Читать книгу Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil V) - Hedwig Courths-Mahler - Страница 18
15. Kapitel.
Versöhnung.
ОглавлениеUngefähr acht Tage später kam der alte Gustav vormittags in Rose-Maries Zimmer.
Er trug einen umfangreichen Karton.
Rose-Marie, die eben mit ihrer Mutter ein wenig in ihren Pensions-Andenken gekramt hatte, sah ihn erstaunt an.
»Was bringen Sie da, Gustav?«
Dieser schmunzelte.
»Das schickt die gnädige Frau für Fräulein Rose-Marie — und ein Zettel läg' auch noch drinnen!« sagte er, stellte den Karton auf einen Stuhl und verschwand.
Rose-Marie öffnete zaghaft den Karton und blickte neugierig hinein. Und plötzlich schrie sie laut auf:
»Musch — ach Gott, Musch — nun sieh’ doch!«
Mit bebenden Händen entnahm sie dem Karton ein sauber zusammengelegtes, dunkelgrünes Reitkleid, einen zierlichen Dreispitz dazu, wie ihn Damen beim Reiten tragen, eine hübsche Reitpeitsche und hellgelbe, lederne Reithandschuhe.
Rose-Marie tanzte vor Wonne jubelnd im Zimmer umher und drückte die Sachen ans Herz.
Und dann entdeckte sie noch einen großen Zettel. Darauf stand mit den großen steilen Buchstaben der Großtante:
»Das Reitpferd zu diesem Kostüm findest Du mit dem nötigen Sattelzeug im Stall für Dich bereit!«
Rose-Marie jauchzte auf und drehte ihre Mutter im Zimmer herum, daß diese lachend um Schonung flehen mußte.
Und dann blieb das junge Mädchen plötzlich stehen und sah vor sich hin.
»Musch,« sagte sie mit bebender Stimme, »jetzt muß ich hinunter zur Großtante und sie ein bißchen totdrücken, ob sie sich’s nun gefallen lassen will oder nicht. Ich stürme ihr Zimmer, und wenn es dreifach verschlossen ist. Gustav soll sich mir nur nicht in den Weg stellen, ich respektiere heute auf keinen Fall die Schranken, die Großtante um sich zieht!«
Und ehe Musch nur antworten konnte, war Rose-Marie hinaus und flog die Treppe hinab.
Gustav stand vor den Zimmern seiner Herrin und sah ihr schmunzelnd entgegen.
»Lassen Sie mich hinein, Gustav!«
Er zuckte die Achseln.
»Ich darf nicht, Fräulein Rose-Marie. Um diese Zeit läßt die gnädige Frau niemand vor!«
Rose-Marie nahm ihn aber ohne Umstände bei den Schultern und schob ihn beiseite.
»Gewalt geht vor Recht, Gustav. Nichts für ungut, ich muß Großtante ein bißchen überfallen. Wenn ich mir jetzt nicht Luft machen kann, ersticke ich, und an meinem Tode wollen Sie doch nicht schuld sein?«
So sprudelte sie hervor und lief an dem fassungslosen Diener vorüber in das Zimmer.
Marianne Heydebrecht saß am Fenster in ihrem Lehnstuhl und blickte erstaunt auf.
Aber ehe sie ein Wort sagen konnte, hatte sie Rose-Marie mit beiden Armen umfangen und küßte sie herzhaft auf Mund und Wangen, immer und immer wieder.
Die alte Dame saß wie erstarrt und ließ diesen Überfall über sich ergehen. Ganz seltsam wurde ihr zumute unter diesen ungewohnten Liebkosungen.
Und nun, nachdem sich Rose-Marie damit genug getan, sprudelte sie aufgeregt alles hervor, was sie auf dem Herzen hatte:
»Sei nicht bös, Großtante, ich konnte wirklich nicht anders, ich mußte Dir gleich auf der Stelle danken. So lieb und gut bist Du, o, ich fürchte mich gar nicht vor Deinem bösen Gesicht, Dein Herz weiß ja gar nichts davon. Ich glaube nicht daran, daß Du so kalt bist, als Du scheinen willst.
