Читать книгу Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil V) - Hedwig Courths-Mahler - Страница 11
8. Kapitel.
Abschied von Burgau.
ОглавлениеHans Ramberg hatte die Depesche erhalten, die der Burgauer Arzt an ihn abgesandt hatte, Sie lautete:
»Der Burgauer Damm gebrochen. Großwassergefahr. Fritz Gerhard beim Rettungswerk verunglückt — tot.«
Hans blickte, wie vom Donner gerührt, auf diese furchtbare Nachricht, die er nicht zu fassen vermochte.
Sein erster bewußter Gedanke galt Rose-Marie. Wie mußte sie dies Schreckliche niedergeschmettert haben.
Halb von Sinnen vor Aufregung, eilte er in die Wohnung des ersten Verwalters von Ronach und hielt diesem die Depesche entgegen in wortloser Trauer.
Dieser las und wandte sich, gleichfalls erschüttert, an den jungen Mann.
»Mein alter Freund Gerhard tot — und Großwasser in Burgau! Das ist eine schlimme Botschaft!
Lieber Ramberg, ich glaube, daß Ihre Anwesenheit in Burgau jetzt sehr notwendig ist. Die beiden Frauen werden sich nicht zu helfen wissen.
Reisen Sie sofort ab, ich gebe Ihnen Urlaub, solange Sie dort nötig sind. Wenn unser Herr Graf von der Reise zurückkehrt, werde ich Ihren Urlaub vertreten!«
Hans nahm diesen Urlaub dankbar an.
Sofort brach er auf und saß eine Stunde später schon im Zug, mit dem er zwei Stunden zu fahren hatte.
In den »Drei Raben« lieh er sich ein Fuhrwerk. Der Wirt machte ihn darauf aufmerksam, daß er den oberen Waldweg nehmen müsse, da der untere unter Wasser stand.
Hans dankte ihm und fuhr davon.
Er war wie im Fieber.
Immer mußte er an feine letzte Unterredung mit Onkel Fritz denken, an seine lieben, goldenen Worte.
Was war ihm dieser prächtige Mann gewesen!
Und Rose-Marie erst? Wie furchtbar mußte sie leiden unter diesem entsetzlichen Verlust!
Er sah im Geiste ihr blasses, trauriges Gesicht und trieb das Pferd noch mehr an.
Viel zu langsam ging es vorwärts für seine fieberhafte Ungeduld.
Seine Augen schweiften finster über die Verwüstung, die das Wasser angerichtet hatte.
Von hier oben konnte man alles übersehen.
Mit bangem Herzen dachte er daran, daß Rose-Marie vielleicht nicht nur den Vater, sondern auch die Heimat verloren hatte.
Er wußte ja nur zu gut, was Onkel Fritz von dem Großwasser gefürchtet hatte.
Wie hatte er sich jahrelang bemüht, den dickköpfigen Bauern die Notwendigkeit eines neuen Dammes klarzumachen.
Sie hatten ihn verlacht.
Nun würden sie nicht mehr lachen, sondern würden beklagen, nicht auf ihn gehört zu haben. Aber Onkel Fritz machten sie dadurch nicht wieder lebendig.
Je weiter Hans fuhr, je mehr sah er die Spuren der Verwüstung.
Wohl hatte sich das Wasser bereits etwas verlaufen und wälzte sich nur noch in träger Flut einher.
Aber den Weg, den es genommen hatte, bezeichnete trostlose Verwüstung.
Eine Anzahl Häuser waren eingestürzt, andere schienen mitten durchgeschnitten, man sah in die verlassenen Wohnungen, in denen die schmutzige Flut gurgelte und allen Hausrat mit fortschwemmte.
Gierig leckte das Wasser nach allem, was erreichbar war.
Es war ein trostloser Anblick.
Außer den geliebten harten Talern hatten die Bauern nicht viel mehr gerettet, als das nackte Leben.
Endlich fuhr Hans in das Hoftor ein.
Da stand das liebe alte Haus. Aber aus dem sonst so sauberen Hofe sah es schrecklich aus.
Zwischen den obdachlosen Menschen lief das Vieh unbeaufsichtigt umher, und allerlei geretteter Hausrat der Obdachlosen stand und lag unordentlich umher.
In der Haustür stand Böllermann mit verbundenen Händen und starrte mit finsterem Gesicht auf die Menschen, die seines Herrn Tod und all das Elend verschuldet.
Als Hans einfuhr, stürzte er ihm entgegen.
»Gott sei Dank, daß Sie kommen, junger Herr, Gott sei Dank!« rief er wie erlöst.
Hans sah in das treue Gesicht, das so seltsam blaß und betrübt erschien.
