Читать книгу Trugbild der Schatten - Helmut Aigner - Страница 7
Kapitel 2
ОглавлениеSelbst als der Verfluchte sich auf den Boden warf, im Dreck und Sand vor der Schenke hin und her rollte, vermochte er nicht, die Flammen um sich herum komplett zu löschen.
Der Schmerz im Nacken und Hinterkopf stach unerbittlich durch das Fleisch seiner Kopfhaut. Tränen rannen ihm über das Gesicht und aus der Taverne heraus konnte er aufgeregte Rufe vernehmen.
Sie wollten ihn schnappen, ihn gefangen nehmen.
Es stand nicht gut um ihn. Das Feuer hatte seinen Haarschopf versenkt, sich bis zur Stirn gefressen und erlosch nun plötzlich, als hätte man einen Kübel Wasser auf ihn ausgeleert. Der Funke magischer Energie war aufgebraucht.
Eilig zog er sich hoch und rannte davon. Die neu errichtete Kathedrale zu seiner linken verfolgte ihn mit ihren scharfkantigen Schatten. Arbeiter türmten die letzten Blöcke, unter Einsatz eines Gerüsts und mithilfe eines Krans, zum nördlichen Spitzdach auf. Doch die nervösen Augen des Verwünschten richteten sich stur auf den Boden.
Die Öffentlichkeit erkannte sofort, was mit ihm los war. Sie sahen die Verbrennungen auf seinem Schädel, rochen den Rauch des verbrannten Haarschopfs. Ein Magusketzer, eine Gefahr für alle Menschen Mondaves war unter ihnen. Er hätte die Spuren der Zauberei kaum verbergen können.
Die Bewohner jedes Ortes erkannten die Anzeichen eines fehlgeleiteten Gebrauchs von Magie - Verbrennungen, Verstümmelungen, Fälle von Wahnsinn, seltsames Verhalten, um die Schuld zu verbergen, die auf einem Ketzer lastete. Nur wenige konnte ihre verheerenden Kräfte steuern, sie nutzen, er hatte bis vor Kurzem zu dieser Minderheit gezählt.
Er brachte weitere unliebsame Verfolger auf sich an.
Mutige versuchten ihn zu stoppen und zu Fall zu bringen, doch der Verfluchte war schnell, er sprang hastig über aufgetürmte Holzstapel und brachte einige Fässer zum Stürzen ehe er in einer Nebengasse verschwand. Stickige Luft und haufenweise Müll erwarteten ihn dort.
Das Armenviertel. Der Gesuchte blieb dort verborgen vor den Blicken seiner Verfolger. Er wurde langsamer und suchte sich einen schattigen Weg durch den Abfall. Hier wohnten, in den verschlungenen nischenreichen Gassen, die Alten und die Armen in ihren kleinen Quartieren. Sie kamen in den unsicheren Zeiten, in denen die Silberne Garde die Führung übernommen hatte, kaum noch aus ihren Absteigen heraus.
Er musste kurz verschnaufen, sich in einer dunklen Nische verbergen.
Bei allen Heiligen, was war mit ihm passiert?
Sein Morgen hatte mit einer guten Menge Bier begonnen. Wie gewohnt. Heute war ein Feiertag zu Ehren des Ordens. So konnte er sich an diesem Tag vor der Arbeit in den Pferdeställen drücken. Er hatte sich vorgenommen, den Tag in der Taverne zu bleiben, seine Saufkumpane hatten ihn dazu angestiftet.
Nach weiteren Bieren hatte sich ein Streit zugetragen. Beim besten Willen konnte er sich nicht mehr an die Ursache erinnern.
Er hatte herumgeschrien, stand kurz vor einer Schlägerei und dann war das Feuer ausgebrochen, ohne Vorwarnung, ohne Beherrschung. Es hatte sich von einem Tisch bis zu seinem Kopf gefressen. Er war sofort wieder nüchtern geworden.
Aber da war noch etwas, ein Fremder hatte ihn in Spelunke beobachtetet, ein alter Kerl mit weißsilbriger Mähne und einem narbigen Gesicht, er hatte ihn böse angegrinst, bevor diese ganze Sache begann, und war dann plötzlich verschwunden.
Was für ein irrer Tag, das kann nicht passiert sein!