Meinen geheimsten Wunsch hast Du erfüllt — jawohl —- ich wünschte so sehr, wieder reiten zu dürfen. Weißt Du, es steckt noch soviel von dem alten Wildfang in mir, ab und zu muß der sich austoben, und dazu ist das Reiten gerade famos.
Überhaupt, wie eine gute Fee erfüllst Du mir alle Wünsche, noch ehe ich sie aussprechen kann. Und nun hast Du mir durch Deine Güte Mut gemacht, ich muß einmal aussprechen, was mich bedrückt.
Ich hab’ Dich lieb, Großtante, obwohl ich mit Groll im Herzen zu Dir kam, weil Du so hart warst gegen Tante Anna.
Aber sieh’, wenn ich Tante Anna gewesen wäre, ich hätte mich nicht von Deiner scheinbaren Härte einschüchtern lassen, mir hättest Du nicht ein ganzes Leben lang zürnen dürfen. Tante Anna war so zaghaft und traute sich nicht wieder nach Schönrode.
Ich aber wäre gekommen und hätte mich fest an Deinen Hals gehängt, und hätte gebettelt: Sei mir wieder gut! Abschütteln hättest Du mich nicht sollen, bis Du mir verziehen hättest.
Die arme Tante Anna war so mutlos, weil Du ihre Briefe zurückschicktest. Aber die dummen Briefe, die taugen doch nichts, wenn zwei Herzen sich über Groll und Trotz nicht zusammenfinden können.
Siehst Du, Großtante, so hat die arme Tante Anna ihr ganzes Leben lang in mutloser Trauer ihr Herz zwischen Dir und ihrem Mann hin und her gerissen, bis es krank wurde und sie viel zu früh ins Grab brachte. Bis zu ihrem Tode hat sie Dich geliebt, ach, so sehr, ich weiß es.
Hans hat es mir oft erzählt, wie sich seine Mutter nach Dir gesehnt hat, Und das hat seinem Vater so leid getan, daß er Dir bitter grollte, wie Hans auch. Sie hatten Tante Anna so sehr lieb, und ihr Mann hat dann ihr und Hans ein Gelübde abgenommen, daß sie sich nie mehr mit einer Bitte Dir nahen sollen. Aber sie haben alle nicht gewußt, daß Du noch viel mehr leidest als sie, sie haben nur Deine Härte gefühlt, aber nicht Dein wahres krankes Herz, das sich hinter Groll und Stolz versteckte.
Ich habe aber bald gemerkt, Daß Du Dir nur einen festen Panzer ums Herz gelegt hast, damit es nicht bricht vor Sehnsucht nach Deinem Kinde. Dein Stolz ließ nicht zu, es zu rufen, aber Du hofftest, es solle eines Tages von selbst kommen. Gelt, deshalb hast Du auf alle Briefe keine Antwort gehabt?
Ach, wenn das nur Tante Anna gewußt hätte, wie gern wäre sie gekommen. Ja — und — ja — das ist nun wohl alles, was ich Dir sagen wollte, es hat mir das Herz fast abgedrückt.
Und ich leide es einfach nicht mehr, daß Du Dich so einsam härmst und Dich mit Deinem Schmerz verkriechst. Du sollst und mußt wieder froh werden, sollst und mußt dieses schreckliche Schweigen brechen, das Dich niederdrückt, als wärst Du lebendig begraben.
Liebste, liebste Großtante, ach — Du weinst — Du weinst — zum ersten Male sehe ich Tränen in Deinen Augen. Weine Du nur, weine immerzu, ich weiß, das macht das Herz leicht und spült Leid und Schmerzen fort. Dann wirst Du auch das Lachen wieder lernen. Ich gebe nicht Ruhe, bis Du wieder froh wirst und das Leben lieb gewinnst!«
Rose-Marie schwieg atemlos.
Sie war vor der alten Dame niedergekniet und streichelte immerfort deren Wangen und Hände, und sah sie mit so lieben Augen an, daß diese nicht wußte, wie ihr geschah!
Seit mehr als zwanzig Jahren war es das erste Mal, daß sich ein so junges Menschenkind liebeheischend und liebegebend an sie geschmiegt hatte.
So hatte damals ihre Tochter vor ihr aus den Knien gelegen und weinend gefleht, ihrer Liebe folgen zu dürfen. Aber sie hatte nur ein starres Nein gehabt auf diese Bitte und hatte gehofft, damit ihren Willen durchzusetzen.
