Читать книгу Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil V) - Hedwig Courths-Mahler - Страница 7
4. Kapitel.
Ein schwerer Schlag.
ОглавлениеGleich nach den Ostertagen setzte anhaltendes Regenwetter ein. Vor Ostern hatte es noch viel Schnee gegeben. Dieser taute nun schnell mit dem einsetzenden warmen Wetter, und der Regen spülte ihn vollends fort.
Fritz Gerhard ritt mit Hans Ramberg am Flußufer entlang. Sorgenvoll schaute er auf das ansteigende Wasser.
Gerhard wollte den Damm inspizieren.
Noch immer hatte sich die Gemeinde nicht dazu verstanden, einen neuen, festeren Damm ausführen zu lassen.
In den letzten Jahren hatte es gar kein Großwasser gegeben, und die Bauern klopften auf ihren Säckel und lachten Gerhard wegen seiner Sorge aus.
Diesmal schien es aber ärger zu kommen, als die letzten Jahre.
Der Fluß schwoll rapid an und glich einem reißenden Strome.
Gerhard untersuchte den Damm mit sorgender Miene. Scheinbar war er noch fest bis auf einige Stellen, die man mit einigen Fuhren Sand und Steinen verstärkt hatte.
Wenn aber wirklich das Hochwasser mit aller Kraft dagegen wütete, dann war es fraglich, ob er hielt.
Hans schalt ärgerlich auf die dickköpfigen Bauern, die nicht auf den Onkel hören wollten.
»Dabei sind sie doch am meisten bedroht, wenn ein Dammbruch stattfindet, Onkel Fritz. Dein Haus und Hof liegt ja sicher auf dem Hügel. Da hinauf kommt das Wasser nicht,« sagte er zum Schluß.
Gerhard atmete gepreßt.
»Ja, Haus und Hof sind geschützt. Aber Wiesen und Felder würden auf Jahre hinaus verwüstet und brach gelegt werden. Du weißt, daß schwere Hypotheken auf meinem Gute lasten. Käme das Hochwasser über den Damm, dann wäre ich vernichtet, gründlicher als die dickköpfigen Bauern, die freilich mit Haus und Hof fortschwimmen könnten, wenn der Damm bricht.«
Hans blickte teilnahmvoll in des Onkels Gesicht.
»Wir wollen doch selbst zur Vorsicht noch einige Fuhren Erde anfahren lassen.«
»Ja, ich habe Böllermann schon Auftrag gegeben und wollte mich nur selbst überzeugen, wo die schwächsten Stellen sind. Hier dieser Riß muß vor allen Dingen gut verstopft werden. Wir wollen die Stelle genau bezeichnen.«
Die Herren stiegen ab und rammten einige bereitliegende Pfähle in das vom Regen gelockerte Erdreich.
Hans kletterte auf den Damm und untersuchte ihn auch von der anderen Seite.
»Er macht ja noch einen ganz vertrauenerweckenden Eindruck, Onkel Fritz. Vielleicht ist Deine Sorge doch unnötig.«
»Ich will es hoffen. In keinem anderen Falle möchte ich so gern unrecht haben, als in diesem. Wenn mich die Burgauer auslachen können, will ich von Herzen mitlachen. Aber Gnade uns Gott, wenn ich recht habe mit meiner Sorge!«
Sie bestiegen nun ihre Pferde wieder und ritten heim.
Als sie fast bis an den Hügel herangekommen waren, kam ihnen Rose-Marie in wildem Ritt entgegen. Sie hatte sich nicht einmal Zeit genommen, das Pferd zu satteln, oder einen Mantel zum Schutz gegen den Regen umzubinden.
Das gelöste Haar flatterte hinter ihr her, sie glich einer Windsbraut. Ihr Gesicht war blaß und angstvoll.
Die Herren sahen ihr betroffen entgegen.
