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Humor Research: Skriptsemantische Theorien und ihre Varianten

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Ein Großteil der heutigen Forschung zum Lachen und zur Komik findet im Rahmen semantischer Modelle der Sprache statt. Hier hat sich sogar ein eigenes Forschungsfeld konstituiert, die Humorforschung (Humor Research) um die Zeitschrift Humor. International Journal of Humor Research, deren wichtigste Vertreter die Gründer und ehemaligen Herausgeber Victor Raskin und Salvatore Attardo sind. Der Humorforschung und den mit ihr verbundenen linguistisch-semantischen Theorien (zunächst die SSTH – Semantic Script Theory of Humor, dann die GTVH – General Theory of Verbal Humor) liegen zwei Prämissen zugrunde:

 (1) Sie gehen von der Annahme aus, dass Lachen immer einen Akt der Erkenntnis voraussetzt: Erkenntnis über Situationen, über andere, über sich selbst. Lachen hängt somit von einer vorangehenden kognitiven Operation ab. So verstanden erschließt sich das Lachen über komische Strukturen (semantischer Kontrast, semantische Inkongruenz), und die „Skripts“ (als kognitive Organisationsformen von Wissen) von Witz und Komik sind die Hauptgegenstände der Humorforschung.44

 (2) In untrennbarem Zusammenhang mit der ersten Prämisse steht die zweite: Witz und Komik sind sprachliche Phänomene. Die Linguistik liefert operationalisierbare Modelle,45 mit denen das spezifische Arrangement syntaktischer und semantischer Elemente als Kontrast, Überlappung oder Inkongruenz beschreibbar ist.

Raskin und Attardo stellen ihre Humortheorie auf der Basis von semantischen Textstrukturen schriftlicher Witze auf. Sie erstellen sogenannte skriptsemantische Humormodelle, bei denen die Überlappung (oder Bisoziation) von zwei oder mehreren kognitiven Mustern (bzw. „Skripts“, „Rahmen“ oder „Schemata“) im Mittelpunkt steht. Die Skripts stellen meist große Gegensätze dar, sie müssen in einem Oppositionsverhältnis, dem des Widerspruchs oder dem der Uneindeutigkeit zueinander stehen. Das Entscheidende ist, wie das Switching, der Übergang von einem Skript zum anderen, erfolgt. In jedem Fall kommt es zu einer „komischen Überlappung der Deutungsrahmen.“46

Dieser Ansatz kann heute als der international bekannteste innerhalb der Erforschung von Witz und Komik bezeichnet werden. Obwohl er im angloamerikanischen Sprachraum über die Zeitschrift Humor weit verbreitet und anerkannt ist, wurde er in Deutschland spät und nur wenig rezipiert,47 was nicht auf Desinteresse oder Rückständigkeit zurückzuführen ist, sondern auf die Skepsis gegenüber dezidiert universalistischen Modellen. Dies hatte bereits in den 1990er Jahren zu Kritik geführt: Abgesehen davon, dass hier das Lachen auf Effekte der Sprache und ihrer Semantik verkürzt wird, ist auch die sprachliche Analyse einseitig auf schriftliches Material bezogen, wohingegen die pragmatischen Dimensionen der Sprache (Gebrauch, soziale Funktion, Wirkung, redebegleitende Gesten) kaum berücksichtigt werden. Deshalb kommt es zu „einer klaren Beschneidung des Kreativen“ (Kotthoff), indem etwa der für Witze zentrale Aspekt des Überraschungseffekts bei der Pointenanalyse kaum eine Rolle spielt.48 Weitere Kritikpunkte betreffen den Skriptbegriff, die Konsistenz von Oppositionsverhältnissen, die Tauglichkeit abstrakter Witzmodelle49 und – für unsere Fragestellung bedeutsam – die Übertragbarkeit der Modelle auf frühere historische Epochen und Texte.50 Allerdings sind die Ergebnisse zur Funktionsweise von Witzen und Sprachkomik aus linguistischer Sicht durchaus beachtlich, nur können sie keinen Anspruch auf Komik und Lachen insgesamt erheben.

