Читать книгу Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil V) - Hedwig Courths-Mahler - Страница 9
6. Kapitel.
Der Abschied.
ОглавлениеAnna Rambergs sterbliche Reste waren der Erde übergeben worden. Sie ruhte drüben am Walde auf dem Burgauer Friedhof, der gleich Gerhards Gut neben der Kirche auf einem Hügel lag.
Hans konnte von feinem Giebelfenster aus hinüberschauen.
In dem Gerhardschen Erbbegräbnis hatte sie den letzten Ruheplatz gefunden.
Hans hatte seinen Schmerz mannhaft bekämpft.
Fritz Gerhard hatte ihm auch nichts von der Antwort seiner Großmutter gesagt, um ihn nicht noch mehr gegen die alte Frau zu verbittern.
Noch gab er es nicht auf, zu hoffen, daß Marianne Heydebrecht doch eines Tages ihren Enkel anerkennen und zu sich rufen würde.
Einmal klopfte Gottes Finger auch an das härteste Menschenherz-! —
Rose-Marie war für Hans Ramberg in diesen Tagen der Trauer ein rechter Herzenstrost.
Sie plauderte in ihrer frischen, herzigen Art mit ihm und suchte ihm die trüben Gedanken zu verscheuchen.
Niemand hatte soviel Einfluß auf seine Stimmung, wie sie.
Seine Augen leuchteten auf, wenn er sie sah, und jede freie Stande verbrachte er in ihrer Gesellschaft.
Inzwischen war der Fluß wohl noch etwas höher gestiegen, aber auch diesmal sollten die geizigen Bauern recht behalten.
Der Damm hielt aus, und in der nächsten Gemeinderatssitzung wurde Fritz Gerhard ein wenig ausgelacht wegen seiner Angst.
Die Bauern behaupteten, der Damm halte noch mindestens zwanzig Jahre und sei ein ausreichender Schutz gegen die Großwassergefahr.
Gerhard zuckte die Achseln und seufzte. Er sah ein, daß er nichts machen konnte.
Trotzdem blieb er bei seiner Behauptung, daß der Damm nicht widerstandsfähig genug sei.
Noch ein letztes Mal war er mit Hans hinausgeritten und hatte aufatmend konstatiert, daß wohl für dieses Jahr jede Gefahr vorüber sei.
Auf dem Heimweg hatte er dann eine Weile nachdenklich vor sich hingesehen. Dann wendete er sich zu Hans:
»Mein lieber Junge, nun mir die Sorge mit dem Damm vorläufig vom Herzen genommen ist, kann ich meine Gedanken wieder einer anderen Angelegenheit zuwenden. Diese Angelegenheit betrifft Dich!«
Hans blickte ihn erwartungsvoll an.
Ihre Pferde gingen im Schritt nebeneinander her.
»Mich, Onkel Fritz?«
»Ja, mein Junge. Sieh mal, was Du bei mir lernen konntest, das hast Du gelernt. Mein Gut ist auch nicht groß genug, daß Du in Zukunft ein ausreichendes Feld der Tätigkeit hier neben mir finden würdest. Du sollst Deine Kräfte regen und noch mehr hinzu lernen.
Ich habe deshalb daran gedacht, daß Du einen anderen Wirkungskreis erhalten sollst. Glaube nicht, daß es mir leicht wird, Dich fortgehen zu lassen; ich habe Dich lieb gewonnen, wie einen Sohn, und Du wirst uns allen sehr fehlen. Aber ich denke zuerst an Dich.
Ich kann Dir keinen Gehalt zahlen, aber Du sollst verwerten, was Du gelernt hast, und Geld verdienen.
Hier bin ich selbst genug, um die Aufsicht über die Leute zu führen und die Geschäfte zu erledigen. Du würdest neben mir Dein Können nicht genügend ausnützen.«
Hans ergriff impulsiv seine Hand.
»Onkel Fritz, ich weiß, daß Du nur mein Bestes im Auge hast. Und offen gestanden, ich habe schon selbst daran gedacht. Solange meine Mutter noch lebte, wies ich den Gedanken, Dein Haus zu verlassen, immer von mir.
