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1.1. Lachtheorien ohne Körper?

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Das Lachen ist ein Phänomen körperlicher Eigenaktivität. Es gehört zu den unwillkürlichen körperlichen Vorgängen, die weder steuerbar noch völlig kontrollierbar sind, die, einmal in Gang gesetzt, eine der rationalen Kontrolle enteignete Dynamik entfalten, die bis zum Verlust der Selbstbeherrschung reicht: „Körperliche Vorgänge emanzipieren sich. Der Mensch wird von ihnen geschüttelt, gestoßen, außer Atem gebracht. Er hat das Verhältnis zu seiner physischen Existenz verloren, sie entzieht sich ihm und macht gewissermaßen mit ihm, was sie will“.1 So formuliert Plessner anthropologisch als „körperliches Geschütteltwerden“ einen Sachverhalt, der sich physiologisch wie folgt beschreiben ließe: klonische Spasmen des Zwerchfells, Unterbrechung des Atems bis zur Atemnot – beides unterscheidet das Lachen vom Lächeln – Weitung der Arterien durch den Anstieg der Atemfrequenz und erhöhte Sauerstoffzufuhr, Kontraktionen der Gesichts- und Halsmuskulatur, Erröten des Gesichts, Anheben der Lider und Brauen, Runzeln der Haut an den äußeren Augenwinkeln, Heraustreten der Augen und Tränenfluss, erweiterte Nüstern und geblähte Wangen, Zurückwerfen des Kopfes und Biegen des Oberkörpers.2 Gesten der Selbstberührung versuchen die der Kontrolle entzogenen Vorgänge einzudämmen: man hält sich den Bauch, schlägt sich auf die Schenkel, krümmt den Oberkörper nach vorn oder hinten. Das Lachen als Grenzreaktion des Körpers hält auch die Sprache fest: sich vor Lachen biegen, krümmen, wälzen, schütteln, platzen, zerbersten, zusammenbrechen, sich krank- oder totlachen usw.3

Dabei macht sich der Körper visuell und akustisch für andere bemerkbar: Das Lachen kommt aus seinem Inneren, es kann als eine Art energetische Ausschüttung bezeichnet werden, als ein Prozess, in dem etwas von innen nach außen gelangt. Dieses ‚etwas‘ besteht jedoch nicht aus materiellen Körperflüssigkeiten wie etwa beim Niesen, sondern aus einem teils lautstarken rhythmischen Herauspressen von Luft, bei dem sich Energie von innen nach außen entlädt. Dieser energetische Prozess kann mit Lustempfinden einhergehen, in das sich bei anhaltendem starkem Lachen auch Schmerzen mischen können. Daher ist das Lachen auch anderen „Ausschüttungen“ des Körpers vergleichbar, die Lustempfinden bewirken, wie das sich Entledigen von verbrauchten Substanzen, von Körperflüssigkeiten wie beim Spucken oder beim sexuellen Höhepunkt.

Das Lachen und seine Wirkungen erfassen somit den gesamten Körper in unvermittelter und eruptiver Weise, das Lachen nimmt den Körper in Besitz, man könnte auch sagen, es widerfährt ihm.4 Daraus folgt, dass es weder als instrumentelles Selbstverhältnis angesehen werden kann, noch als Emotion im klassischen Sinne. Der Körper fungiert beim Lachen nicht als Ausdrucksmedium für Gefühle wie Liebe, Zorn oder Trauer, sondern er ist es selbst, der agiert: Es liegt ein Prozess körperlicher Verselbständigung vor, der sich von jenem der körperlichen Symbolisierung deutlich unterscheidet.5 Dieser autonomistische und emergente Charakter des Lachens verleiht ihm auch die charakteristische Gefühllosigkeit, welche häufig als Voraussetzung für seine Realisierung genannt wird (etwa der bekannte Bergsonsche Begriff der „Anästhesie des Herzens“).6

Daraus folgt auch, dass Lachen kein Ausdruck einer inneren (Gemüts-)Verfassung ist, wie der Ausdruck von Emotionen etwa beim trällernden Pfeifen, sondern dass es einen äußeren Anlass, einen Lachanlass benötigt; niemand kann sich selbst zum Lachen bringen. Es ist somit in einen kommunikativen Akt eingebunden, auf den es gerichtet ist und aus dem es seine Legitimität bezieht. Das Lachen öffnet den Körper zur Welt, es ist Teil eines sozialen Vorgangs, wie Freud sagt, ein kommunikatives Geschehen: „Volle Entfaltung des Lachens gedeiht nur in Gemeinschaft mit Mitlachenden“, formuliert Plessner.7

