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Die erste Spazierfahrt, die Graf Rosenkop-Frydenskjold durch das Dorf unternahm, ging nicht in einer vierspännigen Kutsche vor sich, wie viele es zu sehen erwartet hatten, sobald wieder ein Graf auf Frydenholm wohnen würde.

Der junge Graf kam auf einem Traktor mit hoher Geschwindigkeit im Zickzack angefahren. Darunter litten die kleinen Zäune vor den Häusern, erst auf der einen Seite der Straße, dann auf der anderen. Höschen-Marius’ weißgestrichener Zaun zersplitterte, die Ligusterhecke der alten Emma schräg gegenüber wurde flachgedrückt, und ihr Grünkohl und die roten Bete und der Porree wurden tief in die gutgedüngte Erde gepreßt. Danach wurde die Gartentür des Doktors abgerissen und Rasmus Larsens Steinmauer umgeworfen, und schließlich landete das gräfliche Fahrzeug in Bäcker Andersens neuer Spiegelglasscheibe zwischen Kuchen und Schokoladenfiguren.

Höschen-Marius kam zum Vorschein, groß, schwer, mit hängendem Schnurrbart und feuchter Nase, starrte verwundert auf die seltsame Fahrspur und fühlte trotz des Erschreckens eine Art Wohlbehagen in seinem langen Körper, weil ein Graf ihm so nahe gewesen. Doch die alte Emma war wütend, sie schimpfte und wetterte über die Zerstörung der Ligusterhecke und der Gemüsepflanzen, die sie so sorgsam mit dem Latrineneimer gepflegt hatte. „Ist das eine Art, so zu fahren?“ schrie sie. „Ist denn auf der Straße nicht genügend Platz? Da hat man den Porree gegossen und gedüngt, und dann kommt so ein Affe und macht alles kaputt! Und meine schöne Ligusterhecke!“

„Das war der Graf“, sagte Höschen-Marius.

„Ich scheiß was auf den Grafen! Er soll mit seinem elenden Schlitten nicht anderer Leute Ligusterhecken kaputt fahren“, antwortete Emma respektlos; sie war wütend und vergaß, daß sie einmal dem Nähzirkel der Damen angehört und im Pfarrhaus verkehrt hatte.

Der Doktor war nicht zu Hause, dafür eilten Bäcker Andersen und Frau Andersen herbei, um Erste Hilfe zu leisten. Aber dem Grafen war nichts zugestoßen, und als man ihn stützen und ihm das in solchen Fällen übliche Glas Wasser aufdrängen wollte, verlangte er ein Bier. Man holte rasch ein paar Flaschen und trank zwischen Glasscherben und zerdrücktem Butterkuchen, und der Graf war natürlich und jovial, trank aus der Flasche, stieß mit dem Bäcker an und duzte ihn, als wäre er seinesgleichen. Der Graf war nicht hochmütig, und es wurde mehr Bier geholt, und der Graf pißte demokratisch in den Bäckerladen, bevor er beschloß, aufzubrechen und sich zurück ins Schloß zu begeben, ehrerbietig von Andersen gestützt.

Alles wäre friedlich und ruhig verlaufen, wäre nicht Landpolizist Hansen zufällig auf dem Rad vorbeigekommen, der sich über den Traktor im Schaufenster, die umgeworfenen Zäune und die breitgetretenen Torten dann doch reichlich wunderte. Er hörte sich Emmas heftige Klagen an und hielt es für notwendig, Anzeige über die Sache zu erstatten. Dadurch wurde der kleine Spaß in weiteren Kreisen bekannt. Einige Lokalzeitungen schrieben darüber, und der Graf mußte später eine Geldstrafe von einhundert Kronen an die Staatskasse zahlen.

„Was da für Papier verbraucht wird!“ sagte Niels Madsen. „Papier und Anzeigen und Schreibereien: Das ist das System‘! Dafür verschwendet man das Geld der Steuerzahler! Und die Juden müssen schließlich etwas haben, worüber sie in ihren Zeitungen schreiben können!“

„Aber Redakteur Jörgensen vom Kreisblatt ist ja nun wirklich kein Jude“, wandte seine Frau ein.

„Er wird wohl doch einer sein!“ erwiderte Niels Madsen.

„Hast du eigentlich jemals einen Juden gesehen?“ fragte seine Frau verdrossen.

