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Plessner

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Von den Lachtheorien ist Hellmuth Plessners 1941 entstandener Essay Lachen und Weinen diejenige, die dem Körper den breitesten Raum widmet. Aus diesem Grunde ist sie für meine Überlegungen von überragender Bedeutung und verdanken dem Essay viel. Plessners Theorie unterscheidet sich fundamental von den vorangegangenen theoretischen Entwürfen zum Lachen, weil seine anthropologische Perspektive tatsächlich interdisziplinär angelegt ist. So nimmt er nicht nur ästhetische und philosophische Studien auf, sondern auch psychologische, entwicklungsbiologische und phänomenologische. Es gibt bis heute keinen weiter reichenden Versuch, das Lachen in seiner ganzen phänomenalen Breite zu untersuchen. Leider hat die relativ späte und wenig erfolgreiche englische Übersetzung nicht ausgereicht, um Plessner im angloamerikanischen Sprachraum und somit weltweit bekannter zu machen.86

Trotz seiner Wichtigkeit soll hier der Essay nicht referiert werden, sondern es sollen kurz diejenigen Aspekte herausgestellt werden, die für die vorliegende Studie von Bedeutung sind. Plessner sieht die Ursache des Lachens nicht allein in seinen Anlässen, sondern „ebenso sehr in dem Verhältnis des Menschen zu seinem Körper, das seine Existenz in der Welt nun einmal bestimmt.“87 Plessner sieht im Lachen eine Grenzerfahrung des Menschen, bei der der Lachende sich seinem Körper überlässt und somit auf die Einheit mit ihm, die Herrschaft über ihn verzichtet. Das unwillkürliche Ins-Lachen-Geraten sei ein „eigentümlich selbständiger Prozess, der (...) sich häufig der Dämpfung und Steuerung bis zur völligen Erschöpfung entzieht, ein Verlust der Beherrschung, ein Zerbrechen der Ausgewogenheit zwischen Mensch und physischer Existenz.“88 So verstanden erscheint Lachen als Kontrollverlust, bei dem gewissermaßen der Körper die Antwort für den außer sich geratenen Menschen übernimmt, „nicht mehr als Instrument von Handlung, Sprache, Geste, Gebärde, sondern als Körper.“89

Folgerichtig widerspricht Plessner der These, das Lachen habe symbolische Prägung; vielmehr trete es als „unbeherrschte und ungeformte Eruption(en) des gleichsam verselbständigten Körpers in Erscheinung.“90 Die auf der Unwillkürlichkeit des Lachens gründende Emanzipiertheit des Körpers bezeichnet Plessner als Exzentrik. Im Gegensatz zum Sprechen und zum Handeln als kontrollierte Akte verliere die Person beim Lachen ihre Beherrschung, sie antworte damit auf eine eigentlich unbeantwortbare, doch nie bedrohliche Situation.91 Die exzentrische Position des Menschen im Lachen charakterisiert Plessner mit dem Spannungsverhältnis zweier Körperordnungen, dem „Leib sein“ und dem „Körper haben“, zwischen denen kontinuierlich vermittelt werden muss.92 Mit der berühmt gewordenen Unterscheidung gelingt es Plessner, phänomenologische Modelle der Zwischenleiblichkeit (Merleau-Ponty, Waldenfels) anschließbar zu machen, ein wichtiger Aspekt für die Tragweite seiner Theorie.

Plessners Studie enthält vier zentrale Thesen, die für die Untersuchung des Körpers als Lachanlass grundlegend sind:

(1) Der Mensch lacht nicht in erster Linie, weil er Personen, Dinge, Handlungen und Sätze lächerlich findet,93 sondern weil ihm die Herrschaft über den Körper verloren geht, weil das Verhältnis zu seinem Körper nicht eindeutig und ungebrochen ist.

Den Gedanken des Verlusts der Körperbeherrschung beim Lachen lässt Plessner bei der Untersuchung der Lachanlässe jedoch fallen. Wenn zahlreiche Lachanlässe direkt oder indirekt körperlicher Natur sind (wie Bergson feststellte), liegt es nahe, auch bei ihnen eine Entsprechung des Kontrollverlusts zu indizieren. Aus dieser Perspektive wäre die Desorganisation des eigenen Körpers im Lachen die Reaktion auf den wahrgenommenen Kontrollverlust des anderen Körpers durch fremde Ursachen. Körperliche Lachanlässe gleichen dem Lachen sehr: Ihr Außer-Sich-Geraten ohne Gefährdung, ein Schütteln und eine Deformation, ein Verlust bzw. Verzicht der Herrschaft über den Körper. Das Modell der Desorganisation lässt sich gar auf die Sprache übertragen: Stottern, Stammeln, Wort- und Satzverdrehungen produzieren, Versprecher usw. sind sprachliche Formen des Kontrollverlustes. Zwischen Lachanlässen und dem Lachen als Überforderungen des Körpers bzw. Scheitern der Körperhaltung scheinen somit engere Zusammenhänge als bisher angenommen zu bestehen. Gerade dies erscheint für professionelle Lustigmacher ein fruchtbares Feld zu sein, denn sie nutzen diese körperlichen Formen des Kontrollverlustes in der Imitation, um absichtlich Lachen zu erregen.

