Читать книгу Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil V) - Hedwig Courths-Mahler - Страница 8
5. Kapitel.
Die Herrin von Schönrode.
ОглавлениеDas Gut Schönrode lag etwa zwei Stunden von Eisenach entfernt in der schönsten Gegend des Thüringer Waldes und gehörte zu den größten und reichsten Grundbesitzen.
Marianne Heydebrecht hatte das Gut als einziges Kind von ihren Eltern geerbt und bewirtschaftete es seit dem Tode der Eltern selbst.
Ihr Mann, der Offizier gewesen war, hatte sich nie um die Bewirtschaftung gekümmert. Er starb in jungen Jahren an den Folgen eines Sturzes vom Pferde.
Marianne hing nach seinem Tode ihr ganzes Herz an ihre einzige Tochter Anna.
Sie war ihr Stolz und ihr Glück, aber ihre Liebe zu dem Kinde war wie ihr ganzer Charakter, etwas eigenwillig und herrschsüchtig.
Anna sollte ihr Glück nur aus den Händen der Mutter empfangen, und trotz aller Liebe tyrannisierte Frau Marianne ihre Tochter, wie sie auch schon den Gatten etwas tyrannisiert hatte.
Dabei war sie eifersüchtig in hohem Grade und gönnte niemand einen Anteil an der Liebe ihres Kindes.
Anna sollte dann an den Baron von Rastenau verheiratet werden, obwohl sie ihn nicht liebte.
Vielleicht wollte die eifersüchtige Mutter gar nicht, daß ihr Kind einen anderen Menschen mehr liebte, als sie. Deshalb war sie auch außer sich, daß Anna ihr gestand, daß sie einen armen Sprachlehrer, den sie in Eisenach kennen gelernt hatte, liebte, und daß sie seine Frau werden wollte.
Die herrschsüchtige und eifersüchtige Mutter wehrte sich mit aller Heftigkeit gegen diese Ehe und bestand auf Annas Vermählung mit Rastenau. So kam es zum Bruch zwischen Mutter und Tochter, und Anna verließ das Elternhaus, um nie wieder dahin zurückzukehren.
Marianne Heydebrecht war wie zerschmettert gewesen, als sie entdeckte, daß Anna geflohen war.
Sie konnte es erst nicht fassen, daß die Liebe ihres Kindes nicht stark gewesen war, um es zur Fügsamkeit zu bewegen.
Überzeugt, daß Karl Ramberg Anna zu dieser Flucht beredet hatte, warf sie einen unauslöschlichen Haß auf diesen.
Daß Anna gewählt hatte zwischen ihr und Ramberg, und daß sie dabei unterlegen war, kränkte den Stolz der herrschsüchtigen Frau aufs tiefste.
Sie hatte namenlos gelitten, denn sie liebte ihr Kind Unsagbar. Aber sie verhärtete ihr Herz in tiefster Bitterkeit.
Mit dem Schicksal hadernd, zog sie sich bis ins Innerste getroffen von allen Menschen zurück, mit denen sie nicht geschäftlich verkehren mußte.
Mit einem förmlichen Ingrimm vergrub sie sich in die Arbeit und schien für nichts mehr Sinn zu haben, als für das Gedeihen ihres Besitzes.
Annas Briefe beantwortete sie nicht; sie hoffte wohl heimlich, daß diese dann reumütig zurückkehren würde.
Später schickte sie die Briefe uneröffnet zurück und redete sich in verbissenem Groll ein, ihre Tochter sei gestorben.
Ein großes Porträt Annas, welches über ihrem Bette hing, mußte ihr Diener Gustav auf den Speicher tragen. Auch sonst verbannte sie alle Andenken an ihre Tochter aus ihrer Nähe, und ihr Name durfte in Schönrode nicht mehr genannt werden.
Mit einem wahren Selbstvernichtungstrieb wütete sie gegen sich selbst, denn ihr Herz versteinerte sich in jenen furchtbaren Tagen tiefster Seelenqual.
Wäre Anna zurückgekehrt, hätte sie sich ihr zu Füßen geworfen und sie mit ihren Armen bittend umfaßt, vielleicht wäre das verbitterte Herz weich geworden, vielleicht hätte sie es verzeihend geöffnet.
Briefe aber waren diesem versteinerten Schmerz gegenüber machtlos.
Und so waren zwei Menschen auf immer getrennt, die sich im Grunde ihres Herzens liebten und zueinander gehörten.
So lebte die alte Frau von Jahr zu Jahr einsamer und verbitterter auf ihrem herrlichen Besitz und hatte keine Freude daran.
* *
*
Es war ein regnerischer Apriltag Marianne Heydebrecht war eben von einem Inspizierungsgange durch die Ställe in das Haus zurückgekehrt.
Sie trat in das schöne, mit Eichenholz ausgeschlagene Speisezimmer, wo auf einem Tisch am Fenster das Frühstücksgerät bereit stand.
