Читать книгу Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil V) - Hedwig Courths-Mahler - Страница 14
11. Kapitel.
Erlebnisse in der Pension.
ОглавлениеEs war ein heller, warmer Sommermorgen.
Die Pensionärinnen frühstückten gewöhnlich mit Frau Doktor und Fräulein Winzer in der Gartenlaube.
Heute war jedoch Frau Doktor unpäßlich, und Fräulein Adolfine Winzer hatte Urlaub zu einer Hochzeitsfeier.
So waren die jungen Mädchen unter sich.
Natürlich waren sie sehr lustig und ausgelassen.
»Kinder, ich wünsche Adolfine jeden Tag eine Hochzeit und Frau Doktor einen Schnupfen. So ein Frühstück ohne Obrigkeit ist famos.
Man kann doch sein Brötchen wieder mal ordentlich dick mit Butter bestreichen, ohne daß Frau Doktor sorgenvoll nach dem Butterteller schielt!« sagte Lisa Roemelt, genannt »der Wonnebummel«, mit Behagen, und strich sich dick Butter auf.
»Na, Wonnebummel, Du lebst wohl unter dem Motto: An guter Butter ist noch niemand erstickt? Denk auch ein bißchen an uns. Die Köchin rückt kein neues Stück heraus!« schalt Grete Martin lachend.
»Wonnebummel kriegt jetzt ein Plakat über ihr Bett: Vielfraß nennt man dieses Tier, wegen seiner Freßbegier!« erklärte Fifi Kurz.
Wonnebummel biß vergnügt und phlegmatisch in ihr Brötchen.
»Strapaziert Euch nicht, Kinder, was ich zuviel esse, bringt Helma wieder ein, die lebt bloß noch von der Luft, wegen ihrer schlanken Taille!«
Helma zuckte spöttisch und überlegen die Achsel.
»Gott, Kindchen, mir wäre es einfach ein Greuel, mit solchem Taillenumfang wie Du herumzulaufen Das ist vulgär!«
Wonnebummel räkelte sich dick, satt und zufrieden in ihrem Stuhl.
»Echauffiere Dich nicht, Dollarprinzeß aus Berlin W., sonst kriegst Du eine rote Nase und das kleidet Dich nicht. Außerdem haben wir nachher Stunde bei unserem verehrten Dr. Krüger!«
Helma warf den Kopf zurück.
»Bah, was liegt mir an Dr. Krüger, den Ihr alle anhimmelt. Ich habe schon Huldigungen ganz anderer Kavaliere ignoriert!«
»Hab’ Dich nur nicht,« rief Grete Martin erbost, »Du machst ihm doch die schönsten Augen, die Du auf Lager hast. Aber er reagiert sauer — das ärgert Dich!«
«Ruhe! Rrrruhe! Immer mit Gefühl und Wellenschlag. Zankt Euch nicht, Amazone kann das nicht hören!« rief Marga Kurz energisch.
Rose-Marie wurde rot, als alle sie anblickten.
»Ach, seid nicht böse, aber ich finde es wirklich schrecklich, wenn Ihr zankt!« sagte sie bittend.
»Hast recht, Rose-Marie!« bekräftigte Trude Behnisch und schloß sorglich einen Knopf an Rose-Maries Kleid.
«War er schon wieder offen, Trude?«
»Ja, Schatz. Dr. Bäßler würde es merkwürdig, höchst merkwürdig finden, daß unsere kühne Rossebändigerin niemals ihre Kleider in Ordnung halten kann!«
Rose-Marie seufzte.
»Du hast Deine liebe Not mit mir, Trude Aber nicht wahr, gebessert habe ich mich schon?«
»Ganz bedeutend. Nächstens übertriffst Du uns alle!« sagte Trude lachend.
»Du, Trude, lies doch mal das famose Gedicht vor, daß Du gestern über Fräulein Winzer gemacht hast!« forderte Fifi Kurz.
Trude zog einen Zettel aus der Tasche und las:
»Unterm Arm den Bücherstoß,
Riesengroß.
Tritt mit wichtiger Miene
Ein die Adolfine
»Diese Fehler« grollt sie stumm,
Bumm.
Ringt entrüstet ihre Hände,
Und die Stunde ist zu Ende.«
»Famos, famos! Trude Du hast sie mit kühnen Strichen gezeichnet. Das schreibe ich mir ab!« rief Fifi entzückt.
Die anderen stimmten ein.
Trude wehrte lachend ab.
»Knüttelverse, Kinder — so schön wie Marga kann ich’s nicht. Aber inzwischen ist es Zeit geworden zum Unterricht!«
»Wer hat die Woche?« fragte Marga.
