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2.Schutzbereich

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a)Im Einzelnen sind durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützt:

–die Glaubens- und Gewissensfreiheit, d.h. die Freiheit des Denkens, das sog. forum internum,

–die Bekenntnisfreiheit, d.h. die Freiheit des Redens, die Freiheit, seinen Glauben oder Unglauben zu äußern oder auch zu verschweigen, aber auch die Freiheit, seinem Glauben gemäß zu leben,

–die Religionsausübungsfreiheit, d. h. die Freiheit des Handelns, die Freiheit zur Vornahme aller denkbaren kultischen Handlungen und der Beachtung religiöser Gebräuche,

–die religiöse Vereinigungsfreiheit, d.h. die Freiheit, aus gemeinsamem Glauben sich zu einer Religionsgemeinschaft zusammenzuschließen, einschließlich der Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr.

Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis-, Religionsausübungs- und religiöse Vereinigungsfreiheit sind nach heutigem Verständnis Ausfluss eines einheitlichen, für die Lebensgestaltung des einzelnen umfassenden Rechts der Religionsfreiheit. Diese verschiedenen Bereiche überlappen sich zum Teil, insbesondere geht die Religionsausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2) inhaltlich in der Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1) auf.1 Die Einzelaufzählung dieser Bereiche erklärt sich aus historischen Gründen, nämlich einem in früherer Zeit abgestuften und nicht allen in gleicher Weise zustehenden Recht auf Religionsausübung, und vor allem aus der Abwehrhaltung gegenüber Störungen der Religionsausübung unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

b)Die Glaubensfreiheit als innerster Kern der Religionsfreiheit schützt das Recht, einen Glauben, eine religiöse Überzeugung zu haben. Dabei ist nicht das Fürwahrhalten jedes beliebigen Meinungsinhaltes geschützt, sondern nur der Glaube, der auf eine – wie immer geartete – Gottesvorstellung gerichtet ist. Wegen der Gleichstellung des weltanschaulichen Bekenntnisses sind aber auch Überzeugungen ohne transzendenten Bezug, der Glaube an weltanschauliche Gedankensysteme geschützt, die auf eine Sinndeutung der Welt im Ganzen abzielen, eine Gottesidee aber gerade nicht kennen. Eine genaue Abgrenzung zwischen religiösem und weltanschaulichem Bekenntnis erübrigt sich wegen dieser Gleichstellung eigentlich. Es wird jedoch, um unüberschaubare Ausuferungen zu vermeiden, auch für Weltanschauungen, die dem Schutz des Art. 4 unterfallen, eine ähnliche Geschlossenheit und Breite gefordert, wie sie den Religionen eigen sind. Der Glaube an Inhalte herkömmlicher oder auch neuer Religionen steht also rechtlich gleich den Überzeugungen etwa anthroposophischer, existenzphilosophischer oder marxistischer Weltanschauungen. Allerdings können nicht allein die Behauptung und das Selbstverständnis, eine Gemeinschaft bekenne sich zu einer Religion und sei eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft, bereits den Schutz des Art. 4 rechtfertigen. Es muss sich vielmehr auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religion bzw. Religions- oder Weltanschaungsgemeinschaft handeln. Ob dies gegeben ist, obliegt – als Anwendung von Art. 4 als Regelung der staatlichen Rechtsordnung – den staatlichen Organen, letztlich den Gerichten. Diese haben dabei allerdings keine freie Bestimmungsmacht, sondern müssen „den von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten, dem Sinn und Zweck der grundrechtlichen Verbürgung entsprechenden Begriff der Religion zugrunde legen“.2

Geschützt sind die Freiheit der Glaubenswahl, die Informationsbemühungen, die Zuwendung zur Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaft, als Folge davon auch der Beitritt zu, der Austritt aus oder der Wechsel von Glaubensgemeinschaften. Diese „elementare Freiheit der inneren Überzeugung“3, sei sie religiös, areligiös oder antireligiös, wird durch Art. 4 GG geschützt.

c)Die Bekenntnisfreiheit umschließt nicht nur die Freiheit des kultischen Handelns, der Propaganda, des Werbens für den eigenen Glauben und der Abwerbung von fremdem Glauben, sondern auch die Freiheit, den Glauben zu manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten. Sie gewährt dem Einzelnen „einen vom staatlichen Eingriff freien Rechtsraum, indem er sich die Lebensform zu geben vermag, die seiner Überzeugung entspricht“. Hierzu gehört insbesondere das Recht, „sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln“.4 Dies ist Folge und Anerkenntnis dessen, dass religiöse Überzeugungen gerade im alltäglichen Geschehen umgesetzt sein wollen, auf Verwirklichung im praktischen Leben zielen.

