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2.7.1 Welches Verhältnis hatte DARWIN zur Philosophie?
ОглавлениеDiese erste Frage ist aus seinen veröffentlichten Werken kaum zu beantworten; zur Philosophie äußert er sich dort nur wenig. Dabei könnte man immerhin einige seiner Vorgänger als Philosophen einstufen, schrieb doch LAMARCK 1809 eine zweibändige Philosophie zoologique, die 2009 ebenfalls ein Jubiläum feiern konnte. Aber gerade dadurch wurde LAMARCK zum Vorgänger DARWINS, insbesondere der Evolutionstheorie und damit auch der neuzeitlichen Biologie. LAMARCK, DARWIN und andere haben die neuzeitliche Biologie als einheitliche Disziplin erst begründet.
Auch in DARWINS Autobiographie gibt es zwar ein ganzes Kapitel über seine religiösen Ansichten; er erläutert darin, wie und warum er allmählich zum Agnostiker wurde. Über seine philosophischen Überzeugungen erfährt man jedoch so gut wie nichts. Offenbar haben ihn philosophische Texte wenig beeindruckt, Bücher über Metaphysik schon gar nicht. Zwar hatte er nach zwei Jahren Medizin Theologie studiert und dort auch das einzige Examen seines Lebens gemacht; was ihn während des Studiums jedoch wirklich interessierte, das waren Geologie, Paläontologie, Botanik, Zoologie. Zum Glück gab es Professoren wie JOHN STEVENS HENSLOW, die nicht nur Theologie lehrten, sondern gleichzeitig auch Botanik, sodass er dessen Exkursionen mitmachen konnte.
Mehr entnehmen wir seinen Notizbüchern, in denen er 1837/1838 Gedanken zu zahlreichen naturkundlichen Themen zusammenträgt, die aber nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind. In Notizbuch M notiert er 1838: „Ursprung des Menschen nun bewiesen. Die Metaphysik muss aufblühen. Wer den Pavian versteht, hätte mehr für die Metaphysik getan als Locke.“ Und etwas später: „PLATON … sagt im Phaidon, unsere notwendigen Ideen’ entstammten der Präexistenz der Seele, seien nicht von der Erfahrung abgeleitet. – Lies Affen für Präexistenz.“ Damit verweist er auf eine Lösung für das alte philosophische Problem der angeborenen Ideen: Was uns von Geburt an mitgegeben ist und uns universell, manchmal sogar denknotwendig erscheint, das verdanken wir letztlich unseren tierlichen und menschlichen Vorfahren. Angeborene Ideen kann es danach durchaus geben; vielleicht können wir ihnen auch gar nicht entrinnen; sie sind dann a priori in einem biologisch-genetischen und denknotwendig in einem psychologischen Sinne. Eine Wahrheitsgarantie liegt darin jedoch nicht.
Auch zu anderen Problemen, die wir gern philosophisch nennen, nimmt er gelegentlich Stellung, so zur wissenschaftlichen Methodologie („Ich arbeitete nach echten BACON’schen Grundsätzen.“), zur teleologischen Weltsicht, die er bekämpft, zur Willensfreiheit, die er als Illusion bezeichnet, zu ethischen Problemen, etwa zur Genese der Moral, des Gewissens, des Gemeinsinns, der Religiosität, oder zu aktuellen politischen Fragen, insbesondere zu Sklaverei und zu Kinderarbeit, die er verurteilt, wie er sich auch sonst gegen jede Art von Unterdrückung wendet.
Aber wird er dadurch schon zum Philosophen? In einem Aufsatz zur Suche nach einer evolutionären Philosophie des Menschen gibt der Evolutionsbiologe RICHARD ALEXANDER dem Mathematiker und Genetiker J. B. S. HALDANE darin Recht, dass DARWIN die größte philosophische Revolution aller Zeiten ausgelöst habe.14 Die Evolutionstheorie sei schon deshalb philosophisch, weil sie so umfassend sei und dabei auch den Menschen einschließe; sie gebe damit auch eine Antwort auf die Frage „Was ist der Mensch?“, die wichtigste Frage der Philosophie überhaupt. Diese Antwort sei so revolutionär, dass man alle vorhergehenden Antworten ignorieren könne.
Das kann man aber auch ganz anders sehen. Dass DARWINS Gedanken, insbesondere seine Evolutionstheorie, großen Einfluss nicht nur auf die Wissenschaften, sondern auch auf die Philosophie hatten, ist unbestritten. Das heißt aber noch nicht, dass DARWIN selbst Philosoph war. Vermutlich liegt die Wahrheit in der Mitte: DARWIN war hellsichtig genug, die Relevanz seiner Evolutionstheorie für die Philosophie zu sehen und hervorzuheben. Er war aber auch bescheiden und vorsichtig genug, keinen philosophischen Aufsatz und erst recht kein philosophisches Buch zu schreiben.