»Warum sind Ihre Hände verbunden, Böllermann?«
Der Großknecht wurde rot wie ein junges Mädchen.
»Ach, das ist man — weil mich unser Herr mitgenommen hat auf die Rettungsfahrt!«
Hans biß die Zähne zusammen.
«Böllermann — wie starb er?«
»Wie ein Held, junger Herr, bis zuletzt klar und besonnen, als er schon wußte, daß er sterben mußte.
Von Ihnen hat er auch gesprochen noch — und von seiner Tochter. Seinen Segen sollte ich Ihnen bringen, und stark sein sollte unsere Rose-Marie.
Nun, sie ist tapfer und beißt die Zähne zusammen. Aber weiß wie ein Leinentuch ist ihr Gesicht. Ein Jammer ists sie anzusehen, das Herz dreht sich einem um!«
Hans stöhnte auf.
»Und Tante Henriette?« fragte er betrübt.
Böllermann seufzte.
»Die ist noch immer ganz außer sich und macht dem Kinde das große Unglück noch schwerer. Es ist gut, daß Sie da sind, junger Herr; hier geht alles drunter und drüber!«
»Wo ist Rose-Marie?«
»Im Arbeitszimmer unseres guten Herrn, da haben wir ihn ausgebahrt!«
Hans fuhr sich über die Stirn.
»Böllermann, schicken Sie das Fuhrwerk in die »Drei Raben« zurück, ich habe es geliehen!«
»Soll geschehen, junger Herr!«
Hans eilte ins Haus. Totenstille umgab ihn hier.
Leise trat er in das Zimmer seines Onkels.
Auf derselben Stelle, wo Hans ihm Weihnachten seinen Herzenswunsch mitgeteilt hatte, lag er nun, ein bleicher, stiller Mann.
Und neben ihm kniete eine schlanke, schwarzgekleidete Mädchengestalt in stummer Trauer.
Das goldblonde, gelockte Haar umgab das gesenkte Köpfchen wie ein Heiligenschein.
Still trat er zu ihr und kniete neben ihr nieder, brennendes Weh um den geliebten Toten im Herzen.
Er legte seinen Arm wie schützend um das junge Mädchen.
»Rose-Marie!«
Sie zuckte zusammen und hob den Kopf. Und dann lehnte sie sich müde an seine Schulter. Ein weher Seufzer hob ihre Brust.
»Bist Du da, Hans? Ach, Hans, mein lieber, lieber Vati — kannst Du es fassen, daß er uns genommen ist?«
Er drückte ihr Köpfchen an seine Brust.
»Rose-Marie, meine arme, kleine Rose-Marie! Welch ein herrlicher Mensch ist von uns gegangen. Aber Du mußt stark und mutig sein, mein Liebling, weil es sein letzter Wunsch ist!«
Sie erzitterte und preßte sich wie schutzsuchend an ihn.
»Ich will es, aber ich fürchte mich vor dem Leben ohne ihn!« sagte sie leise.
»Rose-Marie, ich bin ja bei Dir!«
»Aber Du wirst wieder fortgehen!«
»Nicht, solange Du mich brauchst. Ich habe Urlaub, bis hier alles geordnet ist!«
Sie seufzte tief auf.
»Ach, wie gut ist das. Ich will ja auch stark sein, Hans. Wenn mir nur erst mein Herz nicht mehr so wehe tät. Und wenn Musch doch nur erst ruhig wäre!«
»Wir wollen sie aufzurichten suchen!«
Er erhob sich und berührte mit seinen jungen, warmen Lippen die gefalteten Hände des Toten.
»Hab’ Dank für alles, Onkel Fritz. Und was ich für die Deinen tun kann, soll geschehen. Mein Leben gehört Rose-Marie, das weißt Du, und Ihr Glück soll mein Dank an Dich sein!«
So sagte er leise vor sich hin und es war ihm, als sei ein Lächeln über des Toten Antlitz gehuscht.
Es war aber nur ein Sonnenstrahl gewesen, der die Regenwolken am Himmel zerteilte.
Rose-Marie erschauerte. Auch sie hatte den Sonnenstrahl auf des Vaters Antlitz gesehen. Es war wie ein Gruß vom Himmel herab.
»Nun komm zu Musch!« sagte sie bittend.
Hand in Hand gingen sie hinüber zu Rose-Maries Mutter. Diese empfing Hans mit einem erneuten Weinkrampf und umklammerte seinen Arm.
»Was soll nun aus uns werden, Hans, was soll aus uns werden?«
Er beruhigte sie, so gut er konnte.
