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Fragestellung und Gegenstand

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Diese Studie hat die Komik des menschlichen Körpers als Lachanlass in Spätmittelalter und Früher Neuzeit zum Gegenstand. Sie geht davon aus, dass der Körper zwischen 1300 und 1550 zu den wichtigsten und am häufigsten verbreiteten Ursachen für Gelächter gehörte, bisher aber nur in Ansätzen und nicht übergreifend untersucht worden ist. In den historischen Wissenschaften wurde, vereinfacht gesagt, diese Art von Komik bislang als Situations- oder Bewegungskomik, als „niedere“ (skatologisch-obszöne) bzw. pauschal als schwankhafte Komik, oder als Ausdruck einer vitalistisch-karnevalistischen Weltsicht abgehandelt. Mit Ausnahme der Arbeiten von Michail Bachtin (und einigen seiner Nachfolger) spielt der Körper hierbei immer nur eine marginale Rolle; er wird von den jeweiligen theoretisch-methodischen Ansätzen zur Funktionsweise der Komik vereinnahmt und in seiner Wirkungsweise verdeckt. Dass der Körper in den letzten beiden Jahrzehnten im Zentrum der historisch-anthropologischen Forschung stand (was angesichts einer jahrzehntelangen lacune nur folgerichtig erscheint), hat bislang jedoch kaum zu einer vertieften Beschäftigung mit seiner Rolle für Lachen und Komik in den Kultur- und Literaturwissenschaften geführt.

In einer Epoche, in der sich nicht nur der technische Übergang von der Manuskript- zur Druckkultur, sondern auch der mediale Wandel von einer maßgeblich performativen zu einer maßgeblich textgestützten Kultur vollzieht, ist der menschliche Körper als Lachanlass Dreh- und Angelpunkt komischer Aufführungen. Nicht nur in Fastnachts- und Neidhartspielen, sondern auch an den Rändern des geistlichen Spiels sowie in zahllosen Zwischenspielen, Solo- und Gruppenauftritten, vor allem aber in den omnipräsenten, doch denkbar schlecht belegten Aufführungen der Spielleute und Gaukler erscheint der Körper noch vor der Sprache als Zentrum der Komik und als Auslöser des Lachens. Doch war es fast ausschließlich die Sprachkomik, die von der Forschung bisher untersucht wurde, während der Körper hinter der Schrift und den Texten verschwand; dennoch spielte er für die Entwicklung einer textuellen „Lachkultur“, die in der monastischen Exempelliteratur, in epischen Randerscheinungen und höfischen Kurzerzählungen ihren Anfang nahm, eine entscheidende Rolle.

Die Arbeit stellt sich drei miteinander zusammenhängende Aufgaben: Erstens, den menschlichen Körper als komischen Lachanlass in rituellen und theatralen Praktiken sowie in literarischen Texten zunächst einmal nachzuweisen; zweitens, die Funktionsweise seiner spezifischen Komik systematisch und typologisch zu beschreiben; und drittens zu fragen, ob und inwiefern diese Komik als charakteristisch für die Kultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit bezeichnet werden kann. Diese Aufgaben bedürfen ausführlicher theoretisch-methodischer Begründung und den Nachweis am literarischen und historischen Textmaterial. Sie sind mit einer Reihe von Problemen verbunden, deren Diskussion dieser Untersuchung als roter Faden dient:

(1) Zunächst müssen die Begriffe Lachen und Komik (die bis heute in der Forschung immer wieder gleichgesetzt werden) in ihrer Funktion bestimmt und voneinander geschieden, sowie auf die historischen Gegebenheiten hin definiert werden.

(2) Ferner muss anhand von Lach- und Wahrnehmungstheorien geklärt werden, unter welchen Bedingungen und auf welche Weise Körper Lachen auslösen können und welche physiologischen und psychologischen Prozesse dabei wirksam werden.

(3) Drittens sind die Körpertechniken (Gesten, Stimme, Motorik) der professionellen Unterhalter des Mittelalters, sowie Spieltechniken in Spätmittelalter und Früher Neuzeit zu untersuchen, da sie als kulturelles Substrat für literarische Inszenierungen von komischen Körpern von historischer Relevanz sind.

(4) Dies sind unabdingbare Vorarbeiten zum wichtigsten Fragekomplex der Untersuchung: wie lassen sich körperliche Lachanlässe in theatralen Aufführungen und narrativen Texten des Untersuchungszeitraums nachweisen und welche Bedeutung haben sie für diese Aufführungen und Texte? Und weiter: Wie gelingt es dem Text, komische Körper zu inszenieren, und welche performativen Strategien liegen dieser Inszenierung zugrunde? Das Hauptaugenmerk wird hier weniger auf deren Möglichkeiten zur Semantisierung und Symbolisierung, als mehr auf Apperzeption, Effekten der Präsenz und emotionaler Affizierung durch Bewegung und Gestik liegen.

Scurrilitas

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