Читать книгу Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil V) - Hedwig Courths-Mahler - Страница 12
9. Kapitel.
Unerwartete Hilfe.
ОглавлениеMarianne Heydebrecht hatte sich nach dem Tode ihrer Tochter noch mehr von der Außenwelt abgeschlossen.
Ihre Leute fanden, daß sie noch strenger und knorriger geworden war, und der alte Gustav seufzte oft verstohlen auf. Trotzdem nun aber selten eine Kunde von außen an ihr Ohr drang, hatte sie doch von dem Drama in Burgau erfahren.
Fritz Gerhards Heldentod erschütterte doch ihr starkes Herz, und sie zog unter der Hand Erkundigungen ein über die Verhältnisse in Burgau.
So erfuhr sie alles, was sie wissen wollte.
Auch daß Hans Ramberg schon seit längerer Zeit in Ronach als Verwalter angestellt war, wußte sie nun, und sogar das hatte sie erfahren, daß der junge Mann mit einem Teil seines Gehaltes Fritz Gerhards Frau und Tochter unterstützte nachdem diese das Gut verkaufen und in die Stadt hatten ziehen müssen. —
Es waren ungefähr vierzehn Tage, nachdem Rose- Marie mit ihrer Mutter Burgau verlassen hatte, als in Schönrode die ganze Dienerschaft, der alte Gustav an der Spitze, aus Rand und Band geriet. Die Herrin von Schönrode wollte verreisen!
Das hatte sie dem alten Gustav gesagt, und dieser verkündete es fassungslos in der Leutestube.
Es war seit Menschengedenken nicht vorgekommen, daß Marianne Heydebrecht das Gut verlassen hatte.
Nun wurde ein uralter Lederkoffer vom Speicher heruntergeholt und gepackt.
Dann mußte sich der alte Gustav bereit machen, seine Herrin zu begleiten, nicht weil sie eine Bedienung gebraucht hätte, sondern weil sie unterwegs nicht gezwungen sein wollte, mit fremden Menschen zu sprechen.
Nun wurde der Wagen angespannt, und Herrin und Diener fuhren nach Eisenach zum Bahnhof.
* *
*
Frau Henriette Gerhard lag aus dem Diwan und ruhte, während Rose-Marie in der kleinen Küche das eben benutzte Kaffeegeschirr forträumte.
Sie war gerade damit fertig, als es draußen an der Wohnungstür klingelte.
Das junge Mädchen ging, um zu öffnen.
Draußen stand eine alte Dame in einem etwas altmodischen Anzug.
Rose-Marie sah fragend in ihr strenges Gesicht, aus dem sie ein paar kaltblickende Augen forschend betrachteten.
»Womit kann ich dienen?« fragte das junge Mädchen.
»Ich möchte Frau Henriette Gerhard sprechen, bin ich richtig hier?«
»Ja. Aber meine Mutter ist leidend, und ich möchte Sie bitten, mir zu sagen, was Sie wünschen!«
»Was ich wünsche, sagte ich bereits. Ich will Frau Gerhard sprechen Du bist Rose-Marie, nicht wahr?« kam es schroff von den Lippen der alten Dame.
»Ja, das bin ich!« entgegnete das junge Mädchen erstaunt.
»Nun, und ich bin Marianne Heydebrecht, die Tante Deiner Mutter, also Deine Großtante. Und nun führe mich zu Deiner Mutter, ich habe Wichtiges mit ihr zu besprechen!«
Rose-Marie war zusammengezuckt und starrte sie mit großen Augen an.
Also das war Hans Rambergs hartherzige Großmutter?
Einem ersten Impuls folgend, wollte sie sich abweisend gegen die alte Dame verhalten, aber da dachte sie an ihres Vaters Wunsch, daß sich Hans Ramberg mit seiner Großmutter versöhnen mochte.
Und drinnen in dein Schreibtisch des Vaters lag Tante Annas Brief an ihre Mutter, den diese nur erhalten sollte, wenn sie sich mit Hans versöhnt hatte.
War es nicht vielleicht ein Wink des Schicksals, daß es ihr gelingen könnte, Großmutter und Enkel zu versöhnen, daß die alte Frau jetzt zu ihnen kam?
Rose-Marie trat zurück und öffnete die Tür zum Wohnzimmer.
