Читать книгу Trugbild der Schatten - Helmut Aigner - Страница 10
Kapitel 5
ОглавлениеWeil die beiden Bauern niemals einen Fuß in das verbotene Gebiet hinter den Gehöften setzten, hatten sie nie im Zentrum des durch Stege verbundenen Labyrinths das Götzenbild entdeckt. Das Bauwerk verbreitete einen grässlichen Anblick.
Mit seinen eingeschnitzten, zackigen Zähen, einem großen Maul und kreisrunden tiefen Augen darüber, herausgearbeitet aus einem halb versenkten Baumstamm, den Coldwyn damals eigens ausgesucht hatte, sah es furchterregend aus, war aber für alle Unbeteiligten äußerst harmlos und absolut nicht magisch.
Genau genommen eine reine Tarnung, ein Übergabepunkt für die Gemeinschaft, für die Gesuchten des Ordens der Silbernen Garde.
Coldwyn hatte den Pfahl selber geschnitzt und ihn so bösartig aussehen lassen, sodass er für alle Leute, die von Neugierde getrieben waren und diesen fanden, äußerst abschreckend wirkte und diese zur Umkehr bewegte.
Im weiträumigen Maul befand sich eine Ausbuchtung. Das war zwar keine einfallsreiche Idee für ein Versteck, jedoch brauchte sich sein Kontaktmann bei dieser Lage kaum Mühe für einen besseren Ort geben.
Zwischen den Fangzähnen lag zu abgesprochenen Zeiten ein Pergament oder ein Blatt Papier, auf dem der Ort und der Zeitpunkt des nächsten Treffens standen, verschlüsselt und einfach dechiffriert. Aber der Verfasser glaubte nicht, dass dieses Verschleiern wirklich notwendig war.
Es war so oft passiert, er hatte aufgehört zu zählen. Klopfte es während der Nacht bei ihm an der Tür dreimal lang, wusste er, dass er so zügig wie möglich diesen Ort erreichen musste. Pochte es mehr als dreimal, war es dringend, dann ging es um Leben oder Tod. Vorletzten Abend hatte es wie wahnsinnig gegen seine Tür gehämmert, ein Zeichen, das er nicht einen Augenblick verweilen durfte. Er hatte sich das schnellste Pferd aus einem Mietstall genommen und war geritten wie der Teufel persönlich. Seitdem hatte ihn das Pech verfolgt. Mit müden Knochen hatte er vergangene Nacht das Schreiben aus dem Götzenmaul gezogen, nur um zu erkennen, dass der nächste Treffpunkt ausgerechnet das Heim seines Kontaktmannes war. Wie unvorsichtig, wie dumm von ihm. Er hatte am frühen Morgen die Angelegenheit mit den Ratten abgewickelt und war außerhalb des Moores einfach vor lauter Müdigkeit umgefallen.
Zusammengekauert hatte er sich einen Platz gesucht, den er für abgeschieden hielt.
Nun wusste er, dass im Siedlerland keiner ungestört im Freien rasten sollte, der nach ein paar Münzen in der Börse aussah.
Ein wirklich hässliches Fleckchen Erde hatte sich Roderik da zu seinem Zuhause gemacht und die Meinung von Coldwyn über die Gegend würde sich nicht bessern.
Das Gehöft nach der Kreuzung konnte man nur als nahezu völlig zerfallen bezeichnen und das war noch freundlich ausgedrückt. Fleißige Menschen wohnten nicht auf dem Gut, urteilte der Magier geringschätzig, wie es hinter einer Flut von Obstbäumen anmutete. Er öffnete das Tor zu einem wackeligen Holzzaun, es war unverschlossen. Sein Blick fiel auf eine windschiefe Scheune, einige Beete sowie eine Hütte, die so schäbig aussah, als würde sie jeden Moment in sich zusammenfallen. Der Besitzer konnte damit vielleicht durch den Winter kommen, dachte sich der Magier und ging zu einem Apfelbaum, der selbst im Spätsommer noch nicht abgeerntet war. Er nahm sich eine Frucht, biss hinein, verzog das Gesicht vor Ekel und schmiss sie weg. Eine weitere wollte er nicht probieren.
Coldwyn kam zum Schluss, dass Roderik nicht weit in die Zukunft plante. Wenn er denn überhaupt Pläne für sein Überleben schmiedete.