»Da kommt doch Rose-Marie. Nun sieh’ Dir bloß diesen unbändigen Wildfang an. Wie sie einherstürmt! Sie will wohl das Pferd ruinieren! Aber wie sieht sie denn aus — was ist denn mit dem Kinde? He, Rose-Marie, stopp — langsam!«
Gerhard sprach das erst verwundert, dann sehr erschrocken vor sich hin:
Rose-Marie war herangekommen und parierte das Pferd.
»Hans,« rief sie aufgeregt, »komm schnell nach Hause — Deine Mutter — sie ist — ach, Gott sei Dank, daß ich Dich hier schon treffe; schnell nach Hause! Deine Mutter verlangt nach Dir — sie ist krank, Fräulein Ulrike ist bei ihr!«
Der junge Mann hörte nur eins: »Deine Mutter ist krank!«
Sein Herz zog sich im Schmerz zusammen. Angstvoll trieb er sein Pferd zur höchsten Eile an, ohne ein Wort zu erwidern.
Rose-Maries Erregung hatte ihm verraten, daß die Mutter wohl einen ihrer schlimmen Anfälle hatte. Und da mußte er bei ihr sein.
Gerhard und Rose-Marie folgten ihm stumm und ebenfalls in großer Eile.
Als Hans vom Pferde sprang, ritten sie in den Hof.
»Geh’ schnell hinauf, ich versorge Dein Pferd!« rief ihm Rose-Marie zu und sah ängstlich in sein blasses, düsteres Gesicht.
Er nickte nur und stürmte ins Haus.
Gerhard rief Böllermann herbei, übergab ihm die Pferde und sagte ihm wegen der Sandfuhren nach dem Damm Bescheid. Dann schickte er Rose-Marie ins Haus.
Ziehe Dir trockene Sachen an, Kind. Du bist ja ganz durchnäßt. Kommst da in dem strömenden Regen in dem dünnen Kleid angeritten!«
»Ich mußte doch Hans so schnell als möglich herbeirufen, Vati. Er hat so große Angst, daß seine Mutter ihm sterben könnte.«
Er streichelte ihr feuchtes Haar.
»Schon recht. Aber nun schnell umziehen, und dann gehst Du zu Musch und bleibst bei ihr, daß sie sich nicht beunruhigt. Ich gehe zu Hans hinauf und sehe, ob ich ihm von Nutzen sein kann.«
Rose-Marie nickte stumm und drückte seine Hand.
Als sie nach einer Weile wieder aus ihrem Zimmer kam, ging gerade Fräulein Ulrike vorüber.
»Wie geht es Tante Anna?« fragte sie hastig.
Diese zuckte die Achseln.
»Ich weiß nicht, Kindchen, es ist ganz schrecklich anzusehen, wie sich die Ärmste quält — als müßte sie ersticken. Es ist nur gut, daß der junge Herr so bald nach Hause kam, sie bangte sich schrecklich nach ihm.« —
Rose-Marie saß dann unten bei Musch. Gegen ihre sonstige unruhige Art war sie heute sehr still und beklommen. Ihr war zumute, als müsse Schreckliches geschehen.
Frau Henriette hatte selbst ihre Migräne und war davon so in Anspruch genommen, daß sie die Nachricht, daß Anna Ramberg unwohl sei, kaum beachtet hatte. Ihr Kopfweh war so arg, daß sie an gar nichts denken konnte. — —
Inzwischen war Hans bei seiner Mutter. Sie lag aus dem Diwan in ein loses Hauskleid gehüllt. Man hatte es ihr am Halse geöffnet. Ganz plötzlich hatte sie ihr Leiden wieder überfallen.
Ihr qualvoll verzogenes Gesicht hatte eine beängstigende Farbe angenommen.
Mühsam rang sie nach Atem und schien große Schmerzen zu haben.
Erst hatte sich die Wirtschafterin um sie gemüht; nun schickte sie Hans hinaus.
Er wußte, was er in solchen Fällen zu tun hatte, um der Mutter Erleichterung zu bringen.
Sie streckte die Hände hilfeflehend nach ihm aus, und er richtete sie liebevoll höher empor und mühte sich in zarter Sorgfalt um die Kranke.
