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Kapitel 4

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Die freie Stadt Mondave wurde vor Jahrhunderten von ihren Vorfahren nicht unweit der Mündung eines langen Flusses vorgefunden. Sie hatten die Metropole nicht selbst erbaut, das Wissen für den Bau der riesigen Mauern fehlte noch in diesen Tagen.

Je weiter man dem Lauf des Dyfro folgte, desto eher ging er in die Breite und Tiefe und schlängelte sich im Zickzack wie eine eingegrabene Wüstenschlange.

Nach einigen Kilometern mündete eine Biegung von ihm im Meer, eine weitere verlief geradeaus weiter. Zur linken Seite hatten sich in den letzten Jahrhunderten mehrere Dörfer an dem Ufer angesiedelt, die das ganze Frühjahr bis zum Sommer nur damit beschäftigt schienen, ihn leer zu fischen, und immer noch von ihm lebten.

Sie befolgten ihre eigenen Gesetze und sprachen ihr eigens Recht, was nicht für jeden einen Vorteil darstellte.

Die Flussleute kamen mühelos durch den Winter und nutzten die Abgeschiedenheit ihrer kleinen Ortschaften aus, indem sie dem meisten Ärger fernblieben. Aber auch unter ihnen gab es Menschen, die sich von heute auf morgen zu Magiewirkern verwandelten. Es konnte jeden treffen, vom einfachen Fallensteller bis hin zum Dorfvorsteher, und egal, um wen es sich handelte, war das Recht immer unerbittlich.

Die Dörfler kümmerten sich meist selbst um ihre Angelegenheiten. Sie trafen Beschlüsse in einem Rat der Ältesten und der, der das Pech hatte, als Ketzer verurteilt zu werden, wurde meist verbannt. Die Ausstoßung aus der Dorfgemeinde bedeute damit den Tod der betreffenden Person, das Verhungern im Winter oder ähnlich Schlimmes waren die Folgen.

Die von Strömen und Flüssen durchzogene Ebene war das Grenzgebiet der Kernlande, die weiter im zivilisierten Norden die zwanzig freien Städte beherbergten. Darunter eine nicht mindere Anzahl an Räubern und anderen Halsabschneidern, wie fast überall auf dem Festland.

Ebenfalls fremde Völker siedelten in den Kernländern, des Handels wegen. Dieser florierte ungestört und meist frei von Zöllen und ohne Beschränkungen für die Parteien. Selbst Thärden lebten in diesem Teil des Festlandes, allerdings nicht zu weit von ihrer Heimat entfernt, man mochte sie nicht allzu sehr, wenn es über das Geschäftliche hinausging.

Und sämtliche Bürger der freien Städte wären sofort bereit, sich gegen sie in einem Bündnis zusammenzuschließen. Jedes Kind wusste, was geschehen war, als die Rikeh-Jar die Unabhängigkeit der zwanzig Städte ausgerufen hatten.

Das Söldnerheer, das einst aus der östlichen Steppe gereist war und gegen eine erhebliche Menge Goldes ein gemeinsames Bündnis gegen die Übermacht der Thärden und ihre Machtbestrebungen darstellte.

Die folgenden Kriege zogen Jahrzehnte des Todes unendlich vieler nach sich. Vor allem das Steppenvolk verlor viele seiner berühmten Reiter und erst vor einer Dekade endete der Konflikt.

Die Rikeh-Jar wanderten in einer langen Kolonne zurück in die Steppe; man hörte nie wieder etwas von ihnen.

Die freien Städte dagegen blühten in ihrer Unabhängigkeit erheblich auf.

Ging die Reise voran, gelangte man auf eine offene Ebene und der Dyfro, der längste Fluss des Festlandes, ebbte in einer morastigen Zone ab. Weiter südöstlich, parallel zum Meer, erstreckte sich eine baumlose, umfangreiche Landschaft. Wilder Weizen wuchs, eine große Anzahl nicht domestizierter Pferdeherden galoppierte ungestört über die Gräser unter einem grenzenlos blauen Himmel.

Die Menschen waren nicht zahlreich, es gab nur wenig Einkommen und man wagte nicht, die Bergketten im äußersten Osten zu überqueren, um vielleicht doch noch tiefe, fruchtbare Wälder zu finden. Die Missionare Thetyrs hatten behauptet, dass das Land nicht den Gläubigen der Kirche gehöre. Die Landbevölkerung gab diese Idee auf, eine Expedition zu organisieren.

