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In allen Häusern waren die Radios eingeschaltet. Im ganzen Land wartete man darauf, was aus den Apparaten zu hören sein würde.

Auf Frydenholm ging Graf Preben erwartungsvoll in seinen Gemächern auf und ab und lauschte den Schallplatten, die zwischen den Verlesungen des Aufrufs gespielt wurden. Blond und arisch und blanke schwarze Reitstiefel, so schritt er durch seine historischen Räume. Der Revolver stak entfettet und geladen in seiner Hosentasche.

Graf Preben war am Abend des achten April von Kopenhagen nach Frydenholm zurückgekehrt und hatte sofort begonnen, den Revolver zu putzen. In der Hauptstadt hatte er gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen müssen. Am Sonnabend, dem sechsten April, war er zu einem Essen im Kastelsvej beim deutschen Gesandten, seinem Freund Christian von Renthe-Fink, gewesen. Dort hatte er Persönlichkeiten des kulturellen Lebens, so den Schriftsteller François von Hahn und den Dirigenten Furtwängler sowie dänische Politiker und hohe Heeres- und Marineoffiziere, angetroffen. Von Renthe-Fink war oft Graf Prebens Gast auf Frydenholm gewesen, doch an diesem Abend wirkte er seltsam kühl und zerstreut, er schien seinen dänischen Freund kaum zu kennen. Die Frau des Gesandten war gezwungen lustig und nervös, sie lachte und redete mit lauter Stimme. Die Gäste dagegen sprachen fast alle sehr leise.

François von Hahn sagte flüsternd zum Grafen: „Sehen Sie sich mal den Admiral an! Ich glaube, er hat Angst, von den Deutschen gefangengenommen zu werden, sobald der Kaffee serviert ist.“

Der Graf betrachtete durch ein Monokel den Admiral und antwortete in seinem fünischen Dialekt: „Ja, er sieht wirklich ein wenig bedrückt aus.“

François von Hahn war durchaus nicht bedrückt. Er saß zufrieden und wissend da und scherzte nach links und rechts. Der Wirt sah ihn ab und zu beinahe ängstlich an. Es wurde ziemlich viel Sekt getrunken. Die dänischen Marineoffiziere standen in den Ecken und flüsterten erregt. Ihnen war bekannt, daß die Schiffe der Flotte plötzlich von Kopenhagen in die Gewässer um Frederikshavn, Skagen und Hirtshals dirigiert worden waren. Die Seeoffiziere verstanden diese Disposition nicht. François von Hahn und Graf Preben blickten einander lächelnd an.

Gegen Mitternacht wurde ein Film über den Einsatz der deutschen Luftwaffe im Krieg gegen Polen gezeigt. Seht, so ergeht es einem Volk, das sich zur Wehr setzt! Ruinen und Bombenkrater, das ist alles, was von einem widerspenstigen Land übrigbleibt! Zum Schluß erschien Hermann Göring auf der Leinwand, grinste gemütlich und versprach den Zuschauern den baldigen Untergang Englands. Es schien dem Grafen, daß die dänischen Offiziere verlegen aussahen, als sie sich verabschiedeten und dem Wirt und der Wirtin für den Abend dankten; für den Sonnabend, den sechsten April.

Heute war der Neunte. Die Musik im Radio wurde unterbrochen, und der Graf unterbrach seinen Marsch durch die Zimmer. Der Schäferhund erwachte und spitzte die Ohren. Man verlas wieder den Aufruf des Generals: „... Darum hat Deutschland beschlossen, dem englischen Angriff zuvorzukommen und mit seinen Streitkräften den Schutz der Neutralität Dänemarks zu übernehmen . . . Über diese Maßnahme werden zur Stunde Vereinbarungen zwischen der Regierung des Deutschen Reiches und der Königlich Dänischen Regierung getroffen. Diese Vereinbarungen sollen garantieren, daß das Königreich weiterbesteht, daß Heer und Flotte erhalten bleiben, daß die Freiheit des dänischen Volkes geachtet und die zukünftige Unabhängigkeit dieses Volkes vollauf gesichert wird. . . Die Bevölkerung wird aufgefordert, ihrer täglichen Arbeit nachzugehen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen!“

Die tägliche Arbeit, natürlich wurde sie getan. Die Kühe mußten doch gemolken werden. Auch an diesem Morgen wurden die Milchkannen an die Straße gestellt, und das Milchauto holte sie ab wie üblich. Auf den Höfen krähten die Hähne. In Bäcker Andersens Laden duftete es nach frischen Brötchen. Die Milch wurde – wie an allen anderen Tagen – in der Molkerei verarbeitet. Oscar Poulsen war an seinem Platz, er stand in eine Dampfwolke gehüllt, die Maschinen drehten sich, Eimer klapperten, Flaschen klirrten.

Der Postbote kam auf dem Fahrrad mit einer Tasche voller Briefe und Zeitungen und Neuigkeiten von gestern, als alles noch anders war. Der gelbe Bus kam zur gewohnten Zeit und nahm die Schulkinder mit. Der Konsum öffnete und der Kaufmann und der kleine Laden des Gärtners. Die Leute gingen zur Arbeit. Man bemerkte keine Veränderungen. Und doch war alles anders.