Er glaubte, aufgeregte Stimmen hinter seinem Rücken zu hören und drängte sich mehr in die dunklen Gassen hinein. Über ihn entleerte jemand einen Kübel mit Schmutzwasser. Ein Schwall der dunklen und stinkenden Flüssigkeit glitt seinem Rücken herunter. Er musste sich zusammenreißen, um nicht lautstark loszuschreien.
Je tiefer er sich in das Labyrinth der Gassen vorwagte, desto kühler und leiser wurde es.
Er dachte wieder über seine Lage nach.
Viele seiner Bekannten waren bereits vor ihm herausgelaufen. Die Sache würde sich schneller verbreiten, als er in der Lage war, es aufzuhalten.
Eindeutig Magie, ein Fall für die Silberne Garde, wenn man ihn schnappte.
Er war jetzt ein Ketzer, ein Feind des Ordens, man würde ihn unerbittlich jagen.
Das nach all den Mühen, seine Essenz, das Magicka zu verbergen.
Erneut packte ihn Grausen. Die Garde hatte viel Übung entwickelt, Magiewirker zu erkennen und zu töten, wenn es die Pflicht verlangte. Als Kind hatte er auf dem Marktplatz eines Dorfes nicht weit von hier entfernt, beobachten können, wie ein Bannerträger eine alte Frau aus der Menge herausgepickt hatte.
Unzählige hatten sich auf dem Richtplatz versammelt und der Ordensmann hatte nicht einen Atemzug lang gezögert.
Die Gesuchte hatte sich durch ihr Äußeres in keiner Weise von den anderen unterschieden, zielsicher war der Paladin auf sie zugegangen und nach einigen Fragen musste sie ihn begleiten. Das war alles so zügig passiert und eine Aura der Angst hatte sich über die Bewohner gelegt, denn wenn die Garde jemanden holte, dann sah man diesen niemals wieder.
In Kolonnen brachte man die Gefangenen irgendwo ins abgeschottete Thetyr, der Ordensstadt im Land der Thärden, dort, wo niemand bei klarem Verstand enden wollte.
Er musste fliehen.
Sollte er diesen Tag überleben, würde er das Saufen bis zum Lebensende sein lassen.
Er preschte sich wie ein Verrückter durch die Winkel der schmalen Gänge, erreichte den überfüllten Marktplatz, stieß mit anderen zusammen, wurde angepöbelt. Noch hörte er nicht das Klimpern von metallischen Rüstungen um sich herum und das gab ihm Hoffnung. So rasch konnten seine schlimmsten Feinde nicht handeln.
Er lief eine Allee entlang und glaubte, wie ein Wahnsinniger aussehen zu müssen und lag nicht falsch dabei. Verschwitzt und völlig außer Atem erreichte er seine Bleibe. Eine Absteige in den letzten Hinterhöfen der Arbeitergassen. Er schaute sich um, die Umgebung war menschenleer.
Die Arbeitergassen um ihn herum waren wenigstens sauber, weil die Bewohner ihre Unterkünfte meistens nur zum Ausruhen am späten Abend aufsuchten. Tagsüber war das Viertel verlassen wie eine Geisterstadt, denn entweder wartete die Arbeit oder man suchte zur Zerstreuung bessere Örtlichkeiten auf.
Seine Lunge brannte, er war außer Atem und immer noch in wilder Panik.
Sein Heim war bescheiden und so klein, dass selbst eine Person nicht mit zu viel Freiraum angeben konnte. Und doch war es seit Jahren seine bescheidene Zuflucht, ein Ort, den er schon jetzt vermisste. Er stieß die Tür auf, sie war nicht abgeschlossen - wozu auch - und ging hinein. Eilig lief er zur Truhe, holte einen Mantel mit Kapuze heraus und zog ihn gleich an. Die Brandspuren auf seinem Schädel würde die Kopfbedeckung verbergen, gut so, er brauchte jetzt alles, was Hilfe leisten konnte.
Venya, ich weiß, dass du mir das eingebrockt hast, ich verfluche dich, du alte Krähe.
Er zitterte und flüchtete mit seinen düsteren Gedanken bereits zu der Brücke am Tor. Er kroch unters Bett, öffnete ein Geheimversteck unter den morschen Holzdielen und holte einen Beutel mit Silber heraus. Das war übertrieben, vielleicht drei oder vier Münzen befanden sich darin, und die Hälfte davon war die Miete für den nächsten Monat, die er jetzt ohne Zweifel nicht mehr bezahlen musste. In kürzester Zeit bewegte er sich zur Tür und spähte durch den Spalt hinaus, keine besondere Regung draußen, eine Gelegenheit, tief durchzuatmen und wenigstens etwas Mut zu fassen.