Ihr Kind war aber von ihr gegangen mit dem Manne, dem sie ihr Herz geschenkt hatte.
Furchtbar hatte sie gelitten, als sie erkannte, daß sich ihr Kind von ihr abgewandt, und ihr Herz hatte sich verhärtet in Groll und Schmerz.
Und nun hatte dies junge Geschöpf zu ihren Füßen in seiner Herzenseinfalt erkannt, was sie vor aller Welt verborgen hielt. Als ob sie von Glas wäre, so hatte sie Rose-Marie durchschaut.
Sie hatte erkannt, daß ihr ganzes Leben bis zum Tode ihrer Tochter nur noch ein sehnsüchtiges, jammervolles Warten gewesen war auf den Moment, wo die Tochter zurückkommen würde, um ihr Herz mit liebevoller Bitte zu erweichen.
Sie war nicht gekommen, statt ihrer kam nach Jahren die Todesnachricht, die sie zu Boden geworfen hatte, wie einen gefällten Baum.
Vorbei war es da mit dem heimlichen Hoffen, vorbei.
Wie hatte sie die drei Jahre danach ertragen? .
Wie eine furchtbare Last, wie ein Mensch, den man lebendig begraben hat, wie Rose-Marie sagte.
Bis dann dieses junge Mädchen in ihr vereinsamtes, Leben trat und mit ihrer weichen, jungen Stimme, mit ihren warmen, bittenden Blicken eine Bresche schlag in den Wall, den sie um sich gezogen.
Und nun rüttelte dieses junge Wesen mit ungestümer Kraft an den letzten Überresten dieses Grolles, streichelte mit den warmen Händen die starren Falten aus dem Gesicht und sprach von einem neuen Leben.
»Kind, Kind, was machst Du aus mir?« fragte die erschütterte Frau mit zuckenden Lippen.
»Was ich aus Dir mache? O, ich wüßte schon, was ich aus Dir machen möchte!«
»Nun, Du ungestümer Unband, was denn wohl?« fragte die alte Dame mit weicher, bebender Stimme und tastete scheu und zitternd über den blonden Mädchenkopf.
Rose-Marie umfaßte sie fest.
»Eine herzliebe und herzlich geliebte, gute Großmusch, weißt Du, so eine, die ihre Enkel so recht unvernünftig verwöhnt und liebt, und dafür ebenso wiedergeliebt wird!«
»Du Kindskopf, meinst Du, das ginge so im Handumdrehen? Willst Du mit Deinem Ungestüm ein Menschenleben ummodeln, als sei es ein Luftgebilde?«
»Ach, Du brauchst ja gar nicht umgemodelt zu werden, brauchst nur Dein Herz reden zu lassen, brauchst Dir nur zu sagen: da habe ich einen herzlieben Enkel, der heißt — Hans Ramberg, und der hat sein junges Leben bisher mit soviel Sorge und Kummer belasten müssen.
Nun will ich ihn mir schnell nach meinem lieben, herrlichen Schönrode holen und ihn so lieb haben und verwöhnen, daß er alles Leid vergißt. Und dabei will ich selbst wieder froh und glücklich werden!«
Marianne Heydebrecht seufzte.
»Was würde es denn helfen, wenn ich so zu mir sagte? Hans Ramberg liebt seine Großmutter nicht!«
»Aber er wird es schnell genug lernen, wenn er Dich erst kennt, wie ich Dich kenne. Ach, ich lasse Dich nicht mehr in Ruhe, bis Du ihn rufst!«
»Also Du willst kurz und bündig all meine Grundsätze über den Haufen werfen?«
Rose-Marie nickte energisch.
