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Es gibt Menschen, die „bessere Leute“ genannt werden, und es gibt Kreise, die „bessere Kreise“ genannt werden. Andere Kreise sind nicht so gut, andere Menschen sind einfach und alltäglich, sind Krankenkassenmitglieder, sind „der gemeine Mann“.

Olsen verkehrte in den besseren Kreisen, ja, er verkehrte in den allerbesten Kreisen. Die Gesellschaft brauchte Olsens Dienste. Der Staat stützte sich auf ihn. So weit war es mit dem Staat gekommen, daß er Egon Charles Olsens Unterstützung brauchte. Es hatte eine Zeit gegeben, da Olsen vor der Polizei Angst hatte und jedesmal feuchte Hände bekam, wenn er auf der Straße an einem Polizisten vorbei mußte. Nun ging er in den Säulenhallen und Geheimkabinetten des Polizeipräsidiums ein und aus wie ein Sohn des Hauses. Der Polizeichef drückte ihm die Hand. Olsen bekam keine feuchten Hände mehr beim Anblick eines Polizisten. Reichspolizeichef Rane, der Beamte mit dem Künstlerschlips, war ihm eher ein Freund als ein Vorgesetzter.

Wenn Olsen nun nach Frydenholm kam, dann nicht, um mit Graf Preben über Staatsangelegenheiten zu sprechen. Es handelte sich um eine kleine private Affäre, eine Bagatelle im Gesellschaftsleben. Da war eine Dame des besseren Bürgertums, die glaubte, vom Grafen vergewaltigt worden zu sein, nachdem er sie in seiner Wohnung in der Hauptstadt betrunken gemacht hatte. Nun versuchte sie, ihn ein wenig zu erpressen.

So ging es in den besseren Kreisen zu. Das war keine aufsehenerregende Geschichte, aber dem Grafen war daran gelegen, seine Betriebskosten so niedrig wie möglich zu halten. Sicherlich könnte man über die Dame, die er nur flüchtig kannte, etwas in Erfahrung bringen, und es wäre wichtig, einen Zeugen zu haben. Es war Olsens Beruf, zu bezeugen und Auskünfte über Leute zu beschaffen. Er belieferte die höchsten Behörden. Der Reichspolizeichef selbst konnte ihn empfehlen.

Olsen wußte gut auf Frydenholm Bescheid. Er war seinerzeit Diener im Schloß gewesen und kannte einen Teil seiner Geheimnisse. Später hatte er ein Stück Detektivarbeit für C. C. Skjern-Svendsen geleistet, als der Gutsbesitzer seine Frau für geisteskrank erklärt haben wollte. Nun war es Graf Preben, der den Fachmann herbeirief, und der bleiche Diener Lukas ließ den Gast durch die Hintertür ein, wie er es so oft getan hatte, ohne sich zu wundern und ohne zu fragen. „Guten Tag“, sagte er nur. „Na, kommst du auch mal wieder?“

„Ja“, sagte Olsen. „Da bin ich wieder!“

Der Graf brauchte seine Hilfe, ebenso wie die Staatsmacht sie benötigte. Der Graf hatte wohl von Olsens Arbeit für Skjern-Svendsen gehört. Vielleicht auch hatte er Olsen in einer Weinstube im Zentrum Kopenhagens kennengelernt, wo sich so viele interessante Persönlichkeiten trafen. So weit war es gekommen: Die Unterwelt und die Oberwelt vereinigten sich. Das war ein Entwicklungsstadium.

Lukas bemerkte, daß Olsen und der Graf sich wie alte Kameraden und Herzensfreunde begrüßten, mit Schulterklopfen und freundschaftlichen Püffen in den Bauch. Guten Tag, alter Freund. Spendierst du ein Glas?

Die Konferenz der Herren ging bei einem Kasten Bier vonstatten. Zwischen den beiden gab es keine feierlichen Formalitäten. Man kam gleich zur Sache. Wieviel willst du dafür haben, ein Weibsbild zu kompromittieren? Was kostet eine Zeugenaussage? Es war nicht schwer, sich zu einigen.

Olsen hatte viele Eisen im Feuer. Staatsangelegenheiten und Affären in den besseren Kreisen des Landes nahmen seine Zeit in Anspruch. Er reiste zwar nicht wie der Schriftsteller François von Hahn in einem blankgeputzten Polizeiauto, hatte aber dieselben vornehmen Freunde und Verbindungen und kümmerte sich noch um seinen Stammtisch im Café Fidusen, wo sich Dichter und Studenten gern von unbekannten Gewerbetreibenden freihalten ließen.

Schließlich gab es noch die kleine Druckerei in der Stengade im Nørrebro-Viertel; dort hatte Olsen einmal gearbeitet, und nun fand er sich ab und zu bei Buchdrucker Damaskus und seinen altruistischen Kunden ein, um sie zu begrüßen. In dem kleinen Büro, in dem drei große Plüschsessel standen und Berge von Drucksachen herumlagen, ging es zu wie in einem Klub, wo sich Idealisten trafen und über die höchsten Dinge diskutierten.

