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§ 4Die geltende Kirchenverfassung 1.Zustandekommen

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Für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern sind die Grundstrukturen der kirchlichen Rechtsordnung und die Leitlinien für deren weitere Gestaltung in der Kirchenverfassung vom 20. November 19711 entfaltet. Sie ist seit dem 1. Januar 1972 in Kraft und hat damit die erste Kirchenverfassung vom 16. September 1920 abgelöst, steht jedoch als behutsame Fortentwicklung der Kirchenverfassung von 1920 in deren Tradition.

Die bereits von Landesbischof D. Hans Meiser zu gegebener Zeit bei der Synodaltagung des Jahres 1946 anvisierte generelle Überprüfung der Kirchenverfassung wurde 1961 angestoßen, als sein Nachfolger Landesbischof D. Hermann Dietzfelbinger aus Anlass der 40-jährigen Geltung der Kirchenverfassung von 1920 und vor dem Hintergrund der damals in Gang befindlichen Arbeiten an der Kirchengemeindeordnung und der neuen Ordnung des kirchlichen Lebens vor der Landessynode erklärte, dass „der Zeitpunkt einer neuen Arbeit an der Kirchenverfassung allmählich heranrückt“.2 Diese wurde schließlich gleich zu Beginn der Synodalperiode 1966/1972 aufgenommen3 und zunächst einem aus Synodalen, Mitgliedern des Landeskirchenrates und weiteren berufenen Sachverständigen bestehenden Verfassungsausschuss übertragen. Der von diesem erarbeitete Vorentwurf 4 wurde im Frühjahr 1970 zur öffentlichen Diskussion gestellt und nach Einarbeitung der eingegangenen Stellungnahmen und nach erneuter Veröffentlichung bei der Herbsttagung der Landessynode 1970 eingebracht. Nach der bei der Frühjahrstagung 1971 erfolgten ersten Lesung und Weiterbehandlung durch einen synodalen Zwischenausschuss wurde die neue Kirchenverfassung in zweiter Lesung bei der Herbsttagung 1971 von der Landessynode endgültig verabschiedet.5 Sie ist unter dem 20. November 1971 vom Landesbischof ausgefertigt worden und zum 1. Januar 1972 in Kraft getreten.6

In der Zwischenzeit waren nicht nur einige verfassungsändernde und verfassungsergänzende Kirchengesetze zur Neuregelung von Einzelfragen ergangen,7 sondern auch umfangreiche Gesetzgebungsvorhaben verwirklicht worden, welche die Kirchenverfassung von 1920 in zentralen Bereichen fortentwickelten und die neue Kirchenverfassung teilweise schon vorwegnahmen.

Dies gilt in besonderer Weise für die gerade zu Beginn einer neuen Amtsperiode der Kirchenvorstände nach zehnjähriger Vorarbeit am 1. Dezember 1964 in Kraft getretene Kirchengemeindeordnung.8 Mit diesem Kirchengesetz wurde nicht nur dem jahrzehntelang bestehenden Desiderat abgeholfen, das bisher in einer Anzahl von – teilweise veralteten – Einzelgesetzen und zudem nur unvollständig geregelte Recht der Kirchengemeinden in einem Kirchengesetz zusammenzufassen, sondern diesem auch, den Erkenntnissen der Kirchenrechtslehre seit der Barmer Bekenntnissynode (1934) über den „Eigenweg des evangelischen Kirchenrechts“9 folgend, eine rechtstheologische Grundlegung gegeben; angesichts des Umstands, dass im Gegensatz zur reformierten Kirchengemeinde das Leitbild einer Kirchengemeinde evangelisch-lutherischen Gepräges fehlte, war dies eine sehr schwierige Aufgabe.10 Auch das Kirchengesetz über die Gliedschaft in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (Gliedschaftsgesetz) vom 10. November 1965,11 welches im Zusammenhang mit der zum 1. Juli 1966 in Kraft getretenen neuen Ordnung des kirchlichen Lebens12 entstanden ist, schloss eine seit langem als nachteilig empfundene Lücke der Kirchenverfassung von 1920.

Das verfassungsändernde Kirchengesetz vom 13. März 196813 regelte das Verfahren der Pfarrstellenbesetzung grundlegend neu. Bis dahin beschränkte sich die Mitwirkung der Kirchengemeinden bei der Besetzung einer Pfarrstelle auf die Anhörung des Kirchenvorstands im Rahmen der Stellenbesetzungsbesprechung des Kreisdekans; in einer Reihe von Städten, insbesondere in ehedem freien Reichsstädten (ca. 150 Pfarrstellen) bestanden allerdings Präsentationsrechte in dem Sinne, dass der Kirchenvorstand bei jeder Stellenbesetzung aus einem Dreiervorschlag des Landeskirchenrats wählen konnte. Die einheitlichen Verhältnisse und die in der Mehrzahl der Besetzungsfälle als unzureichend eingeschätzten Mitwirkungsmöglichkeiten der Kirchengemeinden haben bereits bei der Beratung des Entwurfs der Kirchengemeindeordnung zu der einmütigen Überzeugung geführt, dass die Mitwirkung der Kirchengemeinden bei der Besetzung von Pfarrstellen Verfassungsqualität habe. Aufgrund des Ergebnisses der Befragung der Dekanatsbezirke ist schließlich das alternierende Pfarrstellenbesetzungsverfahren eingeführt worden, wonach jeweils in dem einen Besetzungsfall der Kirchenvorstand aus einem Dreiervorschlag des Landeskirchenrates auszuwählen hat und in dem anderen Besetzungsfall der Landeskirchenrat die Stelle besetzt.