Johanne kam zu Margrete hinüber. „Was meinst du dazu?“

Martin hatte das Haus verlassen, ohne etwas zu wissen. Er hatte nicht Radio gehört. Rosa war in der Schule. Gerda fuhr den Kleinsten im Kinderwagen vor dem Hause auf und ab, auf und ab. Niels saß in einer Obstkiste, spielte Auto und machte: „Brr, brr!“ Er kuppelte, fuhr im Rückwärtsgang und bremste. „Brr, brr!“

„Was sagt Oscar?“

„Oscar sagt, daß alle Papiere beseitigt werden müssen. Die Karteikarten mit den Namen der Mitglieder und das Protokoll. Und falls alte Rundschreiben oder ähnliches von der Partei herumliegen, sollen sie auch verbrannt werden.“

„Hier liegt soviel herum“, seufzte Margrete. „Martin liebt Papier. Er kann sich nicht dazu aufraffen, etwas wegzuschmeißen. Er hebt alle Rundschreiben auf. Direkt herrlich, daß ich das endlich verbrennen darf! “

Martin besaß eine umfangreiche Broschürensammlung, ein großes Regal voller Drucksachen, die einmal aktuell gewesen waren. „Es ist gut, sie zu haben“, sagte er oft. „Ohne revolutionäre Theorie gibt es keine revolutionäre Bewegung!“ Margrete aber meinte, daß sich auf all dieser Theorie nur Staub ansammele. Wer las denn schon zehn Jahre alte Broschüren! Von einigen waren sogar mehrere Exemplare vorhanden. Reichte nicht ein Exemplar von jeder? Martin blieb dabei, daß es gut sei, sie zu haben.

„Ich möchte ungern etwas anrühren, bevor Martin zu Hause ist“, sagte Margrete. „Ob er zu Mittag nach Hause kommt? Wir ahnten ja nichts, als er heute früh ging. Erst als Jens Olsen herübergelaufen kam und rief: ,Der Deutsche ist im Land!‘, erfuhr ich davon. Er war ganz außer sich und glaubte, man würde ihm seine Schweine wegnehmen. Er trug sich mit dem Gedanken, sie zu schlachten und einzugraben.“

„Oscar sagt, hier kommt es genauso wie in der Tschechoslowakei und in Österreich. Sie werden alle Kommunisten einsperren. Den Deutschen dürften um nichts in der Welt die Mitgliederliste, die Karteikarten oder etwas anderes mit Namen darauf in die Hände fallen! Oscar sagt auch, daß die Parteigruppe jetzt so organisiert werden muß, daß sich die Mitglieder untereinander nicht kennen.“

„Ja, aber, wie können wir denn plötzlich aufhören, uns zu kennen?“

„Das weiß ich auch nicht“, antwortete Johanne. „Aber Oscar sagt es. Er sagt auch, daß wir an Stelle der Parteigruppe vielleicht einen Schachklub oder einen Sparverein oder einen Briefmarkenklub gründen sollen.“

Klein Niels in der Kiste kuppelte. „Brr, brr! Brumm, brumm!“ Und das Radio spielte: „Kalle, Kalle, Kalle aus Schonen!“ Ihr ganzes Leben lang würde für Margrete diese Melodie mit dem neunten April und der Eroberung des Landes durch die Deutschen zusammengehören. Draußen auf der Straße marschierte Höschen-Marius, der Herrenmensch, vorbei. Mit einem großen Pfefferminzbonbon im Mund und mit nassem Schnurrbart. Er drohte Gerda, die den Kinderwagen schob, mit dem Stock. „Bolschewistengör! Judenbalg!“ rief Marius. „Nimm dich in acht!“ Höschen-Marius war sicherlich auf dem Wege zu seinem Volksgenossen Niels Madsen. Nun war ihre Zeit gekommen. Nun war Schluß mit der Frechheit der Juden im Kreis Præstø.

Das Radio brachte neue Nachrichten. Die Botschaft der Regierung und des Königs an das dänische Volk: „. . . Die deutschen Truppen, die jetzt im Lande sind, nehmen mit der dänischen Wehrmacht Verbindung auf. Es ist die Pflicht der Bevölkerung, sich jedes Widerstands gegen diese Truppen zu enthalten. Die dänische Regierung wird versuchen, das dänische Volk und unser Land vor dem mit einem Krieg verbundenen Unheil zu schützen. Sie fordert daher die ganze Bevölkerung auf, sich ruhig und beherrscht zu verhalten und der entstandenen Lage Rechnung zu tragen. Ruhe und Ordnung müssen das Land prägen, und allen, die die Macht ausüben, ist loyales Entgegenkommen zu erweisen.“

Danach wurde eine besondere Botschaft des Königs verlesen. „Unter diesen für unser Vaterland so ernsten Verhältnissen fordere ich alle in Stadt und Land auf, ein völlig korrektes und würdiges Auftreten zu zeigen, da jede unüberlegte Handlung oder Äußerung die schwersten Folgen haben kann. Gott schütze Sie alle! Gott schütze Dänemark!“

„Ja, dem habe ich nichts hinzuzufügen“, sagte Rasmus Larsen zu den Arbeitern, die mit ihm zusammen die Botschaft gehört hatten. Die Arbeitslosen, die zur Kontrolle gekommen waren, hatten ausnahmsweise seine gute Stube betreten dürfen; außer den Arbeitslosen waren noch ein paar Freunde von der Wählervereinigung da, um zu hören, was ihr Vorsitzender über die Situation zu sagen habe. Würde die Sozialdemokratie verboten werden? Würden die Sozialdemokraten – wie in Österreich – verhaftet werden? Würden die Gewerkschaften aufgelöst werden?