Rose-Marie war zumute, als habe sich eine starke Hand tröstend nach ihr ausgestreckt und führe sie aus dem Dunkel, das sie seit gestern umgab.
Mit Hans zusammen fühlte sie sich stark genug, noch kommenden Schrecknissen zu trotzen.
* *
*
Schwere Tage vergingen. Eine Fülle von Arbeit und Geschäften stürmte auf Hans ein.
Gleich nach Gerhards Beerdigung kamen von allen Seiten Forderungen und Unannehmlichkeiten.
Dazu hatten die obdachlosen Menschen, deren Hunger man doch stillen mußte, fast alle Vorräte aufgezehrt.
Fräulein Ulrike wollte schließlich nichts mehr herausgeben, um das Nötigste für ihre Herrschaft auszusparen.
Böllermann, der einen förmlichen Haß gegen die Burgauer hegte, hätte sie am liebsten alle an die Luft: gesetzt.
Hans trat mit dem Landrat in Verbindung und verlangte Abhilfe.
Zum Glück fiel das Wasser bald, und einige Wohnungen konnten wieder bezogen werden.
Dadurch wurde das Gerhardsche Gut entlastet. Aber der Zusammenbruch ließ sich trotzdem nicht aufhalten.
Gerhards Gläubiger hatten Angst um ihr Geld bei dem traurigen Stande der Wiesen und Felder, und machten ihre Forderungen energisch geltend.
Wohl war alle Welt des Lobes voll über Fritz Gerhards Rettungswerk, man pries seinen Heldenmut, aber das hinderte die Gläubiger nicht, das Ihre in Sicherheit zu bringen.
So mußte das Gut versteigert werden.
Es brachte natürlich nur einen mäßigen Preis, und Hans konnte mit Mühe und Not für Rose-Mark und ihre Mutter einige Tausend Mark retten.
Hans stellte den beiden Frauen als ganz selbstverständlich den größten Teil seines Gehaltes zur Verfügung, damit sie vor der größten Not geschützt waren.
Er fuhr dann mit Rose-Marie nach der Stadt und sie mieteten eine kleine Wohnung, aus zwei kleinen Zimmern und Küche bestehend.
Diese Wohnung wurde mit einigen Möbeln, die man aus der Versteigerung gerettet hatte, möbliert. Auch den Schreibtisch ihres Vaters durfte Rose-Marie mitnehmen.
Sie stand Hans tapfer zur Seite in allen Dingen.
Als sie des Vaters Schreibtisch durchsahen, fanden sie auch den Brief Tante Annas an ihre Mutter, den diese Gerhard übergeben hatte.
Rose-Marie nahm ihn an sich, Hans mochte ihn nicht behalten.
Sie gedachte der Wünsche des Vaters, die sich an diesen Brief geknüpft hatten, und glaubte, ihn eines Tages doch noch an Frau Heydebrecht übergeben zu können.
Fräulein Ulrike blieb bei dem neuen Besitzer des Gutes und half Rose-Marie die kleine Wohnung einrichten.
Böllermann wollte nicht in Burgau bleiben, weil er den Burgauern grollte.
Hans verwandte sich für den treuen Knecht bei seinem Vorgesetzten und hatte die Freude, daß dieser sofort in Ronach Stellung fand. Er sollte mit Hans zusammen dort eintreffen, wenn erst alles für die beiden Damen — geordnet sein würde.
So kam der Tag heran, an dem Rose-Marie mit ihrer Mutter das Gut verlassen und nach der Stadt übersiedeln mußte.
Frau Henriette mußte Hans aus seinen starken jungen Armen über die Schwelle des Hauses in den Wagen tragen. Die Ärmste war durch Gram und Aufregung schwach und elend geworden.
Rose-Marie schritt stumm hinter der Mutter her. Aber sie sah blaß aus, wie der Tod, und Böllermann mußte sich energisch über die Augen fahren, als er sie ansah.
Hans half auch Rose-Marie in den Wagen und stieg dann selbst ein. Böllermann kutschierte.
Fräulein Ulrike stand weinend am Wagen und drückte den beiden Damen immer wieder die Hände.
»Wenn Sie mich brauchen, Fräulein Rose-Marie, dann schicken Sie mir nur einen Boten. Jch habe ja jetzt hier eine Weile faule Zeit, bis der neue Besitzer einzieht. Solange bin ich immer bereit, Ihnen zu helfen, wenn es im Anfang mit dem Wirtschaften nicht gehen will!« sagte sie schluchzend.
»Ich will mich daran erinnern, Fräulein Ulrike, aber es muß nun auch ohne Hilfe gehen!« antwortete Rose- Marie leise.