Aus einem Verschlag in der Nähe von Roderiks Unterkunft buddelte sich ein großer Hund durch eine schmale Öffnung, dieser rannte laut bellend auf den Besucher zu, stoppte kurz vor ihm und besann sich lieber dazu, den Bekannten aufgeregt und freudig zu begrüßen, statt ihn anzuknurren. Der Magier tätschelte dem Mischling, der locker einem Zugpferd glich, den riesigen Kopf.
Danach ging er voran zu einem Platz, auf dem eine Menge Holzstämme aufgeschichtet herumlagen. Roderik hackte bereits jetzt Holz für den kommenden Winter, so sah es wenigstens aus, und der lag noch in weiter Ferne. Kein Wunder, dass der kauzige Bauer als hoffnungsloser Spinner abgestempelt galt.
OK, er arbeitet also doch, obwohl er ziellos wirkt.
Der Farmer schien seinen Besuch nicht einmal zu beachten, selbst als Coldwyn näher herankam und ihn eher kleinlaut grüßte.
Schweiß rann dem Alten von Stirn und Oberkörper, er war ganz in zerschlissene Arbeitskleidung gehüllt und hatte wohl keine so kurzzeitige Störung erwartet oder keine erwarten wollen.
Coldwyn begrüßte den Bekannten mit einem lauten Ruf. War der Mann etwa taub geworden?
Erst hetzen sie mich hier her und dann will der Bursche mich nicht mal anschauen. Was ist bloß los mit ihm?
Der Magier geriet kurz ins Grübeln.
Endlich drehte sich Roderik um und wie nicht anders zu erwarten, schien der Siedler in einer miserablen Verfassung zu sein. Ein zotteliger schwarzer und ungepflegter Bart hing ihm bis auf die Brust, seine Augen funkelten mal skeptisch, mal misstrauisch-ängstlich. Er wirkte so, als hätte sich seit Langem kein Mensch mehr bei ihm blicken lassen und er sich auch bei ihnen nicht.
Armer alter Kauz.
„Wie steht´s um Euch“, fragte der Magier freundlich und scheinbar blind für das Offensichtliche.
„So wie immer“, brummte Roderik lügend. Er legte Holzscheite aufeinander, wischte sich Hände, Gesicht und Oberkörper an einem dreckigen Lappen ab und zeigte auf den Beutel über Coldwyns Schulter.
„Was soll'n das sein? Bringst doch sonst auch keine Geschenke mit.“
„Tarnung. Ihr habt mich beauftragt, diese übergroßen Ratten, die sich in der Nähe zu eurem Grund und Boden tummeln, zu töten. Natürlich erzähl ich‘s nur jemanden, wenn er fragen sollte. Übrigens Ihr lebt unter der widerlichsten Nachbarschaft, die mir je untergekommen ist.“
Die Antwort war nur ein uninteressiertes Brummen als Bestätigung.
Der Alte verscheuchte seinen Hund mit einem Fußtritt und beäugte sein Tagwerk.
Erst danach schaute er seinen Besucher böse an und meinte nur, er solle die Kadaver wieder mitnehmen, auf eine Tarnung brauche er im Siedlerland nicht zu achten. „Hier kümmert sich eh nur jeder um seinen eigenen Kram, und falls jemand das Maul zu weit aufreißt, kriegt er eben ein paar drauf, so läuft das hier.“
Wie dumm ließ ihn der Plan erscheinen, als wenn er sich selbst nicht um Ungeziefer kümmern könne, die Idee war lachhaft.
Der Siedler hatte wirklich nicht die beste Laune an diesem Tag, wie Coldwyn feststellen musste. Trotzdem wurde er hineingebeten. Roderik nahm einen Schlüssel aus seiner Tasche und öffnete die Tür zu seiner Hütte. Scheinbar war das Schloss sein teuerster Besitz und das hatte seine Gründe.
Der Anblick überraschte den Magier - magische Artefakte, achtlos in die Ecke auf Regale gestellt, zahlreiche staubige Bücher über das Wirken von alten Zaubersprüchen, Tränken und Ähnlichem. Die Symptome und Geschichten einer Krankheit, aufgereiht und geordnet, ein unheimlich großer Vorrat an selbst gezogenen Kerzen. Der Zauberwirker musste sich unzählige Nächte um die Ohren schlagen, die er nur damit verbrachte, den Fluch, unter dem er litt, zu ergründen. Leider mit schlechtem Ergebnis für alle Beteiligten, ein Heilmittel für diese Plage gab es bisher nicht.
