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Freud

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Sigmund Freud hat in seinem berühmten Buch über den Witz (Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, 1905) die psychologischen Ansätze weitergeführt und sie mit psychoanalytischen Erfahrungen sowie Ergebnissen seiner Traumdeutung verbunden.75 Stärker als auf das Lachen konzentriert sich Freud jedoch auf Witz und Komik. Dabei erkennt auch er im menschlichen Geist ein Depot psychischer Energie, mit einem entscheidenden Unterschied zu Spencer: Die Abfuhr seelischer Erregung resultiert nicht aus einem Surplus an Energie, sondern aus der plötzlichen Aufhebung einer Hemmung. Denn um Hemmungen aufrechtzuerhalten, ist ein großer Energieaufwand nötig, welcher plötzlich entlastet wird, wenn wir einen Witz hören. Komik und Witz eröffnen einen Lustgewinn, der aus dem ersparten Aufwand resultiert, unsere Lust und unsere Triebe zu unterdrücken. Freud geht davon aus, dass Triebunterdrückung und Körperdisziplinierung einen kontinuierlichen Aufwand an psychischer Energie erfordern, die wir im Moment des Lachens nicht mehr benötigen. Wir können diese Energie ablachen und uns für kurze Zeit vom Zwang erleichtern, die Unterdrückung ersparen (ersparter Hemmungsaufwand).76

Freilich ist für Freud die Rolle des Körpers bei Witz und Komik begrenzt; es geht ihm vor allem um die psychologischen Reaktionsmechanismen auf einen komischen Reiz und somit um kognitive und seelische Vorgänge.77 Doch im letzten Kapitel „Der Witz und die Arten des Komischen“ sind zwei Aspekte seiner Theorie zu finden, die für das Körperthema von nicht zu unterschätzender Relevanz sind: die Beschreibung der physiologischen Innervationsleistung bei der Aufwandersparnis und die ontogenetisch verstandene Thematik der Disziplinierung des Körpers, die bei Freud mit der Triebunterdrückung und der Lust zur Kindlichkeit einhergeht.

Entscheidendes Kriterium für eine vom Körper ausgehende Komik ist für Freud die Theorie der „Aufwanddifferenz“. Er rechnet sie dem Komischen zu, das er deutlich vom Witz unterscheidet.78 Sie ist der Versuch, den Lustgewinn aus der Wahrnehmung anderer Körper als lächerliche Körper mit Hilfe des Vergleichs zwischen wahrgenommenem Subjekt und Ich zu erklären. Beim Komischen, dem sich Freud nach eigenen Angaben nur mit Bangen annähert,79 unterscheidet er zunächst zwei Arten, die Bewegungskomik und die „geistige“ Komik. Uns interessiert vor allem seine Position zur ersteren, die er folgendermaßen einleitet:

Wir wählen die Komik der Bewegungen, weil wir uns erinnern, daß die primitivste Bühnendarstellung, die der Pantomime, sich dieses Mittels bedient, um uns lachen zu machen. Die Antwort, warum wir über die Bewegungen der Clowns lachen, würde lauten, weil sie uns übermäßig und unzweckmäßig erscheinen. Wir lachen über einen allzu großen Aufwand. (...) Auf welche Weise gelangen wir aber zum Lachen, wenn wir die Bewegungen eines anderen als übermäßig und unzweckmäßig erkannt haben? Auf dem Wege der Vergleichung, meine ich, zwischen der am anderen beobachteten Bewegung und jener, die ich selbst an ihrer Statt ausgeführt hätte.80

Die Lust an der Bewegungskomik geht demnach aus der Differenz zwischen wahrgenommener Bewegung und der als angemessen geltenden Vorstellung bei uns selbst, kurz, aus der Vergleichsdifferenz zweier Aufwandseinschätzungen hervor.81 An Freuds Argumentation ist bemerkenswert, dass hier eine physiologische Reaktion, das Lachen, sich aus dem Vergleich zwischen sinnlicher Wahrnehmung und einer kognitiven Operation ergibt, die er nicht klar festlegt: Erfolgt der Vergleich mit einer verinnerlichten leiblichen Norm oder mit der an Stelle des lächerlichen Körpers ausgeführten imaginierten Bewegung? Und mehr noch: Führen wir die Bewegung dann tatsächlich ansatzweise aus, als eine physiologische Reaktion, oder bleibt der Vergleich völlig auf der Vorstellungsebene?

Freud versucht, auf diese Fragen mit der physiologischen Theorie der Innervation zu antworten:

Hier weist uns die Physiologie den Weg, indem sie uns lehrt, daß auch während des Vorstellens Innervationen zu den Muskeln ablaufen, die freilich nur einem bescheidenen Aufwand entsprechen. Es liegt aber jetzt sehr nahe anzunehmen, daß dieser das Vorstellen begleitende Innervationsaufwand zur Darstellung des quantitativen Faktors der Vorstellung verwendet wird, daß er größer ist, wenn eine große Bewegung vorgestellt wird, als wenn es sich um eine kleine handelt. Die Vorstellung der größeren Bewegung wäre also hier wirklich die größere, d.h. von größerem Aufwand begleitete Vorstellung.82

Bei der Apperzeption einer fremden Bewegung wird somit ein gewisser Aufwand benötigt, um sie zu verstehen:

Ich (...) verhalte mich bei diesem Stück des seelischen Vorganges ganz so, als ob ich mich an die Stelle der beobachteten Person versetzte. Wahrscheinlich gleichzeitig fasse ich aber das Ziel dieser Bewegung ins Auge und kann durch frühere Erfahrung das Maß von Aufwand abschätzen, welches zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist. (...) Bei einer übermäßigen und unzweckmäßigen Bewegung des anderen wird mein Mehraufwand fürs Verständnis in statu nascendi, gleichsam in der Mobilmachung gehemmt, als überflüssig erklärt und ist für weitere Verwendung, eventuell für die Abfuhr durch Lachen frei.83

Nach Freud ist es also die Hemmung einer Einschätzung des Innervationsaufwands, die das Lachen auslöst, eine komplizierte wie interessante Theorie der konsensuellen Körperinnervation durch imaginierten Mitvollzug. Dennoch bleiben viele Fragen offen: Die gleichzeitige Erfassung des Zieles der fremden Bewegung bleibt ohne weitere Analyse eine Hypothese, das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele wird nicht in Einzelheiten erläutert. Ferner sind noch die Bedingungen für die Abfuhr des Überschusses unklar, und ebenso dunkel ist, was mit „früherer Erfahrung“ gemeint ist. Wenn die Erfahrung als Wert ins Spiel kommt, dann müsste auch eine durch sie gewonnene Norm existieren.84 Trotzdem liefert diese psychoanalytische Anwendung physiologischer Vorgänge ein methodisches Instrumentarium, um die Wirkung körperlicher Komik, zumindest im wahrnehmenden Subjekt, zu beschreiben.

Noch aus einem anderen Grund, der für das performative Verständnis von Lachvorgängen bedeutsam ist, ist Freuds Witztheorie interessant: Sie ist prozessual organisiert, indem sie anerkennt, dass Witze und Komik etwas tun (Witzarbeit) und nicht einfach etwas „sagen“, also etwas bedeuten. Sie verändern soziale Situationen, sie manipulieren, sie reorganisieren menschliche Beziehungen. Für Freud ist die Witzarbeit ein interaktiver sozialer Prozess, der nicht von den Bedürfnissen oder Intentionen irgendeiner Person gesteuert wird, sondern durch die Relationen aller Teilnehmer bzw. Gruppen des komischen Austauschs zueinander.85

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