Große Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, nicht nur durch die körperliche Anstrengung verursacht. Jedesmal überfiel ihn die furchtbare Angst, daß der Anfall den Tod der Mutter herbeiführen konnte.
Anna Ramberg rang auch heute heldenhaft mit ihrem schmerzhaften Leiden.
Es war, als wehre sie sich mit aller Kraft gegen die drohende Vernichtung. Aber diesmal war es stärker als sie.
Plötzlich richtete sie sich hoch empor und umklammerte ihres Sohnes Arm.
»Hans, mein Haus« rang es sich über ihre Lippen wie ein wilder Schrei. Und dann sank sie ebenso schnell schlaff und kraftlos zurück.
Die Spannung in ihren Zügen löste sich. Noch ein letzter liebevoller Blick traf in ihres Sohnes angstvolle Augen, ihre Hand glitt wie segnend über seine Stirn, dann hob ein letzter, freier Atemzug die beengte Brust und sie neigte den Kopf zur Seite. —
Anna Ramberg hatte ausgelitten. — —
Als Fritz Gerhard hinaufkam, um seine Hilfe anzubieten, fand er Hans in fassungslosem Schmerz über der Leiche seiner Mutter liegend.
Erschüttert beugte er sich zu ihm herab und hob ihn empor.
»Mein armer, lieber Junge — fasse Dich — gönne Deiner armen Mutter die Ruhe,« sagte er tiefbewegt und herzlich.
Hans warf sich wortlos an seine Brust, und ein krampfhaftes Schluchzen erschütterte ihn. —
Es kamen trübe Stunden.
Hans wich nicht vom Sterbelager seiner Mutter an diesem Tage.
Sein Gesicht war wie erstarrt im Schmerz. Zu viel war ihm die Mutter gewesen, zu sehr hatte er sie geliebt.
Ihr Verlust traf ihn hart, trotzdem er schon lange ein schnelles Ende gefürchtet hatte.
Rose-Mark hatte laut aufgeweint, als ihr der Vater sagte, was geschehen war.
Während er seine Frau schonend vorbereitete, lief Rose-Marie hinaus in das Sterbezimmer.
Dort saß Hans starr und stumm neben seiner toten Mutter.
Ein Grauen packte das junge Mädchen. Es war das erste Mal, daß sie einen Menschen auf dem Totenbette sah.
Fassungslos, mit entsetztem Gesicht schaute sie in das stille Gesicht der Toten.
Und dann flog sie mit einem Wehruf auf Hans zu und umklammerte ihn, als müsse sie ihn vor etwas Schrecklichem, Furchtbarem schützen. Zitternd und wortlos schmiegte sie sich an ihn.
Er streichelte in tiefem Jammer ihr blondes Köpfchen.
Wenn ihn etwas trösten konnte in dieser Stunde, so war es Rose-Maries innige Anteilnahme an seinem Schmerz.
Innig umschlungen saßen sie dann lange beieinander und hielten Totenwache, bis Gerhard herauskam und sein Kind fortführte.
Still und scheu gingen die Leute im Hause umher.
Sie hatten alle die anspruchslose, freundliche Frau mit dem stillen Leidenszug um den feinen Mund gern gehabt. Es tat ihnen leid, daß sie gestorben war.
Die Wirtschafterin, die im Anfang geglaubt hatte, Anna Ramberg würde sie verdrängen, wußte nun, daß sie eine treue Helferin im Hause verloren hatte. Manche Ruhestunde hatte ihr die Tote verschafft.
Henriette Gerhard war fassungslos.
Wie innig hatte sie sich mit Anna in diesen zwei Jahren ihres Hierseins befreundet, wie selbstlos war diese auf all ihre kleinen Leiden eingegangen und hatte nie über das ihre geklagt.
Nun würde wieder niemand so recht Zeit für sie haben.
Sie weinte schmerzliche Tränen um den Verlust der Freundin, und Gerhard mußte ihr am Abend ein Schlafpulver geben, weil sie sich nicht beruhigen konnte.
Auch Rose-Marie hatte sich in den Schlaf geweint.