Hierzu zählen, um nur einige Beispiele herauszugreifen, die religiöse Erziehung der Kinder, das Tragen einer bestimmten Kleidung (Ordenstracht, Kopftuch) und die Beachtung religiöser Feiertage. Feiertagsregelungen, die an „kirchlichen Feiertagen“ den Gottesdienstbesuch während der normalen Arbeitszeit zulassen, gelten wegen Art. 3 Abs. 3 GG in gleicher Weise für christliche wie nichtchristliche Religionen. Dazu gehört auch das Recht, nicht ausgerechnet an einem hohen Feiertag der eigenen Glaubensgemeinschaft zu einer gerichtlichen Verhandlung, als Jude am Samstag oder als Christ am Sonntagvormittag zur Zeit des Gottesdienstes zum Verkehrsunterricht nach § 48 der Straßenverkehrsordnung geladen zu werden.5 Die Ordnung staatlicher Einrichtungen hat auf die Erfüllung religiöser Wünsche Bedacht zu nehmen. In besonderen Statusverhältnissen kann dies bedeuten, dass der Staat durch positive Vorkehrungen den betreffenden Personen die Wahrnehmung ihrer religiösen Rechte oder die Erfüllung ihrer religiösen Pflichten zu ermöglichen hat. Krankenhaus-, Gefängnis- oder Militärseelsorge sind hierfür Hauptbeispiele.6

d)Zur Freiheit der Religionsausübung zählen kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche. Als selbstverständliche Beispiele nennt das Bundesverfassungsgericht etwa: Gottesdienst, Sammlung von Kollekten, Gebete, Sakramentenempfang, Prozessionen, Zeigen von Kirchenfahnen, liturgisch begründetes Glockenläuten7, ferner religiöse Erziehung, im Rahmen der Weltanschaungsfreiheit: frei-religiöse und atheistische Feiern (Jugendweihe), sowie andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens.8 Ferner wird von der Freiheit der Religionsausübung auch die diakonisch-karitative Tätigkeit umfasst.9 Zur Religionsausübung gehören ferner nicht nur die altvertrauten religiösen Gebräuche; vielmehr können auch fremde, neue oder aus anderen Religionen stammende Kultformen diesem Schutzbereich unterfallen, wie z. B. die Beschneidung von Jungen10 und das Schlachten von Tieren ohne Betäubung (Schächten) als Kulthandlung bei israelitischen Kultusgemeinden oder nach islamischen Religionserfordernissen.11

Gemeinschaften, die sich zwar als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften bezeichnen, in erster Linie aber auf eine wirtschaftliche Tätigkeit abzielen, genießen indes nicht den Schutz des Art. 4.12

e)Die religiöse Vereinigungsfreiheit umfasst die Freiheit, aus gemeinsamem Glauben sich zu einer Religionsgemeinschaft zusammenzuschließen und zu organisieren, damit dieser Gemeinschaft eine rechtliche Gestalt zu geben und am allgemeinen Rechtsverkehr teilzunehmen. Damit ist allerdings kein Anspruch auf eine bestimmte Rechtsform verbunden, z. B. die eines rechtsfähigen Vereins oder einer sonstigen Form der juristischen Person. Gewährleistet ist die Möglichkeit einer „irgendwie gearteten rechtlichen Existenz einschließlich der Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr“.13

Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 4 WRV eröffnet den Religionsgemeinschaften die Möglichkeit, die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu erwerben, z. B. nach den Vorschriften des Vereinsrechts. Dabei gebietet es die religiöse Vereinigungsfreiheit, das Eigenverständnis der Religionsgemeinschaft, „soweit es in dem Bereich der in Art. 4 Abs. 1 als unverletzlich gewährleisteten Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wurzelt und sich in der durch Art. 4 Abs. 2 geschützten Religionsausübung verwirklicht, bei der Auslegung und Handhabung des einschlägigen Rechts, hier des Vereinsrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches, besonders zu berücksichtigen“. Dies umfasst nicht nur die volle Ausschöpfung von Gestaltungsspielräumen, soweit sie das Recht zulässt, sondern auch – bei Anwendung zwingenden Rechts – die Nutzung von gegebenen Auslegungsspielräumen zugunsten der Religionsgemeinschaft. Unvereinbar mit der religiösen Vereinigungsfreiheit wäre jedenfalls ein Ergebnis, das eine Religionsgemeinschaft im Blick auf ihre innere Organisation von der Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr ganz ausschlösse oder diese nur unter unzumutbaren Erschwerungen ermöglichte.

Evangelisches Kirchenrecht in Bayern

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