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Der Krieg war allmählich gekommen. Die Vorausschauenden hatten genügend Zeit gehabt, sich vorzubereiten. Alle, die das Geld dazu besaßen, hatten sich Vorräte angelegt. Der Kaufmann machte unerhörte Geschäfte mit Konserven, und der Kohlenhändler füllte die Keller der Vorausschauenden. Die Bauern lieferten ganze Schweinehälften nach Kopenhagen, wo sie bald darauf in den Pökelfässern glukkerten.

Wie die klugen Jungfrauen im Gleichnis war auch Pastor Nørregaard-Olsen um Öl für die Lampe besorgt, und für einen Kopfarbeiter, der an langen Abenden Wörter zu anfeuernden Sätzen zusammenfügt, ist Kaffee der Brennstoff, der die Lampe des Geistes am Leuchten erhält. Ein ganzer Sack ungebrannter Kaffeebohnen stand in der Bodenkammer des Pfarrhauses, das würde wohl für einen Krieg ausreichen. Die altmodische Kaffeemühle kam wieder zu Ehren. „Gibt es etwas Gemütlicheres als das Mahlen der Kaffeemühle?“ sagte Pastor Nørregaard-Olsen. „Das klingt wie das Spinnrad zu Hause in Mutters Stube.“

Der Sommer war lang und warm gewesen. Aber nach Weihnachten kam der Frost; er brachte Kältegrade, die das Kreisblatt seit Menschengedenken nicht hatte melden können. In der Ziegelei mußte die Arbeit eingestellt, in den Mooren konnte der Torf nicht gestochen werden. Und schon vor dem Frost hatte es viele Arbeitslose gegeben.

Vor Rasmus Larsens Villa standen sie nun und warteten darauf, hereingelassen und kontrolliert zu werden. Schließlich konnte man nicht verlangen, daß diese Leute alle zugleich in Rasmus’ Stuben Platz fänden. Frau Larsens lakkierte Fußböden würden bald schlimm aussehen, wenn alle Arbeitslosen auf einmal hereintrampelten. Der Weg zu Rasmus Larsens Büro war mit leeren Säcken ausgelegt.

Dort saß er hinter seinem Schreibtisch mit Stempeln und Telefon und Tintenlöscher und Kartei. Er hatte es in der Welt zu etwas gebracht. Er war grau und füllig geworden. In alten Zeiten, da er als eifriger Sozialist den Säbel zerbrechen, die Krone stürzen und die Kirche entmachten wollte, hatte man ihn den Roten Ras genannt. Das war nun vergessen. Jetzt nannte man ihn nur Rasmus Vorsitzender, denn er war der Vorsitzende der Gewerkschaft und der Vorsitzende des örtlichen Straßenwesens. Vielleicht bekam er bald noch einige Vorsitzendenposten dazu. Die Hörervereinigung interessierte ihn seit langem und die Arbeiterkultur. Vor kurzem war er Mitglied eines Schmetterlingsvereins geworden, und nun interessierte er sich auch für Nachtschwärmer und Larven. „Ein gewaltiger Kaiser bist du geworden, Rasmus! Und paß bloß auf deine Fußböden auf!“

Die Leute froren in ihren Häusern. In der Stube der alten Emma bildete sich Eis auf der braunen Tapete. Emma saß da, hatte sich ihr gutes blaues Federbett um die Beine gelegt und hörte im Radio von Verkehrsschwierigkeiten. Manchmal las sie in ihrer Bibel, manchmal in der „Arbeiterzeitung“, die Martin Olsen ihr geliehen hatte. Aber mit dem Sehen haperte es etwas, und das Petroleum für die Lampe durfte man nur noch sparsam verbrauchen, da es inzwischen rationiert war. Auch der Kaffee war rationiert, der gute Kaffee, der wichtiger war als das Essen.

Die Lebensmittelpreise stiegen. Und an der Börse stiegen die Kurse. Um zwanzig, dreißig, vierzig Prozent stiegen die Aktien. Die Regierung beschloß Maßnahmen, die – unter Berücksichtigung aller berechtigten Interessen in Stadt und Land – als vernünftig und notwendig angesehen werden mußten. Um Spekulation und Preiswucher zu verhindern, wurden ein Ausschuß der Schiffsreeder und ein ökonomischer Rat mit vierzig Mitgliedern eingesetzt; zwei davon waren Arbeiter.

