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3.Der Grundartikel

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a)Die Verfassung von 1920 hatte als theologische Leitaussage in ihrer Präambel schlicht festgehalten: „Die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern r. d. Rhs. steht auf dem alleinigen Grund der Heiligen Schrift. Sie hält sich in Lehre und Leben an das evangelisch-lutherische Bekenntnis. Für die äußere Ordnung ihres Lebens nimmt sie folgende Verfassung an: …“

Entsprechend dem gewandelten Verständnis von der Ordnung einer Kirche erschien den Vätern der neuen Verfassung der alte Vorspruch als theologische und rechtstheologische Leitaussage nicht mehr ausreichend. Analog zu anderen neueren Verfassungen wurden die – bewusst knapp gehaltenen – theologischen Grundaussagen und bestimmte grundlegende Bestimmungen gewissermaßen als allgemeiner Teil der ganzen Verfassung vorausgestellt. Durch diese hervorgehobene Stellung sind sie für die weiteren Abschnitte Leitlinien und Auslegungsnorm, also zugleich Interpretationshilfe und Interpretationsmaßstab für die nachfolgenden Bestimmungen.

b)Bewusst wurden die grundlegenden Aussagen nicht in einer Präambel oder einem Vorspruch zusammengefasst. Es sollte damit einerseits der Unsicherheit über die rechtliche Qualität einer Präambel begegnet, zum anderen gerade auch das besondere Gewicht dieser Aussagen unterstrichen werden. Durch die besondere Hervorhebung des Grundartikels – einbezogen in den eigentlichen Verfassungstext, aber allen anderen Artikeln vorangestellt – wird klargestellt, dass Schrift und Bekenntnis Grundlegung und unabdingbare Voraussetzung des kirchlichen Verfassungsrechts (und damit des kirchlichen Rechts überhaupt) sind, und dass dieses nur den Zweck hat, der Erfüllung des kirchlichen Auftrags in dieser Welt zu dienen (vgl. Absatz 3, letzter Satz: „Diesem Auftrag haben auch Recht und ihre Ordnungen zu dienen.“).

c)Der Grundartikel geht in Absatz 1 zunächst von der Basis jeder Kirche aus, dem Wort Gottes, das in Jesus Christus Mensch geworden ist und in der Heiligen Schrift bezeugt wird. In der Gemeinschaft der aus dem Wort Gottes lebenden ecclesia universalis – der Gemeinschaft der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche – lebt neben anderen als ecclesia particularis auch die ELKB.

Ihre Bekenntnisgrundlage ist in Absatz 2 festgehalten: Dem Hinweis auf die altkirchlichen Bekenntnisse folgt die Feststellung, dass die ELKB sich in Lehre und Leben an das evangelisch-lutherische Bekenntnis hält, wie es insbesondere in der Augsburgischen Konfession von 1530 und im Kleinen Katechismus Martin Luthers ausgesprochen ist. Von den Bekenntnisschriften werden diese beiden besonders hervorgehoben,46 weil diese – wie es in der Begründung zum Entwurf der Kirchenverfassung heißt – „in besonderer Weise den Kirchengliedern zugänglich sind und geeignet sind, das zu vermitteln, was Evangelisch-Lutherisches Bekenntnis meint“.47 Auch das Interesse an der Gemeinschaft mit anderen lutherischen Kirchen, von denen einige nicht das ganze Konkordienbuch von 1580 als Bekenntnisgrundlage akzeptieren, alle sich aber an die beispielhaft genannten Bekenntnisschriften gebunden wissen, spielte hierbei eine Rolle. Die Begründung hebt weiter hervor, dass die beispielhafte – also insoweit nicht abschließende – Nennung der CA und des Kleinen Katechismus nicht bedeutet, dass die ELKB „ihre Verankerung nicht auch in den übrigen Teilen des Konkordienbuches sähe“.48 Der besondere Hinweis auf die Lehre von der Rechtfertigung am Ende von Abs. 2 geht wesentlich zurück auf ein Votum der Erlanger Theologischen Fakultät.

