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Kapitel 8

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Er war ganz verausgabt und nach Stunden des Laufens zusammengebrochen.

In seinem jetzigen Zustand konnte er nicht viel wahrnehmen, die Sinneseinflüsse fanden erst langsam den Weg in seinen Verstand zurück.

Da war das Plätschern eines Baches zu seiner Rechten. Nässe, die sich von seiner pochenden Schläfe bis zu seiner Brust ausbreitete und das Gefühl der Schwere auf seinem Oberkörper. Er spürte, wie sämtliche Kräfte aus seinem Körper wichen, seine Stirn lag gepresst auf kaltem Stein, er war zu schwach, um aufzustehen. Eine alte verschüttete Vision stieg in ihm auf, etwas, das dunkler Magie glich und er lieber nicht durchmachen wollte.

Es passte nicht, es war fremd für ihn, was sich in seinem Kopf abspielte.

Er sah Bilder einer alten Stadt aus vergessenen Tagen.

Aber er konnte sich nicht dagegen wehren, war zu abgezehrt vom Laufen, der Anstrengung des Tages.

Alles war entschwunden und er war nur noch ein umherirrender Schatten.

Er brach zusammen und ließ den Albtraum geschehen.

Die Stadt, in der Viondars ziellos herumlief, war groß und uralt. Er schoss die Gassen und Alleen entlang, darauf bedacht einen Ausweg aus diesem gigantischen Spinnennetz zu finden.

Und Gassen gab es hier unendlich viele, kastenartige graue Bauten ragten alle paar Meter auf.

Ängstlich schaute der Verfolgte an sich herab. Über der rechten Hand trug er herumgewickelt einige Stofffetzen, die Hand war eindeutig verletzt, zu kaum etwas zu gebrauchen. Aber er rannte, ohne auf seinen keuchenden Atem und die Schmerzen zu hören. Doch der Gejagte musste anhalten, musste verschnaufen oder sein Herz würde einfach den Geist aufgeben.

Er stürzte plötzlich um, trotz seiner Schnelligkeit verbunden mit seiner Jugend gaben seine Beine nach. Er fiel der Länge nach vor einem dicht bedrängten Marktplatz hin. Dieser war der Großflächigste, den er in seinem Leben je erblickt hatte, bemerkte er nebensächlich. Alles in der Metropole hatte riesige Ausmaße, gewaltige Massen von Menschen, Orks und Elfen bewegten sich von einem Punkt zum anderen und blieben dabei verhältnismäßig friedlich untereinander.

Über den unzähligen Bewohnern der Wüstenstadt lag der Schatten der Furcht, der sich in ihre Gesichter eingrub, ihr Denken und ihr Leben bestimmte.

Es gab keine nennenswerte Regierung, die auf die Friedfertigkeit der Bürger achtete. Das Einzige, was die Ordnung aufrecht hielt, war Angst. Angst vor allem vor Vrath-Zuul, der herrschenden Gottheit, die fast niemand aus der Bevölkerung zu Gesicht bekam.

Er lag noch immer und brauchte viel zu lang, um zu reagieren. Er war das Weglaufen vor ausgebildeten Stadtwachen nicht geübt.

Man half ihm nicht auf, aber trampelte auch nicht auf seinem ausgestreckten Körper herum.

Ein Tribunal hatte ihn wegen Diebstahls belangt, drei fehlende Finger waren das milde Urteil. Nun sollte der junge abtrünnige Soldat die gottgleiche Herrscherin des riesigen wie brutalen Landes kennenlernen. Kein Wunder, dass jede Faser seines Körpers nach Flucht verlangte.

Viondars richtete sich wieder auf, er musste sich erst neu orientieren.

Er konnte die ganze Vielfalt des urbanen Lebens ausmachen. In der Stadt, die man auf grauem Sand errichtet hatte und in der es nicht überall vor Schönheit glänzte und blitzte, gab es zumeist nur die Tempel, Kasernen und die öffentlichen Schatzkammern, die eine Ausnahme darstellten. Dazu kamen die Marktplätze für alle Bürger. Alles, was das Heer von Vrath-Zuul an Besitz erobert hatte, konnte dort erworben werden, und so sehr er sich vor seinen Verfolgern fürchtete, musste er auch gleichzeitig staunen.

Er wollte diesen Platz nur einmal durchstreifen, sich die reich gedeckten Verkaufsstände anschauen und die verschiedenen Menschen betrachten. Einwohner aus sämtlichen Völkern und allen unterschiedlichen Winkeln des Festlandes zusammengewürfelt waren hier versammelt.

Kurz schaute er auf wertvolle Gegenstände, auf schlichte Werkzeuge und Dinge, dessen Sinn er überhaupt nicht begreifen konnte, auf die unglaubliche Masse an Dingen, die er als Fischerjunge höchstens aus Geschichten kannte.

Dann, schnell, war es vorbei mit der Ruhe.

Zu seiner rechten Seite, knapp vor dem Stadtzentrum, ragten die gewaltigen würfelförmigen Bauwerke auf, die von ihrer Größe her jedes Gemäuer, das er kannte, bei Weitem überragte. Trotzdem bedeutete das nicht viel. Er war jung und hatte nur sein kleines Heimatdorf im Kopf. Die Gebäude, die er im Hintergrund wahrnahm, wirkten so riesig, dass er sie nicht als Gebilde erkannte, nicht als etwas, das von Sterblichen erbaut worden war. Aber genau vor dem Zugang zum Tempelbezirk versammelten sich Soldaten. Sie blockierten den Durchgang für jeden, machten keinen Unterschied vor Adel, Krieger oder Sklaven, schotteten ihren Bereich komplett ab. Es waren abgehärtete Streiter, zusammengewürfelt aus den eroberten Bezirken des Großreiches, die ausgerechnet nach ihm ausgeschickt worden waren.

