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3.Grundrechte im kirchlichen Verfassungsrecht

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Von profilierten Sozialethikern9, aber auch im kirchenrechtlichen Schrifttum10 ist die Erwartung formuliert worden, dass eine Kirchenverfassung den Status der Kirchenmitglieder in Entsprechung zu säkularen Verfassungen (z. B. Art. 1 bis 19 Grundgesetz) in einem Katalog kirchlicher Grundrechte festzuschreiben habe. So sehr dies angesichts der Affinität zwischen der christlichen Botschaft und dem Wesensgehalt der Grundrechte und zumal für eine Institution, die sich in ihrem Reden und Handeln nachdrücklich für die Achtung der Menschenrechte einsetzt, naheliegend zu sein scheint, stellen sich – zumindest dann, wenn kirchlichen Grundrechten das Verständnis des staatlichen Verfassungsrechts zugrunde gelegt wird – schwierige rechtsdogmatische Fragen.11 Diese Problematik kann im Rahmen dieses Grundrisses nur angedeutet werden:

Im staatlichen Verfassungsrecht versteht man unter Grundrechten mit Verfassungsrang ausgestattete vorrangige Rechtsnormen, die dem Bürger gegenüber dem Staat subjektive, auf dem Rechtswege einklagbare Rechte im Sinne von

–Gleichheitsrechten,

–Abwehrrechten (status negativus),

–Leistungsrechten (status positivus) und/oder

–Mitwirkungs- und Beteiligungsrechten (status activus)

einräumen. Subjektive Rechte sind dabei Ausdruck des liberalen Rechtsstaats, der die autonome Freiheit des Individuums allen anderen Rechtszwecken voranstellt.12 Demgegenüber dient evangelisches Kirchenrecht gerade nicht vorrangig der Sicherung von Individualinteressen, sondern der Erfüllung des der Kirche gegebenen Auftrags. Schon unter diesem Gesichtspunkt ist die Vergleichbarkeit kirchlicher Mitgliederrechte mit staatlichen Grundrechten zu bezweifeln.

Im Übrigen ist festzustellen:

Die Rechtsgleichheit in der Kirche ist durch das allgemeine Priestertum aller Getauften vorgegeben und wird in den evangelischen Kirchenverfassungen im Kontext des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts zum Ausdruck gebracht.13

Grundrechtstypische Gefährdungslagen, die abgewehrt werden müssen, sind in der Kirche in aller Regel nicht vorhanden, da die Kirche keine Staatsgewalt ausüben kann und nur eine sehr eingeschränkte Möglichkeit hat, in die Freiheit ihrer Mitglieder einzugreifen.14 Insbesondere kann sich die Kirche nicht auferlegen, einen grundlegend von ihrem Bekenntnis abweichenden Amtsträger im Sinne der Glaubens- und Gewissensfreiheit zu schützen. Dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der informationellen Selbstbestimmung, die es kirchlichen Dienststellen verwehrt, uneingeschränkt Mitgliederdaten anderen zur Verfügung zu stellen, wird bereits durch das EKD-Datenschutzgesetz (RS 230) Rechnung getragen.

Leistungsrechte können zum einen vor allem als Verfahrensrechte auch im kirchlichen Bereich relevant sein, z. B. der Anspruch auf rechtliches Gehör und die Gewährleistung von Rechtsschutz. Geregelt ist dies auch für die ELKB insbesondere durch das Verwaltungsverfahrens- und Zustellungsgesetz der EKD (RS 957) und die Ordnungen kirchlicher Gerichte auf landeskirchlicher, EKD- und VELKD- Ebene. Zum anderen sind in diesem Zusammenhang die geistlichen Amtshandlungen (insbes. Taufe, Konfirmation, Ordination, Trauung, Begräbnis)15 zu nennen. Auf diese kann es aber kein einklagbares Recht geben; vielmehr muss im jeweiligen Einzelfall aus geistlich gebotenen Gründen eine Versagung möglich sein. Die Exemtion geistlicher Amtshandlungen vom Rechtsschutz und die daraus folgende Unanfechtbarkeit ihrer Versagung sind ein allgemein anerkanntes Prinzip evangelischen Kirchenrechts.16

Die Ausgestaltung kirchlicher Mitwirkungs- und Teilhaberechte unterscheidet sich insofern grundlegend von Mitwirkungsrechten im staatlichen Bereich, als es dabei im Kern nicht um das Recht jedes Einzelnen auf Mitwirkung an der (kirchen-)​politischen Willensbildung des Gemeinwesens und (kirchen-)​politische Abstimmungsprozesse geht, sondern – in Konsequenz des allgemeinen Priestertums aller Getauften – um die Teilhabe am Leben von Gemeinde und Kirche, an Verkündigung und Diakonie.17 Demgemäß werden in den Kirchenverfassungen die kirchlichen Mitwirkungs- und Teilhaberechte auch nur „im Rahmen der kirchlichen Ordnungen“ gewährt und damit unter einen Gesetzesvorbehalt gestellt.18 Dadurch erhalten die Mitwirkungs- und Teilhaberechte die rechtliche Qualität von Programmsätzen und Aufträgen, aus denen indes Konsequenzen für das kirchliche Handeln zu ziehen sind.19

Vor diesem Hintergrund ist den Befürwortern von „Grundrechten in der Kirche“ wohl bewusst, dass deren Ausgestaltung „selbstverständlich nicht einfach der Vorstellung von Grundrechten im staatlichen Bereich zu folgen“ hat, sondern sich an Botschaft und Auftrag der Kirche zu orientieren hat.20 Insgesamt gesehen, ist deshalb nicht auszuschließen, dass die Einführung bzw. Qualifizierung kirchlicher Mitgliedschaftsrechte als „Grundrechte“ bei Kirchenmitgliedern und Nichtkirchenmitgliedern mehr Missverständnisse und falsche Erwartungen auslösen kann, als dass diese der sachgerechten Beschreibung des Charakters der (Mit-)​Gliedschaft in der Kirche dienlich wäre.21

Evangelisches Kirchenrecht in Bayern

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