Und dann ging es den Hügel hinab, zum letzten Male.
Rase-Marie wandte den Blick und sah noch einmal zurück auf die Stätte ihrer glückseligen Kindheit. Der Jammer schnürte ihr die Kehle zusammen.
Da legte Hans seine Hand auf die ihre.
»Stark sein, Rose-Marie!«
Sie erwiderte den Druck seiner Hand und blickte hinüber nach dem Kirchhof. Dort schlief der Vater neben Tante Anna.
Ein zitternder Atemzug hob ihre Brust. Dann aber richtete sie sich hastig auf und umschlang liebevoll tröstend ihre still vor sich hin weinende Musch.
Hans hatte nur noch Zeit, die beiden Damen nach ihrer neuen Wohnung zu bringen. Dann mußte auch er fort mit Böllermann.
Als er sich von Rose-Marie verabschiedete nahm er ihre beiden Hände in seinen.
»Rose-Marie, wirst Du es ertragen in diesen engen Wänden?«
Sie blickte mit feuchten Augen zu ihm auf.
»Sorg' Dich nicht, Hans. Vatis Verlust war das Schwerste. Was nun kommt, wird leicht dagegen sein. Es tut mir immer sehr leid, daß ich so wenig gelernt habe, womit ich Geld verdienen kann!«
»Sprich nicht so, Du weißt doch, daß ich für Euch arbeiten werde, und solange ich gesund bin, seid Ihr vor Not geschützt!«
»Du sollst aber nicht immer für uns arbeiten müssen, Hans. Vorläufig müssen wir Deine Hilfe wohl annehmen. Aber ich will, sobald ich erst zur Ruhe gekommen bin, darüber nachdenken, wie ich selbst verdienen kann!«
»Willst Du mir die Freude nicht gönnen, für Euch schaffen zu dürfen? Hab’ ich Euch nicht viel Dank abzutragen? Quäle Dich nicht, Rose-Marie, ich will nicht, daß Du Dich sorgst und mühst, und wohl gar schwach und elend wirst!«
Sie streckte mit einem matten Lächeln die Arme aus.
»Die sind stark und gesund, und ich will sie regen. Laß mir ein wenig Mühe und Arbeit, lieber Hans. Vati sagte immer, wenn einer tüchtig schaffen und arbeiten kann, ist er nie ganz unglücklich!«
»Aber versprich mir, daß Du nichts unternehmen wirst, ohne mir vorher davon zu schreiben!«
»Das verspreche ich Dir!«
»Und daß Du mir all Deine Sorgen und Kümmernisse anvertrauen willst!«
Sie preßte seine Hände an ihre Augen.
»Alles werde ich Dir anvertrauen, Du bist ja jetzt mein einziger Hort. Musch braucht meinen Schutz nötigen als ich den ihren!«
Da gab er sich zufrieden. Noch sprach er nicht aus, daß er sie eines Tages als seine liebe Frau in eine neue Heimat zu holen hoffe.
Er gedachte des Versprechens, das er Onkel Fritz gegeben hatte.
So reiste er mit Böllermann ab und mußte sich zufrieden geben mit der Gewißheit, daß Rose-Marie und ihre Mutter vorläufig geborgen waren.
* *
*
Als es nun ruhig und still geworden war uni sie her, da merkten die beiden vereinsamten Frauen erst die ganze Schwere ihres Verlustes.
Wenn Rose-Marie den kleinen Haushalt besorgt hatte, was ihr gar nicht leicht fiel mit ihren ungeübten Händen, dann setzte sie sich neben die Mutter, deren Zustand jetzt in völlige Erschöpfung aufgegangen war.
Sie mühte sich mit irgend einer Näharbeit, die ihr viele ungeduldige Seufzer kostete, denn die Nadel wollte nicht so, wie sie.
Traurig schweifte ihr Blick zum Fenster hinaus.
Draußen in Burgau blühten wohl jetzt die Veilchen im Garten; wie schwer war es für sie, im engen Zimmer still zu sitzen.
Wenn sie aber einmal meinte, dieses Leben nicht ertragen zu können, dann war ihr immer, als höre sie ihres Vaters Stimme: »Stark sein, Rose-Marie!«
Dann ging es eine Weile. Und dann dachte sie darüber nach, wie sie wohl Geld verdienen könnte, um Hans zu entlasten.
Die Zinsen von den wenigen Tausend Mark, die ihnen geblieben waren, reichten kaum für Wohnung und Kleidung. Und wieviel mußte sonst noch sein!
Rose-Marie war jetzt eine richtige kleine sorgenvolle Hausfrau, die peinlich mit jedem Pfennig rechnen mußte.