Nun war es still im Hause, alle waren zu Bett gegangen, außer Hans und Fritz Gerhard.
Der letztere ging noch einmal hinauf zu Hans, der noch immer bei seiner toten Mutter saß. Er legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Mein lieber Junge, ich wollte nicht zu Bette gehen, ohne etwas mit Dir zu besprechen, was mir am Herzen liegt. Deine arme Mutter ist tot — sie ruhe in Frieden. Ich möchte Dir zu bedenken geben, daß jetzt vielleicht die Zeit gekommen ist, wo Du Dich mit Deiner Großmutter versöhnen kannst. Willst Du sie nicht an das letzte Lager Deiner Mutter rufen?«
Hans fuhr auf. Sein im Schmerz erstarrtes Gesicht bekam einen harten Ausdruck.
»Nein, Onkel Fritz —- tausendmal nein! Sie ist schuld daran, daß meine arme Mutter so früh sterben mußte. Sie hat sie in Not und Elend gelassen, ohne die Hand zu rühren, und hätte es doch so leicht gehabt, ihr zu helfen, ihr Ruhe und Frieden wiederzugeben.
Wie ein Fluch hat ihr Groll auf uns geruht. Auch mein Vater mußte früh ins Grab, und sein Herz hat unsagbar darunter gelitten, daß sich meine Mutter wieder und wieder demütigte vor der harten Frau.
Ich habe ihm gelobt, darüber zu wachen, daß es nie mehr geschieht, und daß ich nie, nie einen Schritt tun werde, Frau Marianne Heydebrecht entgegenzukommen. Aus keinen Fall will ich, daß ihre kalten Augen auf meiner toten Mutter ruhen und ihren letzten Schlaf stören. Frau Heydebrecht ist uns eine Fremde gewesen, seit meine Mutter ihr Haus verließ. Sie hat schon damals erklärt, ihre Tochter sei tot für sie; nun, so soll sie uns auch jetzt als Fremde betrachten, ich habe nichts mit ihr gemein!«
Seine Augen flammten düster bei diesen Worten.
Gerhard faßte ihn bei beiden Schultern und sagte eindringlich:
»Ich verstehe Deinen Groll, Hans, aber ich weiß auch, daß es der heimliche Wunsch Deiner Mutter gewesen ist, daß Du dennoch eines Tages das Erbe antrittst, das man ihr verweigert hat.
Bedenke, Schönrode ist ein großer, herrlicher Besitz, gegen das mein kleines Gut eine Klitsche ist. Und Deine Großmutter ist eine sehr reiche Frau. Wer weiß, wie sie im Groll testiert, wenn keine Versöhnung zustande kommt. Sei vernünftig. Der Tod Deiner Mutter wird mahnend an ihr Herz klopfen, und wenn sie an ihrem Grabe steht, streckt sie Dir vielleicht selbst die Hand entgegen.
Du brauchst Deinem Gelübde nicht untreu zu werden. Wenn Du ihr den Tod Deiner Mutter meldest und sie aufforderst, ihrer Beerdigung beizuwohnen, so vergibst Du Dir nichts, das würde auch Dein Vater gestattet haben. Vielleicht öffnet sie Dir ihr Herz.«
Hans schüttelte in verbissenem Grimm den Kopf.
»Das Herz, das sich meiner Mutter verschloß, mag auch mir verschlossen bleiben. Ich will weder die Liebe, noch den Reichtum dieser Frau. Meine Mutter weckt sie mir doch nicht wieder auf. Von mir erfährt sie nicht, daß meine Mutter gestorben ist; ich rühre keine Hand um sie.«
Gerhard trat ans Fenster und sah hinaus. Dann wandte er sich Hans wieder zu und sagte ernst:
»Es tut mir leid, daß ich Dich nicht anderen Sinnes machen kann!«
Hans faßte seine Hand.
