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Lachen und Komik in Aufführung und Text: methodische Überlegungen

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Diese verschiedenen Aufgaben erfordern einen differenzierten methodischen Zugriff auf jedes einzelne Kapitel. So fragt das erste Kapitel nach den Voraussetzungen und Bedingungen für das Lachen über Körperliches anhand von historisch invarianten theoretischen Ansätzen, um in neunzehn abschließenden Paragraphen Ansätze zu einer performativen Theorie der Komik zu formulieren, mit Hilfe derer das Material untersucht werden soll. Nach dem zweiten Kapitel zum Stand der literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung zu Lachen und Komik in Mittelalter und Früher Neuzeit folgt im dritten Kapitel die Untersuchung der Diskursgeschichte des komischen Körpers von der Antike bis ins späte Mittelalter anhand des Begriffsfeldes der scurrilitas.9 Im vierten Kapitel werden historische Zeugnisse zu Techniken und Verfahren der komischen Körperinszenierung, ihren Lizenzen, Protagonisten, Räumen und Zeiten, Formen und Repertoires zusammengefasst, um eine historische ‚Grammatik‘ von Bewegungen, Gesten und Lauten aufzustellen.

Das fünfte Kapitel gilt der Rolle und der Bedeutung des Lachens über Körperliches in rituell-theatralen Rahmungen des weltlichen Spiels bis zur Commedia dell’arte. Hier geht es um die verschiedenen motorischen und proxemischen, gestischen und mimischen, stimmlichen und energetischen Mittel, mit welchen Körper in Aufführungen Lachen ausgelöst haben, sowie die Art und Weise, mit der diese Mittel in den einzelnen historischen Spielformen je verschieden eingesetzt wurden. Das sechste Kapitel geht schließlich einleitend der Frage nach, ob und wie Texte ihren häufig selbst formulierten Anspruch, Lachen zu erregen, einlösen können, indem die Ergebnisse aus Kap. 1 zusammen mit einer Diskussion des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen imaginatio-Begriffes zu einem analytischen Instrumentarium der Wahrnehmung von Lachanlässen in Erzählungen zusammengeführt werden. Damit kann dann in vier ausführlichen Fallstudien zu narrativen Texten des 15. Jahrhunderts, nämlich zum Salomon und Markolf-Komplex, zu Sacchettis Novellen, zur Schwankkompilation Neithart Fuchs’ und zu Philipp Frankfurters Pfaffe Kalenberg, die literarische Bedeutung von Körperinszenierungen für diese Texte untersucht werden. Im siebten und letzten Kapitel versuche ich anhand einiger Texte der ‚Narrenliteratur‘ des 16. Jahrhunderts in Form eines Ausblicks zu zeigen, wie körperliche Lachanlässe und die spezifische ‚Verkörperung‘ von Sprache durch Prozesse der Diskursivierung und Semantisierung zugunsten sprachlich-textueller Komikformen an Gewicht verlieren.

Die Anlage dieser Studie lässt unschwer erkennen, dass ihr methodischer Schwerpunkt darin liegt, das in der Theaterwissenschaft entwickelte Performance-Modell für die Untersuchung von Spielen und Texten der Vergangenheit fruchtbar zu machen,10 denn ihre wichtigsten Fragestellungen betreffen die Dynamik und Prozessualität von komischen Handlungen und Aufführungen (einschließlich Sprechhandlungen), ihre spezifische Materialität (Körperlichkeit, Stimmen), ihre Medialität (Rezipientenbezug, soziale Kontexte) und performative Ästhetik (Ereignischarakter, Emergenz).

Dass mit dem Performance-Modell nicht nur Aufführungen, sondern auch Texte untersucht werden können, hat Paul Zumthor in seinen Arbeiten zur Theatralität und Vokalität der mittelalterlichen Dichtung seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts gezeigt.11 Er sieht das Potential des performativen Zugangs in der Erarbeitung der Bezüge des Textes auf seine Aufführung, in dem Sinne, dass am Text selbst Spuren für vorherige (und künftige) Aufführungen entdeckt werden können. Performativität erscheint hier als relationale Kategorie, die nur in den Interaktionen mit, in den Übergängen und Bezugnahmen zur Textualität zu fassen ist. Dadurch wird es möglich, textuelle und materielle kulturelle Praktiken, und nicht nur diejenigen der gleichen Sprache und Kultur, in einem methodischen und systematischen Zusammenhang zu analysieren.12

So wegweisend dieser Ansatz insbesondere für die Erforschung des Aufführungsaspektes mittelalterlicher Dichtung ist, so deutlich liegen auch seine Grenzen zutage. Erkennt man wie Zumthor im (überlieferten) Text nur eine Reduktionsform eines durch die Aufführung gekennzeichneten ‚Werkes‘, lässt sich ihm kaum mehr als eine Dokumentations- und Quellenfunktion attestieren. Daher hat sich in den letzten Jahren ein Performativitätsbegriff herauskristallisiert, der die pragmatischen und aisthetischen Inszenierungs- und Vollzugsdimensionen der Texte selbst in den Mittelpunkt stellt. Performativität erscheint so als eine besondere Qualität von Texten, die wie folgt beschreibbar ist: (1) als Manifestation von Präsenzeffekten, (2) als Auslösung affektiver und sozialer Wirkungen, und (3) als Zeigen ihrer je besonderen Medialität und deren Reflexion.13