(2) Plessner zählt das Lachen weder zu den Gesten noch zu den Emotionen, sondern bezeichnet es als kommunikative Ausdrucksbewegung.94 Dem Lachen eigne ein rein expressiv-reaktiver Charakter, der auf das Verhältnis des Menschen zu seinem Körper hindeutet: „Expressivität ist eine ursprüngliche Weise, damit fertig zu werden, daß man einen Leib bewohnt und zugleich ein Leib ist.“95 Insofern steht das Lachen zwar in der Nähe der emotionalen Ausdrucksbewegungen, ist von ihnen aber auch in charakteristischer Weise getrennt:

Während Zorn oder Freude, Liebe und Haß, Mitleid und Neid usw. am Körper eine symbolische Ausprägung gewinnen, welche den Affekt in der Ausdrucksbewegung erscheinen läßt, bleibt die Äußerungsform des Lachens und Weinens undurchsichtig und bei aller Modulationsfähigkeit weitgehend in ihrem Ablauf festgelegt.96

Die These, dass das Lachen symbolisch ungeprägt ist, bedeutet einen wichtigen Schritt zu einem performativen Verständnis des Lachens: Lachen vollzieht sich, ohne gleich Zeichen oder Geste zu sein, ohne für etwas anderes zu stehen. Dagegen sind Gesten und Emotionen codierbar, lassen sich eindeutig signifizieren, unterliegen der Steuerung und der Kontrolle. Während die Codierung und Disziplinierung von Gesten und von Emotionalität schon im Mittelalter deutlich erkennbar ist,97 entzieht sich das Lachen jedoch solchen Prozessen der Steuerung aus den genannten Gründen. Allerdings kann Lachen als körperliche Ausdrucksreaktion vom Menschen simuliert und in Abwesenheit seiner üblichen Ursachen hervorgebracht und gezeigt werden. Es handelt sich dabei um eine „Inszenierung körperlicher Artikulationen und damit um die Transformation einer Körperreaktion in ein körpersprachliches Zeichen.“98 Hat die Körperreaktion einmal den Status eines Zeichens erhalten, dann unterliegt sie als simulierte physiologische Körperreaktion allen Verfahren der sozialen Kodifizierung. So können körpersprachliche Äußerungen in der Literatur durchaus kulturellen Ursprung haben und müssen mit dem Lachen als Ausdrucksbewegung nicht unbedingt korrelieren. Hier gilt es genau zwischen alltäglicher Praxis und ihrer Diskursivierung in den literarischen Repräsentationssystemen zu unterscheiden.

In diesem Zusammenhang kommt noch ein weiterer Aspekt zum Vorschein, den Plessner nicht berührt: Lachen ist trotzdem häufig mit der Äußerung anderer Emotionen verbunden (Freude, Jubel, Hass, Neid, Liebe usw.) und hat dann jeweils unterschiedliche Funktionen. Da sich diese Emotionen ebenfalls körperlich zeigen, ist der Zusammenhang mit den Emotionen, den Plessner angerissen hat, weiterzuverfolgen.

(3) Als echte Ausdrucksgebärde ist das Lachen ansteckend; es zieht uns in seiner Unmittelbarkeit, seiner Unwillkürlichkeit in Bann:

Wir können echtem Lachen und Weinen gegenüber nur mit Überwindung unbeteiligte Zuschauer bleiben. Stärker als jedes andere mimische Ausdrucksbild ergreifen uns Lachen und Weinen der Mitmenschen und machen uns zu Partnern ihrer Erregung, ohne dass wir wissen, warum.99

Es ist der akustische Eindruck, dem sich der Körper nicht entziehen kann, sodass er ebenso ins Lachen fallen muss, an der Erregung teilhaben muss. Die ansteckende Wirkung des Lachens beschreibt Plessner ebenso körperlich; sie ist eine der stärksten Argumente für eine Kommunikation der Körper beim Lachen. Leider geht Plessner über die Konstatierung dieses wichtigen Sachverhaltes nicht hinaus, sodass er uns später noch weiter beschäftigen wird.

