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Pirogenfahrt durch den Dschungel

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In Abidjan, der Hauptstadt der westafrikanischen Elfenbeinküste, hatte ein Franzose mir ein Buch geschenkt: „L’Afrique, les Africains“. Es war von einem französischen Journalistenehepaar geschrieben worden, das alle zwei bis drei Monate ein neues Buch auf den Markt wirft.

Diese beiden jungen Franzosen hatten sich einige Tage in Gabon aufgehalten und allen Klatsch niedergeschrieben, dessen sie habhaft werden konnten. Ihre Reportage gipfelt in dem Satz: „Man fragt sich, ob er hierher gekommen ist, weil er die Menschen liebte, oder weil er sie verabscheute.“ Das Ehepaar wollte offensichtlich den „Rummel“ um Albert Schweitzer nicht mitmachen und ging deswegen in Opposition.

Wer Schweitzer ist, weiß heute beinahe jedes Kind. Was er geleistet hat, worin seine einmalige Größe besteht, wissen viele Menschen. Über seine Persönlichkeit aber können nur wenige Auskunft geben, und noch wenigere wahrscheinlich werden ihn ganz verstehen.

Lambarene ist ein afrikanisches Dorf wie viele andere auch. Und doch ist sein Name in aller Welt bekannt geworden. Wem hat es eigentlich seinen Ruhm zu verdanken? Dr. phil. Schweitzer? Dr. theol. Schweitzer? Oder dem Tropenarzt Dr. med. Schweitzer?

Lambarene ist ein Wallfahrtsort geworden: „Keine Afrikatour ohne Lambarene!“ heißt es beinahe schon. Von New York aus kann man es regelmäßig besuchen. Neugierige aus allen Ländern und Erdteilen überschwemmen den sonst so stillen Ort. Idealisten aus allen Gegenden der Welt, aller Religionen und Rassen, bieten sich Schweitzer an, um ihm seine Arbeitslast tragen zu helfen.

Lambarene ist auf dem Luftwege ebenso leicht von den Vereinigten Staaten aus zu erreichen, wie auf dem Wasserweg von Port Gentil, das an einem der Mündungsarme des Ogowe liegt, des gleichen Ogowe, der das Albert-Schweitzer-Hospital von der Ortschaft Lambarene trennt. Am leichtesten, am schnellsten und am bequemsten gelangt man nach Lambarene jedenfalls mit dem Flugzeug, sei es von Port Gentil aus, von Libreville, der Hauptstadt Gabons, oder von Brazzaville, dem Hauptort des früher französischen Kongogebiets. Von Libreville kann man überdies noch mit einem Auto dorthin gelangen und danach seine Fahrt nach Brazzaville fortsetzen.

Der Ogowe mit seinen Nebenflüssen schlängelt sich um einen unsichtbaren Äquator wie die Schlange um den Äskulapstab. Mit der LIBERIA IV konnte ich freilich nicht nach Lambarene gelangen; ihr Motor war zu schwach, um gegen die reißende Strömung des Ogowe anzukämpfen. Mein Freund Andre Lantz, Apotheker, Brillenmacher und Erbauer von kühn konstruierten Segelbooten, stellte mir deshalb sofort eine lange Piroge zur Verfügung, dazu zwei Außenbordmotoren, Benzin, Wasser in Dosen und – Bier.

Die „Chargeurs Réunis“ gaben mir den afrikanischen Lotsen Benoir mit auf den Weg, denn es sind über 260 Kilometer flußaufwärts nach Lambarene, durch ein Flußnetz von toten Armen, über Nebenflüsse und Seen, durch moskitoverseuchte Sümpfe, über Sandbänke und reißende Wirbel.

Als Albert Schweitzer 1913 nach Lambarene kam, mußte er nahezu eine Woche für diesen Weg rechnen. Damals gab es noch riesige Herden von Flußpferden, die sich ohne Furcht den Einbäumen näherten, wie er mir später erzählte. Krokodile sonnten sich auf den Sandbänken, zuweilen auch Elefanten. In den Baumwipfeln kreischten Affen, Scharen von Reihern jeglicher Größe äugten aus Schilf und Gesträuch, Wasserhühner gackerten in ihren Verstecken, und Eisvögel strichen flach über den Strom.