»Moppel und Pfiffikus!«
»Also los, ihr beiden, räumt schleunigst den Frühstückstisch ab, Narkotisiert aber die Köchin erst, ehe Ihr den leeren Butterteller abliefert, damit ihr der Anblick schmerzlos ist, Ihr anderen, vorwärts in das Schulzimmer!«
»Mein Gott, Mimosa, Du entwickelst ja unheimliche Energie als stellvertretende Obrigkeit!« maulte Wonnebummel, verdrießlich, daß sie aufstehen mußte. »Man kann ja nicht mit Ruhe verdauen!«
»Dazu reicht bei Dir der Tag nicht aus. Du, Distel, vergiß nicht, daß Du Dr. Krüger das Gedicht, welches Du voriges Mal nicht konntest, sofort aufsagen sollst, wenn er eintritt!« mahnte Marga besorgt, denn Dr. Krüger, der hübsche, junge Literaturlehrer, durfte nicht geärgert werden. Dazu schwärmte man zu sehr für ihn.
»Ich weiß schon, Mimosa, es wird besorgt!«
»Kannst Du es denn?«
»Ff!«
»Na schön. Also hinein und nicht so laut, damit Frau Doktor nicht aufwacht!«
Kaum hatten alle im Schulzimmer Platz genommen, als Dr. Krüger eintrat.
Sein geistvolles, gut geschnittenes Gesicht wandte sich mit einem freundlich humoristischen Lächeln grüßend seinen Schülerinnen zu.
Ehe er ein Wort sagen konnte, war die »Distel« aufgestanden und rief mit heller Stimme:
»Ha, da kommt er, so schön sah ich ihn nie!«
Sie kam nicht weiter mit ihrer Deklamation, ein fröhliches Gelächter erhob sich über Dr. Krügers lustig erstauntes Gesicht.
»Weshalb begrüßen Sie mich mit so schmeichelhaften Worten, Fräulein Grete?«
»Aber-, Herr Doktor, ich sollte Ihnen doch gleich beim Eintritt »Hermann und Thusnelda« vortragen.
Dr. Krüger schmunzelte.
«Richtig! Nun, da Sie so frisch und freudig begonnen, schenke ich Ihnen die Fortsetzung Aber hier finde ich noch ein schwarzes Kreuz in meinem Strafbuch Fräulein Helma — haben Sie den Aufsatz geschrieben, den ich Ihnen zur Strafe für Ihre Unaufmerksamkeit aufgab?«
Helma überreichte ihm mit kokettem Blick ein Blatt Papier. Die Arbeit war flüchtig und unsauber geschrieben. Dr. Krüger gab sie zurück und sagte ruhig:
»Ah, das ist nur das Konzept, bitte, bringen Sie mir morgen die Reinschrift!«
Sie steckte das Blatt wütend ein.
Die anderen fanden es entzückend, wie fein Dr. Krüger sie abgeführt hatte.
Der Unterricht begann, Dr. Krüger hatte sich nicht über seine Schülerinnen zu beklagen: er wußte sie zu fesseln. —
Nach dieser Stunde hatten die jungen Mädchen heute frei.Die Sprachstunden fielen aus, weil Fräulein Winzer abwesend war, und Frau Doktor war zu unwohl, um den Handarbeits-Unterricht zu erteilen.
So durften sie sich nach Belieben beschäftigen.
Rose-Marie ging aus ihr Zimmer, um wieder einmal an Hans recht ausführlich zu schreiben.
Trude saß mit einigen anderen unten im Garten und stickte an einem Geburtstagsgeschenk für ihre Mutter.
So war Rose-Maine allein.
Während sie schrieb, kam Helma Weitzner in ihr Zimmer und wollte sich ein Löschblatt leihen.
Rose-Marie nahm das Gewünschte aus ihrer Schreibmappe. Dabei fiel der angefangene Brief herunter zu Helmas Füßen.
Diese hob ihn schnell auf und blickte neugierig darauf nieder.
»Mein lieber, lieber Hans! O weh, Rose-Marie, da bin ich ja mit einem Male hinter Dein Herzensgeheimnis gekommen. Der liebe, liebe Hans ist doch sicher Deine Flamme!«
Rose-Marie nahm ihr den Brief ab. Sie wurde jedoch rot dabei.
Was eine Flamme war, wußte sie nun schon; die Pensionärinnen sprachen oft genug darüber. Daß Helma dies Wort in bezug auf Hans anwandte, erweckte plötzlich ein unsicheres Gefühl in ihrer Brust.
»Hans ist mein Vetter!« sagte sie jedoch ruhig.
Helma lachte spöttisch auf.
»Bah, das kennen wir. Vetter ist eine bequeme, harmlose Bezeichnung für so etwas. Du bist ja ganz rot geworden!«
Rose-Marie richtete sich stolz auf.
»Wahrscheinlich über Deine taktlosen Worte, Helma. Hans Ramberg ist wirklich mein Vetter!«
Helma lächelte spöttisch.
»Du liebst es, Dich scheinheilig zu drapieren. Alle machst Du dumm, nur mich nicht!«
Rose-Marie legte das Löschblatt vor sich hin.