Durch die Etablierung eines interdisziplinären Forschungsfeldes „Humor“ hat der Begriff selbst eine ungeheure Ausdehnung erfahren, der seine ursprüngliche, aus der Säftelehre entstandene Bedeutung einer erbaulichen, subjektiven Fähigkeit der scherzhaften Kommunikation weit überschritten hat.51 Die Humor Studies folgen einem problematischen Humorbegriff, der als gemeinsamer Nenner Lachen, Komik, Witz und Humor in einer Art anthropologischer Superstruktur („humor as a cultural universal“) zusammenfasst, wo jeweils nach Blickwinkel der Untersuchung sprachlich-semantische, psychologische oder kognitionstheoretische Prämissen vorherrschen.52 Oder es kommt zu Hybridisierungen, wie in einer interaktionstheoretischen Studie zum Lachen: „Humor may be better understood as a complex response to stimuli – internal and external – combining elements of superiority, incongruity, or release.“53

Es ist kaum zu übersehen, dass solche unscharfen methodischen Konzeptualisierungen für die Fragestellung dieser Arbeit kaum zweckdienlich sind. Ein semantisch-sprachlicher Humorbegriff ist eventuell für frühneuzeitliche Formen des Witzes, für Facetien zumal fruchtbar zu machen, wie dies Johannes Kipf angedeutet hat.54 Die Tatsache jedoch, dass es sich hier um immer neue Varianten der Kontrast- und Inkongruitätstheorie der Komik handelt, dass weiterhin kaum zwischen Komik und Lachen getrennt wird, und dass es hier nicht oder nur äußerst marginal um den Körper geht, machen solche Ansätze kaum brauchbar für eine historische Anthropologie der Körperkomik.

Dasselbe gilt für Versuche, die Searlesche Sprachakttheorie für sprachliche Komik zu nutzen. So versuchen Simon Critchley und Uwe Wirth jeweils eine performative Theorie des Humors vorzulegen: Während Critchley den Humor als aufgeführte Praxis sieht, die zum Lachen bringt,55 versucht Wirth durch die Verbindung von sprechakttheoretischen Überlegungen und der Freudschen Theorie der Aufwanddifferenz die Skizze einer Pointentheorie zu entwerfen: „Komik entsteht, sobald sich konventionale Unglücksfälle und performative Aufwandsdifferenz überlappen.“56 Wirth erkennt in der Mehrdeutigkeit der tonalen Aspekte von Wort-Token (Pierce) und der Überlappung von propositionaler und pragmatischer Ebene („performativer Widerspruch“) die Möglichkeit des komischen Rahmenbruchs, und bezieht somit die tonalen und phatischen Elemente der sprachlichen Ambivalenz mit ein. Auch wenn dies in die Richtung einer Einbeziehung des Körpers in Scherzverhältnisse geht, so verharrt die Theorie doch im sprachlich-semantischen Feld, ähnelt somit den bisherigen Konvergenztheorien und ist selbstverständlich ontologisch: Für Wirth funktioniert das Komische so und nicht anders.57

Freilich sind die Humorstudien nicht nur auf skriptsemantische Analysen beschränkt. Für Arbeiten, die Witze und Scherzen in mündlicher Kommunikation untersuchen, sind das Lachen und seine sozialen Funktionen im Gespräch die wichtigsten Untersuchungsgegenstände. Chapman und Foot konnten zeigen, dass Lachen durch das Lachen anderer deutlich verstärkt wird und dass Lachanlässe effektiver wirken, wenn mehrere Personen anwesend sind; dagegen kann eine nicht lachende Person im Raum dazu beitragen, dass Lachen unterdrückt wird.58 Sie schließen damit an ethologische Ergebnisse zum Sozialverhalten des Lachens an und bestätigen die Bedeutung von gruppendynamischer Präsenz bei Lachvorgängen, ein Aspekt, auf den ich später noch zurückkommen werde.

