Читать книгу Schloss Frydenholm - Hans Scherfig - Страница 19

16

Оглавление

Martin Olsen wollte sich durchaus nicht von seinen geliebten Broschüren trennen. Sie durften nicht verbrannt werden. Ausgeschlossen! Sie waren unentbehrlich. Es war gut, sie zu haben.

Nur widerstrebend erklärte er sich damit einverstanden, das, was er das „Archiv“ nannte, zu opfern. Das Archiv der Parteigruppe war ein riesiger Stapel Papier – alte Rundschreiben, Mitteilungen und Einladungen zu Versammlungen –, der die beiden untersten Kommodenschubladen füllte. Sie leer zu bekommen war seit langem einer von Margretes großen Wünschen. Der traurige Tag brachte also auch ein wenig Gutes. Sie stapelte das Papier auf den Fußboden und begann, die Schubfächer auszuwaschen.

Martin war, wie erwartet, gegen Mittag nach Hause gekommen. Oscar Poulsen war aus der Molkerei herübergekommen, unternehmungslustig und voll von Parolen und Fremdwörter. Ein alter Ziegeleiarbeiter, Jakob Enevoldsen, war ebenfalls gekommen. Er wohnte in seinem selbstgebauten Haus draußen am Moor und hatte den Weg von einer halben Meile auf einem alten Fahrrad mit schlechten Reifen zurückgelegt. Es waren ja keine Fahrradreifen mehr aufzutreiben, die Leute hatten gehamstert, auch solche, die gar kein Fahrrad besaßen. Jakob hatte seinen Hund mitgebracht, einen kleinen, japsenden Foxterrier, der von dem Weg so ermattet war, daß er sich auf die Seite legte und aussah, als müßte er sterben. Er konnte Kunststückchen machen und war klug und gutmütig, doch als die graue Katze des Hauses den Hund erblickte, wurde sie furchtbar erregt und fauchte wie wahnsinnig: ihr Schwanz stand aufrecht und war dick und buschig wie ein Fuchsschwanz. Die fromme Katze, die sich sonst drücken und von den Kindern umherschleppen ließ, hatte sich in ein rasendes, wildes Tier verwandelt, und als Martin sie hinausbringen wollte, biß sie ihn, so daß er blutete. Margrete entschuldigte die Katze: „Sie ist tragend. Sie ist nur jetzt so nervös, sonst ist sie so eine gute Mieze!“

Martin mußte Jod für seine Hand haben. „Sie hat tief gebissen. Dieser Satan!“

Noch mehr Genossen kamen. Es wurde eine richtige Versammlung. Auch der lange Anton, der sich selten bei Versammlungen sehen ließ, tauchte auf. „Was wird geschehen? Ist es wahr, daß alle Jagdgewehre beschlagnahmt werden?“

Margrete kochte Kaffee. Der Herd wurde mit dem Archiv geheizt; alle diese uralten Einladungen und Berichte und Mitteilungen waren nun endlich zu etwas nütze. Margrete kam es vor, als träume sie das alles. Ihr war, als sei sie Zuschauer und außerhalb des eigenen Ichs, während sie in der Küche hantierte und die Männer in der Stube sprechen hörte. Wenn sie doch alle bloß bald gehen wollten, so daß sie mit Martin allein sein könnte. Alle sprachen gleichzeitig. Jakob Enevoldsens Pfeife verbreitete schrecklichen Qualm. Jakob rauchte einen Tabak, den er aus getrockneter Schafgarbe herstellte. Die Pfeife war zerbrochen und auf bemerkenswerte Art mit Gummi und Heftpflaster umwickelt; und der Schafgarberauch machte Kopfschmerzen und Ohrensausen.

Brüderchen war hereingebracht worden und schrie wütend und ausdauernd.

„Na aber! Ist er denn traurig, der Kleine?“ sagte Margrete. „Na, jetzt kriegst du aber auch gleich etwas zu essen, Peterle!“

Der Kleine schrie weiter. Niels und Gerda zankten sich. „Sie ärgert mich die ganze Zeit!“ brüllte Niels.

„Das darfst du nicht“, mahnte Margrete.

„Er fängt doch immer wieder an!“ rief Gerda.

