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ОглавлениеDie Frydenholmer Ziegelei hatte aufgehört zu arbeiten, weil man kein Brennmaterial beschaffen konnte. Die Bauarbeiten in der Gemeinde und die Straßenarbeiten in der Umgebung wurden eingestellt.
Rasmus Larsen hatte seine Sorgen mit den Arbeitslosen, die zum Stempeln kamen. Er fand, sie seien verblendet von der Vergangenheit und verständen nicht die Notwendigkeiten der neuen Zeit. Diese Menschen müßten erst lernen, sozial zu denken. Man müßte die Arbeiter dazu bringen, endlich zu begreifen, daß die Zeit des Klassenkampfes vorbei sei. Jetzt ginge es um die Gemeinschaft. „Denn wir sitzen doch alle im selben Boot“, sagte Rasmus. „Das egoistische Klasseninteresse muß dem Gemeinschaftsgeist weichen!“
Wie schön er das sagen konnte, dieser Rasmus! Das war gleichsam ein Schriftstück, das verlesen wurde. „Man hört, daß du auf der Rednerschule warst“, sagte Karl. „Du sprichst genauso fein wie die vom Königlichen Theater. Nein, wie du ,Gemeinschaftsgeist‘ sagen kannst!“
„Das ist auch ein gutes Wort“, meinte Jakob Enevoldsen von der Ziegelei. „Gemeinschaftsgeist, das ist etwas, was die Arbeiter haben sollen, damit die Ausbeuter mehr verdienen können. Das ist gut ausgedacht. Die Unterklasse soll Gemeinschaftsgeist beweisen, und die Oberklasse soll das Geld verdienen.“
„Du bist ein alter Mann, Jakob. Da läßt sich vielleicht nichts dagegen sagen, daß du in alten Vorstellungen lebst. Du glaubst, was in deiner Jugend gesagt wurde, gelte noch immer. Aber selbst wenn du nicht mit der Zeit gegangen bist, so hast du doch sicherlich bemerkt, daß Dänemark von Fremden besetzt worden ist? Du weißt doch wohl, daß die Deutschen hier im Land sind? Es wäre nicht schlecht, wenn die Dänen jetzt das Zusammenhalten lernen würden!“ entgegnete Rasmus bitter.
„Hört ihr, wie fein er Dänemark sagt?“ fragte Karl. „Das ist die Rednerschule.“
„Was kann es zwischen der Unterklasse und der Oberklasse für einen Zusammenhalt geben?“ fragte Jakob. „Was, zum Teufel, haben sie gemein?“
„Wir sind Dänen“, erklärte Rasmus. „Das ist es, was wir gemein haben.“
„Es gibt reiche Dänen, und es gibt arme Dänen“, sagte Jakob. „Es gibt die Oberklasse, und es gibt die Unterklasse. Der Oberklasse macht es nicht viel aus, daß Fremde im Lande sind, denn der Kapitalismus kennt kein Vaterland. Der Kapitalismus hat Hitler gemacht, genauso wie er Mussolini und Franco gemacht hat. Der Faschismus ist nicht deutsch oder italienisch oder spanisch. Er ist überall gleich: Terror gegen den Arbeiter und Profit für die Kapitalisten. Das ist es, was ihr Gemeinschaft nennt. Hitler nennt es Volksgemeinschaft.“
„Ich glaube, offen gesagt, daß du dir deine kommunistischen Phrasen sparen solltest“, sagte Rasmus Larsen. „Die Zeit ist nicht gerade günstig für so etwas. Ihr Kommunisten solltet lieber ein bißchen kurztreten! Ihr seid ein für allemal entlarvt. Ihr habt euch außerhalb gestellt! Mit euch diskutiert man nicht. Es gibt keinen Unterschied zwischen Kommunisten und Nazis. Du bist älter als ich, Jakob, aber du mußt dich damit abfinden, daß ich dir rundheraus sage: Wir wollen nichts mit euch zu tun haben, weder mit Kommunisten noch mit Nazis!“
So sprach man in der Stempelstelle in Rasmus Larsens roter Ziegelvilla. Und über den Rundfunk sprach der alte Ministerpräsident des Landes in die Häuser der Leute hinein. Väterlich und ernst sprach er mit seiner tiefen Stimme: „Es scheint eine gewisse Zeit zu beanspruchen, bis die dänische Bevölkerung ganz versteht, in welcher Situation Land und Volk sich befinden; aber es muß der Bevölkerung wohl einmal klarwerden, daß man außer Ruhe und Ordnung auch die Zusammenarbeit und den guten Willen aller braucht, um gemeinschaftlich die vorhandenen Schwierigkeiten zu überwinden. Alle, die den Wunsch haben, unser Land zu bewahren und es sicher durch diese unfriedlichen Zeiten zu führen, beteiligen sich an dieser Koalition.