Es geht bei dieser Perspektive jedoch nicht einfach darum, dass in Texten Sprache zur Aufführung gebracht wird, oder dass Texte vorführen, wovon sie sprechen. Im dem Maße, wie Texte nicht mehr auf etwas Abwesendes verweisen, sondern es gegenwärtig, sinnlich wahrnehmbar machen können, gewinnen sie Attribute, die nicht mehr ihrem Zeichencharakter geschuldet sind und hermeneutischer Auslegung zuarbeiten, sondern als Teil einer somatisch-sinnlichen Praxis zu betrachten sind. Diese in den Text eingeschriebene und jederzeit wieder erfahrbare ästhetische Praxis zu analysieren, steht im Mittelpunkt einer performativen Perspektive auf Literatur.

Wissenschaftsgeschichtlich ist sie wie folgt zu begründen: Hermeneutische und zeichentheoretische Ansätze haben sowohl für die Theaterästhetik, als auch für die literarische Ästhetik alles am Material Wahrnehmbare zum Zeichen erklärt und gedeutet. In dieser Perspektive von „Kultur als Text“ gibt es nichts im Kunstwerk, was jenseits der Signifikant-Signifikat-Relation existieren würde.14 Problematisch daran ist, dass in Zeichenrelationen Handlungen immerzu etwas bedeuten. Dies ist gerade für das Verständnis von komischen Aufführungen, wie ich zeigen werde, nicht zutreffend. Das Prügeln auf der Bühne, welches Gelächter auslöst, ist vielmehr aus seiner körperlichen Dynamik, seiner Präsenz und aus seinem theatralen Rahmen heraus zu verstehen, als über eine Zeichenbedeutung. Gerade das in einer Zeichenrelation Inkommensurable kann aus performativer Perspektive greifbar gemacht werden; dazu gehören die nicht-referentiellen Aspekte von Aufführungen wie motorische und proxemische Präsenz, Atmosphären sowie die Anwesenheit der anderen Teilnehmer am Interaktionsprozess. Die Erscheinungsweise des Körpers selbst ist Bedeuten, und dieses Bedeuten wird in der Aufführung und durch die Aufführung als Ereignis hervorgebracht.

Auch bei der Rezeption eines Textes zeigt das Beispiel des komischen Körpers, dass dieser etwas vermittelt, was nicht eindeutig decodiert werden kann: häufig setzt er nämlich nur eine Aufführung, und nicht eine Aufführung von etwas in Szene. Die über die Zeichenbedeutung hinausgehende Wahrnehmung seines phänomenalen Seins und seiner spezifischen Materialität, bzw. seiner Selbstreferentialität ist somit in einer semiotischen Analyse, die auf die Kommunikation von Bedeutung abzielt, schwer einzuholen. Wenn wir einem performativen Verständnis von Bedeutung folgen, sind Bedeutungen außerhalb von Zeichenrelationen zu verorten. Fischer-Lichte etwa definiert Empfindungen und Gefühle als Bedeutungen, da sie Bedeutungen als Bewusstseinszustände bestimmt:

Ich gehe (…) davon aus, daß Gefühle körperlich hervorgebracht werden und nur als diese körperlichen Artikulationen bewusst zu werden vermögen. Gefühle sind also Bedeutungen, die wegen dieser körperlichen Artikulationen von anderen wahrnehmbar und in diesem Sinne durchaus anderen zu übermitteln sind, auch ohne daß sie in Worte ‚übersetzt‘ würden.15

Wenn demnach Bedeutung in Aufführungen aus Wahrnehmungsprozessen emergiert, bleibt zu fragen, ob dieses Modell auch für Texte Gültigkeit besitzt. Was mich in dieser Annahme bestärkt, ist, dass alle Rezeptionsformen von Literatur an die auditive und visuelle sinnliche Wahrnehmung von Sprache gebunden sind. Denn auch ein Text wird durch den Vortrag, das Vorlesen und selbst noch das stille Lesen, welches Zumthor als „degré zero de la performance“ bestimmte, gewissermaßen aufgeführt.16 Insofern gilt auch für das Hören eines Textes – und das ist die vorrangige Rezeptionssituation von narrativen Texten in Spätmittelalter und Früher Neuzeit –, dass die Bewusstwerdung sinnlicher Eindrücke, und seien es diejenigen, die sich aus Imaginationen ergeben, Bedeutung erzeugt. Das wahrnehmende Subjekt kann im Moment der Wahrnehmung noch nicht kognitiv ‚verstehen‘, was es wahrnimmt, es nimmt zunächst eine Selbstreferentialität der Sinneseindrücke wahr.17

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