„Was heißt gesehen? Ich habe sie nicht direkt gesehen. Aber man fühlt sie doch immerzu. Sie haben sich überall eingeschlichen. Der eine hilft dem anderen hinein. Sie sitzen in ihren Geschäftshäusern dort in Kopenhagen und bestimmen alles. Sie beherrschen die Hochfinanz und die Zeitungen und die Banken und alles!“

„Skjern-Svendsen war doch auch kein Jude“, sagte Frau Madsen. „Er war nur Jüte. Und er besaß Güter, Webereien, die Knopffabrik und die Textilfabrik und was weiß ich noch alles.“

„Skjern-Svendsen vielleicht nicht. Aber die anderen. An wen, glaubst du, zahlen wir Zinsen, wenn nicht an die Juden? Und wer, glaubst du, regiert die Gewerkschaften und macht den Sozialismus?“

„Hier regiert ja Rasmus die Gewerkschaft“, sagte Frau Madsen stur. „Ich habe nie gehört, daß er Jude sein soll. Er geht in die Kirche und ißt Schweinebraten, und Juden dürfen kein Schweinefleisch essen.“

„Du kannst Gift darauf nehmen, daß sie Schweinefleisch essen“, sagte Niels Madsen. „Sie sitzen auf Schweinefleisch und fressen es auch. Es sind gerade die Juden da drüben in England, die unseren feinen Schinken fressen, ohne etwas dafür zu bezahlen!“

Rasmus Larsen brachte seine Mauer wieder in Ordnung und die herausgerissenen Steingartenpflanzen und immergrünen Gewächse wieder in die Erde. „Hierzulande sind alle vor dem Gesetz gleich“, sagte er. „Bei uns herrscht Demokratie. Auch ein Graf wird zur Rechenschaft gezogen, wenn er die Verkehrsregeln verletzt. Wir sitzen doch alle im selben Boot, ohne Ansehen der Person. Da werden keine Unterschiede gemacht.“

Und Bäcker Andersen bekam seine Scheibe erstattet, und Höschen-Marius seinen Zaun und der Doktor seine Gartentür. Aber die Ligusterhecke der alten Emma wurde nicht für so wertvoll befunden, daß man dafür eine Entschädigungssumme festsetzte. Sie würde wohl auch von selbst nachwachsen.

„Es gibt kein Recht für die Armen!“ jammerte Emma. „Und der schöne Porree, der bis zum Herbst so dick wie ein Arm werden sollte! Der soll nichts wert sein, wo ich ihn so gedüngt habe! Nein, es ist schon so, wie im Psalm geschrieben steht: Unrecht spricht man jetzt statt Recht!“

„Bist du vielleicht Bolschewik geworden, Emma, wie Martin Olsen?“ fragte Rasmus. „Ist es Margrete, die es dir eingibt?“

„Nein, das bin ich nicht! Und ich habe auch keine Ahnung, wovon du sprichst. Und du sollst nicht grob werden, Rasmus, und anderen irgend etwas nachsagen! Denn ich habe dich schon gekannt, als du noch so klein warst, daß du deine Hosen nicht alleine zuknöpfen konntest!“

Obwohl der Graf bescheiden und natürlich sein konnte, auf dem Traktor fuhr und mit den Leuten Bier trank: er hatte Stil. Als natürlicher Abkömmling eines oldenburgischen Königs stand ihm das Recht zu, seine Lakaien rote Livree tragen zu lassen. Ein neuer, aristokratischer Geist war auf dem alten Herrenhof eingezogen. Die kleinliche Knauserei und die Schnüffelei in der Speisekammer, der sich der verstorbene bürgerliche Gutsbesitzer hingegeben hatte, war vorbei. Der Graf überwachte die Arbeit auf dem Gut, er ritt auf die Felder hinaus und munterte die Leute auf, doch er mischte sich nicht in die Haushaltsführung ein und zählte nicht die Zuckerstücke in der Tüte.

Zu Skjern-Svendsens Zeiten hatte es nur einen einzigen Diener im ganzen Schloß gegeben, einen wortkargen, bleichen Mann namens Lukas. Er durfte bleiben, obwohl er eine undurchsichtige Vergangenheit und ein schlechtes Führungszeugnis hatte. Aber mit Graf Preben kamen mehrere neue Diener nach Frydenholm, kam ein neuer Verwalter, der in Deutschland ausgebildet worden war, kamen ein neuer Großknecht und eine Anzahl neuer Knechte. Es waren besonders ausgesuchte Leute, die der Graf eingestellt hatte, Leute mit Schneid; sie schlugen die Hacken zusammen, daß es knallte, und grüßten militärisch, wenn ihr Herr seine tägliche Runde ritt.

Es kam auch vor, daß der Graf die Leute im Hof antreten ließ, mit weißen Hemden, schwarzem Schlips und Mützen und blankgewienerten Schaftstiefeln. Sie machten unter dem Kommando des Verwalters Freiübungen und marschierten und exerzierten mit Spaten, als seien es Gewehre. Sie machten „rechtsum“ und „linksum“, formierten sich zur Kolonne und sangen: „In allen Reichen und Ländern ...“ Der Graf sah von der Schloßtreppe aus zu und grüßte seine Leute mit erhobener rechter Hand, wenn sie den Spaten präsentierten.