Schwer, sehr schwer wird mir das Scheiden auch jetzt noch werden. Aber ich kann doch nicht immer hier bleiben, und wenn es Dir recht ist, werde ich mich nach einer passenden Stelle umsehen.«
Gerhard sah ihn mit seinen klaren, guten Augen freundlich an.
»Das wird nicht mehr nötig sein. Ganz in der Stille habe ich mich bereits für Dich verwandt und habe eine gute Position für Dich in Aussicht.
Du weißt, ich war früher erster Verwalter bei Graf Ronach. Seine Güter liegen in Thüringen, in der Gegend von Erfurt.
Graf Ronach ist mir heute noch sehr gewogen und gibt etwas auf mein Urteil. Ich habe mich Deinetwegen an ihn gewandt, und er will Dich trotz Deiner Jugend als zweiten Verwalter anstellen — es fehlt nichts, als Deine Einwilligung.
Die Stellung ist angenehm bei Fleiß und treuer Pflichterfüllung die ich bei Dir als selbstverständlich voraussetze Du wirst ein anständiges Gehalt beziehen, und vor allen Dingen noch sehr viel lernen.
Der jetzige erste Verwalter ist ein guter Freund von mir, er war damals als zweiter Verwalter neben mir angestellt und nahm meine Stellung ein, als ich abging.
Du wirst in ihm einen guten Vorgesetzten und ehrlichen Förderer finden. Überlege Dir also meinen Vorschlag und gib mir morgen Bescheid.«
Hans richtete sich lebhaft im Sattel empor.
»Es braucht keine Überlegung, Onkel Fritz, und ich kann mich schon jetzt dafür entscheiden!«
Gerhard schüttelte den Kopf.
»Nein, mein Junge, es ziemt einem vernünftigen Mann, Für und Wider zu erwägen, wenn es einen neuen Schritt in die Zukunft gilt. Hast Du überlegt, dann entschlossen das Lebensschiff in neue Bahnen gesteuert — aber erst dann. Du bist ein Heißsporn, mein lieber Hans und mußt noch lernen, Dir bei Deinen Entschlüssen Ruhe zu gönnen. Erst wägen — dann wagen!«
Hans tat einen tiefen Atemzug und sagte:
»Onkel Fritz, ich wünschte, ich könnte Dir in allen Stücken gleichen!«
Gerhard lachte gutmütig und nickte ihm freundlich zu.
»Wenn Du in meine Jahre kommst, wird sich der Heißsporn auch gemäßigt haben. Also morgen gibst Du mir Deinen Bescheid!«
»Es soll so sein, wie Du willst, Onkel Fritz!«
Schweigend ritten sie weiter.
Hans spann neue Zukunftspläne und Fritz Gerhard sah zuweilen in sein lebhaft getötetes Gesicht.
Er hatte vorhin nicht zuviel gesagt, als er bemerkte, daß er Hans wie einen Sohn liebte.
Und manchmal hatte er schon Zukunftspläne gebaut, wenn er Hans und Rose-Marie im Verkehr miteinander beobachtete.
Wenn diese beiden geliebten jungen Menschen sich einst für das Leben fanden, dann konnte er beruhigt sein über das Schicksal seines Kindes. Aber das waren nur schattenhafte Wünsche, Rose-Marie war ja noch ein Kind.
Auch Hans Rambergs Verhältnis zu seiner Großmutter beschäftigte Gerhard.
Nicht ohne Nebengedanken wollte er Hans als Verwalter auf den ausgedehnten Besitzungen des Grafen Ronach sehen. Würde er einst der Herr von Schönrode, dann kam ihm das sehr zu statten. —
Fritz Gerhard hatte sich vorgenommen, eines Tages selbst Marianne Heydebrecht aufzusuchen und die Sache seines Schützlings zu führen.
Persönlich hoffte er mehr zu erreichen. Er wollte nur noch warten, bis Hans etwa ein Jahr beim Grafen Ronach war, damit er sich auch auf dessen Zeugnis über die Qualitäten des jungen Mannes berufen konnte.