Er stieg hinab und ging den schnellsten Weg zum hintersten Stadttor. Er mied dabei offene Straßen und Alleen.
Er kletterte über Mauervorsprünge in private Gärten und hörte nicht selten hinter sich wütendes Gebrüll wegen des unverschämten Eindringens. Dieses Verhalten war ihm allerdings lieber, als von einer Patrouille der Silbernen vor der Wegkreuzung angehalten zu werden und unangenehme Fragen wegen seiner Brandwunden zu beantworten.
Er kam zu einer Kreuzung, von hier aus führten mehrere Wege hinaus aus Mondave. Das gewaltige hintere Tor, erbaut im Altertum, blieb immer geöffnet. Der Weg vor ihm, den der Fliehende nicht nahm, leitete Reisende ins Hochland; er würde jetzt nicht wie ein geschlagener Hund zu Venya eilen, nicht nur sein Stolz hinderte ihn daran. Er eilte am Hafen vorbei und nahm den anderen Pfad durch heruntergekommene Teile der Stadt.
Seine Hast sorgte dafür, dass seine Lungen wieder schmerzten, kalter Schweiß lief über sein Gesicht herab.
Aber endlich...!
Er hatte die Stadtgrenze unbeschadet erreicht.
Jetzt lag die Brücke vor ihm, der gepflasterte Weg dahinter führte nach einer Gabelung zum östlichen Hain. Dieser war dicht und schattig und abgelegen genug für diejenigen, die unentdeckt bleiben wollten. Ein guter Unterschlupf. Aber selbst vor diesem eher unwichtigen Übergang tummelten sich die Städter. Einige Händler verkauften gleich hinter den dicken Stadtmauern ihre Waren. Nur Schwachköpfe kauften außerhalb der Mauern ein. Billige Hehler Ware war noch das Beste von den Angeboten. Handwerker und Holzfäller marschierten zusammen mit dem Magusketzer zu ihrer Arbeit und wurden unbehelligt gelassen. Doch verlangten sie wie immer vor Arbeitsantritt an denselben Ständen ihre Getränke und Mahlzeiten.
Hier und da willigte auch einer der Waldarbeiter in ein Geschäft anderer Art ein und beanspruchte die Dienste einer Dirne, die meist aus den verarmten Gemeinden östlich des Brückenübergangs stammten. Genau die richtige Gegend für ihn, denn die Hüter des Ordens ließen sich hier im Brückenviertel eher selten blicken.
Er stellte sich unauffällig neben einen Fischhändler. Der dezente Gestank, den der Laden verbreitete, sorgte alleine dafür, dass er im Verborgenen blieb. Er versuchte, die Gegend in Ruhe zu überschauen.
Ja, tatsächlich keine Spur von den Silbernen. Nicht ein Mann mehr Bewachung bei dem Wachposten als üblich, vielleicht hatte er Glück, ausnahmsweise. Die Gardisten des Provinznestes waren schon gar nicht für ihre Disziplin bekannt. Die meisten der Wachen, die er von dem Steg aus sah, wirkten nicht weniger abgefüllt, als es an einem Feiertag üblich war.
Er wollte einfach nur heraus, notfalls mit Bestechung. Im Hain wuchsen wilde Obstbäume und zwei Tagesmärsche entfernt in Richtung Schwarzschilfsee gab es Gehöfte in der er mit einer passenden Geschichte für einige Tage untertauchen könnte.
Eine Scheune zum Unterkriechen, ein paar Becher Bier, (zum Teufel mit seinen vorherigen Versprechen). Ein gutes Programm für die nächsten Tage und wenn er es geschafft hatte, nahm er sich vor, nie wieder ein Wort mit Venya zu wechseln. Er würde ebenfalls alles, was mit der Gemeinschaft gewesen war, aus seinem Verstand verdrängen.
Er versuchte, möglichst unbemerkt hinter eine Gruppe von Tagelöhnern zu gelangen. Sie liefen in Lumpen und stanken von den vielen Tagen harter Arbeit, an denen kein Tropfen Wasser zum Waschen zur Verfügung stand und es auch sonst keinen Bedarf dafür gab.