Vor einer dieser wenigen Ortschaften von geringer Größe, vor einem Sumpf, aus dem es Tag und Nacht über stank, standen zwei Schweinebauern, die angestrengt eine auf dem Untergrund liegende Gestalt betrachteten.

Ein Unbekannter, eingewickelt in seinen Mantel, der sich in Braun nur gering von der Färbung des schlammigen Bodens abhob, blieb regungslos liegen. Es musste eine harte Nacht für ihn gewesen sein.

Aus dem Moor hörte man lautes Quaken und andere aufgeregte Geräusche. Eine unangenehme Gegend, kaum ein Fremder wollte da hineingehen, geschweige denn, dass einer von den wenigen Verrückten wieder herauskam.

Korren, der Beleibtere von den beiden und der, der den Reisenden gefunden hatte, stellte Mutmaßungen an:

Der bewegt sich nicht mehr, vielleicht ist er tot umgefallen, die Viecher, die im Morast hausen, können einen ja schon durch einen Biss umhauen, hab ich gehört.“

Dieser Morast hieß bei den Einheimischen nur der Moderschlund. Obwohl mit einigen Bohlenwegen versehen, war die Durchquerung nicht angenehm und überhaupt kein Spaziergang.

Darren betrachtete seinen Begleiter ungläubig, Du redest von Gift, wer hat dir denn erzählt, dass ein paar Biester mit giftigem Speichel einen ausgewachsenen Menschen in den Boden rammen können .“

Sein dicklicher Freund setzte eine Miene auf, die verriet, dass er bereit war, zu einem längeren Vortrag auszuholen. Im Anschluss daran schaute er wieder auf den im Schlamm Liegenden und berichtete bloß, dass der alte Großbauer, dessen Hof hier ganz in der Nähe hinter einer Biegung stand, ihm einst eine solche Geschichte erzählt hatte.

Ratten, so groß wie Hunde, lähmten übermütige Reisende und verspeisten diese anschließend.

Aber selbst er, der neben dem Sumpf lebte, hielt sich trotzdem möglichst fern von ihm, und falls es dann doch einen Grund für eine Reise gab, umging man ihn weiträumig. Sogar wenn eines der Kinder der örtlichen Nachbarn in ihm verloren ging, suchte man nur am Rand der Schlammgrube und beließ immer den Blick in Richtung der letzten Hütten, damit man nicht Gefahr lief, sich zu verlaufen.

In das unsichere Labyrinth aus schwankendem Untergrund und knorrigen, dichten Sumpfpflanzen, das die Sicht auf wenige Meter beschränkte, traute man sich nur hinein, wenn man einen wirklich guten Grund hatte. Trotzdem wollte Korren nicht jeden Mist, den man ihm auftischte, glauben.

„So ein Quatsch von diesem Säufer. Der hier schläft ganz einfach seinen Rausch aus, denk ich“, meinte Darren und provozierte so beinahe einen Streit mit seinem sturen Freund.

„Wer sollte bloß so dämlich sein und sein Lager ausgerechnet hinter diesem widerlichen Drecksloch aufschlagen? Ich weiß nicht, was genau mit dem da geschehen ist, aber auf jeden Fall ist er hinüber.“

Sein Blick fiel nun auf einen zugeschnürten Beutel neben dem Fremden und sein noch angezogenes Paar Stiefel, die brauchbar wirkten. Vernünftiges, kaum abgenutztes Leder, das konnte man sehen. Der Wicht war zu Lebzeiten kein armes Schwein gewesen oder hatte zumindest einmal Geld an der richtigen Stelle ausgegeben.

Korren betrachtete dagegen seine eigenen Füße, die verschmutzt in keinem Paar Stiefeln steckten. Die braucht man nicht in einem Stall, seinem üblichen Arbeitsplatz. Aber man dürfte ihn zu jedem Anlass einen Dummkopf nennen, wenn er nicht die Gelegenheit ausnutzen würde.

Jedoch wollte Darren auf Nummer Sicher gehen. Er schritt skeptischen Blickes zu einem Busch am Wegesrand, brach einen Ast ab und überreichte ihn seinem Freund, der ergriff ihn entschlossen und wusste genau, was er mit dem Stock anstellen sollte.