Wir müssen uns den Notwendigkeiten anpassen und uns deshalb mit einer Einschränkung der Freiheit abfinden. Sicher ist es traurig und unbequem, das Schicksal gegen sich zu haben und einige materielle Güter, die man erworben hat, zu verlieren, aber es gibt Größeres und Wichtigeres, und es ist das Größte, das Wichtigste, das jetzt Opfer fordert und Zusammenhalt und Ruhe und Ordnung in der Gesellschaft.“
Das Land lauschte der vertrauten Stimme. In Häusern und Höfen und Villen lauschte man. Diese Stimme sprach nicht für eine Partei, sondern für zusammenarbeitende Parteien und vereinte Klassen.
In die Regierung waren Politiker der bürgerlichen Parteien aufgenommen worden. Es war der Wunsch der Sozialdemokratie, die Regierungsgewalt mit den früheren Gegnern zu teilen, und die hatten die Einladung angenommen. In Gemeinschaft sollten die Schwierigkeiten überwunden werden. Die Mehrheit mußte um der Gemeinschaft willen Opfer bringen.
Der Arbeitslohn wurde gesetzlich festgelegt. Den Arbeitern wurde verboten, zu streiken. Durch Gesetz wurde die Teuerungszulage vermindert. Eine Arbeitsaufteilung wurde durchgeführt, die den Wochenlohn reduzierte. Eine Umsatzsteuer wurde eingeführt. Den Arbeitern wurde eine besondere Lohnsteuer auferlegt, um die erhöhten Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung bestreiten zu können. Die sozialen Leistungen wurden gekürzt. Die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung stiegen. Und alle Preise stiegen.
Mit Behagen sah Graf Rosenkop-Frydenskjold, wie sich seine Einnahmen erhöhten. Das waren die Auswirkungen der neuen Getreideordnung, ein Ergebnis der nationalen Sammlung. Auch Niels Madsen und die anderen Besitzer größerer Höfe freuten sich über diese Sammlung. Aber für die Kleinbauern wurde Futtergetreide nahezu unerschwinglich; die kleinen Landwirtschaften mußten ihren Viehbestand verringern.
„Wir müssen uns anpassen an die Zeit und an die vorhandenen Bedingungen“, forderte die tiefe Stimme im Radio. „Und die Zeit, in der wir leben, ruft nach der Zusammenarbeit aller Dänen.“
Ende Mai erhielt Rasmus Larsen ein Rundschreiben vom Vereinigten Gewerkschaftsbund. Er heftete es in seinem Büro an das schwarze Brett, damit es die Arbeitslosen, die zum Stempeln kamen, studieren konnten.
„Auf Ersuchen des Außenministeriums und des Sozialministeriums hat der Vereinigte Gewerkschaftsbund an Verhandlungen mit dem Leiter des Auswanderungsbüros über die Vermittlung von Arbeitskräften nach Deutschland teilgenommen. Von deutscher Seite ist uns eine grundsätzliche Bedingung für die Lieferung von drei Millionen Tonnen Kohlen und einer Million Tonnen Koks genannt worden: Wir müssen Deutschland so viel Arbeiter stellen, wie zur Förderung dieser Kohlenmenge notwendig sind.
Im Laufe der Verhandlungen ist es uns jedoch geglückt, zu erreichen, daß die dänischen Arbeitskräfte nicht, wie anfangs beabsichtigt, in den Kohlenbergwerken, sondern an anderen Arbeitsplätzen eingesetzt werden. Die dadurch freigestellten deutschen Arbeiter können dann in der Kohleförderung beschäftigt werden.