Das Untertauchen gestaltete sich nicht einfach, wenn man der einzige fast Nüchterne in einer Truppe war, der verkrampft probierte, normal zu wirken.
Aber er konnte darauf hoffen, dass man ihn in den Reihen der Tagelöhner in Ruhe passieren ließ. Der Verfluchte zog die Kapuze dicht über seinen Kopf, bis über die Augenbrauen, und blickte aufgeregt von rechts nach links. Jeder Schritt auf der verschmutzten Brücke Richtung Tor verursachte Anstrengung. Hin und wieder schaute er hinter seine Schulter, für ihn interessierte sich kein Mensch. Die Posten stützten sich auf ihre Lanzen und dösten im hellen Sonnenschein, uninteressiert wie immer an solchen behäbigen Tagen.
Mondave kannte keine Feinde, seit Langem keinen Krieg.
Für alle Vorübergehenden um ihn herum war es ein üblicher Tag, nur er wirkte aufgeregt und konnte seinen Zustand kaum verbergen. Ungewollt schreckte er zurück, als man ihn höflich ansprach. Erst dachte er, hätte eine falsche Person auf sich aufmerksam gemacht, bis er einen Bekannten neben sich vorfand, der gegenüber auf der anderen Straßenseite wohnte und ihn auf ein Getränk einlud. Der Kerl war in fröhlicher Stimmung und in Ausgeberlaune, ein seltener und jetzt ebenso unpassender Charakterzug seines Bekannten.
„Kommt mit, es ist ein schöner Tag, lasst uns einen heben, ich schulde Euch sowieso ein paar Kupfer.“
Der Gesuchte machte ein paar Schritte zurück und setzte eine übel gelaunte Miene auf. Eine verflucht unpassende Situation für ihn. Er lehnte barsch ab und sorgte für ein nachdenkliches Stirnrunzeln seines Gegenübers, solch ein Betragen kannte man von ihm nicht.
„Dann lass uns später treffen, stellst dich sonst doch nicht so an.“
Er bekam keine Antwort. Der Nachbar sah nur den Rücken und den sonst so trinkfreudigen Bekannten davoneilen. Der Mann benahm sich äußerst seltsam heute.
Der Ketzer ging vorwärts, hastiger, noch nervöser. Er hatte die Brücke fast überquert und sah eine Anzahl von Tannen knapp hinter einem Pfad. „ Endlich geschafft “, so dachte er, als plötzlich, hinter der Ecke eines Verschlags der Brückenwacht, eine Gestalt auftauchte und sich ihm blitzschnell in den Weg stellte, viel zu flink, um auch nur im Ansatz reagieren zu können.
Der Entflohene schaute nur dumm aus der Wäsche.
Der Mann hatte sich beim Verstecken nicht mal besondere Mühe gegeben, sondern hatte nur die Rückwand der Kate aufgesucht und geduldig gewartet, auf sein Glück gehofft - mit gutem Ergebnis.
Einen verzweifelten Versuch war die Sache noch wert. Der Gesuchte versuchte, die Person zu ignorieren und weiter zu gehen, sich entweder nach links oder rechts vorbei zu drängen. Er wurde wuchtig von dem Bannerträger zurückgestoßen und mit seinem Namen angesprochen; und ab da wusste der Verfolgte, dass es für ihn keine Flucht mehr gab.
„Nach Eurem Vergehen werdet Ihr hier nicht einfach unbemerkt hinausspazieren, Ihr glaubtet doch nicht wirklich an das Gelingen?“, fragte ihn die energische Stimme von Mestio, dem Bannerträger dieser Provinz.
Dass die Silbernen im Aufspüren um einiges geübter waren, hatte er gewusst, dass sie hellsehen konnten war neu für ihn.
So oder ähnlich war es bereits vielen vor ihm ergangen.
Der Gesuchte schaute auf das Gesicht des Paladins, dieser sah nicht jung aus, aber seine harten Züge und eine Spur Traurigkeit machten ihn noch älter als die verstrichenen Jahre vorherbestimmten. Der Ketzer blickte den Bannerträger an und erkannte erneut, dass der Begriff Silberne Garde keine Übertreibung war. Die Gestalt steckte in einer silbern glänzenden Plattenrüstung, selbst das mächtige Zweihänder Schwert war bis auf die Schneide aus Stahl ganz mit einer Silberlegierung überzogen. Zum Trotz dagegen trug der Offizier darüber eine Schwarze staubige Kutte, die von viel Bewegung und Reisen zeugte. Der Mut des Verfluchten, schon vorhin im Keller, veranlasste ihn total ergeben, seine Kapuze vom Kopf zu streifen und hervorzutreten.