Gerhard hatte diesen Plan schon mit Rose-Marie besprochen, und sie war überzeugt, wenn einem Menschen dieses Versöhnungswerk gelang, dann würde es ihr Vater sein.
»Weißt Du was, Vati, dann nimmst Du mich mit und ich helfe Dir,« hatte sie gesagt.
Als die Herren an der Gartenmauer entlang den Hügel hinaus ritten, erschien Rose-Maries blonder Kopf über der Gartenmauer.
Mit einem Satz schwang sie sich empor.
»Gottlob, daß Ihr endlich heimkommt — ich habe einen Mordshunger!« rief sie lebhaft.
»Das ist Normalzustand bei Dir, Rose-Marie,« neckte Hans.
Sie lachte und freute sich, daß er einmal wieder ein lächelndes Gesicht zeigte.
»Gottlob, daß Du wieder einmal froh aussiehst, Hans. Dann darfst Du mich gern necken. Aber nun sputet Euch. Musch sitzt schon erwartungsvoll am Frühstückstisch. Sie hat heute kein Kopfweh.«
»Nun, spute Dich nur selbst, ehe Du durch den Garten läufst, sind wir längst im Hause.«
»Pöh — das wollen wir erst mal sehen. Wetten, daß ich zuerst am Frühstückstisch bin?«
»Gut, ich halte die Wette. Um was geht es?«
»Um ein Pfund Schokolade.«
Hans machte ein entsetztes Gesicht.
»Ein ganzes Pfund? Das kostet ja ein Vermögen!«
»Gut, also ein halbes Pfund — aber prima Sorte.«
»Abgemacht!«
»Vati, zähle!« rief Rose-Marie eifrig und setzte zum Sprung an.
Gerhard zählte lachend bis drei.
Mit einem Satz verschwand der Blondkopf von der Mauer. In wildem Lauf stürmte Rose-Marie durch den Garten. Mit großen Sprüngen setzte sie über die Beete weg. Einmal blieb sie an einem Stacheldraht hängen mit dem Kleid. Sie riß sich hastig los und ein klaffender Riß war das Ergebnis.
Die Zöpfe flogen ihr wild um den Kopf, und in einem sehr derangierten Zustand jagte sie gleich darauf in das Eßzimmer hinein, gerade in dem Augenblick, als Hans vom Hofe aus über die Veranda durch die andere Tür eintrat.
Noch ein kühner Satz und sie saß als erste neben Musch am Frühstückstisch.
Triumphierend steckte sie Hans die Zunge heraus.
»Gewonnen! Du mußt die Schokolade berappen, Hans!« Frau Henriette hatte beschwörend die Hände erhoben.
»Aber, Rose-Marie, wirst Du denn nie lernen, Dich gesittet zu betragen? In welchem Zustand kommst Du nun wieder zum Frühstück? Es ist ein Jammer mit Dir!«
Rose-Marie sah an sich herab und beachtete nun erst den Riß im Kleid.
»O weh, Musch — ein Loch in der Natur! Aber diesmal weiß ich wirklich nicht, wie ich dazu gekommen bin,« sagte sie seufzend, den Riß betrachtend und vergeblich die Rißflächen zusammenpassend.
»Das ist gerade das schlimmste, daß Du nie auf Dich achtest!«
Hans küßte Tante Henriette die Hand.
»Diesmal mußt Du mich schelten, liebe Tante. Wir haben gewettet, wer zuerst am Frühstückstisch sitzt, und da es um ein halbes Pfund prima Schokolade ging, konnte unser Wildfang unmöglich auf den Riß achten.«
Henriette sah Hans, den sie sehr gern hatte, mit vorwurfsvollem Lächeln an.
»Du entschuldigst alle Tollheiten Rose-Maries, gerade wie ihr Vater. Wie soll ich da Macht gewinnen über dieses Barbarenkind?«
Rose-Marie sprang auf und küßte die Mutter herzhaft ab.
»Herzensmusch, ärgere Dich nicht über Dein Barbarenkind. Du weißt doch, Vati sagt immer: Wenns Herz nur schwarz ist!«
Gerhard trat eben ein und hörte ihre Worte.