„Damaskus-Druck“ verkündete ein emailliertes Schild am Torweg, und eine Hand mit Manschette wies in einen Hof, wo Tonnen und Kisten aufgestapelt waren und ständig einige Männer mit dem Transport von Kisten zu tun hatten. An der Rückseite des Hofes war eine Eisentreppe, und eine zweite Hand zeigte schräg hinauf zur Druckerei, von wo man Maschinenlärm hörte, wo es nach Druckerschwärze und Petroleum roch und wo idealistische Gedanken mit Hilfe einer älteren Presse und einiger der kleinen, schnellen Maschinen, der sogenannten Fliegenklatschen, vervielfältigt wurden. Zu Olsens Zeit hatte es zwei Pressen gegeben, aber immer wieder waren Eisenteile verschwunden, die für die Maschinerie lebenswichtig waren, und nun reichten die Teile nur noch für eine Presse.

Buchdrucker Damaskus war überzeugt, daß an Olsen nichts Übles war, doch er hielt ihn für einen schwachen Menschen. Nicht ohne Sorge sah er Olsen in einem feinen neuen Wintermantel mit Pelzkragen eintreten. Er fürchtete wohl, der schwache Mann sei in schlechte Gesellschaft geraten, und erkundigte sich vorsichtig nach Olsens neuer Arbeit.

Es war nie Olsens Gewohnheit gewesen, mit Damaskus über seine privaten Geschäfte zu sprechen, zudem liebte er Fragen nicht. „Soll das vielleicht ein Verhör sein?“ empörte er sich. „Wird man mich immer und ewig verdächtigen, wenn ich hierherkomme? Gut! Ich kann auch wegbleiben!“

„So etwas dürfen Sie nicht sagen, Olsen. Ich freue mich wirklich, wenn es Ihnen gut geht“, antwortete Damaskus und sah seinen ehemaligen Mitarbeiter freundlich an. Er wünschte Olsen und allen Menschen nur das Beste. Aber er hatte so seine Sorgen, wenn es Olsen gut ging und wenn er flott gekleidet war. Damaskus fragte sich, ob Olsen in schlechte Gesellschaft geraten sei.

Und Olsen erstattete im Polizeipräsidium Bericht über die Idealisten in der Stengade. Da war zum Beispiel cand. phil. Sivertsen, ein kleiner, hitziger Mann mit weißem Haar, schwarzen Augenbrauen und schwarzem Schnurrbart. Er lebte von einem bescheidenen Vermögen und entfaltete eine sonderbare politische Tätigkeit, für die sich die Sipo interessieren sollte. Cand. phil. Sivertsen hatte die GAV-Bewegung ins Leben gerufen – diese Buchstaben bedeuteten: Geographie, Ausbeute, Verbrauch –, und das war keine gewöhnliche politische Partei. Es war eine Partei über allen Parteien, eine Liga und eine Volksbewegung, die beabsichtigte, das Geld auf der Welt abzuschaffen und statt dessen ein System von Währungen zu errichten. Damit wollte Sivertsen den Kapitalismus zerschmettern, denn die Währungen konnten weder gespart noch verzinst werden, da ihr voller Tauschwert nur für den Tag galt, an dem sie als Lohn gezahlt wurden; man mußte sich beeilen, für alle seine Währungen schon am Lohntag einzukaufen, denn es war beabsichtigt, daß sie von Tag zu Tag an Wert verloren, und am folgenden Zahltag sollten sie völlig wertlos sein. Auf diese Weise würde man die Kauflust, demzufolge den Umsatz von Waren und damit wiederum die Produktion steigern wie nie zuvor; alles würde blühen und gedeihen, niemand wäre mehr arbeitslos, Wohlstand und Glück würden auf Erden herrschen. Kandidat Sivertsen verstand es, sein System sehr einleuchtend und klar in Rede und Schrift darzulegen, und nur der Student Skodsborg widersprach ihm eigensinnig.

Auch für Skodsborg sollte sich die Sicherheispolizei interessieren. Er vertrat noch immer die Meinung, die wahren Führer des Kommunismus müßten das Abitur haben. Zwar ging der junge Skodsborg mit den Kommunisten in seiner Zeitschrift streng ins Gericht, aber nur, weil sie nicht kommunistisch genug waren. Student Skodsborg konnte es sich vorstellen, einer neuen, kommunistischen vierten Internationale seine Hilfe zu gewähren. In seinen „Akademischen Intelligenzblättem“ beklagte er die Degeneration der russischen Revolution und hielt die Meinung, ein isolierter Arbeiterstaat könne über einen längeren Zeitraum hinweg existieren, für absurd. Er verfaßte die meisten Artikel seiner Zeitschrift selbst, aber auch seine Schwester Marie, Lew Trotzki und cand. polit. Praahs hatten gelegentlich Beiträge geschrieben. Sie alle waren in der Kartei der Sipo registriert. An dem Tag, da Student Skodsborg die Revolution auf die Welt losließ, würde er die Polizei vorbereitet finden.

