohe“ Brandung – tatsächlich landeten einige Spritzer im Cockpit – und geriet in die schmutzigen Fluten des größten Stromes der Erde, der in einer einzigen Sekunde 72 Tonnen Schwemmland mit sich ins Meer reißt.

Diese Schlamm-Massen werden zum größten Teil an den flachen Küsten von Guayana wieder angetrieben, an denen deswegen nicht selten kaum eine Brandung zu sehen ist, weil der Schlamm die Dünung erstickt. So ist die Guayana-Küste gerade für solche Segler gefährlich, die ahnungslos und neugierig näher herangehen als ratsam ist.

Auch hier herrschte Regenzeit. Tagelang segelte ich durch Schauer und tropische Regengüsse. Die Luftfeuchtigkeit im Boot sank nicht unter 95 Prozent. Es war, als verschütte der Himmel seine letzten Wasserreserven.

Um nicht unaufhörlich im Nassen sitzen zu müssen, brachte ich an der Pinne mittels Blöcken und Enden4 eine behelfsmäßige Steuervorrichtung an, so daß ich von der Kajüte aus den Kurs halten konnte. Nachts blieb ich an Deck, und das war gut, denn einmal wollte mich beinahe ein unbeleuchteter und wahrscheinlich auch unbewachter Küstenschoner rammen, obwohl meine Positionslaternen brannten.

Ich rächte mich aber: als ich unmittelbar neben ihm lag, stieß ich mit aller Stärke ins Nebelhorn. Und da brach Aufruhr im Schlafhaus aus, die Besatzung stürzte kopflos an Deck, sogar ein Scheinwerferlicht wurde mir noch nachgesandt.

In diesen Regentagen, an denen die Kleider nie trockneten und ich kaum von der Pinne kam, mußte ich nach meinen Erfahrungen mit Hautinfektionen rechnen. Erstaunlicherweise blieben sie aus. Ich hatte das wohl meiner gesunden Kost zu verdanken.

Manchmal blies der Passat aus vollen Backen mit Sturmstärke, dann wieder beruhigte er sich; bald wehte es steif, bald flau, aber nahezu immer regnete es. Mit dem Funkpeiler mußte ich den Kurs überprüfen, weil die Gestirne häufig von Wolken verdeckt waren. Wenn man hier unerwartet die Küste erblickt, sitzt man auch schon auf Grund.

Auf dieser Strecke machte die LIBERIA ihre Rekordfahrt: 164 Seemeilen in 24 Stunden! Das gibt einen Schnitt von rund sieben Seemeilen oder nahezu 13 Kilometer in der Stunde. Die Strömung ist dabei abgerechnet, sonst wären es über 200 Seemeilen gewesen.

Wunderbar, das rauschende Kielwasser zu beobachten und die ruhigen ausgeglichenen Bewegungen der LIBERIA zu fühlen! Tatsächlich, solche stürmischen Winde, in denen die meisten Boote ihre Segel refften, schienen meiner LIBERIA besonders zu behagen, da war sie ganz in ihrem Element! Und auch ich dachte nicht mehr voller Sehnsucht an meine Kleinstboote. Ich war mit dem Yachtsegeln voll und ganz ausgesöhnt …

Nichts hielt die rekordwütige LIBERIA auf, selten wagte sich einmal ein Dampfer in ihre Nähe. Während sie dahinbrauste, holte ich mir Makrelen aus dem Wasser und aß mehr, als unbedingt nötig war – die reichen Fischgründe verführten zum Schlemmen! Häufig brauchte ich gar nicht zu angeln: freiwillig glitten kleine Fliegende Fische zu mir an Bord und in die bereitstehende Bratpfanne. Eines Morgens zählte ich auf Deck 87 fingergroße Fliegende Fische, die sich in der Nacht dorthin verirrt hatten.

In der zwölften Nacht kam schließlich die Südost-Küste von Trinidad in Sicht. Ich sauste an der Ostseite der Insel nach Norden, vorbei an einer Schar Riesenschildkröten, die mir verwundert aus dem Weg paddelten, und erreichte abends die Haustür Trinidads, das „Drachenmaul“, das von Inseln und dem venezolanischen Festland gebildet wird.

2200 Seemeilen hatte ich in 12 Tagen zurückgelegt! Niña konnte noch gar nicht da sein – ich würde als erster zum Rendezvous kommen!

1 Außenschmarotzer.

2 Die Folge von Stunden, Tagen oder Wochen, die ein Schiff hintereinander in See ist.

3 Winde.

4 Tauwerk.

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