„Wenn der Kerl sich nur eine Handbreit bewegt, dann schwöre ich dir, bin ich weg. Das ist mir einfach zu eigenartig.“

„Mach du nur, was du für richtig hältst“, brummte der Dicke zurück.

„Ich für meinen Fall erkenne, sobald mir etwas in den Schoß fällt.“

Er ging näher zu dem Liegenden, wog bereits ab, ob ihm das Schuhwerk passen würde. Ein bisschen zu klein waren sie schon auf den ersten Blick, aber egal. Er überlegte sofort, was er dagegen bei Bekannten eintauschen könnte. Hier draußen bei den Gehöften musste man einfallsreich sein, um über die Runden zu kommen. Sein Gemüt war auf nichts anderes eingestellt.

Seinem Freund reichte es jedenfalls. Er schnappte sich den Beutel, der mit einer Schnur verschlossen war; Neugierde hatte ihn gepackt. Korren drehte sich zu der Beute um und entriss sie den schmalen, schwieligen Händen. Sofort war die Kordel abgewickelt, er schaute hinein und erschrak, ein Schwall von Gestank schlug ihm entgegen.

„Widerlich, tote Mistviecher liegen darin.“

Er ließ seinen Fang schneller fallen, als Darren registrierte, ihn verloren zu haben.

„Was für ein kranker Kerl ist das? Geht in den Sumpf und zerhackt diese fetten Giftratten.“

„Ich habe dir doch gesagt, dass es sie hier draußen gibt“, gab er besserwisserisch zu verstehen.

Er ignorierte das vom Ekel verzogene Gesicht seines Freundes und näherte sich bewaffnet mit einem Stock der eingerollten Gestalt, angespannt und verharrend.

Einen Wimpernschlag später packte eine Hand den Ast, brach ihn in der Mitte ab und schleuderte das unnütze Ende davon; es hätte nicht einmal als Ersatz für einen Knüppel hergehalten.

Der Fremde war aufgestanden, ein junger Mann mit fremdländischem Aussehen, rotem Haar und grünen stechenden Augen, die von der einen zur anderen Sekunde ihre Wut verloren. Ein seltsamer Typ mit genug Muskeln, um sie alle ohne Probleme unbewaffnet zu verdreschen.

Instinktiv wichen die beiden Siedler zurück, schauten sich gegenseitig verdutzt an und sprachen kein einziges Wort mehr.

Für diese mögliche Wendung hatten sie sich keinen Plan zurechtgelegt.

„Was hattet ihr vor, ich kenne zwar nur wenige der Menschen, die hier leben, aber dass man in dieser Wildnis nicht mal übernachten könne, ohne ausgeraubt zu werden, hätte ich mir nicht vorgestellt.“

Von beiden kam fast gleichzeitig ein verdutztes „Äh?!“ und dann noch ein als Frage gestelltes:

„Wir?!“

Korren schaute ihn sich genauer an. Es sah so aus, als brachte der Fremde eine weite, mühselige Reise hinter sich, mit dem letzten Abschnitt quer durch den Sumpf. Der Unbekannte hatte dreckverkrustete Kleidung an, unter dem Mantel kleidete er sich mit einem Wams einschließlich beschlagener Nieten. Eine solide Arbeit aus besserem Leder, verziert mit Silber. Er trug aber dafür keine Waffen am Gürtel. Der Bauer musterte ihn so unhöflich, dass er eine barsche Antwort erhielt.

„Bin ich etwa ein dressierter Oger?

Die beiden verneinten, „Dann glotzt mich gefälligst auch nicht so an. Verstanden?!“

Der Rothaarige machte sich daran, seine Habe zu packen, nahm den Beutel entgegen, verschnürte ihn wieder sorgfältig und warf ihn sich über den Rücken.

Eine Frage konnte sich der Schmale unter den Schweinehütern nicht verkneifen:

„Wieso tragt ihr die toten Dinger mit Euch rum?“

Er klang zaghaft und doch neugierig. Coldwyn, der schnell und grußlos an den beiden vorbeigelaufen war, wandte sich um.

„Das gehört zu meinem Beruf“, meinte er schlicht dazu und ging weiter einen beengten Pfad entlang, der ins Grüne führte.

Also war er eine Art Kammerjäger, nur seltsam, dass er für sein Gewerbe in die Wildnis ziehen musste. Erstaunliche Leute gab es doch im Siedlerland und es kamen immer wieder neue hinzu.

Trugbild der Schatten

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