»Bitte, treten Sie ein und nehmen Sie Platz. Meine Mutter ist drüben im Schlafzimmer, ich will ihr sagen, daß Sie da sind!«
Marianne Heydebrecht ging an Rose-Marie vorüber. Kein Zug in ihrem Gesicht verriet, ob sie Böses oder Gutes brachte. Dem jungen Mädchen bangte vor diesem versteinerten Antlitz.
Schnell ging sie ins Schlafzimmer hinüber und beugte sich über die Mutter.
»Schläfst Du, Musch?«
»Nein, Kind. Hat es nicht eben bei uns geläutet?«
»Ja, Musch, es ist Besuch da, der Dich sprechen will!«
»Um Himmels willen nicht, Rose-Marie. Du weißt doch, daß ich mit niemand reden kann, ohne in Tränen auszubrechen. Meine dummen Nerven! Wer ist es denn?«
»Frau Marianne Heydebrecht!«
Henriette Gerhard richtete sich erstaunt empor.
»Tante Marianne? Ach nein, das kann doch wohl nur ein Irrtum sein!«
»Nein, Musch, sie ist es wirklich. Willst Du mit hinüberkommen?«
»Ja, ja, hilf mir ein wenig. Mein Gott, was mag sie nur wollen?«
Auf ihre Tochter gestützt, trat Henriette Gerhard gleich darauf in das Wohnzimmer. Marianne Heydebrecht erhob sich und trat ihr entgegen.
»Tante Marianne — ach, Tante Marianne!« sagte Frau Gerhard.
Die Tränen stürzten der Ärmsten schon wieder über die Wangen.
»Verzeihen Sie,« sagte Rose-Marie, »Musch kann seit dem Tode meines Vaters mit niemand reden, ohne zu weinen. Sie haben wohl von dem Unglück gehört, das uns betroffen hat?«
Rose-Marie streichelte bei diesen Worten zärtlich beruhigend die Wange der Mutter.
Marianne Heydebrecht sah mit einem seltsamen Blick auf die liebevoll besorgte Tochter.
»Ja, ich weiß alles, und deshalb bin ich hier!« antwortete sie langsam. Und zu der weinenden Frau gewendet, fuhr sie fort:
»Wenn Du Dich etwas beruhigen wolltest, Henriette, ich habe nicht viel Zeit und möchte sobald als möglich nach Hause zurückreisen. Also bitte, beherrsche Dich und höre mir zu.
Ich will ohne Umschweife reden. Über Eure Verhältnisse hin ich genau orientiert, und ich bin gekommen, um Euch, Dir und Deiner Tochter, in Schönrode eine Heimat zu bieten.
Du fändest da Erholung und Pflege, und Deine Tochter, nun, sie könnte bei mir so eine Art Amt als Vorleserin und Sekretärin antreten. Jch werde alt und meine Augen beginnen langsam schwach zu werden.
Aus diese Weise wäret Ihr aus aller Not und Sorge, und ich müßte mich nicht mehr mit lauter fremden, bezahlten Menschen abgeben. —Was meinst Du zu dem Vorschlag?«
Henriettes Tränen waren versiegt.
»Tante Marianne, das wolltest Du tun? Ach, mein Gott, wie dankbar wollten wir Dir sein. Nur weiß ich nicht — Rose-Maries Erziehung ist ein wenig vernachlässigt. Ich war immer leidend, und mein seliger Mann hat sie mehr wie einen Jungen aufwachsen lassen.
Reiten und fahren kann sie wohl, und auch von der Landwirtschaft versteht sie viel, aber gerade lesen und schreiben, und sonst dergleichen — mein Mann wollte sie ja noch ein Jahr in Pension schicken; ich weiß nicht, ob sie Dir genügen wird!«
Rose-Marie war zumute, als wenn die harten, strengen Augen ihr bis aus den Grund ihrer Seele sähen.
Aber sie hielt den Blick ruhig und offen aus.
Die Großtante aber sagte:
»So, so! Nun, ich kann mich jedenfalls auch nicht mit der Erziehung eines jungen Mädchens befassen.