Diese Bestimmungen sind im Wesentlichen unverändert in die Kirchenverfassung von 1971 übernommen worden.

Ein zweiter „Fertigteil“, der in die Kirchenverfassung von 1971 eingebaut wurde, war die 1969 vollzogene Änderung des 3. Abschnittes der Kirchenverfassung von 1920 über „Dekanat und Kirchenbezirk“.14 Die Vorwegnahme der Neuregelung dieses Bereiches hatte ihren Grund darin, dass die Reform des Kirchenbezirks als „vordringlichster und entscheidendster Ansatz der Kirchenreform“ angesehen wurde.15 Für diese Einschätzung war die Erkenntnis maßgeblich, dass zahlreiche kirchliche Dienste, wie z. B. der Dienst an bestimmten Zielgruppen, Sozial- und Öffentlichkeitsarbeit, nicht von der Ortskirchengemeinde, sondern nur im größeren Bereich des Kirchen-(Dekanats-)​bezirks wahrgenommen werden können. Es galt deshalb im Sinne der von der Generalsynode der VELKD 1967 verabschiedeten „36 Thesen zur Kirchenreform“16, den Kirchen- und Dekanatsbezirk „nicht mehr nur als Addierung von Kirchengemeinden oder als Verwaltungsgliederung der Landeskirche“ zu definieren. Es sollten ihm vielmehr „als dem Schnittpunkt regionaler und funktionaler Dienste im Gesamtgefüge der Kirchen eigenständige Bedeutung und Aufgabenstellung“ zugewiesen werden, um ihn dadurch „zu einer geistlichen und organisatorischen Aktionseinheit“ umzugestalten. Dieser Zielsetzung entsprechend erhielten die Organe des Dekanatsbezirks – Dekanatssynode, Dekanatsausschuss und Dekan – klarere Konturen, wobei die bisherige Unterscheidung zwischen Kirchenbezirk und Dekanatsbezirk aufgegeben wurde; insbesondere wurden die Kompetenzen des Dekanatsausschusses als der „Drehscheibe der kirchlichen Arbeit im Dekanatsbezirk“ gegenüber dem bisherigen Bezirkssynodalausschuss erweitert.

Auf dem Weg der „theologisch gebildeten Frau“ von der Vikarin zur Pfarrerin17 war die Ergänzung des Art. 8 der Kirchenverfassung von 1920 über das geistliche Amt durch das Kirchengesetz vom 14. November 197018 ein wesentlicher Markstein. Dieses eröffnete die Möglichkeit, „Mitarbeitern“ (sic!) aufgrund einer besonderen Berufung und Lehrverpflichtung den Auftrag zu Predigtdienst und Sakramentsverwaltung für einen bestimmten Dienstbereich zu übertragen, und bildete die Grundlage für das am gleichen Tag ausgefertigte und verkündete Theologinnengesetz. Pfarrvikarinnen waren nun zur Sakramentsverwaltung unter der Voraussetzung berechtigt, dass die Notwendigkeit für ihren Dienstbereich zur Sakramentsverwaltung festgestellt und begründet war, ein entsprechender Beschluss von Kirchenvorstand bzw. Dekanatsausschuss vorlag und der zuständige Pfarrer seine Zustimmung erteilt hatte. Mit dieser Verfassungsänderung und dem daraufhin verabschiedeten „Beauftragungsgesetz“ vom 19. März 197119 wurde zugleich ein Impuls der Verfassungsberatungen von 1920 aufgenommen, in besonderen Fällen auch nicht wissenschaftlich-theologisch ausgebildete Gemeindeglieder mit der öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung zu beauftragen.

Schließlich wurden noch auf der Frühjahrstagung der Landessynode 1971 im Hinblick auf die im Herbst dieses Jahres anstehende Neuwahl der Landessynode unter gleichzeitiger Verabschiedung eines neuen Landessynodalwahlgesetzes die Bestimmungen der alten Kirchenverfassung über die Zusammensetzung und die Wahl der Landessynode in der Weise geändert, wie sie im wesentlichen auch Aufnahme in die neue Kirchenverfassung (Art. 43 bis 45) gefunden haben.20 Die Zahl der Mitglieder der Landessynode wurde dabei von (zuletzt) 91 auf 102 erhöht.21

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