Lachen ist Teil einer Kommunikationssituation, Teil der Interaktion mit anderen. Dass der Körper im Zentrum dieses Geschehens steht, ist am deutlichsten an der Tatsache zu erkennen, dass Lachen ansteckend ist: Wenn wir über Körperliches lachen, dann kommunizieren unsere Körper physiologisch, sie nehmen sich wahr und ‚stecken sich an‘. Diese Ansteckung erfolgt unwillkürlich, sie wurde auch als „Kettenreaktion“ bezeichnet, die eine Gruppe erfasst.8 Schon allein der Blick auf das lächerliche Objekt (den Körper des Clowns etwa), verbindet uns mit diesem, denn der Blick fesselt und steigert die Aufmerksamkeit. Durch Blick und Gegenblick entsteht eine „interkorporelle“ (Merleau-Ponty) Verbindung, eine zwischenleibliche Kommunikation, die über die bloße sinnliche Wahrnehmung hinausgeht.

Wie aber ist diese körperliche Kommunikation, in die das Lachen eingebunden ist und in der es sich im gemeinsamen Gelächter fortpflanzt, zu denken und zu beschreiben? Welche körperlichen Lachanlässe können unterschieden werden, und wie werden sie nicht nur sinnlich, sondern auch körperlich wahrgenommen? Am Beispiel des Blickes etwa sind in der Psychologie und in der Medientheorie Modelle entwickelt worden, wie Hypothesen über die Bewegungen des Körpers der anderen im Raum über die visuelle Wahrnehmung entstehen, die dann Reaktionen auf den eigenen Körper zur Folge haben (Innervationstheorien). Dabei wurde aber meist die akustische Wahrnehmung vernachlässigt, die im Falle des Lachens von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Das Lachen sowie die lächerlichen Bewegungen und Laute, die mit ihm verbunden sind, werden körperlich übertragen und lösen ihrerseits Lachen aus. Wenn Lachen aus dieser Perspektive als eine mimetisch bestimmte körperliche Antwort auf lächerliche Situationen, die ihrerseits körperlich bestimmt sind, gesehen werden kann, dann ist in Zweifel zu ziehen, ob die kognitive Wahrnehmung bei Lachanlässen tatsächlich eine solch dominante Rolle spielt, wie von den Studien zur Semantik des Lachens behauptet wird. Es ist daher auch wenig überraschend, dass die bisherigen ‚klassischen‘ Lachtheorien weitestgehend ohne den Körper ausgekommen sind; wenn sie ihn behandeln, dann spielt er eine untergeordnete Rolle.9

Blickt man auf die Theorien der Antike, dann erkennt man hier bereits Fälle, in denen die Verdrängung der Körperlichkeit ein Phänomen der Rezeption ist. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist die skizzenhafte Andeutung einer Komödientheorie in der aristotelischen Poetik.10 Aristoteles sieht im Hässlichen den wichtigsten Anlass des Lachens (5.1449a), was uns schlagartig das Hinken des Hephaistos ins Gedächtnis zurückruft, dessen körperliche Missbildung bereits Homer als lächerlich darstellte. Doch Aristoteles sieht im Hässlichen weniger eine soziale und anthropologische, als vielmehr eine ästhetische Kategorie:

Die Komödie ist (…) Nachahmung von schlechteren Menschen, aber nicht im Anblick auf jede Art von Schlechtigkeit, sondern nur insoweit, als das Lächerliche am Häßlichen teilhat. Das Lächerliche ist nämlich ein mit Häßlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht, wie ja auch die lächerliche Maske häßlich und verzerrt ist, jedoch ohne den Ausdruck von Schmerz.11