»Verzeihe mir, Du meinst es gut, aber Du weißt nicht, was wir alle gelitten haben wegen dieser Frau!«
»Sie war aber dennoch die Mutter der Deinen. Und Deine Mutter hat sie geliebt bis zuletzt — trotz ihrer Härte. Sie hat mir vor einigen Monaten, nach einem ihrer schlimmen Anfälle, einen Brief übergeben — an Deine Großmutter.«
Hans fuhr auf.
»Trotzdem sie Vater gelobt hat, nie mehr einen Schritt zur Versöhnung zu tun?« fragte er schmerzlich.
»Gemach, mein Junge — trotz des Briefes hat Deine Mutter ihr Gelübde gehalten. Diesen Brief hat sie mir nur gegeben zum Aufbewahren, und sie sagte dabei:
»Es könnte sein, daß ich sterben muß ohne je meine Mutter wiederzusehen ohne mit ihr versöhnt zu sein. Eines Tages aber — und sei es erst auf dem Totenbette — wird meine Mutter vielleicht ihre Härte bereuen und vielleicht meinen Sohn zu sich rufen, wenn ich nicht mehr bin. Dann soll ihr dieser Brief sagen, wie sehr ich sie trotz allem geliebt habe, und daß ich ihr nie grollte ihrer Härte wegen. — Darum, lieber Fritz, verwahre diesen Brief auf alle Fälle. An dem Tage, da meine Mutter meinem Sohne versöhnend die Hand entgegenstreckt, soll sie diesen Brief erhalten!«
Siehst Du, mein Junge, Deine Mutter hoffte bis zuletzt darauf, daß Deine Großmutter sich eines Tages versöhnlich zeigen würde; das wollte ich Dir sagen. Da Du der alten Frau nicht schreiben willst, so will ich ihr wenigstens der Ordnung halber melden, daß Deine Mutter in meinem Hause heute verschieden ist.
Und nun lasse ich Dich allein mit der geliebten Toten, die Du so sehr liebtest, daß Du diejenige hassen mußt, die ihr aus verbittertem Herzen Leid zufügte.
Den Brief Deiner Mutter an Deine Großmutter werde ich aufbewahren, vielleicht kommt doch einmal die Zeit, da er an seine Adresse gelangen darf!«
Hans fuhr mit der Hand durch das Haar.
»Ich bezweifle es, Onkel Fritz, und ich tue jedenfalls nie einen Schritt, der ihr entgegenführt.«
Gerhard sah ihm mit liebevollem Ernst in die Augen.«
»Wie Gott will. Und nun gute Nacht, Hans!«
Sie schüttelten sich die Hände. Einer war sich des Wertes des anderen voll bewußt, trotz der Meinungsverschiedenheit. —
Fritz Gerhard ging noch in sein Arbeitszimmer, um an Marianne Heydebrecht zu schreiben, damit der Brief am nächsten Morgen vom Milchmann gleich in der Stadt aus das Postamt gebracht werden konnte.
Der Brief lautete:
»Liebe Tante Marianne! Seit Jahren ist die Korrespondenz zwischen uns auf Deinen Wunsch bis auf die üblichen Glückwünsche zu Neujahr und zu den Geburtstagen zusammengeschmolzen. Daß ich Dir heute schreibe, wird Dir sagen, daß es nicht ohne besonderen Grund geschieht.
Nicht mit persönlichen Angelegenheiten will ich Dir lästig fallen, sondern Dir nur die betrübende Mitteilung machen, daß heute Vormittag um elf Uhr Deine Tochter Anna in meinem Hause verschieden ist, infolge eines langjährigen Herzleidens.
Anna lebte seit zwei Jahren — nachdem ihr Mann gestorben war und sie in sehr mißlichen Vermögensverhältnissen zurückgelassen hatte — mit ihrem Sohn Hans in meinem Hause.
Hans Ramberg ist als Wirtschaftseleve bei mir in Stellung, und seine Mutter unterstützte meine leidende Frau im Haushalt.
Ich teile Dir der Ordnung halber ihr Verscheiden mit und füge aus ehrlichem Herzen den Wunsch hinzu, daß sich über Annas letzter Ruhestätte zwei Herzen zueinander finden mögen, die doch zusammen gehören.