Die schweren, gediegenen Eichenmöbel mit den kostbaren Holzschnitzereien, das massive Silbergerät auf den Kredenzschränken, die hohen, geschnitzten und mit Leder bezogenen Stühle, die schweren Vorhänge und kostbaren Tapeten zeugten von dem Reichtum des Hauses und altererbter Pracht.
Sehr seltsam nahm sich in dieser Umgebung die mit puritanischer Einfachheit gekleidete Frauengestalt aus.
Die Herrin von Schönrode trug ein schlichtes, graues Kleid von festem Stoff. Es war nur am Halsbündchen mit einem schmalen, weißen Stickereistreifen geziert.
Das graumelierte Haar umgab glattgescheitelt den schmalen Kopf mit den energischen Zügen.
Wie in Stein geschnitten erschien dieses Gesicht.
Ein verbitterter, harter Ausdruck lagerte um den zusammengepreßten Mund, und die Augen blickten gewöhnlich scharf und kalt.
Nur manchmal, wenn Marianne Heydebrecht eine Stunde untätig auf ihrem Platz am Fenster saß, wo sie ihre ganze Umgebung kontrollieren konnte, wenn sie sich in trübes Sinnen verlor, dann begannen diese Augen unruhig umherzuschweifen, wie in angstvoller Hast, als ob sie etwas suchten.
Und dann brach jäh wie ein Blitz zuweilen ein so wild verzweifelter Blick aus diesen Augen, daß man nicht mehr an ihre kalte Ruhe hätte glauben können.
Aber so sah nie ein Mensch die einsame Frau.
Sie ließ sich nie lange gehen, wenn diese Stimmung über sie kam. Dann schaffte sie sich Arbeit, harte, ermüdende Arbeit, bis sie erschöpft auf ihr Lager sank.
Wie jeden Morgen, lag auch heute die Postmappe schon bereit auf ihrem Platz. Ihr alter Diener Gustav brachte das Frühstück und setzte es stumm auf den gedeckten Tisch.
Marianne Heydebrecht aß und trank in der Art eines Menschen, der sich kaum bewußt wird, was er ißt, und gewissermaßen nur aus Pflichtgefühl Nahrung zu sich nimmt. Dann schob sie den Teller von sich und öffnete mit einem kleinen Schlüssel, den sie an der Uhrkette trug, die Posttasche.
Gleichmütig sah sie ein Schreiben nach dem anderen durch.
Es waren nur geschäftliche Mitteilungen aller Art.
Plötzlich stutzte sie aber und blickte auf ein Kuvert, das die energischen, steilen Schriftzüge Fritz Gerhards trug.
Sie erkannte dieselben sofort und prüfte dennoch den Poststempel, als wollte sie sich vergewissern, daß der Brief wirklich von ihm war.
Dann überlegte sie, ob sie etwa Geburtstag hatte. Lange schon achtete sie dieses Tages nicht mehr.
Aber nein, ihr Geburtstag war ja im August. Was wollte denn Fritz Gerhard zu so außergewöhnlicher Zeit?
Sie wollte den Brief erst zurücklegen, Privatkorrespondenz liebte sie längst nicht mehr. Aber dann öffnete sie ihn doch.
Wenn Marianne Heydebrecht vor einem Menschen etwas wie Respekt fühlte, dann war es Fritz Gerhard, dem sie besonders zugetan war, ehe das Unglück über sie kam.
Langsam entfaltete sie den Brief und las.
Und da starrten ihre Augen in jähem Schreck auf das Papier.
Wie von einer geheimnisvollen Macht getrieben, fuhr sie kerzengerade empor, ein gurgelnder Laut rang sich über ihre Lippen, und dann plötzlich stürzte sie zu Boden wie ein gefällter Baum. — —
Niemand durfte das Zimmer der Gutsherrin betreten, wenn er nicht gerufen wurde.
So lag Marianne Heydebrecht einsam auf der Erde, neben sich den Brief mit der Todesnachricht ihres einzigen Kindes.
Es war das erste Mal in ihrem Leben, daß diese eisenfeste Natur einer Ohnmacht erlag.
Sie wußte nicht, wie lange sie so gelegen hatte, als sie wieder zu sich kam und sich mühsam emporrichtete.
Todmüde, wie zerbrochen ließ sie sich in ihren Lehnstuhl gleiten und sah mit starren Augen herab auf den Brief, der noch zu ihren Füßen lag.
Erst nach langer Zeit bückte sie sich danach und las ihn noch einmal langsam durch.
Und in ihrem Herzen brannte und wühlte von neuem, was sie für erstorben gehalten hatte.
T o t — ihr einziges Kind tot — nicht nur für sie, auch für alle anderen Menschen!
Ein Stöhnen brach aus ihrer Brust, und ein Zittern durchlief ihren Körper.
So war ihre Tochter doch nicht reuevoll zu ihr zurückgekehrt, auch dann nicht, als ihr Mann gestorben war.
Lieber war sie zu Fritz Gerhard gegangen und hatte dort eine Zuflucht gesucht.