Finstere harte Augen schauten ihn an, doch die Stimme des Silbernen klang jetzt gütig, ja, fast eine Spur freundlich.
„Mestio, Bannerträger", stellte der Paladin sich vor.
„ Hättet ihr nicht augenblicklich die Flucht ergriffen, würde Euer Urteil milder ausfallen, aber so habt ihr Euch als unmittelbare Gefahr bewiesen, ein Magusketzer mit Fluchtgedanken, den ich innerhalb der Mauern nicht dulden kann .“
Oder sonst wo , dachte der bereits Verurteilte traurig weiter.
mit mir.Es ist vorbei
Die Menge um den armen Teufel stockte bei dem Wort Ketzer und betrachtete die vermeintliche Bestie wie etwas, das aus einem Käfig entlaufen war. Ein Missgestalteter, der Schaden über die Gemeinschaft brachte.
Eine mildere Strafe, er konnte sich vorstellen, was der Bastard damit meinte, lebenslange Gefangenschaft in einem Turm in Thetyr oder Verbannung auf eine Insel hinter dem Faulschlangenmeer, was auf dasselbe hinauslief.
Der Bannerträger war nicht allein erschienen, fast unbemerkt schloss sich ein Kreis um den Verfluchten. Gestalten der Kirche, ebenfalls gekleidet in ihrem Silber, wenn auch nicht so prächtig wie ihr Anführer, fassten den Ketzer, zogen ihm Ketten über Arme und Beine und schleiften ihn emotionslos hinterher.
Wo hatten sie sich nur versteckt, er war nicht so dumm oder unaufmerksam wie die meisten seiner Bekannten. Wie konnten nur Ordensleute in silbernen Rüstungen sich so gut verborgen halten?
Gleichgültig erduldete er seine Gefangennahme, sein Widerstand war gebrochen.
Der Bannerträger führte ihn mit Abstand zum Marktplatz zurück, dort, wo am Wochenende die beliebten Hinrichtungen stattfanden. Der Anführer wirkte übermäßig ausgezehrt, gebeugt bewegte er sich fort, der Gefangene hatte das Gefühl, einen Greis zu beobachten, der von Minute zu Minute weiter alterte.
Ja, ein schwächliches Alterchen hatte ihn geschnappt, das war purer Wahnsinn.
Und Mestio war nur einer von vielen, der seine Pflicht erfüllte und nicht besonders aus seinem Amt hervortrat.
Der Magen des Gefangenen sackte spürbar ab, der Gedanke, dass dieser schlechte Tag nun mit seinem Tod enden sollte, ließ ihn schlottern.
Bei Magusketzern machte man eine Ausnahme und wartete nicht bis zum Wochenende.
Am Mittag hängten sie den Ketzer in Beisein von Zeugen der Kirche vor der Kathedrale zur heiligen Erlösung. Vom Gefangenen kam keine Gemütsregung mehr, er hatte sich vollkommen aufgegeben. Der Bannerträger von Mondave schien durch sein bloßes Auftreten dem zum Tode Verurteilten den Rest seines Lebensmuts zu rauben. Er blieb über den Zeitraum der Vollstreckung anwesend, auf einer aufgebauten Tribüne betrachtete er ungerührt das Schauspiel. Ein ganzer Haufen anderer Bürger versammelte sich in Windeseile für die Vollstreckung des Urteils.
Wenn ein Magusketzer verurteilt wurde, wollte sich keiner deren Bestrafung entgehen lassen.
Es sollte ein Spaß werden für die Zuschauer, aber der Mann blieb stumm, gestand nicht, flehte nicht, die Leute schauten gebannt und mit offenen Mündern zu, als sich der Strick um den Hals legte.
Eine zierliche Gestalt mischte sich unbeobachtet unter die Menge, sie war dünn, leichtfüßig und trug unter einem abgetragenen Reisemantel eine graue Lederrüstung elfischen Ursprungs, die spitzzulaufenden Ohren verbarg die Elfin unter einer Kappe. Teline schaute aufmerksam zu, als ein Hebel sich löste und sich unter den Füßen des Ketzers eine Klappe öffnete, an Halt verloren, stürze er und brach sich das Genick.