»Du, Wildfang dieser Ausspruch gilt eigentlich nur für einen Neger, dessen Echtheit bezweifelt wird. Da Du kein Neger bist, hast Du auch kein Recht auf ein schwarzes Herz. Was hast Du denn wieder angestellt?«
Sie sprang auf und zeigte ihm mit drollig zerknirschter Miene den Riß.
»Aha — das Ergebnis der Wette, nicht wahr?« fragte er lachend.
Sie nickte.
»Na, hast Du wenigstens gewonnen?«
»Ja, Vati, mit einer Nasenlänge!«
»So; nun, dann stopfe den Riß mit der gewonnenen Schokolade.«
Rose-Marie umarmte ihn jubelnd.
Frau Henriette sah seufzend in Hans lächelndes Gesicht.
»Ist das nun ein vernünftiger Vater?« fragte sie hilflos.
Gerhard umfaßte sie liebevoll.
»Sei gut, Henriette. Sieh’ mal, wir haben endlich einmal wieder frohe Gesichter. Und das Hochwasser fällt rapid. Da wollen wir uns nicht durch einen Riß im Kleid verstimmen lassen!«
In heiterer Stimmung nahm man das Frühstück ein.
Als Hans einmal herzlich lachte über eine drollige Bemerkung Rose-Maries, drückte diese in stummem Jubel dem Vater unter dem Tisch die Hand.
Sie war so froh darüber.
Der Vater nickte ihr verständnisvoll zu.
Nach Beendigung des Frühstücks sagte Hans zu Rose-Marie:
»Ich lasse jetzt anspannen und fahre in die Stadt, um für Onkel Fritz verschiedene Aufträge zu erledigen. Willst Du mitkommen?«
Sie klatschte in die Hände.
»O, fein! Natürlich komme ich mit! Gleich ziehe ich mir ein anderes Kleid an und kann in fünf Minuten fertig sein!«
»Sagen wir in einer Viertelstunde Du kannst Dir dann in der Stadt gleich selbst die Schokolade aussuchen, die Du gewonnen hast.«
»Hm — famos — wird gemacht! Musch, hast Du was zu besorgen? Brauchst Du Stickgarn oder Nähseide, oder so’n Kram?«
»Einige Meter Seidenband kannst Du mitbringen, und zum Buchhändler kannst Du für mich gehen. Ich schreibe Dir alles auf. Inzwischen mache Dich fertig. Möchtest Dir auch das Haar frisch aufflechten.«
»Ja, Musch, sollst ein Wunder erleben, wie fein ich mich mache. Ich komme dann noch einmal herein zu Dir!« — —
Eine Viertelstunde später saß Rose-Marie neben Hans auf dem Korbwagen in dem sie ihn damals von den »Drei Raben« abgeholt hatte.
Als sie den Hügel hinter sich und glatten Weg vor sich hatten, sagte Hans halblaut:
»Weißt Du noch, Rose-Marie, wie Du mir damals auf dem Wege von der Stadt den ersten Fahrunterricht gabst?«
Sie nickte lebhaft.
»Freilich weiß ich es noch, Hans. Und siehst Du, nun kutschierst Du längst so sicher, als ich, bist auch ein tüchtiger Reiter geworden, und überhaupt —«
»Ja, Rose-Marie, viel habe ich gelernt unter Deines lieben Vaters Leitung. Du sagtest mir damals: »Mein Vati ist ein herrlicher Mensch!« Daran habe ich oft denken müssen. Was verdanke ich ihm nicht alles!«
Rose-Marias Augen strahlten in fröhlichem Stolz.
»Ja — mein Vati,« sagte sie zärtlich.
»Er ist Dir der liebste Mensch, so sagtest Du mir. Und dann kommt Deine Musch, nicht wahr?«
»Ja, dann kommt meine kleine Herzensmusch!«
»Und dann?« fragte er weiter, und eine heimliche Spannung lag in seinen Zügen.
»Dann? Nun, dann kommst Du natürlich!«
»Ist es wahr, Rose-Marie?« fragte er leise und erregt.