„Seid jetzt friedlich! Martin, sage ihnen, daß sie friedlich sein sollen!“

„Ihr sollt friedlich sein!“ sagte Martin. „Hört jetzt auf! Hör auf, ihn zu ärgern!“

„Das tue ich ja auch gar nicht! Er ärgert mich immerzu!“

„Hört jetzt beide auf! Geht auseinander!“

„Komm und stell die Tassen hin, Gerda!“ rief Margrete. „Nimm die Tischdecke aus der obersten Schublade.“ Es ärgerte sie ein bißchen, daß Johanne untätig in der Stube hockte und ihr nicht half, wo sie doch soviel zu tun hatte; und der Kleine schrie. Johanne mit ihrem geschminkten Mund saß steif auf dem Sofa. Konnte sie nicht ein bißchen helfen? Vielleicht aber fühlte auch sie ein Grauen in sich, das sie steif machte.

Gerda legte die Decke auf den ovalen Tisch und stellte die geblümten Tassen hin. „Geh vorsichtig damit um!“ rief Margrete.

„Wir müssen in der kommenden Periode unsere Tätigkeit nach konspirativen Methoden durchführen“, sagte Oscar und sprach wie eine Broschüre. „Wir müssen uns schnellstens auf die Illegalität umstellen. Wir müssen die Kader organisieren!“ Nicht alle verstanden richtig, was er meinte. Oscar sammelte schwierige Wörter, wie Martin Drucksachen sammelte.

Das Radio blieb während der Beratung eingeschaltet. Verschiedene Befehle, Anordnungen und Anweisungen wurden durchgegeben. Nach Sonnenuntergang sollte das ganze Land verdunkelt werden, man sollte alle Fenster mit schwarzem Papier verhängen. Außerdem war von sofort an der Verkauf und Ausschank von Bier, Wein und Spirituosen aller Art verboten. Auch die Proklamation der Regierung und die des Königs wurden wiederholt. „Unter diesen für unser Vaterland so ernsten Verhältnissen . . . “

Keiner hatte bisher einen Deutschen gesehen. Es wurde erzählt, sie seien in Korsør und auf Falster an Land gegangen. Sie seien über die Storestroms-Brücke gefahren, ohne daß jemand versucht habe, sie daran zu hindern; und die Brücke sei nicht gesprengt worden. Aber in Jütland werde gekämpft. Hieß es. Im Konsum wußte man, daß die Soldaten in Sønderborg bis zum letzten Mann kämpften; denn der Verkaufsstellenleiter hatte einen Sohn in der Kaserne in Sønderborg und war ganz außer sich. Sein Sohn gehöre nicht zu denen, die sich ergeben, niemals! Doch wer konnte wissen, was in Sønderborg geschah? Das alles waren nur Gerüchte.

Die Gerüchte gingen vom Konsum und vom Kaufmannsladen aus, wo die Leute schwarzes Verdunklungspapier kauften. Der Postbote brachte auch Gerüchte mit und trug sie von Haus zu Haus. Mit dem Autobus kam ein Gerücht aus Roskilde: Die Garnison dort habe sich geweigert zu kapitulieren; sie habe sich nach Helsingør durchgeschlagen, sich einer Fähre bemächtigt und sich dem schwedischen Heer angeschlossen. Der Busfahrer kannte selbst den Fuhrunternehmer in Roskilde, der morgens um sieben die Fahrzeuge für den Transport beschafft hatte. Schweden solle sich auch im Krieg befinden, da die Deutschen durch Schweden nach Norwegen marschieren wollten.

Aber man konnte ja den schwedischen Rundfunk hören, und da fiel kein Wort davon, daß dort Krieg sei. Man sprach dort nür von Kampfhandlungen in Norwegen. Die Deutschen hätten Oslo erobert, doch der norwegische König und die Regierung seien beim Heer, das sich nach Norden zurückzöge. Norwegen solle verteidigt werden. Die mächtige britische Flotte würde selbstverständlich zu Hilfe kommen.

Das Radio wurde vom dänischen zum schwedischen und vom schwedischen zum dänischen Rundfunk gedreht. Margrete schenkte den Genossen den Kaffee ein. „Das ist echter Kaffee-Ersatz!“ sagte sie und versuchte, lustig zu sein. „Aber er ist auf unserem Archiv gekocht“, brummte Martin.

Der kleine Peter war nun ruhig und zufrieden. Gerda fütterte ihn mit einem gelblichen Brei, der ihm die dicken Bäckchen hinunterlief. Jakob Enevoldsens kleiner Hund war nach den Anstrengungen eingeschlafen und träumte sicherlich etwas Angenehmes. Er lächelte im Schlaf, und sein kleiner Schwanz bewegte sich ab und zu glücklich.