Wie aus dem beigefügten Rundschreiben des Staatlichen Auswanderungsbüros hervorgeht, haben die deutschen Behörden in Vesterport ein Büro eingerichtet, das Arbeit in Deutschland zu den im Rundschreiben erwähnten Bedingungen vermittelt.
Der Vereinigte Gewerkschaftsbund seinerseits hat eingewilligt, die ihm angeschlossenen Verbände zu orientieren, und wir fordern hiermit die Verbände auf, Sorge zu tragen, daß das Rundschreiben des Auswanderungsbüros umgehend sämtlichen Gewerkschaftsgruppen, Arbeitsvermittlungsbüros und Arbeitslosenkontrollbüros zugestellt wird.“
Aus der Mitteilung des Staatlichen Auswanderungsbüros ging hervor, daß in Deutschland sowohl für Facharbeiter wie auch für Ungelernte Arbeitsplätze vorhanden seien. Die Arbeitszeit betrage sechzig Stunden in der Woche, der Stundenlohn siebenundfünfzig Pfennig bis zu einer Mark, liege aber in den meisten Fällen zwischen siebzig und fünfundachtzig Pfennig. An einigen Arbeitsstellen könne man jedoch durch Akkordarbeit mehr verdienen. Verheiratete Arbeiter würden eine Familienzulage von einer Mark bis zu einer Mark fünfzig pro Tag erhalten. Die Arbeitsverträge sollten für einen Zeitraum von sechs bis neun Monaten abgeschlossen werden. Die dänischen Arbeiter wurden aufgefordert, ihre dänische Kranken-, Invaliden- und Arbeitslosenversicherung aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Mitglied der deutschen Krankenkasse zu werden. Die Beiträge für die deutsche Kasse und die Steuern würden etwa zwanzig Prozent des Verdienstes ausmachen.
Rasmus Larsen wußte, daß es in der Stempelstelle zu Diskussionen und Mißfallensäußerungen kommen würde, sobald die Arbeitslosen das Rundschreiben des Vereinigten Gewerkschaftsbundes gelesen hätten. Um jeder Kritik von seiten der Unbequemen vorzubeugen, befestigte Rasmus einen Artikel aus der Zeitung „Socialdemokraten“ neben dem Rundschreiben. Dort konnten die kommunistisch Infizierten lesen, wofür man sie hielt und weshalb es nicht anging, mit ihnen zu diskutieren.
„Die Politik der Kommunisten in Dänemark ist so unmittelbar mit der außenpolitischen Stellung dieser Partei verbunden, daß ein freier, öffentlicher Meinungsaustausch über ihre Haltung für den Teil der Presse, der verantwortungsbewußt die zwischen der dänischen Regierung und der deutschen Wehrmacht getroffenen Vereinbarungen respektiert, nicht möglich ist.
Gerade weil die dänischen Kommunisten wissen, daß es im Augenblick nicht möglich ist, ihrer wilden Demagogie entgegenzutreten, trägt ihre Presse mit verstärkter Energie gemeine Angriffe gegen die Führer der Arbeiterbewegung vor und verbreitet Gerüchte und böswillige Vermutungen.
Allein dieses Vorgehen sagt alles Notwendige über die moralische Verfassung der Kommunistischen Partei Dänemarks. Die Führer der Kommunistischen Partei stellen die Möglichkeit, parteipolitischen Profit zu erzielen, über jede Rücksichtnahme, auch über die Rücksicht auf die Zukunft der Nation und der Arbeiterbewegung.
Die Führer der Kommunistischen Partei Dänemarks haben in diesen Tagen ihren historischen Platz eingenommen. Wir zweifeln nicht daran, daß die Zeit kommen wird, wo man sie dafür zur Verantwortung zieht. Im Augenblick haben wir in den Gewerkschaften nur die Pflicht, sie zu bekämpfen und ihnen ihre Vertrauensposten zu entziehen, sofern sie noch die Gelegenheit haben, solche zu bekleiden.“