Die Gründe für das Studium erschienen auf den ersten Blick begreiflich, denn die Folgen der Verwünschung waren klar erkennbar. Coldwyn sah auf Arbeitsgeräte, die verbogen und entstellt vor ihm standen. Holz hatte sich wirr verdreht, ein metallischer Pflug, eine sehr teure Anschaffung, war in sämtliche Richtungen verzerrt und gestaucht und unbrauchbar für jede Art von Arbeit. Sein Bekannter hatte die vermeintliche Gabe, Gegenstände, die er berührte, zu zerstören. Sie zerfielen unter seiner Berührung zu Staub oder wurden in eine andere Form verwandelt. Fähigkeit konnte man das nicht nennen. Roderik war wirklich, wie es die Kirche von Thetyr sagte, verdammt. Ob weitere Menschen unter dem gleichen Fluch litten, wussten sie beide nicht. Der Ketzer lebte so zurückgezogen, wie es nur ging.
Gelassen setzte sich der Magier vor eine Tafel. Ihm wurde ein Becher Milch aufgetischt, den er dankend entgegennahm. Sehr großzügig vom Gastgeber, der nur noch eine Kuh besaß, die allerdings keinen guten Eindruck mehr machte, kränklich und alt konnte sie jeden Moment tot umfallen.
Der Mann brauchte unbedingt Hilfe für den Fall, dass sein Hof nicht in den nächsten Jahren komplett verkommen sollte. Er lehnte aber ungeachtet aller Nöte die Angebote ab, die von Venya kamen. Wenn sie ihn auf Unterstützung ansprach, stellte er sich stur.
Venya, die Anführerin der Gemeinschaft, die viele, die sich dem Verstoß der Magiewirkung ausgesetzt hatten, aufnahm, meinte es wie immer nur gut.
Coldwyn vermutete Stolz hinter der Unfähigkeit, Hilfe anzunehmen.
„Es erscheint und geht, wie es will, und in letzter Zeit wird es immer schlimmer, ich komme kaum noch dazu, das Land zu bestellen. Vielleicht wäre es besser, wenn ich fortziehe? Wohin denn? Nein nicht mit mir.“
Roderik hatte mehr zu sich selbst gesprochen, doch nickte der Magier und platzte gleich darauf mit einer schlechten Nachricht heraus.
„Mir wurde auf dem Weg hier her aufgelauert, im Schwarzrabenhain, ein kleiner Trupp Kleriker hat mich aus dem Nichts angefallen und hartnäckig waren sie. Erschossen das Pferd und beinah auch mich, dann kam es zum Kampf. Ich konnte gerade so fliehen und sie vor der Grenze abschütteln.“
„Hättest du so etwas nicht früher bemerken und sie einfach töten können?“, Roderik spielte auf die Kräfte des Magiers an.
„Was sollte ich tun, sie alle umbringen und damit eine noch größere Spur hinterlassen? Ich habe, glaube ich, ein oder zwei erwischt, das muss genügen für Eure Blutgier.“ Sein Gegenüber nickte stumm und verstand erst durch die folgende Erklärung richtig.
„Sie hätten den Verlust schnell bemerkt und vielleicht Truppen bis zu Euch ausgeschickt. Das Risiko war zu groß und ich denke, ich habe den Orden in die falsche Richtung gelockt.“
„Wo entdeckten sie Eure Fährte zuerst?“
Der junge Magier überlegte gezielt.
„Keine Ahnung wo genau! Wir sollten uns lieber fragen, wie sie in den Kernländern so schnell Wind von mir bekommen konnten. Es wird in letzter Zeit immer gefährlicher für uns alle.“
„Das klingt überhaupt nicht gut, aber das, was ich Euch zu berichten habe, ist weitaus bedeutender als das groß angelegte Vorgehen des Ordens.
Roderik setzte sich zu ihm, und während der Magier einen weiteren Schluck Milch nahm, erzählte der Magusketzer dem Magier von dem eigentlichen, wichtigen Thema des Treffens, das äußerst schwer auszumachen war.