Im Radio wurde nichts über die Ablieferung von Jagdgewehren gesagt. Der lange Anton war beruhigt; auf der Stempelsteile hatte man nämlich erzählt, alle Büchsen müßten abgegeben werden. Anton war Jäger und besaß eine wunderbare Jagdflinte, die zusammengelegt und in der Innentasche eines Mantels versteckt werden konnte; er wollte sie keinesfalls dem Feind ausliefern. Da würde er sie lieber im Wald in einem Baum verstecken!

Aber den Feind sollte man wirklich nicht mit Jagdgewehren bekämpfen, meinte Oscar. Bevor man einen Widerstand organisieren könne, müßten noch sorgfältige Vorbereitungen getroffen werden. Oscar sprach von der Möglichkeit, illegale Fünfergruppen zu bilden, die als Schachvereine getarnt wären. „Wir müssen jetzt konspirativ denken“, sagte der frühere Spanienkämpfer.

Martin war der Meinung, jemand müsse sofort nach Præstø fahren und mit der Kreisleitung Verbindung aufnehmen. Vorher könne man nichts tun. Er würde auch gern selbst hinfahren.

„Wahrscheinlich haben die Deutschen das Büro der Kreisleitung schon längst besetzt“, sagte Oscar.

„Glaubst du wirklich?“

„Es ist ja nicht sicher, daß sie die Adresse kennen“, warf Jakob Enevoldsen ein.

„Und es ist ja auch nicht sicher, daß die Deutschen daran interessiert sind“, sagte Margrete. „Was sollen sie in der Kreisleitung?“

„. . . Über diese Maßnahme werden zur Stunde Vereinbarungen zwischen der Regierung des Deutschen Reiches und der Königlich Dänischen Regierung getroffen“, wiederholte das Radio. „Diese Vereinbarungen sollen garantieren, daß das Königreich weiterbesteht, daß Heer und Flotte erhalten bleiben, daß die Freiheit des dänischen Volkes geachtet und die zukünftige Unabhängigkeit dieses Volkes vollauf gesichert wird . . .“

„Glaubt ihr daran?“ fragte Oscar.

Nein, es gab keinen, der an deutsche Erklärungen glaubte. Es gab keinen, der glaubte, die Deutschen würden irgendwelche Freiheit achten. Aber deshalb brauchte es ja nicht genauso zu kommen wie in der Tschechoslowakei und in Österreich, jedenfalls nicht sofort. Sowohl im dänischen wie auch im schwedischen Rundfunk sagten sie, Stauning sei noch immer Ministerpräsident und der König noch immer König. Ja, es gab noch immer einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten.

„Glaubt ihr denn an den?“ fragte Oscar.

Nein. Aber in der Tschechoslowakei und in Österreich haben die nazistischen Eroberer die Sozialdemokraten verboten.

„Unsere Sozialdemokraten sind eine besondere Sorte. Was sollen die Nazis schon von ihnen zu befürchten haben?“

Der lange Anton meinte, man müsse sein Parteibuch verbrennen, bevor die Deutschen kämen.

„Dein Parteibuch ist sicher auch nichts Besseres wert“, entgegnete Martin. „Sind da überhaupt Marken drin? Du hast ja vier oder fünf Monate lang keinen Beitrag bezahlt.“

„Es fehlen höchstens vier. Du kommst immer kassieren, wenn ich gerade kein Geld habe. Man hat es nicht leicht, wenn man arbeitslos ist.“

„Bring dein Buch in Ordnung, bevor du es verbrennst“, sagte Martin.

Oscar glaubte nicht, daß es so eilig sei, die Parteibücher zu verbrennen. Es sei viel wichtiger, die Bücher auf dem laufenden zu haben. Man könne sie aber ruhig ein bißchen diskret aufbewahren.

„Diskret?“

„Ja, man braucht ja den Deutschen und unseren eigenen Nazis damit nicht gerade vor der Nase herumzufuchteln.“

Die eigenen Nazis, die waren wohl vorläufig die größte Gefahr. Was war mit so einem wie Niels Madsen? Und was mit dem Grafen und seinen Gefolgsleuten? Was würden sie jetzt wohl aushecken?“

„Und Höschen-Marius?“

„Scheiß was auf den! Aber die im Schloß, was machen die jetzt? Was bereiten die vor? Was haben wir von der Seite zu erwarten?“

Schloss Frydenholm

Подняться наверх