Frau Larsen betrachtete vergrämt ihre lackierten Fußböden, die nun zerschabt und zerkratzt wurden. Der Schmutz, den diese Menschen mit ins Haus schleppten! Und das jetzt, wo echter Fußbodenfirnis nicht aufzutreiben war!

„Ich habe dem nichts hinzuzufügen“, wiederholte Rasmus Vorsitzender. „Ihr habt selbst gehört, was Stauning und der König sagen. Wir müssen unter den veränderten Umständen würdig und korrekt auftreten. Die Zukunft wird natürlich eine Umstellung der gewohnten Verhältnisse mit sich bringen. Vorläufig gilt es, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten und allen, die die Macht ausüben, loyales Entgegenkommen zu erweisen!“

„Das hört sich schön an“, meinte ein Arbeiter. „Du sagst das sehr schön, Rasmus! Man könnte glauben, du bist Ministerpräsident. Ja, Umstellung der gewohnten Verhältnisse! Ruhe und Ordnung und loyales Entgegenkommen! Das heißt: Schnauze gehalten und mitmarschiert! Jetzt sollen wir wohl auch Deutsch lernen? Kommt der Deutsche erst hierher, kommt der Deutsche erst hierher, dann bedaure ich euch sehr, ja, bedaure ich euch sehr! Und wo ist all das verfluchte Geld, das wir fürs Militär gezahlt haben? Wo, zum Teufel, ist das Militär gewesen? Wo waren die Flotte und die Flugzeuge und die Minen und die Kanonen? Wo ist der ganze Dreck, für den wir gezahlt haben?“

„Die Regierung ist bei ihren Beschlüssen von dem ausgegangen, was uns allen am meisten dient“, antwortete Rasmus Larsen. „Sie hat doch wohl ein wenig mehr Einsicht und Überblick als du, Karl. Sie ist nicht auf Abenteuer aus. Die Deutschen könnten doch unser ganzes Land in ein paar Stunden kurz und klein schlagen. Und was dann?“

„Aber wozu haben wir all den teuren Militärmist dann angeschafft? Was wollten wir mit dem Zeug, wenn man von vornherein wußte, daß es nicht gebraucht werden sollte?“

„Man wußte nichts von vornherein. Ein gut ausgerüstetes Heer kann vielleicht eine gewisse abschreckende Wirkung ausüben. Es kann vielleicht einem Angriff Vorbeugen. Doch jetzt, wo das Unglück geschehen ist, wer will es da verantworten, wenn wir ein zweites Polen werden? Was, wenn Kopenhagen und andere Städte dem Erdboden gleichgemacht würden?“

„In Norwegen kämpfen sie“, hielt ihm einer entgegen.

„Woher weißt du das?“

„Das hat der schwedische Rundfunk gebracht.“

Ja, es gab ja noch den schwedischen Rundfunk! Den konnte man ja auch hören. Stimmen wurden laut, Rasmus Larsens Radio auf einen schwedischen Sender einzustellen, doch Rasmus wollte davon nichts wissen. Es war seine Pflicht als Vorsitzender und verantwortliche Persönlichkeit, sein Radio für die Botschaften und Anweisungen bereitzuhalten, die kommen mußten.

„Ihr könnt mir nicht einreden, das alles sei unerwartet geschehen“, sagte der, der Karl hieß. „Es gibt bestimmt einige, die vorher Bescheid gewußt haben. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht einige Minister und Generale und Admirale unterrichtet waren. So etwas läßt sich nicht über Nacht machen! Sie haben es gewußt!“

„Das ist haargenau das verantwortungslose Gerede, mit dem man uns jetzt am besten verschonen sollte“, sagte Rasmus Vorsitzender streng. „Das ist genau das Gequatsche, das jetzt gefährlich und schädlich ist. Die Lage im Lande ist heute nicht mehr die gleiche wie gestern. Die Verhältnisse sind äußerst ernst. Das muß den Leuten wohl erst einmal aufgehen!“

Aus dem Radio erklang wieder die Botschaft des Königs: „Unter diesen für unser Vaterland so ernsten Verhältnissen fordere ich alle in Stadt und Land auf, ein völlig korrektes und würdiges Auftreten zu zeigen, da jede unüberlegte Handlung oder Äußerung die schwersten Folgen haben kann.

„Hörst du?“ sagte Rasmus Vorsitzender.

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