(4) Normbruch, komischer Konflikt und situative Überforderung. Plessner bestimmt das Verhältnis zwischen Lachen und Komik situativ; es gibt keine generischen komischen Lachanlässe, sondern der Mensch lacht, wenn er mit einer Situation nicht fertig wird:

Im Lachen quittiert der Mensch eine Situation. Er beantwortet sie mit ihm direkt und unpersönlich. Er gerät in einen anonymen Automatismus. Er selbst lacht eigentlich nicht, es lacht in ihm, und er ist gewissermaßen nur Schauplatz und Gefäß für diesen Vorgang.100

Hier ist das Komische eine Qualität seiner Erscheinung, es entsteht sozusagen aus der Situation heraus. Es ist keine Frage, dass nicht jede Situation, die den Menschen überfordert, zum Lachen oder Weinen führt. Entscheidend für das Lachen ist der „komische Konflikt“, der überall dort entstehen kann, „wo eine Norm durch die Erscheinung, die ihr gleichwohl offensichtlich gehorcht verletzt wird.“101 Das Lachen sei nicht, wie Bergson vermutet hatte, eine Strafe für soziale Devianz, sondern „eine elementare Reaktion gegen das Bedrängende des komischen Konflikts.“102

Weil Normverletzungen, so Plessner, sich im Laufe der Geschichte mit den Normen wandeln, so wechselt auch das, was eine Gesellschaft komisch findet. Während Lachen von Plessner als anthropologisch universal gedacht wird, ist Komik historisch und kulturell variabel. Allerdings versäumt er es zu sagen, warum die Verletzung einer Norm komisch sei. Die Formulierung des Verletzens bei gleichzeitiger Zugehörigkeit erklärt hier nichts, die Wirkung der Gegensinnigkeit wird nicht erläutert. Nur an einer Stelle, wenn er über die Komik von Tieren spricht, unterscheidet Plessner zwischen der tierischen Erscheinung und „einer Idee oder Norm, die wir in unserer Einbildungskraft (aus Gründen der Gewohnheit und ästhetischer Vorurteile) an die Erscheinung herantragen.“103 Der Aspekt der subjektiven Wahrnehmung von Komik und ihren Funktionsweisen, auf welchen sowohl semantische Inkongruenztheorien wie auch psychologische Theorien so viel Wert legen, wird nicht weiter behandelt. Plessner wagt sich an eine Differenzierung zwischen kognitiver Verarbeitung und körperlicher Übertragung bei der Komik nicht heran. Richtig bleibt jedoch, dass der Mensch als komisch wahrgenommenen Situationen gegenüber nicht unbeteiligt bleiben kann: Sie bedrängen, überfordern ihn, versetzen ihn in eine Grenzlage und machen ihn unfähig zur Antwort. Ausgehend von dem, was Plessner erreicht hat, kann die Frage der Wahrnehmung von körperlicher Komik angegangen werden, nicht mehr und nicht weniger. Selbstverständlich ist Plessners Theorie auch nicht frei von Fehlern und Unstimmigkeiten, die hier nicht einzeln aufgezählt werden müssen.104 Trotzdem kann sie für sich das Verdienst reklamieren, in der Untersuchung der Relation von Lachen und Körper am weitesten vorgedrungen zu sein und wichtige Ergebnisse geliefert zu haben. In den Analyseteilen werde ich an verschiedenen Stellen Plessners und Freuds Thesen aufgreifen und mit ihnen arbeiten.

Plessners Studien verdeutlichen noch einmal die Schwierigkeiten, das Lachen in einem übergreifenden und alle Aspekte einschließenden Ansatz zu erfassen. Deshalb ist es auch nicht der Anspruch und das Ziel dieser Arbeit, eine neue körperzentrierte Lachtheorie zu formulieren; vielmehr ist es nur möglich, die Bedingungen und Voraussetzungen zu beschreiben, die die tragende Rolle des Körpers im komischen Vorgang betonen. Was keine der bislang diskutierten Theorien tatsächlich erörtert, ist die Tatsache, dass der Körper als Lachanlass immer auch ein theatraler und ereignishafter Körper ist. Er wird im Moment seiner Lächerlichkeit (also im Moment des Lachens der Anderen) zum theatralen Ereignis, zur Aufführung. Und das aus mehreren Gründen: erstens durch die Anwesenheit der Lachenden, denn sie sind Zuschauer und Zuhörer, zweitens durch die Emergenz des Lachens selbst, die – wie bei der Aufführung eines Musikstücks – unmittelbaren Einfluss auf die Performance hat und sie verändern kann, und drittens durch die Tatsache, dass ein lächerliches Ereignis sofort versprachlicht und weitererzählt wird. Beim Weitererzählen wird vielfach vom Erzähler gelacht, da er den komischen Vorgang beim Erzählen ins Gedächtnis zurückruft und nochmals lebhaft vorstellt. Diese Mediatisierung erster Ordnung könnte bereits bedeuten, dass der lächerliche Körper semiotisiert worden ist, d.h. ein Gegenstand der kulturellen Codierung geworden ist. Auf diese Fragen werde ich im Folgenden näher eingehen. Zuvor muss aber noch eine wichtige Unterscheidung, nämlich die zwischen Lachen und Komik, wie bei Plessner eben angedeutet, behandelt werden.

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