In Deutschland hat vor allem Helga Kotthoff in ihren Arbeiten zur Scherzkommunikation verschiedene sprachliche Formate des ‚Humors‘ untersucht. Ihr geht es um die gruppendynamischen Effekte von scherzhafter Rede: „Formate wie Frotzeln und Necken, sich Mokieren, spaßiges Lästern und Spotten, witzige Bemerkungen, Situationsparodien oder witzige Fiktionalisierungen sind dialogisch.“59 Kotthoffs Material sind Tonbandmitschnitte von Gesprächen, anhand derer sie unter Anwendung der Griceschen Konversationsmaximen plausibel macht, dass das Gelingen konversationeller Komik hochgradig von geteilten Wissensbeständen und Intimität abhängig ist und dass soziale Typisierungen und die Kommunikation von Wertungen eine große Rolle in der Scherzkommunikation spielen. Lachen sei auf Grund seiner Multifunktionalität jedoch kein verlässlicher Gradmesser für Komik.60 Die Ergebnisse der Gesprächsforschung sind zwar wenig kompatibel mit der historische Körperforschung, zeigen aber nicht nur, dass das Lachen in komplexe verbale und nonverbale Interaktionsprozesse eingebunden ist, sondern auch, dass in der scherzhaften Kommunikation über ironische und parodistische Sprechweisen lächerliche Karikaturen verbal und imaginativ aufgeladen werden.

Die linguistische Gesprächsforschung zeigt, dass es außerordentlich schwierig ist, Sprachkomik innerhalb struktureller semantischer Modelle zu bestimmen. Das Lachen innerhalb der konversationellen Interaktion entzieht sich einer semiotischen Bestimmung weitgehend, denn die Phoneme des Lachens kann man eben nicht als bedeutungsdifferenzierende Elemente definieren, sie bleiben hoch ambivalent und unbestimmt. Betrachtet man das Lachen unter dem Signans-Aspekt, so besitzt es eine komplexe Struktur: Es hat nicht nur akustische Qualität, sondern manifestiert sich als ein Zusammenspiel von sprachlichen und parasprachlichen Zeichen, wobei vor allem dem Gesichtsausdruck eine besondere Bedeutung zukommt.61 Fietz machte schon vor längerer Zeit auf die Schwierigkeit aufmerksam, das Zusammenspiel von akustischen und körpersprachlichen Elementen des Lachens im Rahmen eines verifizierbaren kommunikativen Codes in den Blick zu nehmen.

Dies gilt auch für das Lachen in schriftlichen Texten, auch wenn die semantische Bandbreite des Wortfeldes Lachen den Eindruck vermittelt, es folge festgelegten Konventionen: „So lassen sich zwar die sprachlichen Bezeichnungen für ‚lachen‘ phonologisch und semantisch analysieren als referentielles Sprechen über das Lachen, aber diese Analyse leistet nur mittelbar etwas zur Decodierung des Lachens als symptomatisches Zeichen.“62 In diesem Sinne hatten sowohl Bühler als auch Jakobson das Lachen als emotives Zeichen verstanden, das auf die Innerlichkeit des Lachenden hinweist. Damit ist jedoch über seine wichtige Funktion im Kommunikationsprozess noch nicht genügend gesagt:

Als Zeichen verstanden, verweist das Lachen nicht nur zurück auf eine Emotion oder Haltung des Lachenden, sondern spielt eine eminente Rolle im Kommunikationsprozess zwischen Individuen im Sinne eines Zeichens, das zwischenmenschliche Beziehungen anbahnen, stiften, aber auch stören oder (…) unterbrechen kann.63

Diese Rolle von Lachen (und Komik) im Kommunikationsprozess umfasst somit die gesamte sprachlich vermittelte Interaktion der Beteiligten, und nicht nur dies:

Eine semiotische Signifikat-Analyse des Lachens muss also notwendigerweise neben den innersubjektiven Emotionen die sie stimulierenden extrasubjektiven Ridicula umfassen, die historisch jeweilig sind und die allein über die kulturellen, gesellschaftlichen und moralischen Konventionen erschließbar werden, aufgrund derer Lachen erlaubt, diszipliniert oder gar verboten ist.64

Eine genaue semiotische Analyse von Lachvorgängen und den sie auslösenden Lachanlässen in Texten kann daher Aufschluss über die komplexe Zeichenbedeutung des Zusammenspiels von Sprache und Körper beim Lachen geben. Das semiotische Modell ist somit als Untersuchungsinstrument wichtig wie gleichzeitig unzureichend; mit ihm lassen sich Lachvorgänge und ihre Anlässe im Rahmen einer Kommunikationssituation als sprachlich-körperliche Zeichenprozesse beschreiben, jedoch werden durch die Polyvalenz der Lachsignale bestimmte Analyse-Axiome dieser Situation (wie das Sender-Empfänger-Schema oder der Decodierungsprozess) mehr oder weniger deutlich gestört und sind somit keine zuverlässigen Instrumente mehr.

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