Es wurden Verordnungen und Bekanntmachungen über die Lage und das Benehmen der Bürger erlassen. Die Redaktion des Kreisblattes erhielt ein vertrauliches Rundschreiben des Ministerrates, betreffend die Rücksichten, zu denen die neutrale Stellung des Landes die Presse verpflichtete. Das Kreisblatt dürfe keine Meinungen oder Vorschläge veröffentlichen, die mit Dänemarks Neutralität unvereinbar und somit geeignet wären, den Staat zu verdächtigen und ihn in Gefahr zu bringen. Die Zeitung dürfe auch nicht durch ihre typographische Gestaltung zufälligen Meldungen eine übertriebene Bedeutung beilegen oder Partei für irgendeine Seite ergreifen. Auch bei den in Schaukästen ausgehängten Zeitungen müsse man Vorsicht walten lassen, damit diese keinen Anlaß zu Demonstrationen gäben. Gerüchte dürften nicht verbreitet werden, und bei der Erwähnung fremder Staatsoberhäupter müsse Zurückhaltung geübt werden.

Die Behörden wachten über die Sicherheit des Staates, Überall im Lande saßen Dünenaufseher und Oberförster und Wasserbaumeister und Hafenaufseher, sie beobachteten ihre Umgebung und teilten die Beobachtungen der geheimnisvollen Zivilorganisation mit, deren Aufbau und Aufgabe ihnen selbst unbekannt war.

Zu dieser Zeit war auch der Gewerkschaftsvorsitzende Rasmus Larsen Mitglied des Schmetterlingsvereins geworden, und bei wichtigen Gelegenheiten konnte er nun ein Abzeichen mit einem Ligusterschwärmer am Rockaufschlag tragen, das ihn anderen Schmetterlingssammlern kenntlich machte. Dem Verein war daran gelegen, Gewerkschafter als Mitglieder und Informanten zu gewinnen. Auf diese Weise erfuhr die Behörde, mit wem Oscar Poulsen Karten gespielt und mit wem Johanne Kaffee getrunken hatte. Und die Namen der Leute, die Martin Olsen und Margrete in ihrem kleinen Haus am Löschteich besuchten, wurden im Polizeipräsidium aufgeschrieben und in eine Kartei eingeordnet.

Der Kaffee war rationiert worden. Aber in der Abteilung D des zweiten Inspektorats der Kopenhagener Polizei duftete es jeden Tag herrlich nach diesem seltenen Getränk. Der herzenswarme jütische Kommissar Horsens liebte starken, unverfälschten Kaffee, und Kommissar Odense hatte den gleichen Geschmack wie sein Chef. Die beiden mußten in dieser Zeit hart arbeiten und brauchten diese harmlose Stimulanz. Von einem Grossisten in der Vestre Voldgade wurde der Kaffee säckeweise in Polizeiautos geholt, und auch für die Frauen daheim blieben Bohnen übrig.

In der Abteilung D beschäftigten sich die Polizisten mit einer Sammlung von gut und gern 75 000 Karteikarten. So viele gefährliche Personen gab es wohl nicht im Lande, aber alle, die in den Zeitungen schrieben oder sich politisch betätigten oder in den Gewerkschaften etwas zu sagen hatten, wurden sicherheitshalber aufgeschrieben. Der Kartei war ein Archiv angeschlossen. Dort bewahrte man von jeder registrierten Person eine Akte auf, die das Material enthielt, das man über den Betreffenden gesammelt hatte. Das Material bestand vor allem aus Zeitungsartikeln. Viele Jahrgänge der „Arbeiterzeitung“, die man mit großem Fleiß in Stücke geschnitten hatte, wurden hier, auf viele Mappen verteilt, aufgehoben. Dazu kamen Berichte und Anzeigen von Spitzeln verschiedener Qualität und Zuverlässigkeit.

Viel Arbeit war in dieser Abteilung vergeudet worden. Jahr für Jahr hatten schläfrige Beamte Namen aus der „Arbeiterzeitung“ ausgeschnitten und in Umschläge gelegt. Kneipentratsch und Gespräche Betrunkener hatte man aufgezeichnet und danach sorgfältig mit der Maschine niedergeschrieben. Zeitungspapier und beschriebene Bogen häuften sich. Das Material war unsystematisch und unkritisch von fleißigen, aber unkundigen Detektiven zusammengetragen worden.