Die Mutter galt ihr nichts, hatte ihr nie etwas gegolten, sonst hätte sie dieselbe nicht verlassen um eines Mannes willen.
Nochmals las sie den Brief, und da erst nahmen ihre Gedanken die Nachricht auf von ihrem Enkel.
Ihr Enkel!
Sie lachte bitter und gequält auf.
Dieser Enkel hatte ihr gleich seinem Vater die Liebe ihres Kindes geraubt.
All die Jahre hatte er die Liebe seiner Mutter besessen, während sie darbte und sich vergebens in heißer Sehnsucht verzehrte.
Was wollte dieser Enkel von ihr?
Gerhard forderte, daß sie ihm die Hand zur Versöhnung reichte, ihm, der ihr Feind war, gleich seinem verhaßten Vater.
Nein, nein, von diesem Enkel wollte sie nichts wissen.
Er schielte wohl begehrlich nach ihrem Erbe, hoffte wohl, daß der Tod der Mutter sie gefügig mache?!
O, er sollte sich verrechnen. Für diesen Enkel regte sich nichts in ihrem Herzen als Groll und Eifersucht.
Fort mit ihm aus ihrem Gedächtnis! Sie wollte nicht an ihn denken — wollte nicht! —
Und plötzlich erhob sie sich mit einem harten, versteinerten Ausdruck und schritt in ihr Arbeitszimmer.
Mit zusammengepreßten Lippen und starr blickenden Augen schrieb sie, ohne zu zittern, auf einen Bogen Papier:
»Lieber Fritz!
Meine einzige Tochter ist mir bereits vor zweiundzwanzig Jahren gestorben. Ihr Verlust hat mich damals bis ins Mark getroffen.
Ich bin eine einsame, verbitterte Frau und mein Herz ist hart wie Stein geworden. Es kann nichts mehr fühlen. Alles, was den Namen Ramberg führt, ist mir verhaßt.
Das ist alles, was ich Dir ans Deinen Brief zu antworten habe.
Ich danke Dir für Deine Mühe und hoffe Dich und die Deinen wohl.
Mit besten Grüßen
Deine Marianne Heydebrecht.«
Fest und klar standen diese Worte auf dem«Papier.
Und dann ließ sie sofort mit einem reitenden Boten den Brief zum Postamt befördern.
Es war, als wollte sie damit eine Schranke aufrichten gegen ein heimlich drängendes Gefühl in ihrem Herzen.
Unwillkürlich streckte sie die Hand aus, als der Bote davonritt, als wollte sie ihn zurückhalten. Aber gleich darauf rückte sie sich steif empor und ihr Gesicht war hart und kalt wie immer.
Aber in den nächsten Tagen lief sie umher, als sei ihre Seele nicht mehr in ihrem Körper.
Ihre Leute sahen sie verwundert an, denn ihre Befehle klangen nicht klar und präzise wie immer.
Es war, als wenn die sonst so energische Herrin im Traum umherging.
Der alte Gustav, der nun schon ein Menschenalter in Schönrode war, beobachtete seine Herrin mit sorgenvoller Miene.
Stundenlang lief Marianne Heydebrecht im Walde umher, dessen Rauschen eine seltsame Sprache mit ihr zu reden schien.
Sie blieb zuweilen versonnen stehen, als lausche sie auf ein fernes Geräusch.
Waren das nicht Totenglocken, die ihr durch das Waldesrauschen an das Ohr schlugen?
Riefen sie dieselben nicht mit ernstem Mahnen an die letzte Ruhestätte ihrer Tochter?
Sie lehnte sich stöhnend an einen Baum und barg das schmerzvolle Antlitz in den Händen.
So rang die aus ihrem Gleichgewicht gerissene Seele dieser Frau gegen Stolz und Trotz und bäumte sich wieder auf gegen ein weicheres Gefühl, das sich in ihr Herz schleichen wollte.
Aber sie war aus zähem Stoff geschnitzt.
Nach einigen Tagen war sie wieder Herr über sich geworden und niemand wußte, wie furchtbar sie gelitten hatte.
Nur der alte Gustav bekam eine Ahnung davon, als ihm eines Tages Marianne Heydebrecht befahl, mit ihr auf den Speicher zu kommen.
Sie suchte selbst wieder das einst verbannte Bild der Tochter hervor und ließ es vom Staub reinigen.
Dann mußte es der alte Gustav an seinen alten Platz über ihrem Bette hängen, aber sonderbarerweise mit dem Gesicht nach der Wand.
Ertrag die alte Frau nicht den Anblick des frohen, jungen Mädchengesichtes, das, von goldblonden Locken umrahmt, so bittend zu ihr niederschaute?
Noch steinerner war in diesen Tagen das Gesicht der Herrin von Schönrode geworden.
Streng und unbeugsam gegen sich selbst und andere, tat sie ihre Pflicht und arbeitete täglich bis zur völligen Erschöpfung, damit sie des Nachts Ruhe fand.