»Aber Hans, wie kannst Du so dumm fragen? Wen sollte ich wohl außer meinen Eltern lieber haben, als Dich?«
Er richtete sich auf und sah sie forschend an.
»Wenn ich nun wieder fortginge von Burgau, würde Dir das sehr leid tun?«
Sie blickte betroffen auf.
»Fort? Ach, Du darfst nie mehr von uns fortgehen!«
»Doch, Rose-Marie. Ich muß noch mehr lernen, und vor allen Dingen Geld verdienen! Ich kann doch nicht immer Deines Vaters Brot essen!«
Sie rückte hastig und unruhig ihren Hut aus der Stirn.
»Ach, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Nein — o nein — Du sollst nie fortgehen!«
»Und doch wird es geschehen — sehr bald schon. Dein Vater hat mir schon eine Stelle als Verwalter beim Grasen Ronach ausgemacht.«
Rose-Marie lehnte sich plötzlich steif zurück. Ihr frisches Gesicht war jäh erblaßt.
Sie sah mit einem Blick zu ihm auf, der dem kindlichen Gesicht einen seltsam veränderten Ausdruck gab.
»Fort willst Du — und schon bald?« sagte sie leise.
»Ja, Rose-Marie!«
Sie schluckte tapfer die aufsteigenden Tränen hinunter.
»Muß das sein?«
»Ja — Dein Vater will es auch!«
Sie strich sich mit beiden Händen das Haar aus der Stirn und zerrte an ihrem Hut herum. Dann atmete sie gepreßt auf.
»Wenn es Vati will, dann freilich — dann — dann darf nicht gemuckst werden!« sagte sie heiser.
Es sollte scherzhaft klingen, aber er hörte nur zu gut, daß ihre Stimme zitterte.
Und da wurde ihm so warm und weit ums Herz, daß er hätte laut aufjubeln mögen.
Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander Er sah sie dabei immerfort an.
»Rose-Marie!«
Sie fuhr aus trübem Sinnen empor.
»Was denn, Hans?«
»Wirst Du zuweilen an mich denken, wenn ich fort bin?«
Sie nickte nur stumm.
»Und auch Briefe schreiben?«
Sie seufzte tief auf.
»Ach, mein Krikelkrakel kann ja kein Mensch lesen, sagt Musch.«
Er lächelte.
»O, ich kann es famos lesen, Rose-Marie. Schreib mir nur recht viel, alles — kannst Dir doch denken, wie froh ich sein werde, wenn Du mir alles berichtest. Hab ich doch bei Euch meine wahre Heimat gefunden.«
Sie faßten sich bei den Händen, als wollte eins das andere trösten.
»Ja, ich will Dir alles schreiben, Hans. Und Mühe will ich mir auch geben, daß Du alles entziffern kannst. Wirst Du mir aber auch antworten? Ich habe noch nie einen Brief bekommen.«
»Von Herzen gern antworte ich Dir!«
»Und wirst Du uns zuweilen besuchen?«
»So oft ich Urlaub bekomme. Und immer werde ich an Euch denken! Wirst Du mich lieb behalten, Rose- Marie?«
»Aber Hans, wenn man mal jemand lieb hat, ist es doch für immer!«
Er drückte stumm die kleine, feste Mädchenhand, die regungslos in der seinen ruhte.
Sie sprachen nun nicht mehr.
Rose-Marie mußte sich tapfer zur Wehr setzen gegen das Weh, das ihre junge Seele gefangen genommen hatte. Und Hans war das Herz ebenfalls schwer.
Erst in der Stadt wurden sie beide wieder lebhafter und vergaßen eine Weile ihr Herzeleid über die bevorstehende Trennung.
Nie war Hans bisher so lieb und zärtlich zu Rose-Marie gewesen, wie heute, und auch über ihrem Wesen lag ein weicher, sanfter Ton.
Als Hans für Rose-Marie die Schokolade kaufte, erstand er von seinem schmalen Taschengeld noch eine hübsche, kleine Bonbonniere.