Auf die Theologische Erklärung der Barmer Bekenntnissynode ist in der Kirchenverfassung ursprünglich nicht eigens verwiesen worden, wie dies z. B. in manchen anderen Verfassungen bereits der Fall war und auch für die Verfassung der ELKB erwogen worden war, weil sowohl in Art. 2 der Verfassung der VELKD als auch in Art. 1 Abs. 3 der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland hierauf Bezug genommen war. Diese Aussagen hatten damit auch für die ELKB als deren Gliedkirche (vgl. Art. 6 Abs. 2 und 3) Verbindlichkeit. Im Übrigen war auch ohne ausdrückliche Bezugnahme davon auszugehen, dass die grundlegenden Entscheidungen sich dem Geist von Barmen verpflichtet wissen.49 Im Ergebnis eines eingehenden Beratungs- und Beteiligungsprozesses, in den die Kirchengemeinden, Einrichtungen und Dienste und die Theologischen Fakultäten im Bereich der EKB und die VELKD einbezogen waren, ist jedoch durch Verfassungsänderung vom 30. März 201750 die Barmer Theologische Erklärung als Glaubenszeugnis, in dem „die befreiende und verbindliche Kraft des Evangeliums Jesu Christi aufs Neue bekannt“ geworden ist, im Grundartikel nun auch ausdrücklich verankert worden.51 Dafür war die Erkenntnis leitend, dass die Barmer Theologische Erklärung ganz im Sinne und in der Tradition des reformatorischen „solus Christus“ Jesus Christus wieder neu ins Zentrum kirchlichen Denkens, Glaubens und Handelns gestellt hat.52 Das im Jahr 2017 ganz besonders auch als großes Christusfest gefeierte Reformationsjubiläum erschien vor diesem Hintergrund als ein besonders passender Zeitpunkt für eine entsprechende Ergänzung des Grundartikels. Die ausdrückliche Verankerung der Barmer Theologischen Erklärung in der Kirchenverfassung genau zu diesem Zeitpunkt sollte aber auch als Richtungsweisung für den von den kirchenleitenden Organen angestoßenen Kirchenentwicklungsprozess „Profil und Konzentration kirchlicher Arbeit in den nächsten Jahren“53 verstanden werden.54

Der Bekenntnisstand war und ist dem Verfassungsgesetzgeber vorgegeben und steht außerhalb seiner Disposition. Er konnte ihn daher nur (deklaratorisch) feststellen, da – und dies versteht sich von selbst – der Inhalt des Bekenntnisses nicht Gegenstand kirchlicher Rechtsetzung sein kann (Art. 72).55

Eine Änderung oder Fortentwicklung des Bekenntnisses ist dadurch nicht ausgeschlossen. Hierfür bedarf es jedoch einer entsprechenden gesamtkirchlichen Meinungsbildung und Überzeugung im Sinne des magnus consensus (Art. 1 CA), den die Landessynode als kirchliches Gesetzgebungsorgan – aber nicht alleiniger Trägerin des Konsenses – nach einem sorgfältigen Prozess der Konsensbildung nur deklaratorisch feststellen kann. Wie der magnus consensus im Einzelnen zu ermitteln ist, ist nicht abschließend geklärt. Erforderlich ist jedenfalls die übereinstimmende Überzeugung aller kirchenleitenden Organe und die Beteiligung der Kirchengemeinden, in denen sich das geistliche Leben der Kirche unmittelbar verwirklicht und für die deshalb die Möglichkeit bestehen muss, Bedenken vorzubringen und zur Diskussion zu stellen.56 Aufgrund ihrer Teilhabe an der Erfüllung des kirchlichen Auftrags sollten aber auch die landeskirchlichen Einrichtungen und Dienste und aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz die Theologischen Fakultäten im Bereich der Landeskirche in die Konsensbildung einbezogen werden. Entsprechendes gilt für die gliedkirchlichen Zusammenschlüsse, denen die ELKB angehört (VELKD, EKD). In Bezug auf die VELKD ist dies bereits aus Art. 6 Abs. 3 Verf VELKD (RS 60) abzuleiten; denn wenn der VELKD unter dem Gesichtspunkt der Förderung der Einheit in der VELKD schon zu Gesetzesänderungen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist, dann muss dies erst recht in Angelegenheit der Fortentwicklung des gemeinsamen lutherischen Bekenntnisses gelten.

Absatz 3 des Grundartikels führt nochmals über die ecclesia particularis hinaus und verweist auf die Gemeinschaft der ganzen Christenheit und den dieser aufgegebenen Auftrag, „Gottes Heil in Jesus Christus in der Welt zu bezeugen“, also mit Wort und Tat. Mit dem Zeugnis in der Welt ist zugleich der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche angesprochen, also das Wirken der Kirche in der Öffentlichkeit und gegenüber der Öffentlichkeit.

Evangelisches Kirchenrecht in Bayern

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