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Bergson

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Einer der wichtigsten theoretischen Texte zum Lachen, die den Körper maßgeblich behandeln, ist Henri Bergsons Essay Le rire von 1900 (auch wenn Bergson das Lachen aus der Perspektive des Komischen untersucht, s.u.). Bergson definiert: „Stellungen, Gebärden und Bewegungen des menschlichen Körpers sind in dem Maße komisch, als uns dieser Körper dabei an einen bloßen Mechanismus erinnert.“65 Die folgende berühmte Definition des Komischen als eines „méchanisme plaqué sur le vivant“ stützt sich in ihren Exempeln vor allem auf die komische Bildersprache des Körpers: Als Urszene des Lachens dient Bergson der Stolpernde, Stürzende. Lächerlich an ihm ist die mechanische Steifheit, eine Trägheit, wo wir Geschmeidigkeit und vitale Spannung fordern. Für Bergson liegt der das Lachen erregende Moment in einer Art Erstarrung, einem Automatismus.66

Diese bis heute einsichtigen und erfolgreichen Formulierungen beziehen ihre Schlagkraft aus ihrer eigentümlichen Mischung von Metaphern, die gleichermaßen anthropologische, physikalische und ästhetische Wertigkeit besitzen, und jeweils auf Körperliches bezogen sind (Steifheit/Elastizität, Mechanisches/Lebendiges, Spannung/Starrheit, Trägheit/Rührigkeit, Automatismus/Flexibilität). Ein großer Vorteil dieser Mischung ist es, dass sie sowohl für den Körper, als auch für den Geist und das soziale Leben verwendet werden kann. So werden die Dummheit oder die Zerstreuung als mangelnde mentale bzw. interaktive Geschmeidigkeit, übertriebener Individualismus in der Gruppe als Automatismus interpretiert.67 Das Lachen ist dann jeweils die soziale Geste, mit der die individuelle Unvollkommenheit oder Abweichung korrigiert wird.

Dabei ist der menschliche Körper bei Bergson Ausgangspunkt und gewissermaßen Urstoff des Lachens. Deutlich wird dies an einer psychologischen Bedingung für das Lachen, die Bergson erwähnt: der abrupte Wechsel der Aufmerksamkeit, der an den komischen Rahmenbruch der semantischen Lachtheorien erinnert. Die Aufmerksamkeit wird dabei plötzlich vom Seelischen auf das Körperliche verlagert. „Wir lachen somit über einen Menschen, den sein Körper belästigt“, so Bergson. Er und die Sorge um ihn stören das Ernsthafte und Tragische und können es zu Fall bringen. „Deshalb trinken und essen die Helden der Tragödie nicht. Ja, wenn möglich, setzen sie sich auch nicht. Sich mitten in einer pathetischen Rede setzen, hieße sich daran erinnern, dass man einen Körper hat.“68

So verbirgt sich der Körper für Bergson auch hinter Handlungs- und Sprachkomik, er ist ein ständiger Gefahrenherd für ernsthafte Rede, für zeremonielles und rituelles Handeln. Doch ist es nicht das Hässliche des Körpers, wie in den antiken Theorien, woraus sich das Komische speist, sondern seine Disproportionen und Deformationen, die auf Steifheit und Automatismus hindeuten, d.h. auf die unwillkürlich scheinende Ausführung von Bewegungen, die von der Norm der Lebendigkeit abweichen.69

Bergson fragt dann, warum gewisse Missbildungen (etwa der Buckel) lächerlich sind und andere nicht und gibt folgende Antwort: „Jede Abnormität kann komisch werden, die von einem Menschen mit normalen Gliedern allenfalls nachgeahmt werden könnte.“70 Dies ist ein entscheidender Punkt von Bergsons Theorie, denn nicht der körperliche Makel selbst ist es, der das Lachen erzwingt, sondern die in ihm liegende Möglichkeit zur Nachahmung, d.h. die Fähigkeit, menschliche Bewegungen und Formen aufzuführen, wird zur Bedingung für das Lachen über Abnormitäten. Bergson nennt das, in Bezug auf die Nachahmung und die Vorstellung des Buckligen, „mit dem Körper Grimassen schneiden“. Entscheidend ist also in der Wahrnehmung des Buckligen die Vorstellung von seiner Imitation.71 Dieser Aspekt erscheint sehr wichtig für ein performatives Verständnis von körperbestimmten Lachvorgängen, wie ich es weiter unten genauer entwickeln werde.

Ansonsten erscheint Bergsons Theorie in vielen Aspekten zwar interessant, doch insgesamt definitorisch zu eng und begrifflich zu unscharf. Das Mechanische, was sich über Lebendiges legt, als archetypische Funktion des Komischen anzusehen, ist, wie alle Ontologien des Komischen, schlichtweg zu generalisierend.72 Aber es funktioniert schon deshalb nicht, da auch Unbelebtes, was belebt wird, komisch wirken kann: zum Beispiel sich verselbständigende Körperteile, die sprechen und tanzen, oder Gegenstände, die beginnen, menschliche Bewegungen und Handlungen auszuführen.73 Dazu kommen deutliche kultur- und gegenwartsbezogene Momente, wenn als Modell für seine Theorie ein anthropomorphisiertes Marionettentheater erscheint, ein literarisches Motiv aus der Literatur der Romantik; auch der um 1900 aufkommende komische Stummfilm mit seinen schnellen, stakkatoförmigen Bewegungen hat vermutlich als Muster gedient.74

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