Graf Preben war nicht verheiratet. Er nahm seine Mahlzeiten gewöhnlich ganz allein im großen Speisesaal des Schlosses ein, wo altersdunkle Ahnen von den Wänden auf ihn niedersahen. Dabei ging es ganz feierlich zu. Jeden Abend setzte er sich in braunem Smoking und weißem Seidenhemd zu Tisch und ließ sich das Essen auf silbernen Tellern servieren. Wenn der junge Mann von einer Speise genug hatte, klatschte er in die Hände, und der Diener, der mit dem nächsten Gang bereitstand, kam eilends herein und richtete an. Neben dem Stuhl des Grafen lagen zwei große Schäferhunde; sie bekamen die gleichen Speisen auf den gleichen silbernen Tellern serviert und wurden vom dienenden Personal mit der gleichen Ehrerbietung behandelt.

Der Graf war ein großer, hellblonder junger Mann, fast weißblond, mit hellblauen Augen und ohne Brauen. „In dem Mann steckt Rasse!“ sagte Niels Madsen, der dunkel war und wie ein Zigeuner aussah. „Das ist echt nordische Gestalt. Das ist die Sorte Mann, die berufen ist, Männer zu führen!“

Der junge Führer sprach den weichen fünischen Dialekt, der zu Hause im Stall des Familiengutes in der Nähe von Assens gesprochen wurde. Den größten Teil seines Wissens hatte er im Pferdestall erworben, und er liebte Pferdegeschirr und Reitstiefel und Wichse. Dienende Geister hatten sich um seine Erziehung gekümmert und ihn gelehrt, Tabak zu schnupfen und Karten zu spielen. Von seinen Eltern hatte er nie viel gemerkt; sie waren ständig beschäftigt gewesen; Reisen und Gesellschaften, der Hofdienst und die rätselhaften Pflichten eines Kammerherrn hatten ihre Zeit in Anspruch genommen. Der Junge wurde vernachlässigt und war einsam, er war groß und stark für sein Alter, aber unbeholfen und bemitleidenswert. Er fürchtete sich vor den Gänsen des Gutes und hatte das Pech, bei allem, was er tat, zu Schaden zu kommen.

Nachdem sich eine Anzahl ehrerbietiger und geduldiger Hauslehrer mit ihm beschäftigt hatte, gelang es, den Jungen im Internat Herlufsholm unterzubringen, aber schon nach zwei Jahren mußte man ihn auf eindringliches Ersuchen des Rektors von dort wieder wegnehmen, da ihn die anderen Jungen schrecklich mißhandelten. Danach blieb er als Eleve zu Hause auf dem Gut, war aber vor allem damit beschäftigt, einen Truthahn zu ärgern und einen im Schloß angestellten Jungen zu tyrannisieren, der nicht zurückzuschlagen wagte. Auf diese Art bereitete er sich darauf vor, einmal den Gewinn, den einige der größten Güter des Landes abwarfen, zu vereinnahmen.

Nach einigen kleineren, inzwischen vergessenen Skandalen beschloß der alte Kammerherr, seinen Sohn nach England zu schicken, damit er sich dort bei den adligen Verwandten gute Manieren und britisches Benehmen aneigne, das ihm das Stallpersonal zu Hause auf Fünen nicht so recht beizubringen vermocht hatte. Graf Preben war neunzehn Jahre alt, als er nach England fuhr, ein großer, blonder Bauernjunge mit einem stets verwunderten Gesicht und unberechenbaren Armbewegungen.

Er verbrachte gut zwei Jahre unter Britanniens Nobilität und wurde in aller Eile zum Gentleman ausgebildet. Als er zum fünischen Stall zurückkehrte, war er volljährig und somit berechtigt, über sehr bedeutende Mittel zu verfügen. Er empfand daher bald den Stall als zu eng und den Umgang mit dem Stallknecht als unzureichend. In den folgenden Jahren hielt er sich meistens in der Hauptstadt auf, wo er viele Dinge studierte und die verschiedenartigsten Freunde fand.

In einem konservativen Jugendkorps bildete er sich seine politische Meinung. Der alte Kammerherr unterstützte die Organisation idealistisch. Ihre Mitglieder trugen grüne Hemden und schwarze Schaftstiefel–nach dem Vorbild der rumänischen Eisernen Garde – und grüßten einander römischgermanisch. Da diese Organisation ihr Hauptquartier in der Store Kannikestræde in der Altstadt hatte, geschah es häufig, daß die jungen uniformierten Herren nach ihren Zusammenkünften auf die jüdischen Bewohner des Krystalgade-Viertels trafen und jugendliche Späße mit ernsthaften alten Männern trieben. Diese abendlichen Zerstreuungen gaben Anlaß zu Klagen und Leserbriefen und zu kritischen Artikeln in der radikalen Presse.

Der Grafentitel und die außergewöhnliche Blondheit verliehen ihm im Kreise der kecken „KUer“, wie die Grünhemden sich nannten, großes Ansehen. Aber auch unter den Zivilisten in den Weinstuben des Viertels wurde der junge Graf populär; er lernte eine ganze Reihe interessanter Persönlichkeiten kennen, die später in der Öffentlichkeit und im verborgenen eine Rolle spielen sollten.

Schloss Frydenholm

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