Zur Mittagszeit brausten mein Lotse und ich auf die weite Bucht von Port Gentil zu und nahmen Kurs auf den Mündungsarm des Ogowe, der uns nach Lambarene führen sollte. Nach einigen Meilen bog unser Boot in den Flußarm ein, der bald immer enger wurde. Mangroven und Palmen wechselten am Ufer ab. Aus einem kleinen Flußboot winkte man uns hilfesuchend zu: ein Eingeborenenboot, dem der Treibstoff ausgegangen war. Seine Besatzung, zwei kräftige Burschen und zwei Frauen, die gleichmütig Pfeife rauchten, waren mit Bananen, Pferdebananen und in Bananenblätter gewickelten, gekochtem Cassava auf dem Wege zum Markt in Port Gentil. Drei Tage hatten sie sich schon um Hilfe bemüht, 23 Boote waren an ihnen vorbeigefahren, ohne gehalten zu haben, berichteten sie. Seit 72 Stunden hockte dieses Quartett im Boot oder auf den knorrigen Mangrovenwurzeln am sumpfigen Uferrand – ohne zu klagen, ohne zu verzweifeln!

Am Abend hielten wir vor einer Hütte, deren Bewohner damit beschäftigt waren, Bastmatten zu flechten und Fische zu rösten, die sie am Tage gefangen hatten. Ich fragte den Ältesten, ob er Dr. Schweitzer kenne.

„Chézère, le grand docteur, natürlich kenne ich den! Ein feiner Mensch, nur bezahlt er meine Fische so schlecht!“

„C’est vrai-o“, bestätigte Benoir im Eingeborenentonfall. Er kaufte ein paar Filets für seine Freunde in Lambarene, dann hängten wir eine Laterne an den Bug und tuckerten weiter.

Der Mond verschwand hinter einer drohenden, geballten Wolkenmasse, aus der es donnerte und blitzte. Vor uns tauchten zwei Lichter auf. Während die ersten Windstöße über das Wasser jagten und das Unwetter sich jeden Augenblick entladen konnte, landeten wir bei zwei Hütten und verankerten das Boot. Kaum hatten wir unsere Sachen in einer der Hütten verstaut, als auch schon der westafrikanische Tornado über uns losbrach. Wassergeschosse prasselten herab, der Sturm zerrte an der Palmenhütte, als wolle er sie ihrer Blätterbekleidung berauben. Bei jedem Blitz zuckten die Schwarzen angstvoll zusammen, und zwischen den Donnerschlägen versuchten sie, sich gegenseitig Mut zu machen; jedoch das Zittern und Flackern in ihren Augen verriet, wie kümmerlich ihr Galgenhumor war.

Nach fünfzehn Minuten höllischen Tobens, bei dem man glaubte, die Welt ginge unter, erinnerte nichts mehr an das Unwetter als schwere Regentropfen, die von der Decke auf uns herabfielen. Ich verkroch mich unter meinen Regenmantel und versuchte zu schlafen. Da aber kamen die Herrscher Gabons: die Insekten. Erst summten sie noch mit gebührendem Abstand, dann jedoch umbrausten sie mit „Stuka“-Geräusch unsere Ohren, und das bringt selbst todmüde Schwarze in wütenden Zorn. Alle Augenblicke klatschte es um mich herum, jemand kratzte sich geräuschvoll, und in der Ecke stieß einer Verwünschungen aus.

„Das ist zu viel, M’sieur. Laß uns gehen!“ sagte verzweifelt der Lotse. Wenig später sausten wir davon, ohne geschlafen zu haben. Der Mond glitzerte auf dem trägen Fluß und ließ ihn wie einen Spiegel aufleuchten. Zu beiden Seiten erkannte ich dunkel und verschwommen die Konturen des Ufers.

Plötzlich war ich hellwach: „Stop!“ schrie ich. Aber da waren wir schon im Schilf; der Lotse hatte geschlafen. Bei einem Einbaum ist das jedoch kein großes Unglück, und so stakten wir uns mühsam aber erfolgreich aus dem flachen Wasser heraus und fuhren weiter.

Am nächsten Morgen brausten wir an drei Krokodilen vorbei, die wie Treibholz träge und unbeweglich auf einer Sandbank lagen und bei dem Geknatter keine Miene verzogen. Am frühen Nachmittag endlich kamen die ersten Gebäude von Lambarene in Sicht; Häuser und Faktoreien, wie sie überall in Westafrika zu finden sind. Am Steilufer reihten sich Einbäume und Boote aller Art so dicht aneinander wie bei uns die Autos auf den Parkplätzen. In der Ferne leuchteten rote Dächer aus einem Meer von Palmen. „Voila, M’sieur, das Albert-Schweitzer-Hospital!“ rief Benoir.

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