Der Tod trat gnädig und schnell ein.
„Der hat ja am Strick nicht mal gezuckt, wie öde!“, beschwerte sich einer.
„Ja, der davor hat ne bessere Vorstellung gebracht, Eintritt solltet ihr für den Mist nicht verlangen“, gab ihm ein anderer Zuschauer recht. Weitere pfiffen den Henker aus, der nur mit den Achseln zuckte.
Die Spionin wunderte sich nicht mehr über die Verrohung der Städter, nur aus Spaß schnitt sie ihnen die Geldbeutel vom Gürtel ab, stahl ihnen so einige Münzen und warf sie später als Denkzettel in die Kloake. Es war eine Leichtigkeit, tumbe Menschen zu bestehlen. Die Menge buhte weiter, als sie sich unbemerkt davonschlich. Ein verstecktes Pferd wartete auf einer Anhöhe nahe der Stadtgrenze auf sie und die Spionin wollte keine Zeit vergeuden.
Die Unzufriedenheit breitete sich unter den Städtern aus, als man die Leiche beseitigte, die Hinrichtung war keine große Sache gewesen.
„Schweigt alle, die Hinrichtung dient nicht eurer Belustigung.“ Rief Mestio der Menge laut von der Tribüne zu.
Wenig später löste sich die Zuschauermenge murrend auf, keiner wagte es mehr, zu protestieren.
Diesmal gab Mestio mit freundlicher Stimme Anweisung, den Toten rasch zu verbrennen und seine Asche abseits von den Stadtmauern auf einer Lichtung zu vergraben. Es sollte kein Risiko eingegangen werden. Magiewirker konnten, wenn ihre Leiche intakt blieb, in seltenen Fällen zurückkehren, so verbreitete es der Orden immerzu als Warnung für alle.
Jeder, der Magicka in sich trug, musste nach seinem Tod zu Asche verbrannt werden, das war eine der wichtigsten Regeln, man brach sie nie, sofern man dem Orden diente.
Mestio rief nach einem Diener, der herbeieilte, als würde sein Leben davon abhängen.
Der Beauftragte war ein Jüngling, dem man erst vor Kurzem den Rang eines Adepten zugewiesen hatte. Die Anstellung bereitete ihn keine Freude.
Der Junge hielt immer die Luft an, wenn er mit diesem seltsamen, freudlosen Herrn zu tun hatte, und war umso mehr erleichtert, wenn er für lange Zeit nicht von ihm hören oder Befehle empfangen musste.
„Schafft ihn weg, ihr wisst, wie ihr mit den Überresten umzugehen habt.“
Er nickte beharrlich und suchte, mit den Zügeln eines Pferdekarrens in der Hand und den Überresten des armen Teufels darauf, das Weite. Außerhalb der Mauern gab es extra für spezielle Fälle das Krematorium.
Der Bannerträger überschritt den nun leeren Marktplatz, nahm im bedächtigen Schritt die Holztreppe, die ihn bis vor das Portal des größten Gebäudes der Stadt führte, der gewaltigen Kirche.
Im Vorraum des Kirchenschiffs hatte er vor nachzudenken, die Fälle von magischen Ereignissen häuften sich in letzter Zeit für sein Empfinden zu oft.
‚Oft‘ bedeutete in Wahrheit nur ein paar Mal im Jahr - es gab kleinere Angelegenheiten dieser Art wie in jeder anderen größeren Stadt auch.
Die Dreistigkeit der Flucht des letzten Ketzers hatte ihn verunsichert.
Mestio stieß eine robuste Holztür auf, im Halbdunkel des Inneren hörte man umso deutlicher das Säuseln von Fürbitten der Gläubigen. Weiter vorne war Licht, entzündet aus einem Halbkreis von Kerzen, die einen grellen Widerschein zur Nordwand warfen.
Ringsherum standen aufgereiht die Büsten der größten Paladine, die in den letzten Jahrhunderten zügig den Glauben in die Provinz gebracht hatten. Mestio blickte in ihre beharrlichen steinernen Gesichter, der Ort erfüllte ihn mit Stolz und Andacht.
Der Bannerträger verschwand zum Gebet in eine hintere Ecke, setzte sich auf eine grobe Holzbank. Er blieb abgeschieden. Eine Menge Leute, die sich zuvor noch in seiner Gegenwart befunden hatten, atmeten erleichtert auf.