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4.Das Weimarer Religionsverfassungsrecht als Ausgleichsordnung

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a)Das heutige staatskirchenrechtliche System in der Bundesrepublik Deutschland ist das Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung. Es bestimmt sich maßgeblich nach der im Grundrechtsteil des Grundgesetzes verankerten Religionsfreiheit (Art. 4) und nach den durch Art. 140 GG in das Grundgesetz aufgenommenen institutionellen Garantien der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Diese Garantien sind in ihrem Kernbereich bereits von Art. 4 umfasst, im Übrigen aber eine notwendige Ergänzung zu diesem Grundrecht. Diese verfassungsrechtlichen Bestimmungen werden ergänzt und zum Teil näher ausgeführt in vertraglichen Regelungen zwischen Staat und Kirche.

Die das Verhältnis von Staat und Kirchen betreffenden Bestimmungen des Grundgesetzes und der Weimarer Reichsverfassung knüpften in vielem an Bestimmungen der (nicht in Kraft getretenen) Paulskirchenverfassung von 1848 an. Dabei besiegelte das Weimarer Religionsverfassungsrecht eine Entwicklung, die spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Anfang genommen hatte und das Band zerschnitt, welches Kirche und Staat seit dem Ausgang der Antike miteinander verbunden hatte. Diese Verbindung, die 313 durch das Mailänder Abkommen (rechtliche Gleichstellung des Christentums mit anderen Religionen) vorbereitet wurde, und unter Kaiser Konstantin faktisch und 380 unter Kaiser Theodosius auch rechtlich durchgeführt wurde (Christentum als Staatsreligion), hielt im Grundsatz mehr oder weniger bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Weimarer Reichsverfassung beendete so die Epoche des „christlichen Staates“, die ausgehend von den „zwei Gewalten“1 innerhalb der einen res publica christiana auch Reformation und Aufklärung überdauert und auf protestantischer Seite im landesherrlichen Kirchenregiment seine besondere Ausprägung erfahren hatte. Durch sie wurde der „weltliche Staat“ geschaffen.

b)Der Sturz der Monarchien in Deutschland infolge der Revolution vom November 1918 bedeutete vor allem für die evangelischen Landeskirchen einen tiefgreifenden Umbruch. Das Fundament ihrer traditionellen rechtlichen Ordnung und ihr politischer Rückhalt waren zerstört; ihre wirtschaftlichen Grundlagen waren auf das Höchste gefährdet. Deshalb reagierten die Kirchenleitungen auf die neuen Verhältnisse besorgt und vorsichtig abwartend, andererseits aber auch nicht mit einer Haltung prinzipieller Obstruktion. Vielmehr zeigten sie sich willig und bereit zur Mitarbeit. Indes war die von radikalen Linken bestimmte kirchenpolitische Linie bestimmt von der lautstarken Forderung nach klarer Trennung von Staat und Kirche – nicht, um die Landeskirchen in die organisatorische Freiheit zu entlassen, vielmehr, um die Religion, die sich mit dem ideologischen Feindbild im Dreiklang von „Nationalismus, Kapitalismus und Konfessionalismus“ konfrontiert sah, nach dem Vorbild Frankreichs oder Sowjetrusslands vollständig aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. So war es auch kein Widerspruch, dass die Revolutionsregierungen nicht etwa sofort mit ihrer Machtübernahme das landesherrliche Kirchenregiment, das bisher von den Monarchen ausgeübt worden war, als beendet betrachteten, sondern sich nicht im mindesten gewillt zeigten, dieses staatliche Aufsichtsinstrument aus der Hand zu geben, gerade um die Kirchen aus traditionellen Positionen, insbesondere im Schulwesen, zu verdrängen, andererseits aber um auf ihre innere Verfassungsordnung im Sinne einer „Demokratisierung“ Einfluss zu nehmen.

Bekanntester Vertreter dieser Linie war der preußische Kultusminister Adolph Hoffmann. Er blieb zwar nur sechs Wochen, bis Anfang Januar 1919, im Amt, als er mit anderen USPD-Genossen – in den Wirren des Spartakus-Aufstandes – wieder aus der Regierung ausschied. Diese sechs Wochen genügten aber, um nahezu alles zu zerschlagen, was an guten Ansätzen für eine Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokratie und Kirchen vorhanden war, und zwar nicht nur für die Revolutionsphase, sondern fast mehr noch für die späteren Jahre. Seinem fanatischen Handeln ist es ganz wesentlich mitzuzurechnen, dass christliche Wähler rechten Parteien in die Arme getrieben wurden. Unter den kirchenpolitischen Entscheidungen, die Hoffmann in seiner kurzen Amtszeit traf, waren vor allem drei, die weit über die kirchlichen Kreise hinaus Aufsehen und Anstoß erregten:

–Zunächst verfügte er noch im November 1918, dass die den Kirchen bisher gewährten Staatszuschüsse spätestens zum 1. April 1919 aufzuheben seien.

–Ganz besonders war das „Gesetz, betreffend die Erleichterung des Austritts aus der Kirche und den jüdischen Synagogengemeinden“, das den Kirchenaustritt wesentlich vereinfachte, Anlass lebhafter kirchlicher Kritik.

–Mit Abstand den größten Protest aber löste ein Erlass aus, der den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach für sämtliche Schulen Preußens aufhob und den christlichen Charakter der Schulen beseitigte.2

Als die sozialistischen Parteien bei den Reichstagswahlen im Januar 1919 nicht zuletzt auch wegen ihres unpopulären kulturpolitischen Kurses die Mehrheit verloren hatten und die Mehrheits-SPD eine Koalition mit dem Zentrum und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) einzugehen hatte, wurde klar, dass die Kirchen- und Kulturfrage nur im Sinne eines Ausgleichs zwischen den divergierenden Positionen zu lösen war:

–Einerseits sollten die unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Prägungen der Bürger als grundsätzlich gleichberechtigt anerkannt und die Religion nicht wie in Frankreich oder Sowjetunion aus der Öffentlichkeit verdrängt und privatisiert werden.

–Andererseits war der grundsätzlichen Freiheitlichkeit und Freiwilligkeit in Bezug auf Religion und Bildung Rechnung zu tragen.

–Bezogen auf das Schulwesen bedeutete dies: die ehedem geistliche Schulaufsicht im staatlichen Schulwesen entfiel; der Religionsunterricht blieb aber ordentliches Lehrfach an staatlichen Schulen, die Teilnahme bzw. Erteilung wurde indes abhängig gemacht von den Erziehungsberechtigten bzw. der freiwilligen Bereitschaft der (staatlichen) Lehrkräfte.


Während der Weimarer Zeit hielten Lehre und Praxis aber teilweise noch an alten staatlichen – durch die Weimarer Reichsverfassung dem Grunde nach aber gerade aufgehobenen – Kirchenhoheitsrechten insofern fest, als nach der sog. Korrelatentheorie dem Staat über kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts besondere aufsichtliche Befugnisse zugesprochen wurden.

Während der Zeit des Nationalsozialismus blieben die Weimarer Kirchenartikel zwar formal in Geltung. Die verfassungsrechtliche Stellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften wurde indes zunehmend weniger geachtet, ja mit der Zeit gänzlich negiert, indem – mit dem Ziel einer allgemeinen Entkonfessionalisierung, Entrechtung und Zerstörung der Kirchen – kirchenfeindliche Gesetze erlassen und Anordnungen getroffen wurden.

Evangelisches Kirchenrecht in Bayern

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