Da Dein Mann es schon in Aussicht genommen hatte, Rose-Marie in Pension zu geben, so ist es das beste, wir führen seinen Vorsatz aus. Du gehst dann sofort mit mir nach Schönrode und Deine Tochter bringen wir auf der Heimreise in ein Thüringer Pensionat. Wie findest Du meinen Vorschlag?«
Henriette faßte ihre Hand.
»Tante Marianne, Du nimmst mir eine große Sorge von der Seele. Uns ist nicht Viel geblieben, so gut wie nichts, wir sind arm und wenn nicht —«
Sie wollte sagen: »Und wenn nicht Hans Ramberg seinen Gehalt mit uns teilte, müßten wir verhungern!«
Aber zur rechten Zeit fiel ihr noch ein, daß ja Hans Rambergs unversöhnliche Großmutter vor ihr saß, und daß es nicht ratsam sei, ihn zu erwähnen. So vollendete sie unsicher:
»Und wenn nicht mitleidige Menschen sich unserer erbarmt hatten, wüßten wir nicht, wie wir unser Leben fristen sollten!«
»Nun gut, von heute ab braucht Ihr nicht mehr die Hilfe fremder Menschen in Anspruch zu nehmen!«
Rose-Marie richtete sich plötzlich aus ihrer versunkenen Haltung auf.
»O, es sind nicht fremde Menschen, die uns geholfen haben, sondern mein Vetter — Hans Ramberg!«
Henriette bekam einen roten Kopf; sie sagte eifrig:
»Ach, höre nicht aus Rose-Marie — verzeih', Tante Marianne, das Kind weiß nicht —«
»Doch, Musch, ich weiß, daß Frau Heydebrecht die Großmutter Hans Rambergs ist!« sagte Rose-Marie schnell in ihrer offenen Art und blickte furchtlos in die kalten Augen der alten Dame.
Es tat ihr aber sofort leid, daß sie so vorschnell gewesen war, denn das Gesicht Mariannes wurde fahl und bleich, wie das einer Toten, und in den Augen zuckte einen Moment ein so furchtbarer Schmerz, daß Rose- Marie das Herz wehtat.
Ehe sie aber noch recht begreifen konnte, hatte sich die alte Frau schon wieder in der Gewalt, nur die Augen blickten noch eine Weile wie erloschen. Als Henriette noch eine Entschuldigung stammelte, sagte sie scharf:
»Du hast recht, Deine Tochter ist noch sehr unerzogen. Sie weiß nicht, daß so junge Mädchen nur reden dürfen, wenn sie gefragt werden. — Also wenn es Dir recht ist, schicken wir sie auf ein Jahr in Pension. Du kannst mich gleich nach Schönrode begleiten.
Was Deinen Haushalt hier anbetrifft, so hast Du vielleicht eine Vertrauensperson, die ihn auflöst. Die Möbel könnten wohl verkauft werden — in Schönrode brauchst Du sie nicht!«
»O, aber Vatis Schreibtisch darf nicht verkauft werden, dies Andenken an ihn lasse ich mir nicht nehmen. Mir ist, als könnte ich nie ganz verlassen sein, solange ich ihn besitze!« rief Rose-Marie hastig und erregt und streichelte mit feuchten Augen den toten Gegenstand.
Ihre Mutter hatte Angst, daß Tante Marianne das wieder als vorlaut rügen würde. Aber diese blickte nur wieder mit einem forschenden Blick in das Gesicht des jungen Mädchens.
»Du sollst den Schreibtisch behalten. Ich werde ihn in Schönrode in Dein Zimmer stellen lassen, damit Du ihn dort findest, wenn Du aus der Pension kommst. —- Also wie ist es, habt Ihr jemand, der Euren Haushalt auflösen könnte?«
»O ja. Das trifft sich gut; unsere frühere Wirtschafterin, Fräulein Ulrike, würde uns das gern besorgen. Jch brauche ihr nur eine Botschaft zu schicken!«
»Schön, dann will ich Euch jetzt verlassen und ins Hotel zurückgehen, wo mich mein Diener erwartet. Die ungewohnte Reise hat mich angegriffen Morgen früh hole ich Euch ab.