„Venya glaubt, der Frau endlich nahe zu sein: Ornethas Blut, ein erhoffter Abkömmling.“
„Verdammter Dreck.“
Coldwyn stellte sein Glas ab und fluchte deswegen laut auf, weil er vor Schreck Milch verschüttete.
„Wir sind deswegen in größerer Gefahr als jemals zuvor, falls sie richtigliegt.“
Der Besucher schaute verblüfft durch den Raum, genau auf das unrasierte Gesicht von Roderik. Eine unerwartete Wendung.
„Ihr müsst zu unserer Vorsteherin, wenn uns einer helfen kann, dann seid Ihr das.“
Der Einsiedler meinte es ernst, er erzählte seinem Freund von einer Angelegenheit, die alles betraf, was ihnen wichtig erschien.
„Sie sucht mehr als zwanzig Jahre, ich hätte nie geglaubt, dass es so weit kommen würde. Hat sie die Frau schon gefunden, kennen sie sich bereits?“, fragte Coldwyn voller Neugier.
Sein Gegenüber schüttelte den Kopf und schaute den Magier ernst an.
„Nein, aber sie hat sich vor einer Woche mit mir im Versteck im Wald getroffen. Sie ist davon überzeugt, sie in den nächsten Tagen aufzufinden. Sie hat mir von Visionen erzählt. Ihr wisst ja, dass sie eine hellseherische Gabe hat. Vor vielen Jahren, als junge Frau, war sie eine geachtete Seherin dort, wo die Kirche erst spät Einfluss erlangte."
„Das muss fast vor einem Jahrhundert gewesen sein, wenn Venya damals noch taufrisch war“ , dachte Coldwyn böse und stellte gleich darauf die nächste Frage.
Wo ist sie jetzt überhaupt? Am Pass?“
„Sie musste ihr Lager splitten. Sie ist mit einem Teil der Gemeinde dem Dyfro südlich gefolgt, in der Nähe der Berge, westlich von der Burg Sturmfels. An den Rand der Kernländer, wo die Kirche schwach ist.“
Aber wo es auch nicht ungefährlicher ist als hier. Lautete der Gedanke des Zauberers und er sprach seine Zweifel laut aus.
„Macht sie sich damit nicht noch mehr Ärger? Ich kenne die Gegend dort, die Menschen, die nicht unter der Obhut von Thetyr stehen, können manchmal noch barbarischer sein, wenn sie der Magie kundig sind, von der so viel Schaden ausgehen kann. Sie dürfen niemals den Kontakt mit den Leuten von Sturmfels aufnehmen.“
„Ja, da hast du Recht, aber die Bewohner wagen es nicht, zu weit in die Wälder zu ziehen. Sie glauben an einen Fluch, der über den Bäumen liegt. Vereinzelt kann Aberglaube auch nützlich sein und die Kleriker trifft man in den Bergen nur spärlich an. Da sind kaum neue Schäfchen zu machen und die Menschen der Burg sind nicht gerade beliebt bei ihnen.“
Sie schwiegen einige Minuten lang und doch wusste der Magier bereits, was er erzählen und tun musste.“
„Ich muss zu Venya, doch ich habe mein Pferd vor den Sümpfen verloren. Wir dürfen keine Zeit verlieren, die Frau braucht jeden Schutz, der zu haben ist.“
„Warte bis zur Dämmerung, falls es um einen Gaul geht, kann ich sagen, wo du einen finden wirst. Es mag ein wenig gefährlich werden, aber das ist kaum etwas Neues für einen Meistermagier.“
„Steckt Euch den Meistermagier dahin, wo ihr nichts verbiegen könnt.“
Wieder ein bekanntes Brummen von seinem Kontaktmann, diesmal klang es ein bisschen belustigt. Coldwyn stimmte zu. Sobald es um heikle Angelegenheiten ging, war er nicht gerade zimperlich, aber auch nicht dumm. Er würde überlegt vorgehen oder sich das jedenfalls einreden.
„Eine Sache, guter Freund, hast du Wasser für mich übrig? Ich könnte einiges davon für ein Bad vertragen.“
Roderik schaute auf einen großen rostigen Kessel und auf einen noch größeren Bottich, der ihm als Wanne diente. Man musste das kostbare Nass nur aus den Brunnen befördern und dann gut abkochen; ein hartes Stück Arbeit, aber nötig nach einer Rast in der Nähe des Sumpfes. Coldwyn stank schlimmer als Roderiks Köter.