„Das ist totes Material!“ meinte Kommissar Horsens. „Wir haben viel zuviel davon. Gut zwanzig Mann würden wir brauchen, wenn wir das ordnen wollten.“

„Und alle müßten politische Sachkenntnis besitzen“, fügte Odense hinzu. „Wer, zum Teufel, kann hier zwischen Weizen und Spreu unterscheiden?“

„Man müßte sich auf seine Helfer verlassen können“, sagte der Jüte und seufzte tief. „Es ist bitter, von einem Menschen enttäuscht zu werden, dem man Gutes getan hat! So etwas tut weh hier drinnen!“ klagte er und griff sich an sein Herz.

Die Zeiten waren ernst. Zu jeder Stunde konnten die Kartei und das Archiv der Abteilung D gebraucht werden. Den 180 000 Arbeitslosen, der Teuerung und der Winterkälte folgten Ungeduld. Um Ordnung in die Papiere zu bringen, müßte hart gearbeitet werden. Aber es fehlte an Leuten und an Einsicht.

Zu denen, die den herzenswarmen Polizeimann enttäuscht hatten, gehörte Egon Charles Olsen, den er im Winter zuvor für sich gewonnen hatte. Einige Monate lang hatte Olsen die Abteilung D mit Auskünften bedient. Er hatte sie in den gemütlichen Weinstuben der Innenstadt gesammelt, wo ein paar Studenten von der äußersten Peripherie der Kommunistischen Partei sich zuweilen mit verblümten Äußerungen interessant machten. Die Polizei hegte großen Respekt vor dem akademischen Stand und vor den Reden besoffener Studenten. Olsen hatte seine bescheidenen Honorare bekommen, außerdem wurde ihm das Geld für das Bier, das er den Studenten spendierte, zurückerstattet.

Aber nun war Olsen der Abteilung D untreu geworden und zur konkurrierenden Sipo übergegangen, die ihn höher schätzte. Sogar der Reichspolizeichef zeigte sich ihm gewogen.

Die Abteilung D hatte in den letzten Jahren Pech gehabt. Ihr früherer, begabter Chef mit dem seltenen Sprachtalent war das Opfer der Affäre um den deutschen Emigranten geworden, den dänische Nazis mit Wissen der Polizei auf offener Straße gekidnappt hatten. Nun saß er friedlich in der Königlichen Bibliothek und registrierte chinesische Handschriften, so wie er früher dänische Bürger registriert hatte. Er wäre sicherlich ein stiller Gelehrter geworden, hätte ihn nicht ein boshaftes Schicksal seinerzeit in die Polizei geführt.

Auch ein paar Kriminalbeamte der Abteilung hatten versetzt werden müssen, weil sie sich ganz ungeniert mit Mitgliedern der Geheimen Staatspolizei in einem öffentlichen Restaurant in der Nähe des Kopenhagener Hauptbahnhofs getroffen hatten. Die Zusammenarbeit mit der Gestapo war so offenkundig gewesen, daß es Aufsehen und Ärgernis erregt hatte. Dann stellte die Reichspolizei ihre eigene, konkurrierende Abteilung auf, die Sipo, und diese wiederum schuf sich die merkwürdige Zivilorganisation mit dem Schmetterlingsverein und dem geheimen inneren und äußeren Kreis und dem Mobilkreis. Die Sipo gedieh auf Kosten der alten Abteilung D, indem sie ihr Mitarbeiter und viele Helfer entzog.

Draußen in der Welt war Krieg. Und auch im Polizeipräsidium herrschte ein stiller Krieg. Zwischen der Polizei der Hauptstadt und der des Reiches führte man den Krieg mit lautlosen Fallen und verschwiegenen Angriffen aus dem Hinterhalt. Dieser Krieg zerrüttete Polizeipräsident Baums Nervensystem und trieb ihn dem Alkohol in die Arme.

Reichspolizeichef Rane war von robusterer Natur und ein vielseitiger, lebhafter Herr. Er sah nicht wie ein Detektiv aus; mit seinem lockigen Haar und dem Flatterschlips glich er eher einem Künstler aus der guten alten Zeit. Er hatte den Ehrgeiz, eine bekannte Erscheinung im Leben der Hauptstadt zu sein; man traf ihn bei jeder Theaterpremiere und Ausstellungseröffnung. Er sammelte Bekannte in allen Bevölkerungsschichten und hatte interessante Freunde im In- und Ausland.

Zu diesen Freunden zählten so grundverschiedene Persönlichkeiten wie der Weltmann François von Hahn und der Dieb Egon Charles Olsen.

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