Auch wenn immer wieder betont worden ist, dass hier mit Hässlichkeit auch moralische und charakterliche Fehler gemeint sind, die keinen Schaden verursachen,12 so ist doch am Beispiel der hässlichen und verzerrten Maske unschwer zu erkennen, dass Aristoteles das Lächerliche als Form innerhalb eines theatralen Als-ob-Rahmens denkt, in welchem die aufgeführte Lächerlichkeit keine Folgen hat. Fände das Lachen im sozialen Leben statt, wäre durchaus mit sozialen Veränderungen (Ehrverlust, Erniedrigung usw.) aufgrund des Verlachens von Hässlichkeit zu rechnen. Dies hatte Platon im Dialog Philebos deutlich gemacht, wo er das Lachen gerade wegen der negativen sozialen Implikationen (Freude am Verlachen bzw. an der eigenen Überlegenheit) ablehnt.13 Auf dem Theater jedoch, in der Komödie, kann das Hässliche, das keinen Schaden anrichtet, nur körperlich dargestellt werden: Die „lächerliche Maske“ ist verzerrt und hässlich, d.h. die Fratze, das deformierte Gesicht des Lachenden wirkt auch als mimetischer Lachanlass.14 Es geht Aristoteles um den Wahrnehmungs- und Bildeindruck des Lächerlichen, den er in der Maske und im lächerlichen Körper erkennt.

Sind bei Aristoteles theatrale Kategorien zu ästhetischen geworden, so wird das Lachen in Ciceros De oratore vor allem von rhetorischen Kategorien bestimmt. Seine Erörterungen, die ganz der Frage gewidmet sind, inwieweit der Redner das Lächerliche behandeln soll, haben folgerichtig die Rede und den Scherz in der Rede zum Thema; zwar werden wie in den Degradationsmodellen der Griechen auch körperliche Fehler und Gebrechen als Lachanlass genannt, doch geht es hier in der Hauptsache um die Lizenzen des Sprechens darüber bzw. die Grenzen der witzigen (verbalen) Verspottung. Die aristotelische Bestimmung des Lächerlichen als die Aufführung des Gemeinen und Hässlichen bezieht er auf den Witz und das Scherzen: „Einen recht hübschen Stoff zum Scherzen bieten auch Missgestalt und körperliche Gebrechen.“15 Es ist hier nicht der Körper selbst, der als Lachanlass fungiert, sondern er liefert lediglich den „Stoff“ für verbale, rhetorisch mehr oder weniger kunstvolle Scherzreden und witzige Aussprüche.

Ganz ähnlich liegen die Dinge bei der zweiten einflussreichen rhetorisch bestimmten Theorie des Lachens in der Antike, Quintilians Institutio oratoria. Im Anschluss an Cicero macht Quintilian deutlich, wie sehr seine Überlegungen auf das Erregen von Lachen durch den Redner bezogen sind. Er unterscheidet drei Weisen, um Lachen zu erregen: (1) das Verspotten anderer bzw. der Worte anderer, (2) die Selbstironie, (3) die Täuschung von Erwartungshaltungen.16 Körperliche Lachanlässe werden ganz ähnlich wie bei Cicero zwar genannt („Item ridicula aut facimus aut dicimus“) doch als unangemessen abgelehnt.17 Quintilian ist noch rigoroser in Bezug auf die Grenzen des Witzes und der Komik: Alles, was nur in die Nähe von Bühnenkomik oder gestischer Komik führt, soll vermieden werden:

Oratori minime convenit distortus vultus gestusque, quae in mimis rideri solent.

Dicacitas etiam scurrilis et scaenica huic personae alienissima est: obscenitas vero non a verbis tantum abesse debet, sed etiam a significatione. Nam si quando obici potest, non in ioco exprobranda est.18

Quintilian lehnt es aus leicht verständlichen Gründen ab, über obszöne und theatrale Komik zu handeln, weil diese in ihrer Körperlichkeit kein angemessenes Thema sei. Die Verzerrungen des Körpers und die dicacitas scurrilis werden dem Theater zugeschrieben und somit einem sozialen Ort, der außerhalb der Grenzen rhetorischer (und theoretischer) Zuständigkeit liegt und in der Folge nicht zu behandeln sei. In gewisser Weise übernehmen die meisten philosophischen Lachtheorien bis ins 20. Jahrhundert hinein Quintilians Auslassung des Körpers und konzentrieren sich auf die Sprache, den verbalen Scherz und Witz, oder auf das Lächerliche und Komische allgemein.

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