Es war ein mit blauen Schleifen verziertes Kästchen mit Heckenrosen bemalt. Rose-Marie fand es wunderniedlich und freute sich riesig darüber.
Sie war so anspruchslos und leicht zu erfreuen.
Fest hielt sie das Kästchen an sich gedrückt wie einen kostbaren Schatz, während sie ihre Besorgungen für Musch machte.
Aus der Heimfahrt waren sie aber wieder sehr still, und als Hans Rose-Marie von der Seite ansah, bemerkte er, daß Tränen an ihren Wimpern hingen. Da wurde ihm so seltsam weich und wunderlich zumute.
»Rose-Marie —- liebe, kleine Rose-Marie!«
Sie legte plötzlich ihr Köpfchen an seine Schulter und weinte herzbrechend.
Er nahm die Zügel in eine Hand und streichelte mit der anderen ihre Wange-.
Aber lange ließ sich Rose-Marie nicht so gehen. Ärgerlich über ihre Schwachmütigkeit, richtete sie sich auf und schob mit einem energischen Ruck ihren Hut zurecht.
»Gott, was bin ich für eine alberne Heulliese! Jetzt ists genug — nicht eine Träne vergieße ich mehr, das kannst Du mir glauben,« sagte sie hastig und rieb sich mit dem Taschentuch die Tränenspuren aus dem Gesicht.
Dann schwatzte sie hastig drauflos, alles kunterbunt durcheinander. Und Hans half ihr dabei so gut er konnte.
So kamen sie scheinbar in heiterster Stimmung zu Hause an. —
In den nächsten Tagen kamen freilich mancherlei Rückfälle in Betrübnis und Pein.
Aber Rose-Marie blieb tapfer. Nur als sie dann erfuhr, daß Hans schon in wenig Tagen in Ronach eintreffen mußte, da wurde sie sehr blaß und lief hinauf in ihr Zimmer.
Bald kam der Tag des Abschiedes heran.
Rose-Marie stand im Garten und suchte die ersten Veilchen, um sie Hans mit auf den Weg zu geben.
Da trat er unerwartet an sie heran.
»Rose-Marie — für wen pflückst Du die Veilchen?«
Sie richtete sich empor und reichte ihm die Blumen.
»Für Dich, Hans. Stecke sie an Deinen Hut, das bringt Dir Glück, sagt Fräulein Ulrike.«
Er tat, wie sie geheißen und sah sie dabei an.
Sie erschien ihm heute nicht mehr wie ein Kind, etwas Mädchenhaftes lag auf dem sonst so übermütigen Gesicht. Fest nahm er ihre Hand in die seine.
»Rose-Marie — sieh’ mich einmal an!«
Sie schaute zu ihm auf.
Frühlingsweben war ringsum sie her. Eine heilige Stille lag über der Erde. Und die zwei jungen Augenpaare senkten sich tief ineinander.
»Rose-Marie — süße, liebe Rose-Marie,« flüsterte er und zog sie nahe an sich heran.
Sie wurde glühend rot und erzitterte.
Da nahm er sie fest in seine Arme und küßte sie auf den roten Mund.
»Vergiß mich nicht!« bat er leise.
Sie schüttelte den Kopf.
Und dann kam Rose-Maries Vater mit einem Male auf dem Gartenwege daher.
Kein Zug in seinem Gesicht verriet, daß er diesen Abschied bemerkt hatte, daß er die Erregung der beiden sah.
Liebevoll und ruhig legte er seine Arme um beider Schultern und führte sie in freundlichem Gespräch aus dem Garten.
»Gelt, Rose-Marie, wir wollen gar nicht betrübt sein, daß Hans von uns geht? Seine Heimat ist immer bei uns und er besucht uns recht oft. Wir wollen gar nicht so schweren Abschied voneinander nehmen, unsere Herzen bleiben doch vereint.«
So sprach er gütig und nahm den jungen Leuten die heimliche Erregung aus den Herzen. Als Hans dann gleich darauf das Haus verließ, hatte Gerhard einen heiteren Ton zustande gebracht.
Der Abschied Wurde ihnen allen dadurch leichter.