Und der mystische Dr. Robert Riege, der Hexenmeister und Magier, der die Menschen verzauberte, konnte er der politischen Polizei gleichgültig sein? Olsen war nicht der Ansicht. Er kannte einige der Geheimnisse des Zauberers und verkaufte sie tropfenweise. Auch Robert Riege beschäftigte sich mit Politik. Er hatte eine Gruppe um sich geschart, die sich „Sexpol“ nannte. Das war kein Kommunismus, sondern etwas, was noch weiter links tendierte. Sexpol sollte den Bürgern die sexuelle Freiheit bringen, die der ökonomischen vorausgehen mußte. Freiheit durch Orgasmus. Die Sexualenergie der Gesellschaft in Gemeinschaft verwaltet. Die Ökonomie der Libido. Geht und macht alle Leute zu meinen Schülern und Patienten! Ein Staat von Studienzirkeln, ein Rad im anderen ohne Anfang und Ende, wie es Hesekiel in seiner Erscheinung sah.

Rasch und kurz gab Dr. Riege seine Anweisungen für den Druck der „Sexualtidende“. Seine Zeit war knapp, das Auto wartete unten in der Stengade. Die Patienten warteten. Die Schüler warteten. Die ganze Welt wartete auf Befreiung und Orgasmus. Da blieb keine Zeit für Diskussionen mit den anderen Idealisten, die in Damaskus’ Büro Klubgespräche führten. Der Doktor hatte es eilig und erkannte Olsen nicht wieder; es waren wohl der neue Mantel und die Astrachanmütze, die ihn fremd aussehen ließen. Und dicker war Olsen auch geworden.

Olsen fragte nach Flemming Praahs. „Kommt er noch in die Druckerei?“

„Nein, wir sehen ihn gar nicht mehr“, sagte Damaskus.

„Ist er nicht mehr in der Redaktion der ,Akademischen Intelligenzblätter‘?“

„Nein. Skodsborg macht alles allein.“

Flemming Praahs hatte das Staatsexamen bestanden und sollte in der Verwaltung angestellt werden. Er war ja nun cand. polit. Sein Staatsexamen hatte er endlich mit Ach und Krach und einer schlechten Note hinter sich gebracht, und seitdem war er nicht mehr revolutionär. Früher war er einmal Kommunist gewesen, doch das war ihm nicht revolutionär genug; außerdem hatte man ihn nicht zum Führer und Ratgeber gemacht, wie er es erwartet hatte. Da war er aus der Kommunistischen Partei ausgetreten und ultrarot geworden, außerhalb des Spektrums. In den „Akademischen Intelligenzblättern“ verkündete er dann seine Meinung über die verratene Revolution und die reaktionäre Entartung des Kommunismus und förderte die vierte Internationale des Studenten Skodsborg und seiner Schwester. Doch nun hatte er sein Examen bestanden.

Mehr konnte Olsen über Flemming Praahs nicht in Erfahrung bringen. „Aber grüßen Sie ihn, wenn er sich zeigen sollte!“ Auch Olsen hatte es eilig. Man erwartete ihn in den besseren Kreisen. Er glättete sein schwarzes Haar vor dem kleinen Spiegel am Handwaschbecken und setzte seine Astrachanmütze mit großer Sorgfalt auf. In den Schultern seines neuen Mantels war viel Watte. Er sah breit und pompös aus. Ein Mann von Format.

Der alte Schneider Henningsen aus Præstø kam gerade die Eisentreppe herauf. Er war schon über siebzig, doch er fuhr noch weite Strecken mit dem Fahrrad zum Nutzen des Reiches Gottes und teilte kleine Traktate aus, die er bei Damaskus drucken ließ. Henningsen mußte Olsen noch rasch begrüßen, den er von der Gefangenenhilfe her kannte und dem er in einer schwierigen Zeit Wohlwollen erwiesen hatte. Sein Sohn, der Unterinspektor im Staatsgefängnis, hatte ihm den Entlassenen zur besonderen Aufmerksamkeit empfohlen. „Geht es Ihnen gut, Olsen? Und wie stehen Sie sich mit Jesus?“

„Ausgezeichnet“, antwortete Olsen. Doch er war in Eile und mußte sich sofort verabschieden.

Damaskus sah ihm nach, als er die Eisentreppe hinunterstieg. Klein und grau stand er da und blickte hinter dem ehemaligen Zuchthäusler her, der nun ein Mann von Format war. Und aus seinen freundlichen Augen sprach Sorge. Trotz Watteschultern und Pelzmütze und Format war Olsen ein schwacher Mensch. Ob er nicht doch wieder in schlechte Gesellschaft geraten war?

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