Bezüglich der Pension, in die wir Rose-Marie bringen wollen, bin ich allerdings noch im unklaren. Jedenfalls bin ich aber dafür, daß sie gleich eine solche aufsucht, ehe sie mit nach Schönrode geht!«
»Da wüßte ich Rat, Tante Marianne!« sagte Frau Gerhard. »Die Schwester unserer Frau Pastor, eine verwitwete Frau Doktor Alvensleben, hat in Jena ein Pensionat. Das hatten wir, mein Mann und ich, schon für Rose-Marie in Aussicht genommen!«
»Gut, das paßt vorzüglich Jena liegt uns so ziemlich am Wege. Dann wäre alles abgemacht. Ihr müßt nur das Notwendigste einpacken und bestimmen, was Euch nachgeschickt werden soll. Rose-Maries Ausrüstung; für die Pension übernehme ich natürlich, wie alle anderen Kosten!«
Henriette küßte weinend ihre Hand und sagte:
»Ich danke Dir innig, Tante Marianne!«
Die alte Dame zog hastig ihre Hand fort. Dann sah sie noch einmal scharf in Rose-Maries blasses Gesicht, in dem es von verhaltener Erregung zuckte, und empfahl sich schnell, ohne viele Worte, mit dem Bemerken, daß sie am nächsten Morgen um acht Uhr Mutter und Tochter abholen würde. —
Als die beiden Frauen allein waren, schluchzte Henriette Gerhard auf.
»Ach Gott, so ein unverhofftes Glück, Rose-Marie, so ein Glück! Der Himmel hat uns doch noch nicht ganz verlassen!«
Rose-Marie sah finster und trotzig aus; sie sagte:
»Ist es wirklich ein so großes Glück, zu der hartherzigen Frau zu kommen?«
»Aber Kind, Du bist ja nicht klug! Hast ja keine Ahnung, wie herrlich es in Schönrode ist. Das Herrenhaus ist ein Schloß und liegt in einem wundervollen alten Park, der in den schönsten Wald ausläuft.«
Und es ist prächtig ausgestattet, so etwas hast Du noch nicht gesehen. Du wirst Augen machen! Wie Du mich erschreckt hast, als Du von Hans sprachst!«
»Sollte ich ihn verleugnen, Musch, ihn, der ans so großmütig seine Hilfe bot?«
»Nein doch, nicht verleugnen,« sagte Frau Gerhard, »aber klug muß man sein, Rose-Marie. Du weißt doch, wie er zu seiner Großmutter steht. Wenn sie es übel genommen hätte und ihr Anerbieten zurückzog —«
»Ach, Musch, ich weiß nicht, freuen kann ich mich nicht über dies Anerbieten. Ich hätte viel lieber von Hans Hilfe angenommen, als von seiner Großmutter!«
»Du mußt aber bedenken, daß sich Hans ein großes Opfer hätte auferlegen müssen. Und trotzdem hätten wir nur ein kümmerliches Dasein fristen können. In Schönrode aber wird es uns an nichts fehlen.
Ach -— und denk’ doch nur, wir sind dann wieder draußen im Freien, nicht in den engen Straßen und den kleinen Zimmern.
Und in Pension sollst Du endlich kommen und lernen, was Dir fehlt, ich bin so froh darüber. Endlich doch wieder ein bißchen Sonnenschein. Freue Dich doch, Rose-Marie!«
Das junge Mädchen neigte sich liebevoll zur Mutter herab.
»Deinetwegen, kleine, arme Musch, Deinetwegen, freue ich mich, wenn ich mich nur jetzt nicht von Dir trennen müßte!«
»Es ist ja nur auf ein Jahr, Kind. Und dann —- bedenke noch eins — wer weiß, ob wir nicht für Hans etwas ausrichten können. Vater wollte doch so gern vermitteln zwischen den beiden. Nun können wir es vielleicht tun!«
Rose-Marie sah sinnend vor sich hin. Liebkosend, streichelte sie die blossen Wangen der Mutter.
»Daran hab’ ich gleich gedacht, Musch — und deshalb habe ich mich auch in alles gefügt, was die herrische Frau so kurz und schroff bestimmte. Aber nun müssen wir wohl schnell nach Burgau schicken und Fräulein Ulrike hereinbitten, daß wir alles mit ihr besprechen können.
Inzwischen packe ich dann das Nötigste für uns und schreibe ein paar Worte an Hans. Du ruhst Dich jetzt aus, bis Fräulein Ulrike kommt.«