»Ja, das will ich. Lerne Hans nur erst kennen. Er ist so gut Und lieb, so fest und treu. Mein Vati hielt große Stücke auf ihn, und der kannte doch die Menschen. Und mein Vati wollte so gern, daß Ihr Euch versöhntet. Er hat nie gelitten, daß ich auf Dich schalt. Und er wollte zu Dir reisen und für Hans bei Dir sprechen. Ihm hättest Du sicher nicht widerstanden, denn mein Vati, o, der hatte Gewalt über Menschenherzen, weil er so gut und selbstlos war.«
»Und diese Gewalt hast Du, dünkt mich, von ihm geerbt. Was machst Du aus mir? Springst mit meinem Groll und Herzeleid um, als sei es ein wesenloses Nichts, das in alle Winde zerstiebt!«
»Das soll es auch. Nicht wahr, Du bietest Hans die Hand zur Versöhnung? Bitte, bitte!« sagte das junge Mädchen und hob flehend die gefalteten Hände empor.
Da hob ein tiefer Seufzer die Brust der alten Frau.
»Meinetwegen denn, so mag er kommen, wenn er will!«
Rose-Marie sprang jubelnd auf und lief zum Schreibtisch.
Mit fliegenden Händen schrieb sie aus einen Bogen Papier:
»Lieber Hans! Deine Großmutter will Dich sehen. Komm, so schnell Du kannst, und depeschiere mir, wann ich Dich in Eisenach abholen kann.
Ich selbst führe Dich nach Schönrode. Komm schnell, tue es mir zuliebe, ich warte voll Sehnsucht auf Dein Kommen. Tausend Grüße!
Deine Rose-Marie.«
»So!« sagte sie befriedigt und erhob sich. »Und nun, liebe Großtante, mußt Du noch selbst etwas unter diesen Brief schreiben, sonst kommt er nicht!«
»Ist es nicht genug, wenn Du es schreibst?« fragte die alte Dame, und ein letzter Rest von Groll und Stolz lag in ihren Worten.
»Nein, es ist nicht genug, Du selbst mußt ihn rufen. Und wenn Du es getan, dann — dann schenke ich Dir auch etwas, worüber Du ganz sicher sehr glücklich bist!«
Marianne saß schon am Schreibtisch.
»Ei, was hast Du so Herrliches zu schenken?«
Da faßte Rose-Marie die alte Dame fest in ihre Arme und sagte leise und bewegt:
»Einen letzten Gruß von Deiner Tochter; ich habe einen Brief von ihr, den Du aber nur erhalten sollst, wenn Du Dich mit Hans versöhnst. Schreib’ nur einige Worte, dann hole ich Dir den Brief, er liegt oben in Vatis Schreibtisch!«
Die alte Dame hatte zitternd Rose-Maries Hand umfaßt.
»Ist das Wahrheit? Ein Brief meiner Tochter an mich?«
»Ja, Großtante!«
Da ergriff Marianne Heydebrecht mit zitternder Hand die Feder und schrieb unter den Brief:
»Komme zu Deiner Großmutter, mein lieber Hans!«
Rose-Marie jauchzte auf.
»O, nun ist alles gut. Diesen Brief bringe ich selbst zur Post und schickte ihn Per Eilboten. Nach der Post soll mein erster Ritt sein. Jetzt ziehe ich mein neues Reitkleid an, und dann sollst Du mich fliegen sehen!«
Sie drückte die Großtante noch einmal stürmisch an sich.
»Den Brief, Rose-Marie — den Brief meines Kindes!« bat die alte Dame, vor Erregung außer sich.
Jetzt, da nur dieser Brief von ihrer Tochter übrig geblieben war, erschien er ihr als ein unschätzbares Kleinod.
»Sofort sollst Du ihn haben!«
Rose-Marie stürmte mit dem Brief an Hans zur Tür hinaus und hatte fast Gustav zu Boden gerannt, der mit sorgenvoller Miene draußen stand.
Sie schwenkte den Brief freudig in der Hand.
»Gustav, schnell, mein neues Reitpferd soll gesattelt werden, aber eiligst, jetzt hole ich das Glück nach Schönrode zurück!« rief sie atemlos und rannte die Treppe hinauf in ihr Zimmer.
Dort nahm sie den Brief Tante Annas aus dem Schreibtisch und flog wieder hinab zur Großtante.
Stumm drückte sie ihn in ihre Hand und küßte sie noch einmal, dann war sie wieder hinaus. — —
Rose-Marie erstattete dann oben, während sie sich umkleidete, ihrer Mutter einen aufgeregten und etwas konfusen Bericht.
Sie küßte die erregte Musch in aller Eile noch halbtot, stolperte ein bißchen über die Schleppe des Reitkleides und lachte vergnügt darüber.