Ich hoffe, liebe Tante, daß der Tod Deiner armen Tochter Deinen jahrelangen Groll besänftigt, und daß Du Deinem Enkel die Hand zur Versöhnung reichst, damit Dein Alter nicht noch einsamer werde, als Dein bisheriges Leben.
Bei uns ist sonst alles beim alten.
Wir grüßen Dich herzlich. Ich hoffe baldigst eine gute Antwort von Dir zu erhalten.
Dein Fritz Gerhard.«
Dieser Brief wurde am nächsten Morgen abgeschickt.
Hans gegenüber erwähnte Gerhard kein Wort mehr über die Angelegenheit. Er sagte sich, daß es nutzlos sei, vorläufig davon zu sprechen.
Am Nachmittag kam Rose-Marie in das Arbeitszimmer ihres Vaters.
»Vati, laß mich ein Weilchen bei Dir bleiben. Musch schläft und Hans ist jede freie Minute bei seiner toten Mutter. Ich möchte ihn nicht stören. Der Regen läßt auch nicht nach, daß man hinaus könnte.«
»Und meinen kleinen Wildfang bedrückt die ernste Stimmung im Hause, gelt?«
Rose-Marie umfaßte des Vaters Hals und schmiegte ihre Wange an die seine.
»Warum müssen gute Menschen, die man lieb hat, sterben, Vati?«
Er streichelte ihre Wange und sagte:
»Darauf kann ich Dir leider keine Antwort geben, mein Kind. Sterben müssen wir alle einmal, das ist Naturnotwendigkeit. Wir werden alt und junge Menschen treten an unsere Stelle. Alles verjüngt sich und erneut sich in der Natur.«
»Aber warum sterben die Menschen nicht hübsch der Reihe nach, Vati? Konnte nicht lieber Hans’ böse Großmutter eher sterben, als seine Mutter?«
Gerhard seufzte, wie so mancher Vater, der seinem Kinde eine Frage nicht zufriedenstellend beantworten kann.
»Mach’ Dir nicht Kopf und Herz schwer mit solchen Fragen. Vielleicht will der liebe Gott der alten Frau Zeit lassen, ein Unrecht gutzumachen!«
»O, an Tante Anna kann sie nun nichts mehr gutmachen!«
»Aber an Hans. Sieh mal, Rose-Marie, hier in diesem Schreibtischfach liegt ein Brief Tante Annas an ihre Mutter. Sie hat sie herzlich lieb gehabt bis zu ihrem Tode. Und dieser Brief soll ihr eines Tages sagen, daß ihr verstoßenes Kind nie aufgehört hat, sie zu lieben. Leider darf ich ihn der alten Frau nicht eher geben, als bis sich ihr Herz versöhnend dem Enkel öffnet.
Wir beide, Du und ich, die wir Hans lieb haben und ihm alles Gute wünschen, wollen hoffen, daß der Brief bald in die Hände der alten Frau kommen darf, denn dann wird Hans Ramberg kein armer, heimatloser Mann mehr sein, sondern der Erbe von Schönrode.«
Rose-Marie nahm den Brief, den ihr der Vater zeigte, in die Hand und betrachtete ihn seufzend.
»An meine liebe Mutter — Frau Marianne Heydebrecht auf Schönrode.«
So stand in Tante Annas feinen, klaren Schriftzügen auf dem Kuvert .
»Weißt Du was, Vati, ich möchte der Frau Marianne Heydebrecht einmal sagen, was ich von ihr denke.«
Gerhard lächelte.
»Ei, mein Kücken, was würden da für nette Sachen zum Vorschein kommen. Aber wer weiß, vielleicht kommt es einmal dazu, vielleicht erhält sie einmal aus Deiner Hand diesen Brief mit den nötigen Kommentaren.
Vorläufig wollen wir ihn hier wieder aufbewahren, bis die alte Dame versöhnlich gestimmt ist. Vielleicht ist die Zeit nahe!«
Fritz Gerhard hoffte im stillen, daß Frau Marianne Heydebrecht auf seinen Brief hin einlenken würde.