Er konnte es nicht fassen, wie viele nur nach ihm, einem, der nur ein paar Jahre mehr als ein Junge zählte, einem ehemaligen Kriegsknecht suchten.

Ihm wurde gewiss, dass man ihn früher oder später aufspüren würde, und er blieb wie gelähmt auf dem Flecken stehen.

Dann, als er nur zuschaute, wie sich diese Walze aus gepanzerten Soldaten Stück für Stück vorwärts fraß, packte ihn eine behandschuhte Hand an seinem Handgelenk.

Geschockt drehte er sich um, nur um in das zahnlose, vor Überraschung weit aufgerissene Maul eines Schwertträgers zu schauen, der es selbst kaum fassen konnte, den Geflohenen mit einer großen Portion Glück gefasst zu haben.

Er wollte mit ihm sprechen, das war seine erste Eingebung, würde sogar um seine Freilassung flehen, wenn es nicht anders ginge. Aber ganz so, als hätte der starke Kämpfer dieses Verhaltens ihm entgegen bemerkt, bekam er zugleich einen gut gezielten Hieb mit einem Holzstock über den Schädel. Er sank mit einer ordentlichen Beule zu Knie und schwand in die Schwärze der Bewusstlosigkeit hinein.

Man trug ihn mithilfe einer Bahre durch die verstopften Straßen. Sie passierten mit ihm Abschnitte, die für die einfachsten Soldaten als unpassierbar galten. Diese kehrten um und nur eine Handvoll Menschen begleitete den Flüchtling bis zu den Stufen eines der größten Gebäude, fensterlos und aus Marmor errichtet.

Innen verbreiteten mehrere Becken mit frischem Wasser eine kühle Luft.

Ob er wollte oder nicht, er wurde allein gelassen. Er hätte sich in seiner Bewusstlosigkeit auch kaum gegen den Willen seines Auftraggebers wehren können.

Der Gott, der diese Stadt regierte und seine riesige Streitmacht in unzählige Schlachten schickte, verlangte nach ihm. Man hatte ihm den Befehl mündlich überbracht und sein gesunder Menschenverstand hatte als einzigen Ausweg die Flucht gewählt, instinktiv.

Als der Gefangene später im Tempel erwachte, sah er seinen angehenden Meister. Seinen schlimmsten Feind, der ihn die wahre Angst zu spüren lehrte und ihm mehr raubte, als es jemals möglich zu sein schien.

Vrath-Zuul, das war ein verliehener Titel der Orks jener Zeit und bedeutete schlicht Hüter des Schreckens. Ein passender Name, den er später verfluchen würde. Und diese Gottheit weckte den Verletzten persönlich auf, ging dabei nicht zimperlich vor.

Eine ausgestreckte Hand scheuerte ihn wach, seine Wangen schmerzten augenblicklich.

Der junge Viondars erschrak, entdeckte, in was er unfreiwillig hineingeraten war.

Doch gleichzeitig war er wie geblendet von ihr. Die Gottheit, die über die Wüstenstadt herrschte, hatte keine männliche Form angenommen.

„Mit so einem Anblick habt Ihr nicht gerechnet. Nicht alles läuft immer so ab, wie man es erwartet“, sagte die Frau stolz, ein leichtes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel.

„Ja, ich bin es und ich hoffe, Ihr wisst, wie man sich benimmt.“

Vrath-Zuul war schön, geheimnisvoll und gekrönt mit überwältigendem Aussehen, das jenes seidene Kleid nur unzureichend verdeckte.

Eine Göttin, die nur auf ihn allein zu warten schien.

„Ich habe eine Menge mit dir vor, komm, stehe auf.“

Die Frau, die eigentlich ein Gott sein sollte, duzte ihn auf Anhieb. Er ertappte sich dabei, dass er immer noch staunend auf der Bahre lag und sie angaffte, ohne den Mund zu schließen.

Doch von Anfang an spürte er den Dunst aus Furcht, der sich allseitig um sie befand. Dieses Wesen, ob männlich oder weiblich, herrschte über alles um sie herum, und Furcht war eines ihrer Instrumente, den Frieden zu wahren.

Viondars gehorchte dem Befehl. Seine Beine fühlten sich butterweich an.

Er folgte ihr die Stufen hinauf nach draußen auf die begrünten Terrassen des Tempels. Von jener Stelle aus überblickte man die ganze Stadt und die öden Ebenen darüber hinaus.

Er tat es, schaute auf die grauen Berge, die scheinbar immer mit Wolken verhangen sich dem Blick entzogen. Rauch stieg auf, die unzähligen Schmieden arbeiteten Tag wie Nacht. Und er hörte nur noch auf ihre Worte.

Sie sprach von einem Plan. Ohne dass sich beide Personen jemals zuvor gesehen hatten. Vrath-Zuul erzählte dem Unbekannten alles.

Dieser mächtige Gott sah sein eigenes Ende kommen und erdachte eine Rettung für sein Überleben, die so sehr den Vorstellungen eines Umnachteten glich, dass der ehemalige Entflohene nur vor Schrecken erstarrte.

„Du bist der Schlüssel für mein Fortbestehen. Das ist die größte Ehre, die du in deinem jämmerlichen Leben erhalten kannst, und ich gestatte sie dir. Es wird dich viel kosten, mehr, als ein Mensch bereit wäre herzugeben. Viel mehr davon.“

Viondars grübelte lange über den Sinn der ausgesprochenen Worte nach.

„Es kostet einen Teil deines Selbst.“

Trugbild der Schatten

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