Reizend sah sie aus in dem kleidsamen Kostüm, das sich knapp und elegant um ihre schönen Formen schmiegte.
Und nun eilte sie hinab, so schnell es mit dem ungewohnten Schleppkleid ging.
Der alte Gustav stand ganz aufgeregt unten neben dem gesattelten Reitpferd.
»Fräulein Rose-Marie, was ist nur geschehen?«
»Ein Wunder, alter Gustav. Hab' nur noch ein Weilchen Geduld, wenn ich heimkomme, erzähle ich alles!« sagte sie froh und schwang sich in den Sattel. — —
Marianne Heydebrecht hatte reglos, den noch geschlossenen Brief ihrer Tochter fest an das klopfende Herz gedrückt, in ihrem Lehnstuhl gesessen.
Sie mußte sich erst fassen, ehe sie ihn lesen konnte.
Lange hatte sie die Aufschrift betrachtet.
Und nun hörte sie draußen Rose-Maries Stimme. Sie erhob sich und öffnete das Fenster.
Da erblickte Rose-Marie vom Pferde aus die alte Dame. Mit einem lauten, hellen Jauchzer schwang sie grüßend die Reitpeitsche und jagte davon. —
Marianne Heydebrecht klang dieser Jauchzer bis ins Herz hinein.
Der alte Gustav aber sah besorgt nach seiner Herrin hinüber. Solche Laute war man in Schönrode nicht gewöhnt. Aber wie erstarrt blieb er stehen, auf dem Gesicht seiner Herrin lag ein Lächeln, ein richtiges frohes Lächeln.
Das hatte er seit jenem Tage nicht mehr gesehen, da Anna Ramberg Schönrode verlassen hatte.
Mit zitternden Knien ging er ins Haus zurück.
»Ein Wunder, ja, ein Wunder muß geschehen sein!« murmelte er vor sich hin.
* *
*
Marianne Heydebrecht hatte das Fenster wieder geschlossen und sich niedergesetzt.
Und nun öffnete sie mit zitternder Hand den Brief ihrer Tochter und las ihre letzten Worte an sie.
»Meine heiß und innig geliebte Mutter!
Wenn Du diesen Brief erhältst, werde ich nicht mehr am Leben sein, aber Du wirst dann Deinem Kinde verziehen haben. Liebe, teure Mutter, ich fühle es, daß ich Dich nicht wiedersehe, so heiß ich mich auch nach Deinem Anblick gesehnt habe.
Verzeihe mir, o, verzeihe mir, daß ich Dich verließ, ich konnte nicht anders. Gott selbst hat mir die Liebe zu meinem Mann ins Herz gelegt, und ich wäre restlos glücklich an seiner Seite geworden, trotz Not und Armut, aber der Gedanke an Dich hat mir Tag und Nacht nicht Ruhe gelassen. Jch liebe Dich mit schmerzlicher Innigkeit, meine Mutter, und mußte Dir doch Leid zufügen. Wenn Du diesen Brief erhältst, wirst Du meinem Kinde die Hand zur Versöhnung gereicht haben, sonst darf ich ihn Dir nicht senden.
Ich bete jeden Tag darum, daß Dein Herz sich ihm zuwendet, daß er Dir ersetzt, was ich Dir genommen habe.
Liebet Euch, meine Mutter, liebet einander, auf daß meine Seele Frieden finde im Jenseits.
Noch ein letztes Mal laß mich das teure Wort sagen: » meine Mutter! Ich liebe Dich bis in den Tod, verzeihe mir — denk’ ohne Groll an mich und liebe meinen Sohn.
Leb’ wohl, meine inniggeliebte Mutter.
Deine Tochter Anna.«
Tränen, heiße, bittere Tränen rannen über das Gesicht der alten Dame, und sie drückte wieder und wieder den Brief an ihre zuckenden Lippen.
»Mein Kind, mein armes, geliebtes Kind, warum war ich so hart und stolz? Nun ist es zu spät für Dich. Aber an Deinem Sohne will ich es gutmachen!« flüsterte sie vor sich hin.
Und dann ging sie in ihr Schlafzimmer und saß stundenlang vor dem Bilde ihrer Tochter.