»Bitte, verlaß mein Zimmer. In diesem Tone rede ich kein Wort mehr mit Dir. Du bist ein garstiges Mädchen, schäme Dich!«
Helma wippte auf ihrem hohen Absatz herum und stieß das Löschblatt verächtlich von sich.
»Du bist noch viel garstiger, Du Heuchlerin!«
Damit ging sie zur Tür hinaus.
Rose-Marie sah ihr mit großen Augen nach. Dann schrieb sie weiter. Aber es war sonderbar, sie mußte immer wieder an Helenes Wort denken: »Der liebe Hans ist doch Deine Flamme.«
Und plötzlich barg sie, wie in Scham vor sich selbst, das Gesicht in den Händen.
Es war, als habe eine unreine Hand an ihr heiligstes Empfinden gerührt.
Rose-Marie schrieb an ihre Mutter:
* *
*
»Liebe, kleine Herzensmusch!
Nun nur noch vier Wochen, dann komme ich zu Dir. Wie schnell ist das Jahr trotz aller Sehnsucht vergangen!
Ich freue mich schrecklich auf unsere Wiedervereinigung, wenn ich mich auch vor Großtante fürchte. Daß sie streng und hart ist, kannst Du selbst nicht leugnen.
Arme, kleine Musch, wie kalt muß Dir ums Herz sein, wenn sie tagelang kein Wort mit Dir spricht und bei Tische mit kalten, leeren Augen Dir gegenüber sitzt. « Aber nun komme ich zu Dir und will Dich in meine Liebe einhüllen, wie in einen warmen Mantel.
Musch, freust Du Dich nicht, daß ich jetzt so hübsche, fehlerlose Briefe schreibe? Mein Krikelkrakel hat sich zu einer »charakteristischen Handschrift« entwickelt, wie Dr. Krüger sagt.
Mein Klavierspiel ist jetzt auch zum Anhören, und Fräulein Winzer stellt mir in den Sprachen ein gutes Zeugnis aus.
Sogar in den Handarbeiten bin ich, wie Frau Doktor sagt, zufriedenstellend, und das beste — Trude Behnisch erklärt mich jetzt für ordnungsliebend.
Das hat ihr freilich viel Mühe und Schelte gekostet, aber nun ist es erreicht, und meiner Herzensmusch fallen sicher ein Paar Zentnersteine vom Herzen.
Ein bißchen Wildfang bin ich aber noch immer, das fühle ich selbst am meisten.
Manchmal könnte ich wie von Sinnen hinausstürmen ins Freie und laufen — laufen — bis zum Fuchsturm hinauf. Ach, wenn ich doch zuweilen auf »Mordskerls« Rücken ins Weite fliegen könnte, bis zu Dir oder zu Hans!
Hier hat sich manches verändert.
Helma Weitzner ist fort: es gab einen Krach zwischen ihr und Frau Doktor, ich weiß nicht, warum.
Wir sind aber alle froh, daß sie fort ist.
Unser kleiner, lieber »Moppel« geht mit ihren Eltern nach Südwestafrika, für lange Jahre.
Von Grete Martin, die schon ein halbes Jahr fort ist, bekamen wir heute die Verlobungsanzeige.
Und Fifi und Marga Kurz reisen einige Tage nach mir ab. Trude und »Wonnebummel« bleiben bis Weihnachten hier.
Es sind verschiedene Neue angekommen, alles nette, liebe Mädchen.
Aber das kann ich Dir ja alles mündlich erzählen.
Lieber Gott — Musch — in vier Wochen bei Dir — mir wird ganz heiß vor Freude.
Im Vorlesen habe ich mich fleißig geübt, um Großtante zufriedenzustellen. Frau Doktor sagt, ich hätte ein angenehmes, ausdrucksvolles Organ. Aber Angst hab’ ich doch und ich denke, ich bringe kein Wort heraus, wenn Großtante mich so seltsam sieht. Ihre Augen verfolgen mich bis in meine Träume.
Aber nun zur Hauptsache.
Gestern schrieb mir Hans einen lieben Brief.
Er sorgt sich schrecklich um uns, und wenn es uns in Schönrode nicht gefällt, sollen wir fortgehen. Sein Gehalt ist bedeutend erhöht worden, und er will uns gern alles geben, was er entbehren kann. Und so große Sehnsucht hat er nach uns. Wir sollen sobald als möglich in Eisenach mit ihm zusammentreffen.
Gelt, Musch, wir schieben dies Wiedersehen nicht lange hinaus. Daß Du mit Großtante noch nicht in Hans-' Angelegenheit gesprochen hast, glaube ich Dir, ängstliche, kleine Musch.
Ich aber werde es sicher eines Tages tun, Vatis Segen ruht dann auf meinem Tun, und das wird mir Mut machen. Aber nun ist es genug für heute. Entbiete Großtante meinen Gruß.
Dir sende ich viele liebevolle Küsse. Behüt’ Dich Gott, Herzensmusch!
Deine Rose-Marie«