Читать книгу Evangelisches Kirchenrecht in Bayern - Hans-Peter Hübner - Страница 62
6.Besonderheit des deutschen Systems
ОглавлениеMit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung eines näher ausgeformten Systems institutioneller Garantien (Art. 140 GG i. V. m. den Weimarer Kirchenartikeln) neben der Garantie der Religionsfreiheit unterscheidet sich das deutsche staatskirchenrechtliche System von anderen Rechtsordnungen. Diese kennen meist nur die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Religionsfreiheit selbst, während institutionelle Garantien zum Teil als von dieser umfasst angesehen werden, zum Teil auch in besonderen Religionsgesetzen oder Konkordaten oder Einzelverträgen näher festgelegt werden. Auch diese Besonderheit ist historisch bedingt: Das alte deutsche Reich war der einzige größere Staatenverband, in dem mehrere, sich zudem theoretisch ausschließende Konfessionen gleichberechtigt nebeneinander bestanden, während in den anderen Ländern im Wesentlichen eine Konfession bestanden hat. Dieses konfessionelle Nebeneinander wurde ermöglicht durch die Festschreibungen im Augsburger Religionsfrieden (1555) und dem Westfälischen Frieden (1648). In dieser paritätischen Behandlung der damals drei Konfessionen liegen die Wurzeln der verfassungsrechtlichen institutionellen Garantien, die dann 1919 auf alle Religionsgemeinschaften ausgedehnt worden sind.
Beide Garantien – die institutionellen des Art. 140 und die Religionsfreiheit des Art. 4 – sind als Einheit anzusehen. Beide sind die Grundlagen der Gestaltung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche, d.h. unserer staatskirchenrechtlichen Ordnung. Es sind Garantien, die die Freiheit des einzelnen und der Gemeinschaften sichern und schützen und dadurch ein Zusammenleben unter dem Bekennen verschiedener Anschauungen erst recht ermöglichen. Nicht um Privilegien von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften handelt es sich bei diesen Garantien, sondern um eine angemessene Berücksichtigung des vom Staat ohnehin nicht bestimmbaren Eigenlebens und der sich daraus ergebenden Eigenständigkeit von religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaften.